
“Die Lyrische Beobachtungsstelle” von Paul Clemente.
Es begann vor Milliarden Jahren, als die Erde noch lebte. Richtig gehört: Der Erdball war einst ein Lebewesen. Erst nach seinem Absterben, nach ungeheuren Temperaturstürzen, konnte organisches Leben entstehen: Einzeller, später Pflanzen und Tiere. Davor, im Urnebel, gab es lediglich den Menschen. Als Geistwesen. Seinen biologischen Körper erhielt er erst später: vor fast einer Millionen Jahren. - Stopp! Wo sind wir hier? Das ist doch nicht die offizielle Evolutionsgeschichte. Nein. Aber was dann? Science Fiction? Auch nicht. Das ist die Erdentwicklung frei nach Rudolf Steiner. Sie kennen ihn: Den Begründer der Anthroposophie. Gestorben ist er vor genau hundert Jahren: Am 30 März 1925. Zwar hat der Zahn der Zeit sein Werk nicht zernagt. Aber das Verhältnis der Gegenwart zu ihm? Es könnte nicht zwiespältiger sein.
Da gibt es einerseits die Verurteilung: Steiner als Spinner, als Schöpfer phantastischer Welten, an die er selbst nicht geglaubt habe. Ein Scharlatan, wenn nicht gar Rassist. Einer, der die Gleichheit aller Menschen geleugnet habe. Konträr dazu: Sein Einfluss auf die moderne Lebenspraxis durch Waldorfschulen, landwirtschaftlichen Demeter-Produkten und Weleda-Kosmetik. Alle Drei stützen sich auf Steiners Geisteswissenschaft und werden vom linksgrünen Bürgertum hochgehalten. Wie erklärt sich diese Spaltung? Liegt es daran, dass Eltern, die ihre Kinder der Waldorfpädagogik anvertrauen oder Bioprodukte konsumieren, von Steiner keine Ahnung haben? Dass sie nicht wissen, was sie tun – wie zahlreiche Kritiker unterstellen? Oder ist das Steiner-Bild, das seine Gegner zeichnen, mehr Karikatur als Porträt?
Um Steiner zu verstehen, sollte man seine Fragestellung vergegenwärtigen. Was wollte dieser Mann? Auf welche Fragen suchte er die Antwort? Was trieb ihn zu immer neuen, größeren Szenarien? Sei es als Goetheforscher, als Philosoph und schließlich als Allround-Reformer? Dabei wird man feststellen: Seine Themen, seine Fragen haben an Aktualität nichts eingebüßt. Es geht primär um unser technisch-wissenschaftliches Weltverständnisses.
Mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert erfuhr der abendländische Mensch eine Erschütterung, so tiefgreifend wie allenfalls in der Spätantike: Der langsame Zusammenbruch des spirituellen Überbaus. Nicht als großen Knall. Nein, solche Einstürze gehen in Zeitlupe. Über mehrere Generationen hinweg. Und leise. Daher von vielen unbemerkt. Jetzt, im 21. Jahrhundert, hat dieser Prozess sein Ende gefunden: Gott ist tot und Westeuropa säkularisiert.
Das Sterben des Christentums provozierte im 19. Jahrhundert unterschiedliche Reaktionen. Mancher feierte es als Befreiung, andere fürchteten das Aufkommen des Nihilismus, einer Entwertung allen Lebens. Zu den bekanntesten Seismographen zählten der Marquis de Sade, Friedrich Nietzsche, Karl Marx und Fjodor Dostojewski. Sie alle konstatierten das Aufkommen einer Gottesfinsternis. Allerdings verblieb keiner bei dieser Diagnose. Nein, jeder bot Gegenmittel an. Gewirkt hat keines. Sades schrankenloser Libertin, Nietzsches Übermensch, Marxens kommunistische Gesellschaft und Dostojewskis Narr in Christo: All diese Utopien dürfen als beerdigt gelten. Es bleibt der leblose Glaube ans rationale, wissenschaftliche Denken. Danach darf nur empirisch Nachgewiesenes als Wahrheit durchgehen. Da ist kein Platz für Feuer und Intuition. Schlimmer noch: Die vergötzte Wissenschaft hat ausgerechnet auf die wichtigste Frage keine Antwort. Auf die Sinnfrage: Warum das alles? Weshalb gibt es Kosmos, Erde und Mensch?
Das bleibt nicht nur ohne Antwort. Die Moderne verwirft bereits solches Fragen als sinnlos. Das Credo der Scientisten hingegen lautet: „Alles Seiende, tot oder lebendig, ist nur ein Produkt des Zufalls. Du bist nichts als Materie. Dein Denken und Fühlen? - Pure Biochemie. Mit Deiner Geburt beginnt ein 70- oder 80jähriger Kampf ums Überleben. Danach zerfällst Du wieder in kleinste Einzelteile. Dein Leben? Bloß ein kurzer Urlaub vom Nichtsein. Das rasche Abflammen einer Kerze im ewigen Dunkel. Finde dich damit ab.“ Genau an dieser Stelle kehren wir zurück zu Rudolf Steiner: Er gehörte zu jenen, die sich mit solcher Reduktion nicht abfinden konnten. Zu jenen, die unbeirrt nach einem Ausweg suchten. 1861, im damaligen Königreich Ungarn geboren, wuchs er auf in einem Zeitalter, in dem diese Fragen hart umkämpft waren. Vor dem Hintergrund dieses Krieges, dem geistigen Kampf zwischen materialistischem und metaphysischem Weltbild, lässt sich die Stoßrichtung von Steiners Denken erfassen.
Einer der wichtigsten Bezugsgrößen in seinem Leben war der Dichter und Naturforscher Johann Wolfgang von Goethe. Bereits in jungen Jahren wurde er mit der Herausgabe von Goethes naturwissenschaftlichen Schriften betraut. Darunter die Edition der Farbenlehre. Unterstützung fand Steiner bei dem Wiener Germanistikprofessor und Dichter Julius Schröer. Dessen Goethe-Forschung überstieg ein akademisches Interesse bei weitem. Schröer glaubte an eine Wahlverwandtschaft, hatte im Traum seinen verstorbenen Vater im Beisein des Weimarer Dichters visioniert. In ihm fand Steiner den perfekten Mentor. Goethes Bedeutung für Steiner beruht auf zwei Gemeinsamkeiten.
1) Wie Steiner hatte Goethe einen Horror vor dem materialistisch-abstrakten Weltbild. Auf dessen Grundlage hatte der britische Physiker Isaak Newton jedoch eine Farbenlehre kreiert. Das provozierte Goethe zu einem Gegenentwurf. Einem, in dem das Geistige, Anschauliche einen fundamentale Part erhält. Dabei ging es um mehr als um fachliche Klärung. Hier ging es um die Verteidigung des Geistigen. Und genau darin wird Steiner dem Weimarer Dichter folgen.
2) Goethe hing einer holistischen Weltsicht an. Nicht in Details und Einzelproblemen versinken, sondern alle ins große Ganze einordnen. Diesem universalistischen Konzept folgte Steiner bereits als Student. Seine Fächerwahl sprengte alle Grenzen. Hauptfach: Mathematik. Nebenfächer: Chemie, Physik, Geologie, Mineralogie, Biologie, Botanik, Zoologie, Mechanik und Maschinentechnik. Außerdem beschäftigte er sich mit deutscher Literatur, Philosophie, Historie und Medizin. Beherrscht vom Willen zur Gesamtschau, zur Wiederfindung des Geistigen in den Dingen. In unserer Gegenwart, wo die Neurobiologie den Geist mit Hirntätigkeit identifiziert, wo die Informatik ihn auf die Festplatte laden will, wo Mind-Forscher ihn sogar leugnen, als Illusion abtun, laborierte Steiner an einem Gegengift. Aber er verteidigte nicht allein die Realität des Geistes. Er versuchte sogar, dessen Entwicklungsgeschichte zu erzählen. So wie es Darwins zuvor mit der Evolution des organischen Lebens unternahm.
Auch in der zweiten Phase, wo Steiner sich als Philosoph versuchte, steht die Rettung des Geistigen im Zentrum. Sein Hauptwerk jener Jahre, die „Philosophie der Freiheit“, wendet sich gegen den Determinismus der damaligen Naturwissenschaft: Der Mensch, so Steiner, sei mehr als ein Spielball physikalisch-biologischer Prozesse. Er ist in der Lage sich selber zu erkennen, in sein Leben einzugreifen, sich zu korrigieren oder zu sabotieren. Kurzum, Freiheit existiert. Bis zum Lebensende empfahl Steiner die „Philosophie der Freiheit“ als entscheidende Einführung in sein Denken. Als Keimzelle seiner Lehre.
Was man heute mit Steiner meist in Verbindung bringt, ist seine Anthroposophie: Die dritte und letzte Phase seines Denkens. Hier trat der Schriftsteller vor dem Redner zurück. Das Gros des Spätwerks sind Protokolle seiner Reden. Angefertigt von Schülern.
Am Beginn dieser Phase stand Steiners Eintritt in die theosophische Gesellschaft. Einer traditionalistischen Bewegung, gegründet von Helena Blavatsky, die ebenfalls den Materialismus des 19. Jahrhunderts überwinden wollte. Dazu suchte sie nach einer ursprünglichen Spiritualität, einer Quintessenz, der alle späteren Religionen entsprungen sind. Nach Forschungsreisen in Tibet und Indien legte Blavatsky ihre 1000seitige „Geheimlehre“ vor. Erfahren im Kontakt zu Geistwesen, Mahatmas, spirituellen Meistern und durch Lektüre alter Schriften. Das Resultat ist eine zyklische Kosmologie, die sogar Albert Einstein faszinierte. Ein Exemplar von Blavatskys „Geheimlehre“ soll stets auf seinem Schreibtisch gelegen haben. Außerdem empfahl er Kollegen die Lektüre: Blavatskys unkonventioneller Denkstil sei äußerst anregend. Wie weit diese Anregungen gingen, sei dahingestellt. Im Falle Rudolf Steiners ist jedoch klar: Seine wichtigsten Werke wie die „Akasha-Chronik“ bauen auf Blavatskys theosophischen Lehren auf und entwickeln sie fort. In dieser geistigen Chronik ist angeblich alles Geschehen im Universum, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft abgespeichert. Jeder könne lernen, in ihr zu lesen und damit Steiners eigene Lehren korrigieren oder präzisieren.
Im Rahmen dieses Podcasts ist es unmöglich, Steiners gesamte Kosmogonie zu referieren. Stattdessen soll ein Beispiel demonstrieren, welches Hilfspotenzial seine Geisteswissenschaft für uns bereit hält. Es ist kein Zufall, dass die Anthroposophie während des Corona-Lockdowns zahlreiche Widerständler und Querdenker hervorgebracht hat. Der anthroposophischen Schriftsteller Axel Burkart erkannte 2021: Die Corona-Politik ist nicht als isoliertes Phänomen zu begreifen sei. Vielmehr sei sie Bestandteil eines Dritten Weltkrieges. Eines Kampfes gegen die menschliche Freiheit. Die wirkungsvollste Waffe der Machthaber: Die Erzeugung von Angst. Tatsächlich wurden die Bürger von gigantischen Panikwellen überflutet. Dazu zählte das Aufbauschen des Virus zur tödlichen Seuche. Und erst die Gegenmaßnahmen: Ausgrenzung, Maskierung, Iso-Haft und kaum geprüfte Impfstoffe. Die Folgen: Ausbruch von Psychosen, Depressionen, hilfloser Wut und Existenzangst. Verzweifelte stürmten die Psychiatrien. Solche Maßnahmen schwächten die Körper mehr als das Virus, raubten ihnen notwendige Abwehr- und Immunkraft. Die Lockdown-Politik entspringt einer Kultur, die das Geistig-Seelische ausgesperrt hat. Aber - hinter der Einseitigkeit verbirgt sich eine dunkle Macht. Ein Geistwesen, das im Hintergrund die Fäden zieht.
Die menschliche Entwicklung untersteht laut Anthroposophie dem Einfluss mehrerer Geistwesen. Zu ihnen zählt der dunkle Ahriman. Der entstammt dem Zoroastrismus, eine Religion, die bis heute im Iran praktiziert wird. Sie lehrt einen Dualismus: Da gibt es einmal den guten Gott Ahura Mazda. Der steht für Licht und symbolisiert sich im Feuer. Sein Gegenspieler aber ist Ahriman. Beide kämpfen um die Weltherrschaft. Laut Steiner blockiert Ahriman den Kontakt zur Spiritualität, hält den Verstand im mechanistischen Denken gefangen. Das führt zur seelischen Erstarrung, zu lähmender Angst. Ahriman habe sich im 19. Jahrhundert als Zeit-Geist inkarniert – und wirkt bis zur Gegenwart. Zwar sei Ahrimans Einfluss notwendig gewesen, um die Naturwissenschaften zu etablieren. Aber - diese Entwicklung ist vollbracht, jetzt muss sein Impuls überwunden werden. Steiner, auch künstlerisch tätig, hat aus Ton einen Ahriman-Kopf geformt: Der besitzt eine große Ähnlichkeit mit dem Vampir Nosferatu aus dem gleichnamigen Stummfilm. Der versetzte die Stadt Wisborg mittels einer Pestepidemie in völlige Angststarre.
Aber führt Steiners Lehre nicht zum Defätismus? Wie kann die Menschheit einem machtvollen Zeit-Geist widerstehen? Ist damit der Freiheitskampf nicht verloren? Nein! Denn Ahriman hat laut Steiner einen Gegenspieler. Ein zweites Geistwesen, seit Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls inkarniert. Auch seine Kraft sei erfahrbar: Die Rede ist vom Erzengel Michael. Dieser biblische Helfer repräsentiere das Christus-Prinzip: Spiritualität, Feuer, Freiheit, die Offenheit des Herzens. Auf den heiligen Michael setzte Steiner seine Hoffnung: Er solle zum Leitstern der Menschheit werden. O-Ton Steiner:
„Das ist das Bedeutsame, das ist das ungeheuer Wichtige unseres Zeitalters, dass wir begreifen, dass das, was in allen vorhergehenden Epochen noch nicht da war, für die ganze Menschheit nicht da war, nun sein kann, werden muss ein Gut für die ganze Menschheit.“
Für die Corona-Jahre hieß das: Während die Politik ahrimanisch agierte, fand sich der Sankt-Michaels-Impuls bei den Querdenker-Demos. Vor allem bei den Großkundgebungen im August 2020: Da herrschte keine Angst. Kein Ausschluss. Stattdessen: spontane Begegnung, Gespräch, Gesang, Tanz und Meditation. Tausende forderten gemeinsam ihre Freiheit zurück. Ohne Abstand und Maske. Und – erwiesen sich die Demos als Superspreader? Nein!
Kurzum, in den Lockdown-Jahren spitzte sich die Freiheitsfrage zu: Ahriman oder St. Michael? Sie ist bis heute nicht entschieden.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Stefano Chiacchiarini '74/ shutterstock
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