Tagesdosis

Revolte auf dem BSW-Parteitag | Von Paul Clemente

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Ein Kommentar von Paul Clemente.

Noch trägt das BSW den Namen seiner Gründerin. Aber wie viel Wagenknecht steckt noch drin? Ein interner Machtkampf ist entflammt. Im vergangenen Herbst hatte Thüringens Landeschefin, Katja Wolf, den Anschluss an die Altparteien gesucht, mit CDU und SPD eine sogenannte Brombeer-Koalition geschlossen, sich dem Kompromiss geöffnet. Dabei wurde eine Lunte gezündet, die am vorgestrigen Parteitag explodiert ist.

Erinnern wir uns an die Thüringer Landtagswahlen im vergangenen Jahr. Parteichefin Sahra Wagenknecht pries die Ex-Bürgermeisterin von Eisenach, Katja Wolf, als „Spitzenfrau“ für Thüringen. Die damals 37 Parteimitglieder gehorchten: Wolf wurde mit 36 Stimmen zur BSW-Landeschefin gewählt. Fast einstimmig. Mehr noch: Ihren langjährigen Freund Steffen Schütz krönte man zum Co-Landesvorsitzenden. Wagenknechts Vertrauen in das Duo übertrug sich auf Thüringens Wähler: Bei der Landtagswahl erhielt das BSW ganze 15,8 Prozent. Nicht schlecht für ein Debut. Postwendend startete die BSW-Landeschefin mit CDU und SPD eine Koalition. Sie selbst erhielt den Job als Finanzministerin, während man Schütz dem Ministerium für Digitales und Infrastruktur vorsetzte.  

BSW-Chefin Sahra Wagenknecht war von dieser Koalition allerdings kaum angetan: Werden frische Parteien durch solche Bündnisse nicht kastriert? Verlieren sie dadurch nicht ihren Nimbus als Hoffnungsträger? Eine Befürchtung, die sich bei der Bundestagswahl 2025 bewahrheiten sollte: Das BSW sank im Februar knapp unter die fünf Prozent-Hürde. Nur schlappe 10.000 Stimmen haben gefehlt. Okay, vielleicht wurde das Wahlergebnis manipuliert. Auszuschließen ist das nicht. Tatsächlich fordert das Bündnis auch eine Neuauszählung. Aber jenseits von potenziellem Auszählungs-Pfusch scheint für Wagenknecht klar: Die Thüringer BSW trägt Teilschuld an der Misere. Deren Wählerschaft war von 191.000 Stimmen bei der Landtagswahl auf 125.000 bei der Bundestagswahl geschrumpft. Wagenknecht kombinierte: Da hat es Klientelfrust gegeben. Präziser: Das BSW scheiterte an der 5 Prozent-Hürde, weil Frau Wolf ihre Thüringer Wähler enttäuscht hat.

Schon zu Beginn der Brombeer-Koalition gab es Streit zwischen Wagenknecht und Wolf. Wagenknecht fürchtete um das Profil ihrer Partei. Beispielsweise die Friedenspolitik sei im Koalitionsvertrag nicht ausreichend vertreten. Daraufhin schaltete Wagenknecht sich in die Verhandlung ein, stellte hohe Bedingungen. Für Wolf und Schütz zu radikal. Das Duo setzte unbeirrt auf den gemäßigten Kurs. Tatsächlich muss man einräumen: Das Thüringer BSW hat einiges verbockt: So ermöglichte es dem CDU-Kandidaten Mario Voigt trotz Wahlverlust die Thronbesteigung. Gleichzeitig aber grenzte es den tatsächlichen Wahlsieger, die AfD nämlich, komplett aus. Für weitere Minuspunkte sorgten diverse Korruptionsskandale. Aber das Schlimmste war vielleicht der Bruch eines Versprechens. Eins, das hohen Symbolwert besaß. Das BSW hatte zugesagt, kostenloses Essen für Thüringer Schulen bereitzustellen. Leider wurde dieses Vorhaben wieder abgeblasen. Angeblich wegen der Haushaltslage. Damit dürfte das BSW manch prekäre Familie gegen sich aufgebracht haben. 

Damit nicht genug, forderte Katja Wolf auch eine innerparteiliche Reform: Bislang könne nur der Bundesvorstand, also Wagenknecht höchstselbst, über die Aufnahme von Mitgliedern entscheiden. Das müsse sich ändern. Künftig solle man auf Länderebene die Anwärter selektieren. Außerdem, so Wolf, plane sie die Gründung von Ortsverbänden. Ein Vorhaben mit subversivem Potenzial: Damit könnten Landeschefs, die vom Wagenknecht-Kurs abweichen, ihre Verbündeten in den BSW einschleusen. Um die eigene Position zu stärken.

Kommen wir nun zum BSW-Parteitag am vergangenen Wochenende. Schon im Vorfeld hatte Wagenknecht verkündet, dass sie eine Ablösung von Katja Wolf wünsche. Als Nachfolgerin empfahl sie ihre persönliche Stellvertreterin: Anke Wirsing. Wagenknecht selbst nahm am Parteitag nicht teil, sondern schickte den General-Sekretär Christian Leye in den Nahkampf. Der forderte in seiner Rede die Beseitigung der Thüringer Parteispitze. Frische Impulse seien gefragt. Trotzdem solle man diese Guillotinierung nicht als parteiinternen Machtkampf deuten. Nein, man habe nur unterschiedliche Auffassungen über die Rückgewinnung der Wählergunst. Deshalb danke er, Zitat, „dem ehemaligen Landesvorstand, der heute abgewählt wird." Ein indirekter Befehl. Nur - die Durchführung wurde verweigert. Stattdessen wählten die Parteimitglieder wieder Katja Wolf! Die erreichte 61 von 96 möglichen Stimmen. Wagenknechts Wunschkandidatin Anke Wirsing hingegen erhielt bloß 35 Stimmen. Das restliche Wagenknecht-Team zog freiwillig seine Kandidatur zurück. Leye verbarg seine Enttäuschung nicht. O-Ton: „Wir hätten eine andere Entscheidung schlauer gefunden". Aber die Entscheidung sei demokratisch gefallen.  Und aufgeben wolle er schon gar nicht. Das Tischtuch sei mit der Thüringer Entscheidung nicht zerschnitten. Zitat: „Wir waren und sind im Gespräch." 

So zähneknirschend-versöhnlich wie Leye gibt sich die Mainstream-Presse freilich nicht. Der Spiegel jubelte: „Wolf besiegt Wagenknecht“ Auch der MDR freut sich über, Zitat: „Katja Wolf, die Unverwüstliche“. Sie habe alle Schikanen mit stoischer Gelassenheit ertragen, an ihrem pragmatischen Politikstil festgehalten. Und was den MDR-Journalisten besonders freut, Zitat: „Mit Wolfs Wiederwahl ist im BSW etwas ins Rutschen gekommen. Sahra Wagenknecht wirkt plötzlich nicht mehr unantastbar. Die Partei scheint sich - zumindest in Thüringen - von ihrer Namensgeberin allmählich zu emanzipieren.“ Meint wohl: Weg von der roten Sahra, hin zum Mainstream-Pragmatismus.  Das Wochenmagazin Die Zeit spekuliert sogar über weitere Fliehkräfte in der Partei. Am härtesten aber ist die Prognose des Cicero-Magazins, Zitat: „Wahrscheinlich wurde in dieser Woche das Ende des BSW eingeläutet. Es ist die Gründerin und Ikone Sahra Wagenknecht selbst, die den Niedergang der erfolgreichsten Parteineugründung Deutschlands besiegelt haben dürfte.“ Oder verlässt Sahra Wagenknecht ihrerseits die Partei? Darüber spekuliert ihr jahrelanger Begleiter, der Politiker und Songtexter Dieter Dehm. Auf X schreibt er, Zitat: „Sahra hat in Thüringen verloren! 60:30. Wahrscheinlich wird sie sich in ihrem Hochmut jetzt von allen BSWämtern zurückziehen und die andern im Regen stehen lassen. Dann wird die Biontec-Booster-Queen Mohammed Ali mit Fabio wohl die Führung übernehmen. Sterben auf Sparflamme, weil Sahra lieber mit Karrierist:Innen ging, als mit bewährten Kampfgenossen.“ 

Unmöglich ist so eine Parteiflucht leider nicht. Schon einmal hat Wagenknecht eine Bewegung gegründet. Im Jahr 2018. Die nannte sich „Aufstehen“. Nach einem vielversprechenden Anfang zog Wagenknecht im folgenden Jahr die Reißleine. Seitdem vegetiert die Bewegung vor sich hin. Mehr scheintod als lebendig. Sollte sie das beim BSW wiederholen, wäre das ein wesentlich größerer Schaden. Dann gäbe es hierzulande keine Partei mehr, die sozial Schwache gegen den globalen Kapitalismus verteidigt.   

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Juergen Nowak/ shutterstock


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