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Realitätsverweigerung | Von Thomas Röper

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Die Realitätsverweigerung der EU und ihrer Mitglieder

Die neue US-Sicherheitsstrategie mit ihrem vernichtenden Urteil über Europa wird weltweit als zutreffende Diagnose angesehen, nur die Europäer sind sauer und wollen die Realitäten in ihrem ideologischen Wahn nicht sehen.

Ein Standpunkt von Thomas Röper.

Wer die Reaktionen der nicht-westlichen – und vor allem der nicht-europäischen – Medien auf das verfolgt, was in der neuen Sicherheitsstrategie über Europa geschrieben steht, der sieht, dass man der amerikanischen Situationsbeschreibung außerhalb Europas fast geschlossen zustimmt. Seit Jahren schüttelt man weltweit den Kopf über die ideologisch getriebene, selbstmörderische Politik der EU und ihrer führenden Mitgliedsstaaten. Es ist ja nicht nur die Zerstörung der europäischen Wirtschaft mit einer Energiepolitik, die niemand sonst auf der Welt für realistisch hält und umsetzt. Es sind ja nicht nur die selbstmörderischen Sanktionen, die der EU selbst viel mehr schaden als Russland.

Es sind auch gesellschaftliche Themen wie der Genderwahn, den außerhalb der EU kein anderes Land mehr mitmacht, seit Trump dem Unsinn in den USA ein Ende gemacht hat. Oder der woke Unsinn. Oder die zügellose Migrationspolitik, für die kein Land außerhalb Europas Verständnis aufbringt.

All das hat zu den Ergebnissen geführt, unter denen die EU heute leidet: Spaltung, Unruhen, Verarmung, soziale Probleme und wirtschaftlicher Absturz. Politisch ist die EU international in Rekordzeit in die Bedeutungslosigkeit abgestürzt. Zum Gipfel mit der CELAC, der Vereinigung der karibischen und lateinamerikanischen Staaten, mit der EU im Oktober sind beispielsweise nur 12 der 60 amerikanischen Staats- und Regierungschefs angereist, die restlichen 48 hatten wichtigeres zu tun, als sich mit der Führung der EU zu treffen. Und das ist nur das letzte der unzähligen Beispiele.

In der russischen Nachrichtenagentur TASS ist ein Artikel über die europäischen Reaktionen auf die neue US-Sicherheitsstrategie erschienen, den ich sehr treffend finde und daher übersetzt habe.

Beginn der Übersetzung:

Die Wahrheit ist bitter: Warum die Europäer so feindselig auf die neue US-amerikanische Nationale Sicherheitsstrategie reagierten

Andrej Nisamutdinow darüber, wie sich die Wege Europas und der USA auseinanderentwickelt haben und ob es noch eine Chance für eine Normalisierung der Beziehungen gibt.

Es wurden zahlreiche eindrucksvolle und talentierte dystopische Romane über das düstere Schicksal geschrieben, das die Alte Welt erwartet. In ihnen erscheint Europa mal als totalitär, durch und durch von Zensur durchdrungen und überall Neusprech verwendend, mal als ein Ort, der sein historisches Gedächtnis und seine traditionellen Werte, darunter auch familiäre, verloren hat, mal als unter der Herrschaft von „Neuankömmlingen“ aus anderen Regionen stehend, ohne Willen und Widerstandsfähigkeit, gehorsam fremde Ordnungen und Regeln akzeptierend. Vor kurzem erschien ein weiteres Werk dieser Art, das alle düstersten Prognosen der Schriftsteller der Vergangenheit vereint. Nur basiert es nicht auf Fiktion, sondern auf realen Fakten. Die Rede ist, wie viele sicherlich schon erraten haben, von einem Dokument mit dem Titel „Nationale Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten“ (NSS-2025).

Ein Dokument mit zerstörerischer Kraft

Die Veröffentlichung des scheinbar unbedeutenden Dokuments (ähnliche Strategien werden von jeder amerikanischen Regierung verabschiedet) hatte, ohne Übertreibung, die Wirkung einer Bombenexplosion. Wäre es um den Buchmarkt gegangen, hätte die Nationale Sicherheitsstrategie zweifellos sofort die Bestsellerliste angeführt. Der Grund dafür liegt im Inhalt dieses Dokuments, das festgefahrene Stereotypen mit Füßen tritt und nicht nur die Gefahr birgt, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstandene Weltordnung zu zerstören, sondern es könnte auch das Konzept des „kollektiven Westens” vollständig begraben.

Das Dokument zeichnet sich durch die faktische Ablehnung der USA aus, die Rolle des „globalen Gendarmen” („des Atlanten, der die gesamte Weltordnung stützt”) zu übernehmen, sowie durch einen milden Ton gegenüber den traditionellen Gegnern Russland und China. Vor allem aber enthält sie unverblümte und schonungslose Kritik an den ach so traditionellen Partnern aus Westeuropa, die in der NSS-2025 fast schon zu Außenseitern und ideologischen Feinden erklärt werden.

Warum lege ich hier den Schwerpunkt auf Westeuropa? Weil die Autoren der Strategie selbst direkt erklären: Die USA sehen die Priorität ihrer „umfassenden Politik in Europa“ in der „Schaffung gesunder Nationen in Mittel-, Ost- und Südeuropa durch Handelsbeziehungen, Waffenverkäufe, politische Zusammenarbeit sowie kulturellen und bildungspolitischen Austausch“

Offensichtlich ist die Lage in Westeuropa, dem historischen Kern der EU, so schlecht, dass die Verfasser der Strategie die Schaffung „gesunder Nationen” dort als fast hoffnungslos ansehen. Das wird in dem Dokument auch direkt angesprochen:

„Zu den größeren Problemen, mit denen Europa konfrontiert ist, gehören die Maßnahmen der Europäischen Union und anderer transnationaler Organisationen, die die politische Freiheit und Souveränität untergraben, sowie die Migrationspolitik, die den Kontinent verändert und Zwietracht sät, Zensur und Unterdrückung der politischen Opposition, den starken Rückgang der Geburtenrate sowie den Verlust der nationalen Identität und Selbstachtung. Wenn sich die aktuellen Trends fortsetzen, wird sich Europa in 20 Jahren oder weniger bis zur Unkenntlichkeit verändern.”

Die Diagnose ist, gelinde gesagt, düster: Der Patient ist eher tot als lebendig.

Allerdings gibt es noch eine Chance auf Wiederbelebung: Der wachsende Einfluss „patriotischer Parteien“ (von europäischen Liberalen meist als rechtsextrem bezeichnet) „gibt Anlass zu großem Optimismus“. Deshalb ist Amerika bereit,

„weiterhin für echte Demokratie, Meinungsfreiheit und die offene Würdigung der Identität und Geschichte der europäischen Länder einzutreten“

und fordert seine Verbündeten auf,

„diese Wiederbelebung des Geistes zu fördern“.

Allerdings müssen die Europäer auf dem Weg zur Besserung zumindest ihre derzeitige Migrationspolitik grundlegend ändern und „die Hauptverantwortung für ihre eigene Verteidigung übernehmen“.

Des Verrats bezichtigt

Allem Anschein nach hat JD Vance maßgeblich an der Ausarbeitung der Strategie mitgewirkt, denn die Bestimmungen der NSS-2025 ähneln in Geist und Inhalt stark dem Text der Rede, die der US-Vizepräsident im Februar dieses Jahres vor den Teilnehmern der Münchner Sicherheitskonferenz gehalten hat. Ich erinnere mich, dass einige damals so getroffen waren, dass sie sogar in Tränen ausbrachen.

Diesmal konnten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs die Tränen ersparen und nahmen die Veröffentlichung des amerikanischen Dokuments mit zusammengebissenen Zähnen hin, auch um nichts Unüberlegtes zu sagen und damit den Zorn des Präsidenten im Weißen Haus nicht zu erregen (niemand möchte öffentlich zurechtgewiesen werden, wie es im Frühjahr mit Wladimir Selensky geschehen ist). Später wurden sie jedoch mutiger und erlaubten sich sogar einige kritische Bemerkungen.

„Wir akzeptieren keine Drohungen, dass man sich in das politische Leben Europas einmischen wird. Die USA dürfen nicht anstelle der europäischen Bürger entscheiden, welche politischen Parteien gut und welche schlecht sind“,

reagierte der Präsident des Europäischen Rates Antonio Costa auf die neue amerikanische Strategie. Der deutsche Bundeskanzler Friedrich Merz gab zu, „einige Details der Dokumente, die von amerikanischer Seite kommen, skeptisch zu betrachten“.

Und der französische Präsident Emmanuel Macron trat sogar in eine Diskussion mit Trump ein und sagte, dass die Europäer „viele Karten in der Hand“ hätten, die es ihnen ermöglichen würden, gleichberechtigt an der Beilegung des Konflikts in der Ukraine mitzuwirken.

Die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas zeigte zunächst diplomatisches Geschick und erklärte, dass die USA und die EU trotz allem „wichtige Verbündete bleiben und gemeinsam an verschiedenen Problemen arbeiten“. Nachdem sie jedoch die Reaktion ihrer Vorgesetzten gesehen hatte, nahm auch sie eine kritische Haltung ein und bezeichnete die aus Washington kommenden Vorwürfe bezüglich Verletzungen der Meinungsfreiheit in Europa als „Provokation“ und empfahl den USA, solche Verstöße „anderswo“ zu suchen.

Noch entschiedener äußerte sich Kallas‘ Vorgänger als EU-Chefdiplomat Josep Borrell. Der Ruheständler hat offenbar beschlossen, dass er nichts zu verlieren hat und daher mit voller Kraft zuschlagen kann:

„Vance hat in München bereits deutlich seine Verachtung für Europa zum Ausdruck gebracht, die Trump zum Rang einer nationalen Sicherheitsstrategie erhoben hat. Das ist eine politische Kriegserklärung an die EU. Er will ein weißes Europa sehen, das in einzelne Länder aufgeteilt ist, sich seinen Forderungen unterwirft und für diejenigen stimmt, für die er will. Die europäischen Staats- und Regierungschefs müssen aufhören, zu leugnen, dass Trump unser Gegner ist, und sich hinter ängstlichem und selbstgefälligem Schweigen zu verstecken.“

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass es Borrell war, der die rassistische Idee des europäischen „blühenden Gartens“ propagiert hat, der von allen Seiten von feindlichen „Dschungeln“ umgeben ist. Wie sich kürzlich herausstellte, blühten in seinem Umfeld Bestechung und Korruption in voller Pracht. Wo ist denn eigentlich der „Dschungel“?

Insgesamt hat die amerikanische NSS-2025 laut Politico bei den europäischen Beamten Empörung ausgelöst. Allerdings versuchen sie laut der französischen Zeitung Le Monde, sich aus der öffentlichen Debatte herauszuhalten, um die Beziehungen zu den USA nicht noch weiter zu verschlechtern.

Im Gegensatz zu den Politikern halten sich Journalisten und Experten mit ihren Äußerungen nicht zurück. In Frankreich und Deutschland bemerken die Medien, dass das Weiße Haus die Veröffentlichung der Strategie für beispiellose Angriffe auf das europäische Modell genutzt hat, und fordern die Staats- und Regierungschefs der EU auf, sich gegen Trump zu verbünden. Besonders beunruhigend finden sie Washingtons offenes Bestreben, mit Hilfe „patriotischer” Kräfte eine Spaltung in Europa herbeizuführen. Experten interpretieren diese Maßnahmen als direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten der EU-Länder und als Versuch, das politische Regime zu ändern.

Noch empörter sind die Nutzer sozialer Netzwerke. Laut einer von „Kribrum“ im Auftrag der Nachrichtenagentur TASS durchgeführten Studie übersteigt die Zahl der negativen Reaktionen auf die amerikanische Strategie in Frankreich die Zahl der positiven Meinungen um fast das Dreifache. In Deutschland beträgt dieses Verhältnis 1:4 zugunsten der Kritiker. Die Nutzer werfen Washington eine beispiellose Einmischung in die Angelegenheiten Europas vor und bezeichnen die USA als die größte Bedrohung für die Stabilität in Europa. Ein Großteil der Kritik konzentriert sich auf die Person des amerikanischen Präsidenten: Er wird als „Verräter“ bezeichnet und beschuldigt, dem Kreml in die Hände zu spielen.

Sie regen sich vergeblich auf

Die Empörung und Verärgerung der Europäer ist verständlich, nur sind sie zu Unrecht empört, denn die NSS-2025 ist kein Pamphlet und keine Dystopie, sie enthält kein erfundenes Wort. Wie kann man beispielsweise die Wirtschaftskrise leugnen, wenn in Deutschland, der größten Volkswirtschaft der EU, in diesem Jahr fast 24.000 Unternehmen ein Insolvenzverfahren eingeleitet haben? Nach Angaben von Creditreform stieg die Zahl der Insolvenzen im Vergleich zum Vorjahr um 8,3 Prozent und erreichte den höchsten Stand seit zehn Jahren. Und 76.000 Personen haben Privatinsolvenz beantragt, das ist der höchste Stand seit 2016. Ist die amerikanische Strategie daran schuld? Oder muss man den Grund, wie EU-Chefdiplomatin Kallas rät, „woanders” suchen?

Eigentlich muss man gar nicht lange suchen, denn es ist ohnehin klar, dass der Grund in der wahnsinnigen, selbstmörderischen Politik der Führung sowohl einzelner europäischer Länder als auch – insbesondere – der EU insgesamt liegt. Nicht umsonst schrieb der amerikanische Milliardär Elon Musk auf X:

„Die EU-Kommissare sind für den Tod Europas verantwortlich“.

Eines der deutlichsten Beispiele für die wahnsinnige Sturheit der EU-Kommission ist die Sanktionspolitik gegen Russland, die die europäische Wirtschaft in die derzeitige langandauernde Krise geführt hat. Ein weiteres Beispiel ist die Absicht, die bewaffnete Phase des Konflikts in der Ukraine um jeden Preis zu verlängern und eine friedliche Beilegung zu verhindern, die übrigens in der amerikanischen NSS-2025 ausdrücklich zu den „wichtigsten Interessen“ der USA gezählt wird. Es zeigt sich, dass die EU sich durch Ablehnung und Kritik an der amerikanischen Strategie direkt und offen zur Befürworterin des Krieges und nicht des Friedens erklärt. Und hier können keine „highly likely” und andere Elemente des modernen europäischen Neusprechs irgendjemanden täuschen.

In einem aktuellen Interview mit Politico kritisierte der amerikanische Präsident die seiner Meinung nach „katastrophale“ Migrationspolitik der Europäer ganz im Sinne der NSS-2025:

„Was mit Europa geschieht, ist schrecklich”; „Die meisten europäischen Staaten zerfallen”; „[Die europäischen Staats- und Regierungschefs] müsste erschrecken, was sie mit ihren Ländern machen. Sie zerstören ihre Länder.”

Die Europäer können natürlich wieder sauer sein und widersprechen, aber sie sollten lieber zuhören. Die NSS-2025 ist keine Beleidigung und keine Verurteilung, sondern eher eine Diagnose.

Aber eine richtige und rechtzeitige Diagnose birgt die Chance auf Heilung. Natürlich nur dann, wenn man die richtige Behandlung wählt.

Ende der Übersetzung

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Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 11. Dezember 2025 auf anti-spiegel.ru.

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Bild: Die Zwölf-Sterne-Flagge der Europäischen Union zerrissen und mit Knoten im Wind am blauen Himmel

Bildquelle: DNetromphotos / Shutterstock


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