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Radikales Umdenken gegenüber China | Von Rainer Rupp

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US-Falken forderten plötzlich radikales Umdenken gegenüber China

Kommentar von Rainer Rupp.

Die bekannten US-Kriegstreiber der politisch außerordentlich einflussreichen RAND-Denkfabrik (Thinktank) haben jüngst einen aufschlussreichen Appell für einen Kurswechsel gegenüber China in Richtung friedlicher Koexistenz veröffentlicht. Das ist in sich bereits eine Sensation in Anbetracht der Tatsache, dass es RAND war, die mit ihren wegweisenden Politikpapieren über die letzten Jahrzehnte maßgeblich die katastrophale US-Russland-Politik geprägt hat. Unter anderem hatte RAND mit ihrem Papier „Extending Russia“ die Blaupause für den massenmörderischen Stellvertreterkrieg in der Ukraine entworfen, der Russland eine strategische Niederlage zufügen sollte, was sich jedoch ins Gegenteil verdrehte.

Für diesen jüngsten RAND-Aufruf in Richtung „Frieden mit China“ mussten die Autoren sicherlich über ihre eigenen Schatten springen. Offenbar scheinen die Insider des „Tiefen US-Staates“ zutiefst beunruhigt, dass die politischen und wirtschaftlichen Eskalationen zwischen Trump und Xi aus dem Ruder laufen könnten und Washington dabei den Kürzeren ziehen könnte. So stark ist die Sorge, dass diese RAND-Akteure – ausnahmsweise – ihren Stolz schluckten und nun eine ruhigere, versöhnlichere Haltung gegenüber China empfehlen, um den globalen Status Quo nicht allzu sehr zu erschüttern. Das vollständige, über 100-seitige Dokument in PDF-Format mit dem Titel „Stabilizing the U.S.-China Rivalry“ finden Sie hier (1).

Die zentralen Erkenntnisse des RAND-Berichts lauten, dass China und die USA einen „Modus Vivendi“ anstreben sollten: Beide Seiten müssten die politische Legitimität der jeweils anderen anerkennen und Anstrengungen, einander zu untergraben, zumindest in einem vernünftigen Maße einschränken. Früher nannte man das „friedliche Koexistenz“. Besonders bedeutsam und aufschlussreich: RAND rät der US-Führung, Ideen eines „absoluten Sieges“ über China abzuschreiben. Stattdessen solle man mit Blick auf Taiwan die Ein-China-Politik wieder als Grundlage akzeptieren und China nicht länger mit provokanten Besuchen in Taiwan reizen, die doch nur darauf abzielten, China zu reizen und in ständiger Anspannung zu halten.

Der Bericht beginnt mit einer ausführlichen historischen Rückschau, die den Kontext liefert, wie rivalisierende Weltmächte koexistieren können – und dies in der Vergangenheit auch getan haben. Die Autoren nennen sogar Lenins UdSSR als Beispiel für eine Vision stabiler Beziehungen zum Westen, trotz des offenkundigen Strebens nach marxistischer Revolution. Das jüngste Beispiel ist die Détente zwischen den USA und der UdSSR von etwa 1968 bis 1979, in der beide Seiten erkannten, dass eine unregulierte Eskalation gefährlich und untragbar war. Zitat:

„In Wahrheit entstand die Détente teilweise, weil beide Seiten im Kalten Krieg erkannten, dass ein vollständig unregulierter und uneingeschränkter Wettstreit untragbar war und tatsächlich ihr Überleben bedrohte. Diese Erkenntnis keimte nicht nur in Washington und Moskau auf: Initiativen wie die Ostpolitik Westdeutschlands basierten auf ähnlichen Einsichten und verfolgten vergleichbare Ziele.“

„US- und sowjetische Führer in der Blütezeit der Détente umarmten die zwei Kernaspekte eines stabilen Wettbewerbs: Sie strebten Elemente eines vereinbarten Status quo an, einschließlich Rüstungskontrollregime, und etablierten persönliche Beziehungen zwischen Beamten sowie Mechanismen zur Krisenbewältigung, die halfen, die Gesamtbeziehung ins Gleichgewicht zurückzuführen.“ 

In einer verblüffend ausgewogenen Betrachtung verteidigen die RAND-Autoren sogar indirekt Breschnew für seine friedensstiftenden Bemühungen: 

„Jene, die Breschnew als jemanden sahen, der die USA täuschen oder in eine Falle locken wollte, ‚haben vollständig missverstanden, was er zu tun versuchte. Treu zu seinem ehrlichen Engagement für den Weltfrieden verkündete Breschnew, dass sein Ziel nichts Geringeres war als die Rettung der Zivilisation selbst – oder genauer gesagt, der europäischen Zivilisation.‘“ 

Im nächsten langen Abschnitt des Papiers gehen die Autoren sogar akribisch darauf ein, wie z.B. interne Erklärungen der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) und „geheime Reden“ mit „nuancierteren“ Übersetzungen von westlichen Politikern und Medien manipulativ fehlinterpretiert worden waren, um die Absichten der Chinesen bedrohlich und kriegerisch erscheinen zu lassen. So viel Ehrlichkeit und Selbstkritik bei RAND ist geradezu umwerfend, aber es kommt noch besser.

RAND verteidigt sogar die Idee eines potenziell friedlichen Chinas, dessen Führung nicht auf Weltherrschaft und Imperialismus aus ist, sondern auf rechtmäßigen Einfluss in seinen regionalen Sphären. So erklärt der RAND-Text, dass Strategen in China ihr Land zwar als aufsteigende Weltmacht sehen, die neue Einflusssphären verdient, aber sie würden diese Bemühungen um Einfluss nicht als imperialistisch oder historisch einzigartig sehen

„sondern konzeptionell der Idee verpflichtet bleiben, dass China eine friedliche und legitime Weltmacht bleiben wird.“

In diese Kategorie gehörten laut RAND-Team auch Chinas Bemühungen,

„proaktiver auf der internationalen Bühne aufzutreten und eine ‚Weltklasse‘-Armee aufzubauen, was nicht notwendigerweise offensiv gemeint ist.“

All dies macht deutlich, dass die RAND-Falken verzweifelt versuchen, die abgehobenen US-Politikmacher auf den Boden der Realität zurückzuholen und sie davon abzuhalten, aus dummer Überheblichkeit die Beziehungen zu China irreparabel zu beschädigen. Es ist jedoch nicht leicht, US-Kongressabgeordnete, vor allem Senatoren zu überzeugen, ihre anachronistische und engstirnige Weltanschauung aufzugeben. Diese basiert auf der Idee des hegemonialen Exzeptionalismus der USA, die sich alles erlauben darf, weil sie es als einzige Supermacht auch kann.

US-Politiker und Medien projetzieren in jeden potenziellen Herausforderer die kriminellen, völkerrechtswidrigen und Menschen verachtenden Vorgehensweisen, die sie selbst verkörpern und die sie seit über einem Jahrhundert kultiviert haben. Folglich sehen die USA in jedem anderen aufsteigenden Land rund um die Welt eine Bedrohung, während China darin die Möglichkeit einer weiteren fruchtbaren Zusammenarbeit und Win-Win-Situation sieht. Der geo-politische Blogger auf „substack“ mit dem Pen-Namen „Simplicius“ bezeichnet die USA deshalb „als bösartigen Nachwuchs des späten Britischen Empires,“ dessen raubgierige Merkmale die Amerikaner geerbt hätten.

In diesem Teil des Dokuments versucht RAND die politische US-Kultur von dem perpetuell feindseligen und konfrontativen Ansatz in der Außenpolitik zu entwöhnen. Offensichtlich haben die Leute von RAND erkannt, dass eine Konfrontation mit China nicht zu einem globalen Krieg führen wird, sondern zu der viel nüchterneren Realität, dass Washington gegen China nicht mehr gewinnen kann. Denn die USA sind längst nicht mehr das, was sie einmal waren.

Die USA besitzen längst nicht mehr die alles überwältigende industrielle Kapazität, um die aufstrebende Weltmacht China ernsthaft zu schikanieren. Die Korrelation der Kräfte ist heute eher umgekehrt verteilt, zugunsten Chinas. Daher ist dieser RAND-Aufruf zur Mäßigung gegenüber China keine echte, deeskalierende Friedensmaßnahme, sondern ein verzweifelter Versuch, die USA vor einer historisch fatalen Demütigung und geopolitischen Niederlage durch China zu bewahren.

RAND geht dabei sogar so weit, die politische Führung Taiwans für die Provokation Chinas und die angespannte Lage zwischen China und den USA verantwortlich zu machen. RAND schlägt daher vor, dass Washington die ihm zu Verfügung stehenden Hebel gegen Taiwan einsetzt, um den provokanten kleinen „Polit-Kläffer“ auf seine wahre ‚Größe‘ zu trimmen. Deshalb müsste Washington Taiwans politische Führer daran erinnert, dass sie bloße Bauern auf dem Schachbrett der Großmächte sind und sie ihre Rolle zur Beibehaltung des Status Quo nicht überschreiten sollten. Hier ein diesbezügliches Zitat aus dem RAND-Papier:

„Taiwans Präsident Lai Ching-te hat beispielsweise zahlreiche Aussagen gemacht, die harte Rhetorik und erhöhte militärische Aktivitäten Chinas hervorgerufen haben. Solche Aktivitäten umfassen die Behauptung, dass Taiwan eine ‚souveräne, unabhängige Nation‘ sei, sowie die Ankündigung von Maßnahmen gegen Chinas Einfluss und Spionage, die es als ‚fremde feindliche Kraft‘ charakterisieren. Obwohl die USA nicht verantwortlich sind und die Aktivitäten Taiwans nicht vollständig kontrollieren können, stellen sie militärische Unterstützung und de-facto erweiterte Abschreckung für Taiwan bereit. Aufgrund dessen hat Washington potenzielle Hebel über Taiwan in der Hand, um Aktivitäten einzuschränken, die den von den USA vertretenen Status Quo stören.“ 

Derweil besteht Pekings neue Doktrin darin, sich von Washington nichts mehr gefallen zu lassen. Deshalb müssten sich die USA der Realität der chinesischen ökonomischen, politischen und militärischen Macht anpassen. Im Fall der „Seltenen Erden“ hat China z.B. unbestritten das Trumpf-Ass in der Hand, das dem chinesischen Präsidenten Xi erlaubt, von den USA substantielle Konzessionen zu fordern.

Diese neu gewonnene Kühnheit Pekings ist zweifellos in vielerlei Hinsicht ein direktes Nebenprodukt der ansteckenden Selbstbehauptung Russlands gegenüber den US/NATO/EU – Hegemonie-Ambitionen in der Ukraine. Russland ist der Katalysator, der die US-geführte, so genannte „regelbasierte Ordnung“ umgekrempelt und sie zu drastischen Maßnahmen gezwungen hat. Das hatte eine aufklärerische Wirkung auf die Länder des Globalen Südens aber vor allem auch auf China. Denn Russland hat den Westen gezwungen, all seine heiligen Karten und ‚letzten Auswege‘ an wirtschaftlichen und geopolitischen Waffen aufzudecken – und China hat zugesehen, wie sie alle nicht funktionierten.

Russlands Rolle in diesem großen Bild ist entscheidend und verdient besondere Hervorhebung. Ohne die russische Entschlossenheit, die US-geführte Hegemonie in Europa herauszufordern, hätte China möglicherweise nicht so schnell die Lektion gelernt, dass der Westen blufft. Die Sanktionen gegen Russland, die als tödlich gedacht waren, haben stattdessen die Schwächen des Dollarsystems enthüllt und alternative Handelsrouten wie BRICS gestärkt.

Russland hat bewiesen, dass man der US-Hegemonie widerstehen kann, ohne unterzugehen – eine Lektion, die China nun aufgreift. Die US-Dominanz, die seit dem Ende des Kalten Krieges als unumstößlich galt, zerbricht an der Achse Moskau-Peking. RANDs Bericht impliziert das indirekt, indem er Parallelen zur Sowjetzeit zieht, aber die Realität ist, dass Russland heute der Vorreiter ist: Es hat den Westen enttarnt, ohne die US-Hegemonie anzuerkennen, und China profitiert davon. Diese Allianz lehnt die unilaterale US-Weltordnung ab und fordert eine multipolare Realität, in der keine Macht diktiert.

Quellen und Anmerkungen

(1) https://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/research_reports/RRA4100/RRA4107-1/RAND_RRA4107-1.pdf

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Präsident Donald Trump begrüßt den chinesischen Präsidenten Xi Jinping vor dem bilateralen Treffen auf dem Luftwaffenstützpunkt Gimhae in Busan, Südkorea, am 30. Oktober 2025 — Erstes Treffen von Trumps zweiter Amtszeit

Bildquelle: Brian Jason / Shutterstock.com 


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