Die Demonstrationen gegen die Impfpflicht und die Corona-Politik reißen nicht ab. Die Landesregierungen und die Städte reagieren mit Versammlungsverboten, vereinzelt aber auch mit ersten Dialogangeboten. Nicht so in Rostock, wo Multipolar wieder vor Ort war. Wurde die Eskalation dort seitens der Behörden gezielt herbeigeführt?
Ein Standpunkt von Paul Soldan.
Rechnet die Bundesregierung die Zahlen klein?
Vergangene Woche berichtete Multipolar, dass am 10. Januar landesweit 299.000 Menschen auf 1.590 Demonstrationen gegen die Impfpflicht und die Corona-Politik der Regierung protestiert hatten. Diese Zahlen hatte Multipolar auf der Grundlage eigener Recherchen bei den Innenministerien und Polizeidirektionen der einzelnen Bundesländer errechnet. Demgegenüber berichteten verschiedene Medien auf der Basis einer Agenturmeldung der dpa, das Bundesinnenministerium habe mitgeteilt, dass 188.000 Menschen auf 1.046 Versammlungen demonstriert hätten. Um die enorme Diskrepanz der Zahlen zu klären, fragte Multipolar bei der Pressestelle des Bundesinnenministeriums nach – bislang ohne Antwort.
Das Protestgeschehen vom 11. bis 16. Januar
Erneut gingen in der vergangenen Woche wieder Tausende Menschen gegen die Corona-Politik auf die Straße. Die größten Proteste fanden in Düsseldorf, Freiburg, Saarbrücken, Hamburg sowie in Frankfurt am Main statt.
In Düsseldorf kam es laut Polizei zu einer weitgehend störungsfreien und friedlichen Versammlung, an der etwa 7.000 Menschen teilnahmen. Die Stadt hatte dieses Mal darauf verzichtet, ein Demonstrationsverbot zu erlassen. Vergangenen Samstag hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf ein vom Ordnungsamt ausgesprochenes Aufzugsverbot für rechtswidrig erklärt – allerdings aus formalen Gründen. Mit dem Ende der sogenannten "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" könne ein Verbot nicht vom Ordnungsamt, sondern nur von der Polizei erklärt werden.
Seit dem 13. Januar gilt in Nordrhein-Westfalen zudem eine verschärfte Coronaschutzverordnung. Bei Versammlungen mit mehr als 750 Teilnehmern ist nun 3G vorgeschrieben. Zuvor griff ab dieser Marke lediglich eine Maskenpflicht.
Auch in Freiburg demonstrierten die Menschen friedlich gegen die Corona-Maßnahmen, so die Polizei. Rund 6.000 Teilnehmer zogen dabei am Samstag durch die Freiburger Innenstadt. An anderer Stelle hatten sich 2.500 Personen zu einer Gegenkundgebung versammelt.
Unter dem Motto: "Wir sagen nein zur Impfpflicht. Wir wollen keine Zweiklassengesellschaft", gingen am Sonntag in Saarbrücken laut Polizei etwa 5.500 Menschen auf die Straße. Das Orga-Team schätzte die Teilnehmerzahl auf 8.000 (Video).
In Hamburg kamen trotz des Demoverbots rund 5.000 Protestierende zusammen, um gegen die Corona-Maßnahmen zu demonstrieren (Video). An einer Gegenkundgebung, die nicht verboten worden war, nahmen 3.500 Personen teil, so die Polizei. An dem Einsatz waren etwa 1.000 Polizisten aus insgesamt vier Bundesländern beteiligt.
In Frankfurt am Main waren nach vorläufigen Schätzungen der Polizei 5.000 Menschen vor Ort. Der Aufzug sei friedlich und störungsfrei abgelaufen. Nichtsdestotrotz war die Polizei frühzeitig mit zahlreichen Einsatzkräften, Reitern und Wasserwerfern im gesamten Stadtgebiet präsent. Der Journalist Norbert Häring äußerte auf Twitter Kritik, dass Frankfurt bei den Demoberichten hartnäckig ignoriert würde und bezog sich dabei auf einen n-tv-Bericht, welcher die größten Samstagsproteste zusammenfasste, Frankfurt dabei jedoch nicht erwähnte. Er schätzte die Zahl der Teilnehmer auf 5.000 bis 10.000. „Rechtsradikale, wenn es sie gegeben haben sollte, haben sich nicht zu erkennen gegeben“, so Häring. Die Initiave „Protest Hessen“ teilte Multipolar auf Nachfrage mit, dass zu Beginn der Demonstration etwa 5.000 Teilnehmer anwesend waren, die Zahl jedoch im weiteren Verlauf auf bis zu 15.000 angewachsen sei.
In Cottbus wurde in der Innenstadt eine unangemeldete Versammlung mit rund 3.000 Teilnehmern von der Polizei aufgelöst. In Augsburg demonstrierten laut Polizeiangaben etwa 2.800 Personen gegen Corona-Maßnahmen und Impfpflicht. 1.800 Menschen gingen in Fürth sowie in Ravensburg auf die Straße. In Osnabrück waren es 1.500.
Auch unter der Woche wurde wieder demonstriert. So hatte am Freitag eine friedliche und störungsfreie Kundgebung in der Hannoveraner Innenstadt stattgefunden, an der 2.500 Personen teilgenommen hätten, so die Polizei. In Kiel haben am Donnerstag 2.000 Menschen gegen die Corona-Politik demonstriert und sind zwei Stunden lang durch die Stadt gezogen. In Dresden hat die Polizei mit einem Großaufgebot von mehr als 1.000 Einsatzkräften mehrere Protestversuche im Stadtgebiet unterbunden. Angaben zur Anzahl der Teilnehmer veröffentlichte die Polizei nicht. Einen größeren Zusammenschluss von Gruppen hätte es nicht gegeben, so die Polizei.
Bereits am Mittwoch waren auch in Wolgast wieder etliche Menschen auf der Straße. Nach Polizeiangaben nahmen an der Versammlung rund 1.500 Personen teil. Auf Nachfrage beim Wolgaster Orga-Team erhielt Multipolar die Rückmeldung, dass es sich gemäß eigener Rasterzählung um rund 4.000 Teilnehmer gehandelt habe. Darüber hinaus sei es vom Ablauf, der Stimmung und auch seitens der Polizei die bislang beste Veranstaltung gewesen, so ein Vertreter des Orga-Teams.
Die Montagsdemonstrationen am 17. Januar
Auch an diesem Montag hat es wieder Hunderttausende auf die Straße bewegt, um ihre Ablehnung der Corona-Politik auszudrücken. Laut offiziellen Angaben kam es zu den größten Protesten in Nürnberg (5.500 Teilnehmer), Gera (3.500), Pforzheim, Rostock und Berlin (jeweils 3.000), Cottbus (2.500), wo die Versammlung wie am vergangenen Samstag erneut von der Polizei aufgelöst wurde, Halle und Schwerin (jeweils 2.400), Augsburg(2.000) sowie Neubrandenburg und Wittenberg (jeweils 1.800).
In Magdeburg hat die Polizei einen nicht angemeldeten Aufzug mit etwa 600 Teilnehmern aufgelöst, da gemäß aktueller Allgemeinverfügung nicht angemeldete Proteste nur noch ortsgebunden stattfinden dürfen. Dieses Vorgehen steht im Widerspruch zu den Äußerungen von Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper. Laut Trümper sollen auch den nicht angemeldeten Montagsprotesten eine feste Strecke und Zeit vorgegeben werden. Er sagte: "Die Demonstrationen einzukesseln wird nicht funktionieren." Bezüglich der Teilnehmerzahlen lässt sich aus einem vorhandenen Videomitschnitt erahnen, dass die Zahl eher in die Tausende gegangen ist.
Multipolar hat die offiziellen Gesamtzahlen der Bundesländer erneut bei den Innenministerien und Polizeidirektionen der Länder abgefragt, soweit sie nicht bereits in der Presse veröffentlicht wurden. Demzufolge demonstrierten am Montag in:
- Baden-Württemberg (61.000 bei 297 Demos)
- Bayern (56.000 bei 140 Demos)
- Sachsen (39.600 bei 206 Demos)
- Brandenburg (25.000 bei 82 Demos)
- Thüringen (21.200 bei 68 Demos)
- Sachsen-Anhalt (16.700 bei 59 Demos)
- Hessen (16.500 bei 137 Demos)
- Nordrhein-Westfalen (16.000 bei 164 Demos)
- Mecklenburg-Vorpommern (13.500 bei 35 Demos)
- Niedersachsen (11.500 bei 23 Demos)
- Rheinland-Pfalz (9.000 bei 85 Demos)
- Schleswig-Holstein (6.400 bei 67 Demos)
- Berlin (3.000 bei 20 Demos)
- Saarland (1.200 bei 15 Demos)
- Hamburg (800 bei 10 Demos)
- Bremen (350 bei 3 Demos)
Damit nahmen am 17. Januar bundesweit mindestens 298.000 Menschen an 1.411 Demonstrationen teil. Bezogen auf die Einwohnerzahl ist der Protest erneut in Thüringen und Sachsen am stärksten, wo am Montag jeweils rund ein Prozent der Bevölkerung demonstrierten. Den stärksten Zuwachs im Vergleich zur Vorwoche gab es in Sachsen (von 30.000 auf fast 40.000) und Baden-Württemberg (von 52.000 auf 61.000). Die vereinzelt, meist in größeren Städten auftretenden Gegendemonstrationen sind in den meisten Bundesländern (dort, wo ihre Zahl durch die Polizei separat ausgewiesen wird), bereits herausgerechnet.
Zum Vergleich Zahlen aus Frankreich (68 Millionen Einwohner): Am 8. Januar demonstrierten dort landesweit über 100.000 Menschen gegen die Corona-Politik. Zum Höhepunkt des Protestgeschehens im August letzten Jahres waren es 237.000. Somit gehen in Deutschland derzeit wesentlich mehr Menschen auf die Straße, als im sonst deutlich demonstrationsfreudigeren Nachbarland.
Die Lage in Nürnberg
Bereits seit mehreren Wochen zählt Nürnberg zu den Städten mit dem größten Protestgeschehen. Laut Polizeiangaben demonstrierten am Montag rund 5.500 Menschen für die „Wiederherstellung der Grundrechte“. Besondere Vorkommnisse werden im Polizeibericht nicht erwähnt.
Die Initiative „Team Menschenrechte Nürnberg“ gab auf Nachfrage von Multipolar an, dass deutlich mehr Menschen als in der Vorwoche vor Ort waren. Bei dieser Größenordnung sei es schwer, die Zahlen genau zu erfassen, jedoch bewegten sich diese nach Zählung einer Teilnehmerin bei rund 7.900 Demonstranten, so die Initiative (Video). Die Teilnehmer kämen aus vielen gesellschaftlichen Schichten und seien in jeder Hinsicht bunt gemischt. Die Initiative teilte mit:
„Die Stimmung war friedlich und hoffnungsvoll, das berichten auch die Teilnehmer immer wieder. Es gibt ihnen Kraft und Hoffnung, mit anderen gemeinsam für Menschlichkeit und gegen Spaltung, Diffamierung, Herabwürdigung und die vielfältigen, überwiegend schlecht oder gar nicht sachlich begründeten Maßnahmen und Zwänge der ‚Corona-Politik‘ auf die Straße zu gehen.“
In einer kurzen Rede zum Auftakt sei auf die Aussage Willy Brandts „mehr Demokratie wagen“ Bezug genommen worden und durch den Appell „mehr Menschlichkeit wagen“ ergänzt worden. Die Zusammenarbeit mit den Ordnungskräften sei erneut respektvoll und professionell verlaufen, so ein Mitglied der Initiative.
Versammlungsverbote nehmen zu
Wie Multipolar letzte Woche berichtet hatte, gehen seit einigen Wochen immer mehr Städte und Bundesländer gegen die steigende Zahl an nicht angemeldeten Versammlungen und Spaziergängen vor.
In Hamburg wurde nun sogar eine für den 15. Januar angemeldete Demonstration, die sich gegen die Corona-Politik richten sollte, von der Versammlungsbehörde komplett untersagt. Ein Anmelder der Versammlung hatte noch vor dem Verwaltungsgericht per Eilantrag gegen das Verbot Klage eingereicht, jedoch bestätigte das Gericht am Freitag das Verbot. In der Woche zuvor hatten in Hamburg noch rund 14.000 Menschen demonstriert.
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer äußerte in einem Interview mit dem NDR, dass es nicht anders möglich gewesen sei, als die Demonstration zu verbieten, da die Anmelderin Anfang der Woche die Gespräche abgebrochen habe. Auch alle Ersatzveranstaltungen seien verboten worden, so Meyer. Im Vorfeld sollen eine Begrenzung der Teilnehmerzahl sowie eine rein stationäre Kundgebung ohne Aufzug im Gespräch gewesen sein. Dies hätten die Organisatoren jedoch abgelehnt und daraufhin die Gespräche zur Versammlungsbehörde und Polizei abgebrochen, so der NDR.
Die ebenfalls angemeldete Gegenkundgebung durfte hingegen mit mehreren Tausend Teilnehmern stattfinden. Diese wurde von einem Bündnis von 80 Organisationen unterstützt, darunter der FC St. Pauli, Fridays For Future sowie die Gewerkschaft ver.di. Ein Aufzugsverbot, wie für die verbotene Großdemo gefordert, bestand für diese Veranstaltung nicht.
Kritik am Verbot kam im Hamburger Senat von Seiten der CDU, der AfD und der Linken. Anke Frieling (CDU) erklärte, dass natürlich Schutzregeln eingehalten werden müssten, es aber fraglich sei, warum man monatelang ähnliche Demos zugelassen habe. Laut Deniz Celik (Die Linke) wirke das Verbot „völlig unverhältnismäßig“, da die Polizei die Auflagen in den vergangenen Wochen kaum durchgesetzt habe. Dirk Nockemann, Fraktionschef der AfD, sprach von einem „schwarzen Tag für unsere Demokratie“, sollte das Verbot Bestand haben.
Anders äußerten sich Vertreter der rot-grünen Regierungskoalition. Laut Sören Schumacher (SPD) war das Demonstrationsverbot richtig, da nach den Erfahrungen der Vergangenheit nicht zu erwarten sei, dass die geltenden Regeln lückenlos befolgt würden. Ähnlich äußerte sich Sina Imhof von den Grünen. Wer nicht bereit sei, die Auflagen des Infektionsschutzes zu erfüllen, gefährde alle anderen. Deshalb würden die Grünen das Demo-Verbot unterstützen.
Auch die Stadt München schränkte am 12. Januar das Demogeschehen stark ein. So waren ursprünglich mehrere Versammlungen mit insgesamt über 4.000 Teilnehmern angemeldet worden. Diese wurden vom Kreisverwaltungsreferat zu einer einzigen, stationären Kundgebung zusammengefasst. Darüber hinaus wurden per Allgemeinverfügung im gesamten Stadtgebiet alle „nicht angemeldeten stationären oder sich fortbewegenden Demos im Zusammenhang mit sogenannten ‚Corona-Spaziergängen‘ untersagt“. In einer Stellungnahme kritisierte das Bündnis „München steht auf“ dieses Vorgehen der Stadt:
„Wir stehen als Initiative im Grunde für angemeldeten Protest, nicht für unangemeldeten. Wir fordern diesbezüglich nichts weiter, als dass wir Protestzüge im Freien durchführen können. Mit Auflagen, die umsetzbar und annehmbar sind.“
Am 13. Januar hatte die Stadt Koblenz in einer Pressemitteilung bekannt gebeben, dass vom 15. bis zum 31. Januar alle nicht angemeldeten Versammlungen und Spaziergänge verboten seien:
„Bei Zuwiderhandlungen können gegen Personen die zu einer Versammlung aufrufen Freiheits- oder Geldstrafen verhängt werden. Gegen Teilnehmende an einer verbotenen Versammlung sind Geldbußen bis zu 500 Euro möglich“,
so die Pressemitteilung der Stadt. Wie bereits letzte Woche berichtet, hatte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt in einem Interview mit Focus Online darauf hingewiesen, dass eine unangemeldete Versammlung „nicht automatisch illegal sei“. Die von Wendt empfohlene Einzelfallprüfung scheint von der Stadt Koblenz aber nicht gewünscht zu sein. In diesem Zusammenhang steht das Agieren der Stadt auch im Widerspruch zur Überschrift der eigenen Webseite: „Koblenz verbindet“. Trotz des Verbots demonstrierten in Koblenz am Samstag mehrere Hundert Menschen.
Dem gegenüber steht ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 12. Januar, wonach ein durch Allgemeinverfügung erlassenes präventives Verbot in einem Eilverfahren voraussichtlich verfassungswidrig sei. Ähnlich wie Koblenz hatte die im Nordosten Baden-Württembergs gelegene Stadt Bad Mergentheim eine Allgemeinverfügung erlassen, durch die vom 21.Dezember bis zunächst Ende Januar sämtliche „nicht behördlich bestätigten“ Versammlungen und Ersatzversammlungen im Stadtgebiet untersagt wurden. Dieses Verbot wurde vom Verwaltungsgericht Stuttgart für rechtswidrig erklärt.
Die ersten Bürgerdialoge – ein Anfang der geforderten Runden Tische?
Zeigen die Forderungen nach Runden Tischen mittlerweile Wirkung? In Neubrandenburg und Mülheim an der Ruhr ist es in der vergangenen Woche zu einem ersten Dialog zwischen den jeweiligen Bürgermeistern und Demonstrations-Veranstaltern gekommen. Multipolar hat dazu erneut bei den Städten mit dem größten Demogeschehen der letzten Wochen nachgefragt.
Neubrandenburg
In Neubrandenburg kamen am 12. Januar Oberbürgermeister Silvio Witt und eine Vertretung der Organisatoren der Montagsspaziergänge zusammen. Der diesbezüglichen Pressemitteilung des OB ist zu entnehmen, dass bei dem Gespräch deutlich wurde, dass die Protestvertretung mit den Coronamaßnahmen unzufrieden sei und sie sich nicht gehört fühle. Der Oberbürgermeister habe deutlich gemacht, dass er die Ansicht der Spaziergänger, kein Gehör zu finden, nicht teile und noch einmal appelliert habe, „in der pandemischen Situation, den Maßnahmen zu folgen und sich impfen zu lassen“. Ferner verwies er darauf, dass diese Beschlüsse von der demokratisch gewählten Mehrheit im Parlament gefasst worden seien und bei Unzufriedenheit darüber die Möglichkeit besteht, „Rechtsmittel einzulegen oder zu demonstrieren“. Außerdem seien die Demonstranten in der Minderheit – „62.500 Neubrandenburger haben nicht demonstriert“. Der Einladung zu den Montagsspaziergängen werde er auch in Zukunft nicht folgen.
Die Organisatoren der Montagsspaziergänge äußerten in einer eigenen Erklärung, dass es ein „nettes Gespräch“ und „Dialogbereitschaft“ seitens des OB vorhanden gewesen sei, dass man dieses Gespräch jedoch nur als „kleinen Schritt“ ansehen könne. Anlass zum Handeln sehe der OB aktuell nicht und habe versucht, mit „Mehrheitsargumenten von seiner Seite die Dinge zu begründen“. Man habe ihm gegenüber erklärt, dass er „der Bürgermeister für alle Neubrandenburger“ sei und daher auch die Entscheidung der Bürger, die sich nicht impfen lassen wollen, akzeptieren solle. Die Aussage des Bürgermeisters, eine Spaltung der Gesellschaft sehe er momentan nicht, bewerteten sie als „realitätsfern, da der Riss bei vielen Menschen in der Gesellschaft durch die Familien- und Freundeskreise geht.“
Multipolar fragte in Neubrandenburg nach, ob seitens der Stadt geplant sei, diese Gesprächsrunden fortzuführen und einen regelmäßig stattfindenden öffentlichen Bürgerdialog zu den Corona-Maßnahmen einzurichten. In der Antwort wurde dazu lediglich auf die herausgegebene Pressemitteilung der Stadt verwiesen, in der es heißt, dass der OB zwar auf Kommunikation und den Austausch von Argumenten setze, dafür jedoch die allgemeinen Bürgersprech- und Einwohnerfragestunden eher als geeignet ansehe. Ein öffentlicher Dialog scheint also nicht gewünscht zu sein.
Mülheim
Auch in Mülheim an der Ruhr traf sich Oberbürgermeister Marc Buchholz mit Vertretern der Mülheimer Montagsspaziergänge. Für diese Gesprächbereitschaft gab es im Vorfeld Kritik seitens der SPD. So sagte Rodion Bakum, Chef der Mülheimer SPD, dass die Demonstranten „aus der Corona-Leugner-Szene“ eine Gesundheits- und Sicherheitsgefahr seien. Daher habe er den OB aufgefordert, die Einladung zu dem Gespräch wieder zurückzunehmen. Im Gespräch mit den Demovertretern habe Buchholz klar betont, dass nur mit der Impfung die Pandemie zu besiegen sei. „Erwartungsgemäß konnten wir uns mit unseren Gesprächspartnern inhaltlich hierüber nicht verständigen“, so Buchholz. Jedoch seien sich beide Seiten einig gewesen, dass die Teilnehmer der Montagsdemonstrationen nicht kriminalisiert werden dürften.
Auf Nachfrage von Multipolar, ob der OB weiterhin den direkten Dialog mit den Demonstranten suchen und einen regelmäßigen, öffentlichen Bürgerdialog einrichten wird, teilte die Mülheimer Pressestelle mit, dass dies im Grundsatz geplant sei, jedoch derzeit noch an einem entsprechenden Konzept gearbeitet werde.
Osnabrück
In einem offenen Brief haben sich am 14. Januar 52 Osnabrücker Bürger an die Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) gewendet und einen Runden Tisch zu den Corona-Maßnahmen gefordert. Die Unterzeichnenden seien in großer Sorge um das Gemeinwohl, um die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die freie und offene Gesellschaft und den Frieden in der Stadt, heißt es darin. Zudem kritisieren sie, dass sich Pötter am 8. Januar zusammen mit mehreren Bürgermeistern des Landkreises und weiteren Kommunalpolitikern der Gegendemonstration „Impfen statt schimpfen“ angeschlossen und dort gesprochen habe:
„Das ist überaus bedauerlich, sind Sie doch Bürgermeisterin aller Menschen, die in Osnabrück leben. Wäre es nicht klüger, Sie setzten sich dafür ein, Gräben zu überbrücken, Dialog zu ermöglichen, Versöhnung zu stiften? Noch ist es nicht zu spät, die einseitige Parteinahme, die die gesellschaftliche Spaltung noch verschärft, aufzugeben und zur Brückenbauerin in unserer Friedensstadt zu werden.“
In einem Antwortschreiben vom 17. Januar teilte die Oberbürgermeisterin mit, dass sich an ihrer grundsätzlichen Haltung nichts geändert habe. „Nur durch eine erfolgreiche Impfkampagne“ könne man „einen Weg aus der Pandemie finden“. Zur Forderung nach einem Runden Tisch erklärte sie, Voraussetzung sei, dass dabei die Beteiligten eigene Entscheidungs- und Handlungsspielräume hätten. Jedoch seien für die gewünschten Diskussionsthemen über die Impfkamagne, eine mögliche Impfpflicht, Kontaktbeschränkungen sowie weiterer Corona-Maßnahmen „das Land Niedersachsen und der Bund zuständig und verantwortlich“. Daher würden sich diese Punkte nicht als Gegenstand eines Runden Tisches eignen. „Vor diesem Hintergrund bitte ich um Verständnis, dass ich Ihren Vorschlag nicht umsetzen möchte“, so die Antwort aus dem Rathaus.
München
In München hatte sich das Bündnis „München steht auf“ in einem offenen Brief vom 7. Januar an den OB gewandt und einen Runden Tisch gefordert. Auf Nachfrage erhielt Multipolar nun aus dem Rathaus die Rückmeldung, dass die Versammlungsbehörde im Vorfeld von Versammlungen immer im Austausch mit den Veranstaltern stehe. „Einen runden Tisch mit dem OB wird es darüber hinaus nicht geben“, so ein Sprecher.
Rostock
Auch in Rostock scheint ein öffentlicher Bürgerdialog seitens des Rathauses nicht gewünscht. Am 28. Dezember noch hatte Oberbürgermeister Klaus Ruhe Madsen in einem NDR-Interview den Wunsch nach „verbinden statt auseinandertreiben“ und Verständnis für die Demonstrierenden geäußert. Nach mehrwöchiger Pause fand nun am 13. Januar ein weiteres Mal eine Kundgebung vor dem Rathaus statt, auf der die Forderung nach einer öffentlichen Bürgerrunde zu den Corona-Maßnahmen artikuliert wurde. Auf Nachfrage erhielt Multipolar dazu die Rückmeldung, dass die Verwaltung nicht plane, „in Ergänzung zu den bestehenden und demokratisch legitimierten Plattformen weitere zu schaffen“.
Hamburg
Aus Hamburg heißt es auf Nachfrage lediglich, dass der Senatskanzlei keine Forderung nach einem öffentlichen Bürgerdialog zu den Corona-Maßnahmen vorliege.
Nürnberg
Die Pressestelle der Stadt Nürnberg verwies auf Nachfrage darauf, dass Oberbürgermeister Marcus König „auf vielen Kanälen permanent im Austausch mit den Bürgerinnen und Bürgern“ sei. Demnächst solle auch wieder ein „Digitaler Bürgerdialog“ stattfinden. Jedoch sei ein spezieller öffentlicher Dialog zu den Corona-Maßnahmen mit Demonstrierenden nicht geplant.
Anhang: Persönlicher Bericht zur Demonstration in Rostock
Als Multipolar-Autor war ich am Montag vor Ort in Rostock und habe den Verlauf der Proteste hautnah miterlebt. Meine Einschätzung: So wie der Abend abgelaufen ist, musste es zu einer Eskalation kommen (hier ein Video). Die Frage ist jedoch: Warum?
Zur Vorgeschichte: Am Freitagmorgen wurden Mitglieder des Rostocker Orga-Teams kurzfristig zu 14:00 Uhr zum Kooperationsgespräch mit Vertretern des Ordnungsamtes und der Rostocker Polizei gebeten, um den Ablauf und mögliche Auflagen zur Demonstration am Montag zu besprechen. Nach der Einladung, aber bereits vor (!) dem Treffen wurde den Organisatoren dann ein fertiger Versammlungsbescheid zugeschickt. Somit gab es im Grunde keine relevanten Themen mehr für ein Kooperationsgespräch, da sämtliche Auflagen bereits feststanden. Wie schon zuvor, war auch diesmal wieder eine Maskenpflicht Teil dieser Auflagen – wie sie jedoch bislang weder bei den großen Demonstrationen in Schwerin noch in Neubrandenburg vorgeschrieben ist. Seit mehreren Wochen weist das Orga-Team in den Kooperationsgesprächen auf diese Diskrepanz hin, stößt dabei jedoch auf taube Ohren.
Vor Ort fiel am Abend sofort die große Polizeipräsenz auf. 1.000 Einsatzkräfte, fast doppelt so viel, wie in der Woche zuvor. Da am vergangenen Montag der Aufzug weitgehend friedlich ablief, bis auf einen Kessel kurz vor dem Ende, erschien es nicht nachvollziehbar, warum solch eine enorme Drohkulisse aufgefahren wurde. Als sich die Menschen schließlich auf der Versammlungsfläche eingefunden hatten, sperrte die Polizei zu Beginn die beiden möglichen Zugänge vorn und hinten ab. Und da sich auf der einen Seite eine Häuserwand und auf der anderen ein Bauzaun befand, der sich die gesamte Seite entlang erstreckte, waren die Menschen von Anfang an auf einer äußerst engen Fläche zusammengedrängt. Den Mindestabstand unter diesen Umständen einzuhalten, war in keiner Weise möglich.
Der Aufzug verzögerte sich über eine Stunde, da die Polizei den Start nicht erlaubte. Die Teilnehmer warteten, und je länger sie in der Kälte standen und sich nichts tat, umso deutlicher wurde, dass es an diesem Abend wohl keinen Aufzug geben würde. Besonders ab dem Moment, als von beiden Seiten Wasserwerfer aufgefahren wurden. Zu Beginn lautete die Begründung für die Blockade, dass es noch zu wenig Ordner gäbe und somit der Aufzug noch nicht starten könne. Später hieß es, dass zu viele Teilnehmer keine Maske tragen würden. Und mit um so mehr Nachdruck die Polizei die Auflage der Maskenpflicht durchzusetzen versuchte, desto größer wurde der Gegendruck der Demonstranten. Schließlich kommen viele genau deswegen zu den Montagsdemos, um gegen die Maßnahmen zu protestieren, wozu die Maske eben auch gehört. Mit der Kälte, dem langen Warten und dem Eingesperrtsein wurden die Menschen allmählich unruhig, sodass sich die Stimmung immer mehr aufheizte.
Die Polizei, beziehungsweise die verantwortlichen Personen, hätten ganz einfach deeskalierend eingreifen können, indem sie einen Aufzug, wie in der Woche zuvor auch, zugelassen und die Maskenpflicht nicht vehement durchgesetzt hätten. Besonders da ein maskenfreies Demonstrieren ja auch in Schwerin und Neubrandenburg möglich ist, wo montags ebenso Tausende auf die Straße gehen. Gegen 18:30 Uhr beendete dann die Versammlungsleiterin die Versammlung, da die Atmosphäre derart aufgeheizt war, dass sie zu eskalieren drohte, wie sie Multipolar in einem Gespräch am Dienstag mitteilte.
Kurz zuvor hatte sie noch mit dem Leiter des Ordnungsamtes telefoniert und um Unterstützung und eine deeskalierende Entscheidung gebeten. Seine Antwort sei jedoch gewesen, dass er gar nicht vor Ort sei und ihr daher nicht helfen könne. Weiter berichtete sie, dass auch der zuständige Polizeiführer versucht habe, bei höherer Stelle ein Einlenken und eine Genehmigung des Aufzugs zu erwirken – jedoch ohne Erfolg. Die Strategie lautete offenbar: Stärke zeigen. Das spiegelt sich auch in der Äußerung des Rostocker Polizeichefs Achim Segebarth wieder: „Es ist uns gelungen, konsequent einen Aufzug zu verhindern, der sich nicht an die Regeln hält.“ In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob es bei den festgesetzten Regeln nicht viel eher um eine Verhinderung des gesamten Aufzugs ging. Es bleibt der Eindruck zurück, dass es an diesem Abend zur Eskalation kommen sollte. Ein Videomitschnitt gibt einen Eindruck der Stimmung.
Diese Sichtweise wird durch einen Bericht auf reitschuster.de vom Dienstag noch untermauert. Demnach berichtete eine „gut unterrichtete Quelle aus Polizeikreisen“ von einem Konflikt innerhalb der Rostocker Polizei:
„Dort wäre es beim Erteilen der Befehle für den gestrigen Abend zu Problemen gekommen, als sich Teile der Polizei geweigert hätten, das von der Polizeiführung geforderte Vorgehen durchzusetzen. Eine Konfrontation der Polizei mit den Demonstranten sei intendiert gewesen. Da sich die Unterführer der Polizei Rostock geweigert hätten, gewaltsam gegen die Spaziergänger vorzugehen, wären diese nicht zu der Besprechung zugelassen worden. Teile der Rostocker Polizei wären vom angedachten Vorgehen und vom Ausschluss geschockt gewesen, hieß es.“
Darüber hinaus sei vor einer absichtlichen Eskalation durch V-Leute und Hooligans gewarnt worden, so der Bericht. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung kam es zum Einsatz von Pyrotechnik, der Nutzung von Böllern und Glasflaschenwürfen in Richtung der Polizei. Diese setzte wiederum massiv Pfefferspray ein und ging bei Festnahmen brutal vor, wie ein Video im Artikel auf reitschuster.de zeigt. Nachdem die schlimmste Eskalationsstufe vorüber war, blieb den Menschen etwas Zeit um die Versammlungsfläche Richtung Steintor zu verlassen.
Jedoch wurde dies seitens der Polizei nicht kommuniziert. Und als sich gegen 19:30 Uhr ein Großteil der Menschen entfernt hatte, wurde erneut abgeriegelt. Die restlichen Teilnehmer waren somit eingekesselt und konnten die Fläche nicht mehr verlassen. Lediglich Frauen und Kinder wurden auf einer Seite herausgelassen. Letztlich bis zu über 3 Stunden harrten daraufhin die übrigen Demoteilnehmer in der Kälte aus. Insgesamt befanden sich mehrere Hundert Personen in dem Kessel, der wie ein Freiluftgefängnis wirkte. Der Grund, warum sie die Fläche nicht verlassen durften, wurde auch hier erst äußerst spät mitgeteilt: Die Aufnahme von Personalien.
Aus meiner Sicht war das ein schwarzer Tag für die Stadt. Die Berichte und Bilder sowie die Aggressionen und Verletzungen, die entstanden sind, hätten sehr leicht vermieden werden können. Die Hansestadt Rostock muss sich die Frage stellen: Waren die willkürlich festgesetzten Regeln diese Eskalation wert – oder war diese sogar gewünscht? Multipolar hat dem Ordnungsamt dazu einige Fragen gestellt, bislang keine Reaktion. Eine Antwort wird gegebenenfalls an dieser Stelle nachgereicht.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 19. Januar 2022 im Multipolar - Magazin.
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Bildquelle: Jaz_Online / shutterstock
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