
“Die Lyrische Beobachtungsstelle” von Paul Clemente.
Kein Filmmonster passt so gut ins Jahr 2025 wie der Zombie. Dieser Untote ist ein Kind urbaner Massenkultur. Kein individualistischer Vampir-Graf, kein notgeiler Werwolf, kein tobender King-Kong, kein sadistischer Terrifier. Nein, der Zombie tritt im Rudel auf.
Und alle haben das gleiche Interesse: fressen, verschlingen, ihr Opfer komplett zu konsumieren. Dagegen: Listige Pläne schmieden, die Beute in einen Hinterhalt locken, so wie es Vampire tun - all das überfordert den Durchschnitts-Zombie. Nicht einmal ein Ansatz von Kreativität ist bei ihm auffindbar.
Der britische Pop-Theoretiker Nick Land hat ausgerechnet, dass die Wirtschaft im Falle einer Zombie-Apokalypse komplett in den Keller führe.
Frühe Horrorfilme wie „White Zombie“ von 1932, zeigen Untote als Marionetten, ferngesteuert vom Willen eines Magiers. „Revolt of the Zombies“ von 1936 ging noch weiter, präsentierte sie als willenlose Soldaten, die ohne Widerstand in den Tod marschieren. Erst George Romero änderte den mythologischen Background. Seine Zombies sind aus unerklärlichen Gründen aus dem ewigen Schlaf erwacht. Experten schieben die Schuld einem unbekannten Virus in die Schuhe.
Die Untoten haben keinen Meister, keinen Diktator, der sie lenkt. Brauchen sie auch nicht, denn sie folgen dumpf der eigenen Fressgier. Kein Wunder, dass der berühmteste Zombie-Kracher „Dawn of the Dead“ in einem Kaufhaus spielt: Der Untote als Symbol westlicher Konsumleichen.
Seit Romero zeigen die meisten Zombiefilme eine Welt nach der Apokalypse: Die Menschheit ist fast ausgerottet, die Wolkenkratzer erscheinen wie riesige Grabmäler. Eine Welt, die uns bekannt vorkommt. Schließlich hat unsere Phantasie den atomaren oder klimatischen Overkill schon oft imaginiert: Zahllose Bücher, Dokumentationen und Aktivisten versprechen sein baldiges Eintreten, präsentieren KI-Bilder einer posthumanen Welt.
Laut dem Anarcho-Unternehmer Elon Musk gehört die Zukunft dem Cyborg, einer transhumanen Synthese aus Fleisch und Festplatte. Der könnte die verbrannte Erde verlassen und den Mars kolonialisieren.
Noch verlockender: Der Great-Reset-Zombie des World Economic Forums: Entmündigt, aber glücklich. Auf eine freiheitliche Zukunft mit gehobenen Wohlstand für alle, darauf wettet niemand mehr. Schon der Glaube, der globale Kollaps sei aufzuhalten, wird belächelt. Nein, die Postapokalypse ist bereits zur heimlichen Seelenlandschaft moderner Westler avanciert. Auch wenn sie noch gar nicht eingetroffen ist. Folglich sind Zombie-Dystopien schlicht und ergreifend Heimatfilme. Hier wohnen wir.
Eine Kostprobe realer Apokalypse brachte die Lockdown-Ära: Wie in Zombiefilmen machte ein Virus die Runde, der Staat verhängte Quarantäne, entzog die Bürgerrechte, forderte Kontaktverbot, drohte mit mRNA-Spritzen und ließ Sicherheitsbeamte patrouillieren. Die Straßen: Gähnend leer. Eine ökonomische und psychische Belastungsprobe.
Das Online-Portal LizzyNet berichtet über eine Forschungsstudie zu Filmkonsum und seelischer Lockdown-Verarbeitung. 300 Testpersonen wurden befragt. Dabei zeigte sich,
„dass Fans von Horror-Formaten in der Pandemie weniger negative Stresssymptome zeigen. Sie sind psychologisch stabiler, während sie zusehen, wenn in echt passiert, was sie auf dem Bildschirm schon tausend Mal zuvor hautnah ,miterlebt’ haben.“
Genau! Fans von Zombie-Apokalypsen erkannten ihre Filme wieder.
Wichtiger noch: Dank Büchern wie dem Zombie Survival Guide waren sie mit Widerstandsszenarien vertraut. So wusste beispielsweise jeder Zombie-Fan, dass man Machthabern und Sicherheitskräften im Notfall nicht trauen darf! Endlich konnte man sein Nerd-Wissen einmal anwenden. Auch den Produzenten solcher Filme leuchtete diese Parallele sofort ein: Schon 2020 entstand der erste Corona-Zombiefilm.
Traditionell bewegen Untote sich sehr langsam. Gemächlich, Schritt für Schritt, schleppen sie ihren Kadaver in Richtung Opfer. Langsam, aber sicher. Das änderte sich erst 2002 mit Danny Boyles Klassiker „28 hours later“.
Boyles Untote rennen in einem Tempo, das den Gejagten keine Atempause gönnt. Schlimmer noch: Sie haben Ausdauer. Auf Ermüdung ist nicht zu hoffen. Das macht sie zum Traum eines jeden Sportlehrers, aber für ihre Opfer um ein Vielfaches gefährlicher. Auch in „28 hours later“ war ein ausgebüxter Labor-Virus an allem schuld. 2007 folgte „28 weeks later“ und jetzt, vor einer Woche, startete der dritte Teil im Kino: „28 years later“. Werbeslogan: „Ein Virus. Kein Entkommen“.
Drehbuchautor ist wieder Alex Garland. Der gilt inzwischen als Hollywoods führender Endzeit-Spezialist. In seiner Regiearbeit CIVIL WARS jagt er Journalisten durch ein künftiges Bürgerkriegs-Szenario und in WARFARE schlagen sich abgehängte US-Soldaten durch den Irak.
Mit 28 YEARS LATER führen Garland und Boyle uns in eine Zukunft, in der kaum noch Menschen leben. Dennoch: Der Überlebenskampf geht weiter. Soll heißen: Die Natur kennt keine Endzeit, keine Kapitulation. Aktueller Beweis: Tschernobyl.
Als dort vor fast 40 Jahren ein Kernkraftwerk zum radioaktiven Superspreader avancierte, war man sicher: Da wächst in den nächsten Jahrzehnten kein Gras mehr. Irrtum. Inzwischen sprießen dort schwarze Pilze, die sich von Radioaktivität ernähren. Außerdem streunen Wolfsmutationen in Reaktornähe - mit verstärkter Immunität gegen Krebs. Das läuft ähnlich wie bei Ratten: Nach wenigen Generationen entwickeln sie eine Immunität gegen Gifte.
Auch in „28 years later“ hat sich eine Evolution vollzogen, splittete sich der Stammbaum der Untoten, haben neue Mutationen stattgefunden: Da gibt es die schwergewichtigen Kriecher, die über den Boden robben und Kleintiere wie Würmer verschlingen. Neben ihnen: Die sogenannten Alphas. Dem Neandertaler nicht unähnlich, haben sie Ansätze einer Kultur hervorgebracht und sind extrem schnelle Sprinter.
Die überlebenden Menschen hingegen ändern sich zwar nicht genetisch, dafür das Verhalten umso mehr. So der Arzt Dr. Ian Kelson, der sich einsam im Dschungel verbarrikadiert hat. Nach der Apokalypse kreiert er einen neuen Kult. Er verbrennt die Verstorbenen und stapelt deren Schädelknochen zu einer riesigen Pyramide. In ihr, so seine Begründung, hätten alle Verstorbenen einen Platz. Ähnlich wie in den Endzeit-Thrillern „Mad Max 4“ oder „Furiosa“ gibt es nach dem großen Knall keine Weltreligion mehr. Auch die Spiritualität wird wieder archaisch, zu Totem- und Totenkult. Komplexe Welterklärung? Tiefschürfende Theologie? Verschwunden. An ihre Stelle treten Symbole, mit unmittelbarer Wirkung auf die Psyche. Bereits in unserer Gegenwart, parallel zum Abnehmen des Christentums, erstarkt das Interesse an spirituellen Ritualen.
„28 years later“ zeigt einmal mehr: Mit der Apokalypse verschwindet nicht nur materieller, sondern auch spiritueller High-Tech. Dann schlägt die Stunde der Improvisation, des wilden Zusammenbastelns – in jeglicher Hinsicht.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: John B Hewitt/ shutterstock
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