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Nun verderbt uns mal nicht die gute Laune …

Nun verderbt uns mal nicht die gute Laune …


Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Ich werde häufiger gefragt, woher ich die technischen Ideen genommen habe, die Eingang in meine Science-Fiction-Trilogie MAEVA gefunden haben. Die futuristische Seesternstadt an der Ostküste Australiens zum Beispiel - wie kommt so etwas ins Buch? Ist dies allein der ausschweifenden Fantasie des Autors zu verdanken? Nein, ist es nicht. Vor vierzehn Jahren lernte ich den Bionik-Forscher Lars Liebchen kennen, der sich mit der Gewinnung von Windenergie beschäftigte und dabei zu erstaunlichen Ergebnissen gekommen war, welche die heutigen Windparks wie fossile Spargelfelder hätten aussehen lassen.

Die Bionik ist eine sehr junge Wissenschaftsdisziplin. Bioniker suchen in der Natur nach Strukturen, welche Tiere und Pflanzen im Lauf der Evolution entwickelt haben und die geeignet scheinen, technisch umgesetzt zu werden. Ein bekanntes Beispiel sind die Winglets (englisch: Flügelchen) an den Tragflächenenden von Flugzeugen. Winglets sorgen für eine bessere Seitenstabilität, verringern den Luftwiderstand und verbessern so den Gleitwinkel[1] sowie die Steigzahl[2] bei niedriger Geschwindigkeit. Als Vorbild diente das virtuose Federspiel der Raubvögel.

Lars Liebchen sprach damals mit solcher Begeisterung von seiner Profession, dass ich seinen Träumen von einer machbaren, besseren Welt fasziniert zuhörte. Während der Arbeiten an MAEVA erinnerte ich mich an den verrückten Forscher und bediente mich einer seiner Ideen - als realen Bestandteil einer Fiktion. Aus Lars Liebchen wurde Ludwig Liebherr, an seiner Vision aber rüttelte ich nicht.

Der Professor ging in die Knie, nahm eine Handvoll Sand auf und ließ ihn zwischen den Fingern hindurch rieseln. 

„In der Wüste hast du Sand. Wenn du Sand hast, hast du Glas, hast du Baumaterial. Man kann aus Sand alles Mögliche machen. Wenn man ihn verdichtet, wird er extrem hart und stabil. Kaum zu glauben, aber die Außenhäute dieser Gebäude sind aus Sand gefertigt. Sie sind nicht nur schön, sie sind auch billig. Aber vor allem sind sie unverwüstlich ...“ Er klopfte vor Vergnügen über die gelungene Metapher dreimal kräftig auf den Wüstenboden. „Wie dumm muss eine Spezies sein, die bei der Sicherung ihrer Zukunft unbeirrt an Ressourcen festhält, die berechenbar knapper werden“, fuhr Liebherr fort. „Wir haben Wellen, Biomasse, Thermik, wir haben die Wüste, die Küsten, die Wasserfälle und Gebirge, wir haben Algen und Plankton und tausend Dinge mehr im Übermaß. Was wir nicht im Übermaß besitzen, sind fossile Brennstoffe, Metalle und Süßwasservorräte. Wir brauchen ein Konzept, das die üppig vorhandenen Ressourcen nutzt und die knappen verschont. Können Sie mir folgen?“ 

Ob er ihm folgen konnte? Cording musste schmunzeln. Diese Leier spielte man seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. „Singlelösungen helfen uns nicht weiter“, bemerkte Liebherr. „Die Windräder zum Beispiel: absoluter Quatsch. Ihre Herstellung verbraucht enorm viel Energie und dann stehen sie die Hälfte der Zeit still. Ein Drittel des von ihnen gewonnenen Stroms geht auf dem Transportweg verloren. Außerdem sind sie eine Schande fürs Auge ... Hab ich recht?“ 

Sicher hatte er das, aber neu war auch diese Erkenntnis nicht. Cording machte den Professor darauf aufmerksam, dass er ihm ja eigentlich die Seesterne erklären wollte, zwischen denen sie wie zwei verirrte Ameisen umherwanderten. „Ich habe mir das Strömungsprinzip der Natur zunutze gemacht“, antwortete Liebherr ohne Umschweife und keineswegs beleidigt. „Optimal angewandt könnte dieses Prinzip einen Großteil unserer Energieprobleme lösen.“ Etwas in Liebherrs Stimme verbot ihm, den Mann als Spinner abzutun. Es war der Anflug von Resignation, der Cording aufhorchen ließ. So sprach keiner, der Anerkennung für sich reklamierte. „Die Natur zeigt uns doch, wie es funktioniert, man braucht es nur abzugucken und auf intelligente Weise nachzubauen. Das ist genau das, was wir Bionikforscher machen. Aber man traut uns nicht, weil die Menschen der Natur nicht trauen …“ 

Seine Seesterne besaßen tatsächlich faszinierende Eigenschaften. Sie fingen zwischen ihren Armen den Wind auf, der sich auf dem Weg nach oben extrem beschleunigte und an der Spitze von einem Windlaser in Energie umgewandelt wurde. Die Strömungsbeschleunigung hatte zur Folge, dass die Luftfeuchtigkeit kondensierte. 

„Jedes Gebirge funktioniert nach diesem Prinzip, auf diese Weise bildet sich Süßwasser. Die eingefangene Energie lässt sich auch problemlos in Wärme und Kälte umwandeln, ebenso einfach lässt sich aus ihr elektrische Energie generieren. Und als ob das noch nicht genug ist, legt sich jedes Gebäude seinen eigenen Garten an, indem es einen Teil des gewonnenen Wassers zur Bepflanzung seiner Umgebung freigibt.“ 

Liebherr war in Fahrt gekommen, er schwadronierte ohne Rücksicht auf die begrenzte Aufnahmefähigkeit seines Zuhörers von den Vorteilen der Stern-Formgebung, von Strömungsenergie-Extraktoren, vom perfekten Windschatten und der Möglichkeit, die Bewegungsenergie von Fluiden billig zu nutzen. Cording ließ den Redeschwall dieses genialen Kauzes über sich ergehen wie eine frische Brise, deren würziger Geschmack ihn glauben ließ, dass seinem Geist der reinste Sauerstoff zugeführt wurde. Immer wieder machte Liebherr darauf aufmerksam, wie einfach der Fortschritt zu haben war, gerade in jenen Breiten, die Gefahr liefen, von ihm abgeschnitten zu werden. Sonne, Wind, Meeresströmung und Sand waren ein technologisch schnell nutzbares und gewinnbringendes Kapital. 

Es störte Cording ein wenig, dass der Professor immer noch in dem klassischen Gewinn- und Verlustschema dachte, aber jemand, der sich jahrzehntelang mit einem System angelegt hatte, das keine anderen Argumente gelten ließ, durfte ruhig triumphieren, wenn er mit seiner Kosten-Nutzen-Rechnung plötzlich erkennbar vorne lag. 

So hörte Cording also weiter geduldig zu, wobei er sich den Luxus aller Unwissenden leistete und nur das zur Kenntnis nahm, was sich ihm auf Anhieb erschloss. Die Blatt-Geometrie der Magnolienblüte zum Beispiel, die aus einem schwachen Wind einen starken Strömungsstrahl machte, den sie dann zur optimalen Bestäubung nutzte. Oder die spezielle Oberflächenstruktur, die Liebherr seinen Monsterseesternen gegeben hatte, damit die Reibung der einströmenden Luft vermindert und ein sogenannter Katapulteffekt erzielt werden konnte. 

Cording wunderte sich, dass ihnen auf ihrem Marsch bisher kein einziger Mensch begegnet war. Ebenso erstaunt war er, dass es keinerlei Anzeichen von Bautätigkeit gab, es waren weder Fahrzeuge noch Maschinen oder Materialien zu sehen, die man zur Fertigstellung der Gebäude doch dringend benötigte. Die Pisten zwischen den Seesternen waren verweht, das gesamte riesige Areal verwaist. Eine gespenstische Atmosphäre, die auch Liebherr Unbehagen zu bereiten schien. 

„Ich weiß auch nicht, wann es weiter geht“, sagte er achselzuckend, „bisher sind gerade einmal zwei der zwölf Sterne bezugsfertig, von den anderen stehen lediglich die Außenhäute …“ 

Sie warfen einen Blick in das Innere der gigantischen Kuppel, die sich wie ein eigenes Firmament über ihren Köpfen ausbreitete. Cording wurde schwindelig angesichts der Dimensionen. Liebherr steuerte auf eine hölzerne Baubude zu, die verloren unweit des Eingangs stand. Darin befanden sich nichts weiter als eine Arbeitsplatte und ein Computer. 

„So wird es eines Tages aussehen“, sagte der Professor, während er im routinierten Schnelldurchgang eine Computeranimation nach der anderen auf den Schirm rief. „Bis zu zehntausend Menschen kann dieses Haus beherbergen, eine ganze Menge, finden Sie nicht?“ 

Er schaltete den Computer aus, als lohnte es sich nicht weiter, ein Projekt zu studieren, das so unvermutet ins Stocken geraten war. „Wenn die Chinesen ihre finanziellen Zusagen nicht bald einhalten, werden wir uns wohl nach anderen Partnern umsehen müssen. Ja, die Chinesen ... Irgendwie kann ich ihre Situation verstehen. Die sind klamm. Seit dem Bruch des Drei-Schluchten-Damms ist die chinesische Volkswirtschaft ruiniert. 300 Millionen Menschen, die umgesiedelt werden müssen, das schafft kein Land der Welt. Dazu der gigantische Verlust an fruchtbarem Boden, von den Millionen Toten einmal ganz abgesehen. Nein, mit den Chinesen können wir nicht mehr rechnen …“ 

Cording war entsetzt, wie nüchtern Liebherr eine Katastrophe kommentierte, die in der Geschichte der Menschheit ohne Beispiel war. Wie er kurz darauf zur Tagesordnung überging, um dem Gast voller Euphorie sein erweitertes Konzept zu unterbreiten. Dies sah vor, die australische Küste in regelmäßigen Abständen mit Seesternstädten zu bestücken, im Wasser und auf dem Land. 

„Diese wunderschönen Gebäude bilden dann praktisch den äußeren Ring des Kontinents, sie sind Australiens Einfallstor und signalisieren den Heimatlosen in aller Welt, dass sie hier willkommen sind“, sagte der Architekt und schloss die Baubude hinter sich ab. 

Der Mann ist verrückt, dachte Cording, komplett durchgeknallt. Liebherr hakte sich bei ihm ein.

„Irritiert Sie das?“, fragte er schmunzelnd. „Das sollte es nicht. Wie könnte man sich gegen das allumfassende Elend denn besser wappnen, als mit einer perfekten Illusion?“

Lars Liebchen, der Mann, der mich vor vierzehn Jahren zu diesem Kapitel inspirierte, hat inzwischen aufgegeben. Seine Website ist gelöscht. Vor kurzem traf ich ihn durch Zufall wieder. Auf meine Frage, warum er es aufgegeben hat, für seinen Traum zu kämpfen, zuckte er nur mit den Schultern: „Wirtschaft und Politik fahren in ausgefahrenen Gleisen,“ bemerkte er knapp „Politiker reagieren auf die Vorschläge von uns Bionikforschern nach dem Motto: Nun verdirbt uns mal nicht die Laune. Der Druck auf sie muss von der Öffentlichkeit kommen. Das ist ja nicht mein Projekt, das ist euer Projekt, es ist ja eure Zukunft …"

Quellen und Anmerkungen

1. https://de.wikipedia.org/wiki/Gleitzahl_(Flugzeug) 2. https://de.wikipedia.org/wiki/Polardiagramm_(Str%C3%B6mungslehre) +++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags. +++ Bildquelle: Yellowj / shutterstock


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