Niveauregulierung – eine Kolumne (2)

Von Bernard Loyen.

Meine Mutter pflegte zu sagen – hier sieht es ja aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Kriegsgenerationenpolemik. Dieser Satz kam mir jedoch in den Kopf, als ich 1999 in Beirut das erste Mal vor/in einer zerbombten Straßenzeile stand. Es beeindruckte kolossal und man schwieg.

1999 war ich in eingeladen zu einer Hochzeit eines sehr guten Freundes. Wohin fliegst du, fragten irritierte Bekannte. Beirut ? würde ich nicht machen. Zwei Gründe es doch zu machen, waren schlicht den Freund nicht zu enttäuschen und natürlich die große Chance die Perle des Mittelmeers in Augenschein zu nehmen.

Beirut, im Libanon. Krisengebiet durch die Jahrzehnte. Unmittelbar angrenzend an Syrien. Unweit entfernt von Israel. Mein Freund mit einer klassischen Biografie. Die Eltern flüchteten in den 70ern über Frankreich nach Deutschland. Schließlich Sozialisierung im West – Teil der Stadt Berlin. Dort lernten wie uns in den 80ern kennen. Viele Diskussionen über den Sinn von Glauben. Mein Argument damals, wie heute. Ist mir zu einfach, die Woche über sündigen und dann am Wochenende beim Kirchgang Buße tun. Die nächste Woche kann kommen. Er und seine Eltern sind Christen.

Nun kehrte er zu seinen Wurzeln zurück. Ich lernte die arabische Seite meines Freundes kennen. In den 90ern kehrten viele Libanesen zurück in ihre Heimat. Mit europäischem erlerntem Knowhow will man Beirut wieder zur Perle machen. An Abenden und langen Nächten erfuhr man individuelle Geschichten, Schicksale. Jede Familie verlor in den Konflikten über die Jahre Angehörige. Junge Beiruter erzählten mir, wie sie Wochen mit der ganzen Familie in einem Auto lebten. In einer Tiefgarage, um in den Schusspausen schnell Lebensmittel zu besorgen. Man hörte zu und schwieg.

Was auffiel. Die Motorradfahrer fuhren alle ohne Helm. Warum auch, einfach leben. Zu verlieren hatten sie nicht viel. Zuviel erlebt. Feiern können sie amtlich. Kleiner Unterschied, am Ausgang des Clubs stehen Türsteher mit MGs und nicken freundlich in den Morgenstunden, wenn im Hintergrund der Bass wummert und der Muezzin zum ersten Morgengebet rief. Momentan haben wir nur über Mails Kontakt. Vor einem halben Jahr schlug eine Granate in seine Wohnung ein. Als er mit seiner Frau und Kindern unterm Bett lag und wartete, bis sich die Situation beruhigte, beschloss er erst mal Deutschlandvisiten einzustellen. Man weiß nie.

Ich einer naiven Sekunde fragte ich ihn kürzlich, ob ich nicht dieses Jahr meinen Familienurlaub bei ihm verbringen solle. Die Antwort – ich kenne Komiker, aber du bist der Größte. Vor einigen Wochen schrieb er mir eine lange Mail. Über seine Arbeit mit syrischen Kinderflüchtlingen. Den unglaublichen Schicksalen. Was ist eigentlich in Deutschland los, fragte er. Was soll denn diese Panik, bei den paar Flüchtlingen. Wenn es 10 Millionen wären, würde er Unruhe verstehen, aber so. Er erinnerte an die Stimmung in diesem Land Anfang der 90er. Was er aus den Medien erlese, käme ihm bekannt vor.

Statistik

Deutschland – Größe: 357.340 km², Libanon: 10.452 km². Einwohner:
Deutschland: 81.292.428 Mill., Libanon: 5.882.562 Mill., Flüchtlinge:
Deutschland: 2015 ca. 800.00, Libanon: offiziell 1,4Millionen, inoffiziell ?

Wie sprach meine Oma immer sehr treffend – ganz ruhig, nicht ausrasten und vor allem bitte die Kirche im Dorf lassen.

 

Danke an den Autor für das Recht der Zweitverwertung.

KenFM bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Meinungsartikel und Gastbeiträge müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.


Auch interessant...

Kommentare (2)

Hinterlassen Sie eine Antwort