Niveauregulierung – eine Kolumne (40)

Geschmacksverstärker AFD?

von Bernhard Loyen.

Deinen Geschmack möchte ich nicht haben, spricht der Volksmund. Über Geschmack lässt sich nicht streiten? Kant resümierte schon 1790: Der Bestimmungsgrund eines Geschmacksurteils mag zwar auch objektiv sein, aber er lässt sich nicht auf bestimmte Begriffe bringen; mithin kann über das Urteil selbst durch Beweise nichts entschieden werden, obgleich darüber gar wohl und mit Recht gestritten werden kann[1].

Vielen Menschen stößt die Momentaufnahme unserer Gesellschaft, resultierend aus einer fatalen Entwicklung der letzten Jahrzehnte, immer extremer auf. Magendruck. Fahler Bei- und Nachgeschmack überwiegen im täglichen Dasein, im täglichen Kampf zu überleben. Das demokratisch verbriefte Grundrecht durch den Gang zur Wahlurne etwas an der politischen Entwicklung, der Veränderung unseres Landes beeinflussen zu können, wurde spätestens seit der Bundestagswahl 2017 ad absurdum geführt.

Eine erstarrte unflexible, nennen wir sie unwillige Parteienkaste, verwehrt mittlerweile dem Großteil der Menschen in diesem Land ein bescheidenes und zufriedenes Leben. Es scheitert derweil an den niedrigsten und einfachsten Stützen des Daseins, unserer im Grundgesetz niedergeschriebenen Grundrechte. Bezahlbarer Wohnraum, Bildung, gesicherte medizinische Versorgung, sinnbringende Lohnarbeit, d.h. eine Familie ernähren, bzw. davon leben zu können.

Keine der etablierten Parteien von Linkspartei bis CSU konnten, oder wollten in den letzten Jahren Lösungsmodelle auf Bundesebene anbieten. Keinerlei Rezepte, um das Vertrauen der Gesellschaft zurück zu gewinnen. Ignoranz, Missachtung, Auslassung & Verleugnung stehen auf der parteipolitischen Agenda. Wie, bzw. wodurch könnte man den Menschen glaubwürdige Politik wieder schmackhaft machen?

Seit dem Jahre 2013 gibt es eine neue Parteienalternative, die AFD. Angetreten aufzuräumen, alles irgendwie anders zu machen, ist sie inzwischen laut aktuellen Umfragen zur drittstärksten Partei gewachsen[2]. Wie lautet das Erfolgsrezept der AFD? Formulieren wir es so: Es wird ihr dadurch sehr einfach gemacht, die existierende geschmacklose politische Einheitssuppe durch simple Geschmacksverstärker vermeintlich appetitlicher zu offerieren.

Als Geschmacksverstärker werden Substanzen bezeichnet, die geeignet sind, die Wahrnehmung des Geschmacks zu verstärken. Bisher ist kein Geschmacksverstärker bekannt, der alle Geschmacksrichtungen verstärken kann. Oft wird als Nebenbedingung genannt, dass ein solcher Stoff nicht selbst zum Geschmack beitragen, also geschmacksneutral sein soll[3].

Hinkt der Vergleich? Bevor erzürnte AFD-Sympathisanten aus Reflex Kritik hinsichtlich einer unangebrachten Darstellung hegen: Ich habe es ausprobiert. 48Minuten 25Sekunden politischer Aschermittwoch mit Björn Höcke. 40Minuten 33Sekunden mit Jörg Meuthen. 12Minuten 17Sekunden mit Andre Poggenburg. Schwere Kost. 73 Seiten AFD-Wahlprogramm[4]. Hier zumindest überraschende, inhaltliche Nuancen und klare Forderungen, bzw. Formulierungen, gegenüber der öffentlichen Eigendarstellung und vor allem Wahrnehmung in den Medien durch schriftliche und verbale Äußerungen. Lautet so das Erfolgsrezept? Provokation führt zum notwendigen Erfolg?

Nun ist die Empörung unter den Politikern im Bundestag groß, dass man sich mit einer Partei, u.a. konservativer bis nationalistisch geprägter Inhalte auseinandersetzen muss. Heuchelei? Der bequeme und dazu lohnende Routinezirkus der letzten Jahre scheint in Gefahr. Nicht weniger entsetzt reagieren die Nichtwähler der AFD. Ist es nicht jedoch die vergangene Politik des bis dato Sechs-Parteien-Systems dieses Landes, die das Erstarken der AFD erst ermöglichten? Ist es nicht das Wahlverhalten von Millionen Bürgern, die durch ihr Kreuzchen den regierenden Parteien den entsprechenden Freischein gegeben haben? Sozialabbau und weltweiter Kriegseintritt als zwei kleine Beispiele von vielen, erfolgten nun mal durch unsere gewählten Volksvertreter.

Wir stehen doch vor der Entscheidung: Bleiben wir auf dem Boden trockener, spröder, notfalls langweiliger, bürgerlicher Vernunft und ihrer Tugenden, oder steigen wir in das bunt gemischte Narrenschiff Utopia ein, in dem dann ein Grüner und zwei Rote die Rolle des Faschingskommandanten übernehmen werden? Dies sprach kein AFD-Politiker vor der letzten Bundestagswahl, sondern Franz Josef Strauß aus der CSU im Jahre 1986[5]. Kurz darauf kam es zur sog. deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990. Wann und durch wen startete doch gleich der epochale Umbau dieses Landes?

Die AFD wird als neue Ostpartei definiert und gefürchtet. Bei der letztjährigen Bundestagswahl wählten 8,2% in Schleswig-Holstein und 12,4% in Bayern diese Partei. Dazwischen in den restlichen Altbundesländern durchschnittlich solide 10 – 11% Wahlerfolge[6]. Dieses Land misstraut sich weiterhin. Der Westler, dem Ostler und umgekehrt. Immerhin Unzufriedenheit ist ein gesamtdeutsches Momentum. Simple politische Wahrnehmung schaut dann so aus.

Der Westdeutsche Björn Höcke am 14.02. bei einer Rede in Pirna, Sachsen: Wir sind der siegreiche Osten und alle zusammen lassen wir im Osten die politische Sonne in ganz Deutschland wieder aufgehen. Deutschland möge leben. Prost[7]. In der ganzen Rede kein Wort, zu den Wählern im Westen des Landes. Konträr die, skurrilerweise sehr bejubelte, Rede von Cem Özdemir am 22.02. im Deutschen Bundestag[8]. Nachdem er den AFD-Abgeordneten unterstellte, sie würden ihr Land verachten, formulierte er folgenden Satz: “(…) dazu gehört die Vielfalt in diesem Land, auf die ich auch stolz bin. Dazu gehören Bayern und Schwaben und dazu gehören auch Menschen, deren Vorfahren aus Russland kommen und Menschen deren Vorfahren aus Anatolien kommen (…)”, um dann abschließend die sehr eigentümliche These zu formulieren: sie [die AFD Abgeordneten] würden doch eher der russischen Fußballnationalmannschaft die Daumen drücken, als der deutschen Mannschaft. Kein Wort an die Wähler im Osten des Landes.

Der Begriff “ein Geschmäckle” (aus der schwäbischen Heimat Özdemirs) wird insbesondere für einen Beigeschmack von Speisen und Getränken oder einen verdorbenen Geruch verwendet und im übertragenen Sinn für Sonderbarkeit, spezifische, anderen auffallende und widerwärtige oder lächerliche Art eines Individuums oder Standes benutzt. Eine bedauernswert passende Umschreibung der politischen Situation in diesem Land des Jahres 2018.

Die AFD hat den Kampf gegen Islamisierung und Überfremdung Deutschlands ganz oben auf den Fahnen zu stehen. Deutsche Werte würden verloren gehen, abgegeben an fremde Kulturen. Ohne Frage, es gibt die verrohte Parallelgesellschaft in sog. Problembezirken. Ein akutes Phänomen der Deutschen mit Migrationshintergrund? Aktuell kursiert der Brandbrief einer Grundschule in Sachsen-Anhalt. “Die Lehrer berichten darin von ‘permanent auftretenden, gravierenden Verhaltensproblemen vieler Schüler’, es gebe ‘mittlerweile täglich’ schwerste Probleme: Beklagt werden ‘extreme körperliche Gewalt, Körperverletzungen und Schlägereien’, ‘Sabotage’ und ‘unerlaubtes Verlassen des Unterrichts’ sowie eine generelle ‘Gefühlskälte’ gegenüber Mitschülern.”[9] Zur Erinnerung: 3,9% Ausländeranteil von 2.245.470 Einwohnern[10].

Wie schaut es denn im wertkonservativen Bayern (Ausländeranteil von 11,5%) aus? Zitat: “Der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) musste innerhalb der letzten 15 Jahre seine Rechtsabteilung erheblich ausweiten. Verbale Gewalt gegen Lehrkräfte kommt dort täglich auf den Tisch. Aber auch tätliche Angriffe haben zugenommen.”[11]

Worum geht es also? Deutschland hat anscheinend nicht nur ein Problem auf dem Feld der Wertevermittlung bei Heranwachsenden, durch überforderte unmotivierte Eltern. Die Gesellschaft verändert sich radikal in eine Richtung, die vielen Menschen missfällt und vor allem an die persönlichen Grenzen stoßen lässt. Die Gründe sind größtenteils bekannt und ausreichend kommuniziert. Nun versucht die AFD daraus Kapital zu schlagen, aus dem Versagen der restlichen Parteien ihren Vorteil zu erarbeiten. Ihr gutes Recht, da der Bedarf an neuen Rezepturen für die Lösung gesellschaftlicher Brachlagen dringend von Nöten ist.

Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob diese Partei ein wirkliches Interesse an politischer Korrektur hat, oder ob sie über inhaltliche Geschmacksverstärker schlicht dem politischen Wanderzirkus beitreten möchte, um am Ende in der Kombüse vom Narrenschiff Utopia zu stehen.

Quellen

[1] – https://www.redensarten-index.de/suche.php?suchbegriff=Geschmack+Kant&bool=relevanz&gawoe=an&suchspalte%5B%5D=rart_ou&suchspalte%5B%5D=rart_varianten_ou

[2] – http://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend-1123.html

[3] – https://www.lebensmittellexikon.de/g0001260.php

[4] – https://www.afd.de/wp-content/uploads/sites/111/2017/06/2017-06-01_AfD-Bundestagswahlprogramm_Onlinefassung.pdf

[5] – https://www.youtube.com/watch?v=MhMk8NzwI5g

[6] – https://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagswahl_2017/wahlergebnisse-2017-so-haben-die-bundeslaender-bei-der-bundestagswahl-gewaehlt_id_7631289.html

[7] – https://www.youtube.com/watch?v=s-J89JKY2ZU

[8] – https://www.youtube.com/watch?v=QunTw3P-zMI

[9] – http://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/osterwieck-grundschullehrer-senden-hilferuf-mit-offenem-brief-a-1195056.html

[10] – https://www.laenderdaten.de/europa/deutschland/bundeslaender/auslaenderanteil.aspx

[11] – https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/notizbuch/gewalt-schule-lehrer-100.html

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