Ein Meinungsbeitrag von Thomas Röper.
Am Mittwoch wurde bekannt, dass die US-Regierung einen neuen Friedensplan für die Ukraine ausgearbeitet haben. Nach allem, was danach bekannt wurde, bedeutet er de facto die Umsetzung praktisch aller russischen Forderungen.
Axios hat am Mittwoch gemeldet, die US-Regierung habe einen neuen, 28 Punkte umfassenden Friedensplan für den Ukraine-Konflikt vorgelegt. Danach wurden immer Einzelheiten bekannt, denen zufolge es sich dabei de facto um die russischen Forderungen handelt, deren Umsetzung Trump nun regelrecht per Ultimatum fordert. Bevor wir dazu kommen, noch ein paar Worte zur Vorgeschichte.
Der Korruptionsskandal als Schlüssel
Als der Korruptionsskandal in der Ukraine bekannt wurde, war sofort klar, dass es sich dabei um ein Druckmittel der Trump-Regierung gegen Selensky handelt, denn dass NABU, das den Skandal ins Rollen gebracht hat, ist ein Instrument der US-Regierung zur Lenkung der Ukraine, mit dem jedem, der den USA gegenüber ungehorsam ist, mit Korruptionsvorwürfen aus dem Verkehr gezogen werden kann.
Dass das NABU seine Beweise eine ganze Woche lang häppchenweise, anstatt alle auf einen Schlag veröffentlicht hat, war ebenfalls ein Zeichen dafür, dass es hier um Druck auf Selensky ging. Die Frage war nur, was Trump von Selensky wollte.
Die Ukraine hat erst vor kurzem erklärt, alle Gespräche mit Russland abbrechen zu wollen, weil sie ergebnislos seien. Das dürfte mit Rückendeckung der Europäer, die den Krieg um jeden Preis verlängern wollen, und gegen den Willen der US-Regierung geschehen sein.
Dass Selensky und sein ehemaliger Verteidigungsminister Umerow, der heutige Chef des ukrainischen Sicherheitsrates, der ebenfalls Teil des Korruptionsskandals ist, nun in die Türkei reisen, um „die Verhandlungen wiederzubeleben“, war die erste Andeutung, worum es bei der Geschichte gehen dürfte: Um erneute Verhandlungen mit Russland auf Druck der USA.
Selensky wollte sich in der Türkei mit Trumps Sondergesandten Witkoff treffen, aber während Selensky am Morgen des 19. November in die Türkei flog, veröffentlichte Axios die ersten Details von Trumps Friedensplan, der, wie spätere Meldungen zeigen, der Ukraine praktisch kein Mitspracherecht mehr einräumt und sie vor vollendete Tatsachen stellt.
Übrigens hat Witkoff das Treffen mit Selensky dann platzen lassen, aber dazu – und vor allem zu den Gründen – kommen wir später noch.
Am Abend des 19. November berichtete Reuters, Beamte der US-Regierung hätten Selensky mitgeteilt, dass die Ukraine das von den USA entworfene Rahmenabkommen akzeptieren müsse. Es enthält demnach Bestimmungen für territoriale Zugeständnisse Kiews, den Verzicht auf bestimmte Waffentypen und eine Reduzierung der ukrainischen Streitkräfte. Washington wolle, dass Kiew die wichtigsten Bestimmungen akzeptiert, schrieb Reuters.
In der Nacht auf den 20. November haben immer mehr Medien diese Berichte bestätigt und weitere Details berichtet. Ich gebe hier einen Überblick über die wichtigsten Punkte.
Die Krim und der Donbass gehen an Russland
Axios berichtete, die amerikanischen Vorschläge würden vorsehen, dass Kiew im Gegenzug für Sicherheitsgarantien der USA für die Ukraine und Europa bestimmte Gebiete an Russland abtritt, und dass die Gebiete im Donbass, aus denen sich die ukrainischen Streitkräfte zurückziehen, „als entmilitarisierte Zone gelten, in der Russland keine Truppen stationieren“ dürfe. Axios zufolge würde der US-Vorschlag Russland die „faktische vollständige Kontrolle“ über den Donbass verschaffen.
Laut Axios fordert die Initiative auch ein faktisches Einfrieren der Kontaktlinie in den Regionen Cherson und Saporoschje. Russland würde dem US-Plan zufolge je nach Verhandlungsergebnis einige dieser Gebiete an die Ukraine zurückzugeben.
Dass Russland sich auf so einen Tausch einlässt, ist zweifelhaft. Wahrscheinlicher ist, dass Russland sich zum Rückzug aus den Teilen der Gebiete Charkow und Sumy bereit erklärt, die es derzeit kontrolliert.
Außerdem wollen die USA die Krim als russisch anerkennen. Laut Trumps Plan würden die USA und andere Länder die Krim und den Donbass als legitimes russisches Gebiet anerkennen, wozu die Ukraine allerdings „nicht verpflichtet“ werde.
Wie die europäischen Politiker ihren Wählern das erklären, wenn die USA sie dazu zwingen, dürfte lustig werden.
Die ukrainische Armee halbieren
Die Financial Times berichtete, der amerikanische Plan sei gemeinsam mit der russischen Seite entwickelt worden. Die Zeitung berichtete, dass Trumps Sondergesandter Steven Witkoff ihn diese Woche in Miami an den Vorsitzenden des ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates Rustem Umerow übergeben habe.
Der Plan sehe außerdem eine Halbierung der ukrainischen Streitkräfte, die Abtretung der von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete im Donbass, den Verzicht auf bestimmte Waffensysteme und eine Reduzierung der US-Militärhilfe vor.
Dass die Ukraine ihre Streitkräfte nach dem Willen der US-Regierung halbieren soll, hat auch der Economist berichtet.
Keine ausländischen Truppen in die Ukraine
Die Financial Times berichtet unter Berufung auf Quellen außerdem, der Plan der Trump-Regierung sehe keine Anwesenheit ausländischer Truppen in der Ukraine vor. Und er beinhalte auch keine Lieferung von Langstreckenwaffen durch die USA an die Ukraine.
Das dürfte vor allem für die “Koalition der Willigen” aus Europa ein Schock sein, die immer davon gesprochen hat, nach einem Waffenstillstand Truppen in die Ukraine schicken zu wollen, was Russland immer kategorisch abgelehnt hat.
Die Rechte der Russen schützen
Die Financial Times berichtete auch, dass der Plan das Festschreiben von Russisch als Amtssprache und die volle Religionsfreiheit für die Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine vorsieht.
Diese Achtung der Minderheitenrechte der ethnischen Russen in der Ukraine war eine wichtige Forderung Russlands, nachdem Kiew die Benutzung von Russisch und die Russisch-Orthodoxe Kirche in der Ukraine faktisch verboten hat.
Das Ultimatum und der Korruptionsskandal
Der britische Daily Telegraph berichtete unter Berufung auf Quellen, dass die Trump-Regierung die europäischen Länder über ihre Vorschläge zur Lösung des Ukraine-Konflikts im Unklaren gelassen hat. Die Zeitung fügte hinzu, dass Vertreter des Weißen Hauses Selensky offen erklärt hätten, dass er den Vorschlägen vor dem Hintergrund des Korruptionsskandals in der Ukraine zuzustimmen solle.
Dass die europäischen Regierungen nicht informiert waren, konnte man auch in deutschen Medien lesen. Nach den Erfahrungen, die Trump in den letzten Monaten mit den Sabotageaktionen der Europäer gegen die vorherigen Verhandlungsversuche gemacht hat, ist das nicht überraschend.
Dass so offen gesagt wird, dass die Trump-Regierung von Selensky unter Verweis auf den – letztlich von den USA veröffentlichten – Korruptionsskandal ultimativ seine Zustimmung fordert, dürfte nicht nur für Selensky, sondern auch für die Europäer ein Schock sein, denn nun wird es für sie fast unmöglich, Selensky weiterhin gegen Trump zu unterstützen.
Axios berichtete unter Berufung auf einen ungenannten US-Beamten, die USA würden nun auf Kiews Antwort auf ihre neuen Vorschläge zur Lösung des Ukraine-Konflikts warten. Der Ball liege nun bei Selensky, zitierte Axios einen US-Beamten.
Der erläuterte auch, dass das eingangs erwähnte, für den 19. November geplante Treffen zwischen dem US-Sondergesandten Steven Witkoff und Selensky in der Türkei abgesagt wurde, da die ukrainische Seite begonnen habe, von den zuvor zwischen Washington und Kiew getroffenen Vereinbarungen bezüglich des neuen US-Plans abzurücken. Selensky sei angeblich mit einem anderen, einem von europäischen Partnern ausgearbeiteten Plan nach Ankara gereist, den Russland niemals akzeptieren werde, schreibt Axios unter Berufung auf den Beamten. Weiter heißt es:
„Ein zweiter US-Beamter erklärte, der innenpolitische Skandal in der Ukraine, in dessen Folge Korruptionsermittlungen gegen mehrere enge Verbündete Selenskys laufen, sei ein weiterer Grund für die Verschiebung gewesen.“
Und Axios schreibt auch, dass der US-Präsident die Entscheidung, das Treffen zwischen Witkoff und Selensky abzusagen, unterstützt habe.
Der letzte Ukraine-Versteher geht
Die letzte Hiobsbotschaft an diesem für Selensky schwarzen Tag war, dass Keith Kellogg, der zweite US-Sondergesandte für die Ukraine, plant, seinen Posten im Januar aufzugeben. Kellogg gilt als anti-russisch und pro-ukrainisch. Während Witkoff in Moskau mit Russland verhandelt hat, hat Kellogg in Kiew mit der Ukraine verhandelt.
Dem Bericht zufolge will Kellogg mit seinem Rücktritt einer Abwahl zuvor kommen, denn nach US-Recht müssten zeitweilig eingesetzte Sondergesandte jedes Jahr vom US-Senat im Amt bestätigt werden. Anscheinend hat man Kellogg zu verstehen gegeben, dass er diese Bestätigung nicht bekommt, sodass er seinen Posten vorher selbst räumen will.
Sind Russlands Forderungen durchgesetzt?
Wenn sich all das bestätigt, hätte Russland alle seine Forderungen durchgesetzt. Gehen wir das kurz durch.
Russland hat die Entnazifizierung der Ukraine gefordert, womit die Wiederherstellung der Menschenrechte der ethnischen Russen in der Ukraine gemeint war. Mit der Wiedereinführung von Russisch als Amtssprache und der Abschaffung der Gesetze, die Russisch in der Ukraine verbieten, und mit der Wiederherstellung der Rechte der Russisch-Orthodoxen Kirche wäre das umgesetzt.
Russland hat die Entmilitarisierung der Ukraine gefordert, was mit der Halbierung der ukrainischen Streitkräfte und der Einschränkung gewisser Waffensysteme ebenfalls erreicht wäre.
Russland hat außerdem den blockfreien Status der Ukraine gefordert, was ebenfalls erreicht sein dürfte, wenn Trumps Vorschlag das Verbot ausländischer Truppen in der Ukraine vorsieht.
Dass der US-Vorschlag auch die Anerkennung des Donbass und der Krim als russisch umfasst und dass auch andere Länder das anerkennen sollen, würde ein erneutes Aufbrechen des Konfliktes verhindern, was ebenfalls das ist, was Russland gefordert hat: Eine umfassende Friedensregelung und kein Einfrieren des Konflikts.
Nun bleibt abzuwarten, wie die Europäer reagieren werden, bei denen dieser Vorschlag Schaum vorm Mund auslösen dürfte, und ob Selensky sich dem Druck beugt. Wenn nicht, dürften demnächst weitere Enthüllungen des NABU folgen.
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Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.
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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien am 20. November 2025 auf dem Blog anti-spiegel
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Bild: US-Präsident Trump und Russlands Präsident Putin
Bildquelle: miss.cabul / shutterstock
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