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Neue Stabilität zwischen Washington und Beijing? | Von Stephan Ossenkopp

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Standpunkte 20250923 apolut
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Ein Standpunkt von Stephan Ossenkopp.

Das Telefongespräch zwischen US-Präsident Donald Trump und dem chinesischen Staatschef Xi Jinping am vergangenen Freitag soll die „strategische Richtung für eine stabile Entwicklung der China-US-Beziehungen in der Zukunft“ vorgegeben haben. So lautet jedenfalls die offizielle Stellungnahme des chinesischen Außenministeriums. Das klingt erstaunlich versöhnlich, bedenkt man einige der jüngsten Zuspitzungen zwischen den beiden Großmächten: Zollkrieg, Hightech-Sanktionen und Exportkontrollen sowie zunehmende geopolitische Spannungen. Trump soll in dem Telefonat erwidert haben, die US-China-Beziehungen seien die wichtigsten überhaupt und die USA wollten eine „langfristige, grandiose Beziehung mit China“. Trump bezeichnete die Militärparade, die am 3. September anlässlich des Gedenkens an den Sieg über Japan vor 80 Jahren stattfand, als „phänomenal und beeindruckend“. Man erinnere sich, dass Trump noch während der Parade einen Tweet absetzte, in dem er das Zusammentreffen von Xi, Putin und Kim als eine Verschwörung gegen Amerika bezeichnete. Damals appellierte er, auch derjenigen Amerikaner zu gedenken, die China im Krieg gegen Japan unterstützt hatten. Und siehe da: In ihrem Telefongespräch bestätigte Xi, dass den Familien der American Flying Tigers – so hießen die US-Kampffliegerstaffeln, die China im Krieg gegen Japan Unterstützung leisteten – während der Parade ein Ehrenplatz zugewiesen worden war.

Der eigentliche Zweck des Telefonats bestand angeblich neben Handelsfragen darin, unter anderem der vor wenigen Tagen finalisierten „Rahmenvereinbarung“ über den Weiterbetrieb der Social-Media-App TikTok die Billigung der beiden Staatsoberhäupter zu erteilen. Diese „TikTok-Diplomatie“ hat möglicherweise einen Spalt geöffnet, durch den die beiden Länder ihre Differenzen durch Dialog etwas glätten können. Der Kern jener vor kurzem in Madrid zwischen amerikanischen und chinesischen Delegationen ausgehandelten Vereinbarung lautet: TikTok kann seinen Betrieb in den USA fortsetzen, während die Eigentumsverhältnisse neu strukturiert werden. Die TikTok-Saga hatte sich zu einem der entscheidenden Konfliktpunkte in der Rivalität zwischen den USA und China entwickelt. Die Situation eskalierte im April 2024 unter der Regierung von Joe Biden, als der Kongress das Gesetz zum „Schutz der Amerikaner vor Anwendungen, die von ausländischen Gegnern kontrolliert werden” verabschiedete. Dieses Gesetz zwang die Muttergesellschaft von TikTok, ByteDance, entweder ihre US-Aktivitäten zu veräußern oder mit einem vollständigen Verbot zu rechnen. Es folgte ein Jahr voller Gerichtsverfahren und Durchführungsverordnungen. Dass ausgerechnet einer der größten Streitthemen nun zum Dreh- und Angelpunkt für eine mögliche Annäherung wird, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Es gibt jedoch noch gewichtigere positive Indizien. So berichtete die Hongkonger Tageszeitung South China Morning Post am 18. September, dass der amerikanische Verteidigungsminister Pete Hegseth mit seinem chinesischen Amtskollegen Dong Jun telefoniert hatte und dabei sagte, Washington suche keinen Konflikt mit China. Kurz darauf, beim größten Sicherheitstreffen Chinas, dem Xiangshan-Forum, das vom 17. bis 19. September in der chinesischen Hauptstadt stattfand, bezeichnete ein Verteidigungsbeamter namens Chad Sbragia, der bei einer Sitzung über die Beziehungen zwischen Großmächten sprach, Hegseths Äußerungen als „bedeutenden Sinneswandel“ und fügte hinzu, dass Washington nach Wegen suche, mit Peking zu koexistieren. Sbragia ist nicht irgendjemand. Er war stellvertretender Verteidigungsminister und zuständig für Chinafragen. Darüber hinaus diente er dem US Indo-Pacific Command als stellvertretender Direktor der China Strategic Focus Group sowie als Marineattaché in der US-Botschaft in Peking.

Auch der Pressesprecher des Pentagon erklärte, Hegseth habe in seinem ersten Telefonat mit Verteidigungsminister Dong deutlich gemacht, dass die Vereinigten Staaten weder einen Konflikt mit China suchten noch einen Regimewechsel oder eine Strangulierung des Landes verfolgten. Sbragia sagte dazu: „Es ist ziemlich einzigartig für einen Verteidigungsminister, das öffentlich zu sagen.“ Vielleicht stehe die chinesische Seite dem noch skeptisch gegenüber, so Sbragia, „aber das ist eine erhebliche Veränderung der US-Position“. Im Anschluss an das Gespräch zwischen Hegseth und Dong soll es eine ganze Reihe weiterer diplomatischer Konsultationen gegeben haben, die aller Voraussicht nach der Vorbereitung eines Treffens zwischen Trump und Xi dienen. Anvisiert wird zunächst ein Zusammenkommen zwischen Trump und Xi am Rande des APEC-Gipfels Anfang November. APEC steht für „Asia-Pacific Economic Cooperation“ – ein Forum für wirtschaftliche Zusammenarbeit im asiatisch-pazifischen Raum. Interessanterweise nehmen daran sowohl Staaten aus dem „westlichen Lager“ wie die USA, Australien, Japan und Singapur als auch Mitglieder und Partner der BRICS wie China, Indonesien und Vietnam teil. Auch Russland ist vollwertiges APEC-Mitglied und wird – trotz westlicher Sanktionen – weiterhin auf Staats- oder Ministerebene eingebunden. Südkorea als Gastgeber im Jahr 2025 legt den Fokus laut eigenen Angaben auf “Wohlstand und digitale Transformation für alle”.

Trump kündigte in dem etwa zweistündigen Telefonat mit Xi Jinping zudem an, dass er sich „zu einem frühen Zeitpunkt im kommenden Jahr“ auf den Weg nach China machen wolle. Kurz darauf schrieb Trump auf seinem Social-Media-Kanal, dass der chinesische Präsident im Gegenzug „zur passenden Zeit in die USA reisen“ werde. Wu Xinbo, Dekan der Fakultät für internationale Beziehungen der Fudan-Universität in Shanghai, wird in der Presse mit den Worten zitiert:

„Alles in allem signalisiert das Gespräch, dass die chinesisch-amerikanischen Beziehungen in der kommenden Zeit an Stabilität und Vorhersagbarkeit gewinnen werden.“

Gleichzeitig müsse man alles vermeiden, was diesen Prozess zum Entgleisen bringen könnte.

„Wenn eine Krise hinsichtlich der Taiwan-Frage ausbricht, könnten die bilateralen Beziehungen auch komplett zusammenbrechen, was Treffen und gegenseitige Besuche unmöglich machen würde“,

erklärt Wu, der als Top-Experte auch mit westlichen Einrichtungen eng vernetzt ist. Wu, der auch Gast beim erwähnten Sicherheitsforum in Peking war, meinte vor Ort, dass allerdings erst Taten zählten und nicht Erklärungen von Pentagon-Beamten. Trotz des positiven Ausblicks ist eine gewisse Skepsis also nach wie vor allgegenwärtig.

Trump trifft Xi nicht zum ersten Mal. Im April 2017, kurz nach seiner Amtseinführung, hatte Trump Xi Jinping zunächst zu einem Besuch in Mar-a-Lago, Florida, eingeladen. Noch im selben Jahr, im November 2017, folgte ein Staatsbesuch in Peking. Xi Jinping empfing Trump sogar mit einem „Staatsbesuch plus”, einer besonderen Ehrenform. Beim großen Bankett in der Verbotenen Stadt wurden zahlreiche Handelsabkommen über 250 Milliarden US-Dollar angekündigt. Trump wurde jedoch damals in den USA scharf kritisiert, da er in Peking äußerst höflich und lobend gegenüber Xi auftrat, obwohl er China zuvor als „Vergewaltiger“ der US-Wirtschaft bezeichnet hatte. Medien wie die New York Times und die Washington Post sprachen davon, dass Xi Trump mit einer Art „Kaiser-Empfangsstrategie“ schmeichelte – und Trump darauf angesprungen sei. In der Folge setzten die China-Falken in Washington sofort alles daran, das Ergebnis herunterzuspielen oder zu torpedieren. Ganz vorn standen der damalige Handelsberater im Weißen Haus, Peter Navarro (Autor von „Death by China”), und John Bolton, von 2018 bis 2019 Nationaler Sicherheitsberater, den Trump später feuerte, damit er nicht „den sechsten Weltkrieg” anzettelt.

Auch die Hardliner im Pentagon und im Kongress sahen China als strategischen Rivalen, egal welche kurzfristigen Deals erzielt wurden. James „Mad Dog“ Mattis, Verteidigungsminister von 2017 bis 2018, sah China (neben Russland) als „revisionistische Macht“, die die internationale Ordnung herausfordert. Einflussreiche Senatoren wie Marco Rubio (heute Außenminister) und Tom Cotton warnten vor „zu viel Nähe“ zu Xi. Man begann mit der Einführung von Zöllen gegen chinesische Waren und löste damit den Handelskrieg aus. Es wurden Sanktionen gegen ZTE, Huawei und andere Tech-Firmen verhängt. In der Nationalen Sicherheitsstrategie von 2017 wurde China erstmals offiziell als „strategischer Rivale“ bezeichnet. Durch die Revision strategischer Grundlagendokumente aus den Jahren 2017/18 wurde die China-Politik auf Konfrontation getrimmt. Der Fokus lag dabei auf Großmachtkonkurrenz sowie dem Ausbau der militärischen Präsenz und Allianzen im Indo-Pazifik.

Die China-Falken werden eine Annäherung zwischen den USA und China sicherlich nicht tatenlos hinnehmen. Heute leben wir allerdings in einer dramatisch veränderten Welt. Die BRICS-Staaten sind deutlich einflussreicher geworden und das Gipfeltreffen der Shanghai Cooperation Organisation vor wenigen Wochen gilt als Durchbruch für eine neue multilaterale und multipolare Weltordnung, in der alle Staaten gleichrangig und friedlich koexistieren können. Gleichzeitig werden die Kräfte, die eine unipolare Welt unter anglo-amerikanischer Hegemonie westlicher Eliten aufrechterhalten wollen, mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln kämpfen. Es entstehen Konfliktherde, an denen diese beiden nicht miteinander zu vereinbaren Weltordnungen mit ungeahnter Gewalt kollidieren. Die Ukraine und der Nahe Osten sind nur die offensichtlichsten und brutalsten Schauplätze dafür. Im Westen ist einigen aber klar, dass sie zu einer Minderheit geworden sind, der keine der bewährten Mittel der Einschüchterung mehr zur Verfügung stehen, um die globale Mehrheit zu unterwerfen. Sie können höchstens die Tore zum Armageddon aufstoßen, wie es Israels Premier Netanjahu tut, oder einen atomaren Erstschlagskrieg gegen Russland und China beginnen, wie es Admiral Buchanan vom Strategischen Kommando (Stratcom) der USA fordert. Ist es diese Dynamik, die letztlich zum Treffen zwischen Trump und Putin in Alaska geführt hat? Ist es dieselbe Dynamik, die nun auch Trump und Xi zusammenführen wird? Ein auf persönlicher Ebene vereinbartes Einverständnis zwischen Trump, Xi und Putin könnte das Fundament für mehr Stabilität in der Welt bilden. Bis dahin scheint es jedoch noch viele unbekannte Variablen zu geben.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Die Pastellzeichnung des Bildes zeigt Donald Trump und Xi Jinping beim Schachspiel. Trump wirkt zufrieden und selbstbewusst, vielleicht ein wenig selbstgefällig, während Xi als ängstlich und angespannt dargestellt wird. Der König des chinesischen Staatschefs sitzt auf dem Schachbrett.

Bildquelle: Shutterstock KI / shutterstock


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