Am 22. September 2025 stehen die „Schneemänner mit Würde“ aus Hannover vor der Justizvollzugsanstalt Bielefeld, um dem dort inhaftierten Arzt, der sich für die Gesundheit seiner Patienten eingesetzt hat, ihren Respekt und ihre Solidarität zu zeigen.
Ein Meinungsbeitrag von Andrea Drescher.
Er hat am 11. August 2025 eine Haftstrafe von drei Jahren im Gefängnis antreten müssen, da er Impfbescheinungen ausgestellt hat, die nach dem Wissen von damals nicht hätten ausgestellt werden sollen.
Das Ausstellen falscher Impfbescheinigungen scheint für die deutsche Justiz eine gravierendere Tat zu sein als die Vergewaltigung von Frauen. Die Bestrafung von Heinrich Habig wurde – trotz seines Alters und schlechter gesundheitlicher Befindlichkeit – nicht zur Bewährung ausgesetzt. Vergewaltiger werden dagegen schon mal deutlich schonender behandelt, wie eine kurze Internet-Recherche zeigt. Hier nur drei Fälle:
- Ein 28-Jähriger gesteht, eine schlafende Freundin missbraucht zu haben. Weil sein Beamtenstatus auf dem Spiel steht, verurteilt das Schöffengericht den Mann lediglich zu einer Bewährungsstrafe von elf Monaten – Quelle: Süddeutsche Zeitung
- Frau mehrfach misshandelt, vier Männer nach Vergewaltigungen zu Bewährungsstrafen verurteilt – Quelle: Hessenschau
- Acht der neun Verurteilten wegen einer Vergewaltigung einer 15-Jährigen müssen nicht ins Gefängnis, sie bekamen Bewährungsstrafen – Quelle: Welt
Boris Reitschuster, der den Fall Habig redaktionell begleitet hat, schreibt zu seinem Haftantritt:
„Es ist eine dieser Nachrichten, bei denen man hoffen möchte, sie seien falsch. Doch sie stimmt. Dr. Heinrich Habig, der Arzt aus Recklinghausen, ist wieder im Gefängnis. Diese Woche musste er seine dreijährige Haftstrafe antreten – wie sein früherer Anwalt Wilfried Schmitz bestätigte. Sein „Verbrechen“: Er rettete Menschen vor staatlicher Impf-Nötigung, indem er ohne Impfung Impfbescheinigungen ausstellte. In meinen Augen ein klassischer Fall von Notwehr – und von Zivilcourage. Genau das, was man uns in der Schule beibrachte: Verantwortung übernehmen, selbst denken, nicht blind Befehle befolgen.„
Die Zivilcourage dieses mutigen Arztes und ihre Folgen für ihn sind viel zu wenigen bekannt. Das soll durch die Aktion der „Schneemänner mit Würde“ anders werden. Ich sprach mit der Gründerin Kristina Scheyhing über diese recht auffällige Gruppe, ihre Entstehung und über die geplante Aktion in Bielefeld.
Wann und wie sind die Schneemänner entstanden?
Die Schneemänner mit Würde sind entstanden in der 2G-Corona-Zeit. Im November 2021 haben wir uns das erste Mal getroffen, weil wir das Gefühl hatten, wir möchten gerne eine Alternative zu den lauten Demos bieten. Wir glaubten, wir bewegen die Menschen auf der Straße durch so eine stille Aktion vielleicht nochmal anders.
Die Geschichte war damals richtig krass. Wir durften uns ja gar nicht treffen. Wir haben das dann etwas „undercover“ gemacht an geheimen Orten. Da ich noch aktiv in der Basis war, kannte ich viele und habe dann einfach ein Rundschreiben verschickt, dass ich eine neue Aktion plane.
Gemeinsam mit einem befreundeten Regisseur habe ich mich hingesetzt und die Idee der Phantome aus der Schweiz und Österreich aufgegriffen und weiterentwickelt.
Die habe ich in Österreich auch unterstützt. Warum hast Du deren Konzept nicht übernommen?
Sie sind mit ihren weißen Anzügen und Masken durch die Städte gezogen und haben dystopische Lautsprecheransagen verbreitet. Uns schien das ganz negativ. Wir wollten gerne eine positive Botschaft nach außen bringen. Wir wollten die Menschen, die Herzen der Menschen berühren.
Deswegen haben wir uns entschieden, uns hinzustellen. Einfach mit positiven Wortbotschaften vor der Brust verwurzelt am Boden stehen und als Kontrast dazu diese Einheitsanzüge. Damals war das ja so, dass wir alle nur das Gleiche sagen und denken durften. Wir sollten uns an die Regeln halten. Nichts hinterfragen. Als jemand, der von der Bühne kommt, war das ein aussagekräftiger Ausdruck dafür, was sie von uns wollten.
Welche Botschaften verwendet Ihr?
Meist sind es nur zwei Begriffe, die wir auswählen bei einer Aktion, um die Menschen nicht gedanklich zu überfordern. Nur bei unseren Jubiläumsaktionen tragen wir alle Schilder, die wir haben.
Von Anfang an stehen wir jeden Montag, jede Woche, immer mit zwei Wortbotschaften. Das kann sein Liebe, Mut, Aufarbeitung oder Würde. Würde ist ja der namensgebende Begriff. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Wir standen damals vor einer Fotogalerieeröffnung, um darauf hinzuweisen, dass Menschen hier nicht rein dürfen. Dass Menschen ausgegrenzt werden aufgrund ihrer Entscheidung, sich nicht impfen zu lassen. Das war unser erster Auftritt am 1. Dezember 2021.
Wie viele seid ihr insgesamt?
Wir sind ein fester Kern von circa 20 Schneemännern, die jeden Montag stehen. Wir stellen uns schön groß auf, das wirkt. Insgesamt sind es wohl rund 80 Aktive und wenn wir besondere Aktionen haben wie zum Beispiel für Arne Schmitt, der vor kurzem ins Gefängnis kam, oder für Heinrich Habig, sind mehr dabei.
Auch Gäste?
Ja klar. Ich habe hier zwei Schränke voller Anzüge und Schilder. Und sind Menschen vor Ort, die gerne auch mal mitstehen wollen, ist das kein Problem.
Wo „steht“ Ihr außer montags in Hannover?
Ab und zu fahren wir am Wochenende zu Demonstrationen. Anfangs waren wir bei einer Friedensdemo in Berlin. Da standen wir währen der Demo am Brandenburger Tor. Wir waren schon in vielen anderen Städten. In Hamburg, in Wolfsbüttel, in Herford – Städte im Umkreis, aber auch durchaus ein bisschen weiter weg. Einmal gab es eine ganz besondere Aktion in London, als einige von uns zur Anhörung von Julian Assange gefahren sind und wir vor dem Gerichtsgebäude standen. Das war bisher die weiteste Reise.
Unsere regelmäßigen Mahnwachen in der Vergangenheit waren für Julian Assange, aktuell für andere politische Gefangene wie Arne, der uns oft mit seinem Piano begleitet hat.
Er hat bei Euch gespielt?
Ja, während die Schneemänner standen, hat er Klavier gespielt. Das war immer sehr berührend. Darum ja auch die zeitgleichen Mahnwachen in Hannover und Berlin. Aber es geht uns immer um alle, die verfolgt werden. Ob für Arne oder den Soldaten Alexander Bittner, es ist für uns immer ein Symbol für die anderen politisch Verfolgten und Gefangenen. Wenn wir mit den Passanten darüber sprechen, machen wir das deutlich. Es werden ja immer mehr. Darum fahren wir auch nach Bielefeld, um eine Mahnwache für Heinrich Habig zu machen.
Wer finanziert euch?
Wir finanzieren uns selber. Wir haben ja nur die Anzüge, die Schilder. Bei Aktionen sammeln wir mit unserer Schenkungsbox, damit wir weitere Anzüge kaufen oder die Schilder und kleine Karten drucken können. Das reicht. Da mein Mann Fotograf und Grafiker ist, fallen für die Gestaltung auch keine Kosten an. Und die Reisekosten trägt jeder selbst.
Ihr seid also völlig unabhängig?
Genau, wir sind unabhängig. Parteilos. Eigenverantwortlich.
Welche Ziele verfolgt Ihr konkret?
Uns ist wichtig, dass die Leute erst mal hingucken, neugierig werden. Was ist das für eine Aktion? Viele Menschen bleiben dann auch tatsächlich stehen, manchmal sogar in großen Trauben. Sie fragen sich: „Was meinen die damit?“, wenn da z.b. Aufarbeitung steht.
Wir wollen bewusst nicht gleich belehrend oder erklärend sein mit unseren Begriffen. Der Begriff Frieden ist klar, wobei auch da einige anfangen zu diskutieren, was Frieden wirklich ist. Dann gibt es bei uns Kommunikatoren, die außen stehen – meist sind wir zu dritt – und mit den Passanten, die Fragen haben, ins Gespräch gehen. Es ist total wichtig, dass wir mit den Leuten sprechen. Jeder versteht ja etwas anderes unter Liebe, Respekt oder Freiheit. Und das Spannende ist dann, andere Sichtweisen und andere Meinungen kennenzulernen, zu respektieren und darüber zu diskutieren.
Ich glaube, dass wir nur dadurch unsere Gesellschaft wieder heilen können, wenn wir uns gegenseitig zuhören und anhören. Und das passiert bei den Aktionen.
Wie kam es zur Mahnwache für Heinrich Habig?
Ich bin mit Sabrina Kollmorgen befreundet und wir waren vor kurzem zusammen in Herford – bei einer Aktion der Schneemänner mit Würde. Sabrina hat nach unserem Vorbild die „Schneemenschen“ in Berlin mitgegründet, die besonders Aktionen für inhaftierte Ärzte durchführen. Nachdem er Anfang August in Bielefeld inhaftiert wurde, haben wir uns überlegt, dass wir uns vor dem Gefängnis für ihn aufstellen sollten. Am 22. September wird eine stille Mahnwache für ihn stattfinden. Das ist angemeldet und auch mit seiner Frau abgesprochen. Sie sagt, er wird sich mit Sicherheit freuen darüber.
Dieser mutige und engagierte Arzt steht auch stellvertretend für die anderen Ärzte aus der Corona-Zeit, die bestraft wurden, im Gefängnis sitzen oder sogar das Land verlassen mussten.
Es ist uns sehr wichtig, dass wir uns immer wieder auch dafür einsetzen, damit die Menschen das nicht vergessen. Viele Passanten auf der Straße haben noch nie etwas davon gehört, dass es auch hier in Deutschland politisch verfolgte Menschen gibt, die hart bestraft werden. Ganz viele Ärzte, die sich für ihre Patienten eingesetzt haben, werden einfach bestraft, während die eigentlich Verantwortlichen, die wirklich Schaden angerichtet haben, immer noch frei herumlaufen.
Was erwartet Ihr euch von der Mahnwache in Bielefeld?
Wir wollen erinnern, dass Menschen wie Heinrich Habig, die wirklich ihren Kopf hingehalten haben, nicht vergessen werden. Wir wollen die Aufmerksamkeit einfach immer wieder neu beleben. Innerhalb unserer medialen Blase, aber auch außerhalb, auf der Straße.
Es kommt wohl eher kein Bericht im ZDF, dass wir das machen. Aber trotzdem glaube ich, dass es eine wichtige Aufklärungsarbeit ist. Wenn Artikel und Bilder erscheinen, die dann über Messenger weiter geleitet werden, kann man Menschen erreichen. Wenn ich Sachen an meine Mutter schicke, die anders denkt als ich, fällt sie doch immer wieder aus allen Wolken und denkt: „Das wusste ich ja gar nicht“. So erreichen wir vielleicht weitere Menschen außerhalb dieser Bewegung. Das ist unsere Hoffnung.
Was ist für den 22. September geplant?
Wir werden eine leise Mahnwache und ein paar Interviews durchführen. Wichtig ist uns, dass wir ein Zeichen für Heinrich Habig setzen und ihm unseren Respekt zollen.
Dann wünsche ich Euch viel Erfolg!
Weitere Betroffene
Unzählige Ärzte, denen ihr hippokratische Eid wichtiger war als Regierungsvorgaben, hatten und haben mit ähnlichen Verfahren zu kämpfen. Sie wurden verurteilt zu oft hohen Geld- und/oder Bewährungsstrafen und haben teilweise auch ihre Approbation verloren. Einige haben Deutschland und Österreich inzwischen verlassen. Derzeit sind m.W. noch folgende Ärzte von Gefängnis betroffen bzw. stehen laufenden Verfahren:
- Dr. Volkhard Pschierer (inhaftiert)
- Perin Dinekli (Verfahren)
- Dr. Monika Jiang (Verfahren)
- Dr. Bianca Witschel (Verfahren)
Ich vermute, dass es – neben den mir bekannten Fällen – noch zahlreiche weitere gibt. Für Perin Dinekli hat der Journalist Matthias Tretschog die Solidaritätskampagne „Fotokampagne Freispruch für Perin Dinekli“ ins Leben gerufen, die auf Telegram zu finden ist.
Unterstützung für Heinrich Habig – Unterstützungsschreiben an:
JVA Bielefeld-Senne
Senner Str. 250
33659 Bielefeld
Spenden
Förderverein Weißer Kranich e.V.
KONTO IBAN
DE56 7645 0000 0232 1701 91
Schenkung Heinrich Habig
www.aerzte-stehen-auf.de
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 21. September 2025 auf tkp.at.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Mann in Arztkittel in Handschellen und mit Stethoskop in den Händen
Bildquelle: Fuss Sergey / shutterstock
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