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Lars Klingbeil – die graue Eminenz? | Von Uwe Froschauer

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Ein Kommentar von Uwe Froschauer.

Der Niedersachse Lars Klingbeil steht fast an der Spitze seiner möglichen politischen Laufbahn. Die SPD-Basis hat ihm grünes Licht für die Positionen des Vizekanzlers und Finanzministers in der neuen schwarz-roten Regierung gegeben. Die SPD-Mitglieder haben mit einer Mehrheit von 84,6 Prozent für eine schwarz-rote Koalition gestimmt – 2013 waren es nur 76 und 2018 nur 66 Prozent. Allerdings stimmten lediglich 56 Prozent der 358.000 SPD-Mitglieder ab.

Die SPD will mit Lars Klingbeil als Frontmann in die neue Regierung einziehen. Lars Klingbeil wäre dann die Nummer 2 in der Regierung. Das Präsidium der SPD gab Klingbeil überdies den Auftrag, die sechs anderen Ministerinnen und Minister der SPD am 5. Mai 2025 in Absprache mit Generalsekretär Miersch, Co-Parteichefin Saskia Esken sowie den SPD-Ministerpräsidentinnen und -Ministerpräsidenten zu benennen. Dabei wolle die Partei „auf Erfahrung, aber auch auf neue Gesichter und sichtbare Schritte zu einem Generationswechsel in der SPD" setzen. Es werde ein "starkes und kompetentes Regierungsteam".

Verteidigungsminister Boris Pistorius wird sein Amt ziemlich sicher behalten, auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze könnte im Amt bleiben, Bärbel Bas könnte das Ressort Arbeit und Soziales übernehmen, Sonja Eichwede Justiz und Verbraucherschutz, und Verena Hubertz eventuell Umwelt und Klimaschutz. Die intern und extern umstrittene SPD Co-Chefin Saskia Esken dürfte nach meiner Einschätzung leer ausgehen. Am 5. Mai wird auch der Koalitionsvertrag unterschrieben – zumal CSU und CDU dem Koalitionsvertrag bereits zugestimmt haben. Einen Tag später wird Friedrich Merz aller Voraussicht nach zum Bundeskanzler gewählt.

Die SPD hatte seit 138 Jahren mit 16 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis in einer Bundestagswahl eingefahren. Trotz der bitteren Wahlniederlage am 23. Februar 2025 fuhr Klingbeil noch am gleichen Abend in die Parteizentrale, dem Willy-Brandt-Haus in Berlin, um sich den strategisch wichtigen Fraktionsvorsitz zu sichern. Am 26. Februar 2025, drei Tage nach dem Bundestagswahldebakel, wählten ihn die Sozialdemokraten mit 85,6 Prozent zu ihrem Fraktionschef. Dadurch wurde Klingbeil zum Haupt-Ansprechpartner für den designierten Bundeskanzler Friedrich Merz und führte die entscheidenden Gespräche beispielsweise mit dem CSU-Politiker Alexander Dobrindt, als die Koalitionsverhandlungen auf der Kippe standen. Andere wie Co-Parteichefin Saskia Esken blieben oftmals außen vor.

Der Weg an die Spitze

Seit Dezember 2021 ist Lars Klingbeil zusammen mit Saskia Esken einer der beiden Bundesvorsitzenden der SPD. Der 47-jährige Lars Klingbeil zählt innerhalb seiner Partei zum konservativen Seeheimer Kreis. Im Februar 2025 wurde er zusätzlich Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion. Zwei Monate später, am 30. April 2025, wurde Lars Klingbeil von der Parteiführung als Vizekanzler und Bundesfinanzminister im Kabinett von Friedrich Merz nominiert.

Sein politisches Wirken begann bereits in seiner Schulzeit. Er war Schülersprecher am Gymnasium im niedersächsischen Munster (Heidekreis) – wo er aufwuchs – und bereits Mitglied der lokalen Antifa. Schon damals demonstrierte der sympathisch wirkende, 1978 in Soltau geborene Klingbeil gegen rechts, für ein besseres Schulsystem und für einen Discobus. Als Schülersprecher hatte er seinerzeit einen „Discobus“ durchgesetzt, nachdem es auf den Heimfahrten von der Disco in Bispingen im Landkreis Heidekreis in Niedersachsen, 15 Kilometer von seiner Geburtsstadt entfernt, immer schwere Autounfälle gegeben hatte. Sein Vater war Berufssoldat, seine Mutter Einzelhandelskauffrau. Trotz der Profession seines Vaters verweigerte Sohn Lars den Wehrdienst und leistete Ersatzdienst bei der Bahnhofsmission in Hannover.

Die Zeit beim Zivildienst habe ihn sehr geprägt, so Klingbeil – besonders die Gespräche mit den Suchtkranken und Obdachlosen. „Da waren Top-Anwälte dabei", erinnerte er sich.

„Das waren Leute, die hatten es eigentlich geschafft und sind dann komplett abgestürzt."

Aus dieser Zeit habe er eine wichtige Lehre für sich gezogen: „Man muss jeden Tag genießen, den man vernünftig, wohlbehütet in dieser Gesellschaft hat."

Den letzten Satz von Herrn Klingbeil unterschreibe ich uneingeschränkt.

Im Vergleich zu den meisten anderen mir bekannten Spitzenpolitikern dürfte Klingbeil näher in Kontakt mit den tatsächlichen Bedürfnissen und Ängsten der Bürger gekommen sein. Meines Erachtens müsste es zur Pflicht für jeden „Volksvertreter“ werden, zwei Jahre Sozialdienst zum Beispiel im Altenheim, in einer Bahnhofsmission oder als Streetworker zu leisten. Unsere Politiker sind größtenteils meilenweit von den Bedürfnissen der Bevölkerung entfernt, scheint mir. Andererseits jungen Menschen Sessel-furzender Weise Wehrpflicht auferlegen zu wollen, um im Ernstfall als Kanonenfutter zu dienen, halte ich für unverantwortlich. Sollen die politischen Befürworter zuerst ihre Kinder und Enkel schicken, dann wird sich das mit der Wehrpflicht schnell erledigen.

Was mich in zweierlei Hinsicht sehr befremdet, ist, dass Klingbeil praktisch vorbehaltlos hinter der mit deutschen Steuergeldern finanzierten Ausstattung der Ukraine mit Waffen steht. Die Unterstützung werde „politisch, finanziell und militärisch“ so lange weitergehen, wie sie die Ukraine brauche. Der einstige Kriegsdienstverweigerer setzt sich ohne Wenn und Aber für eine massive Aufrüstung der Bundeswehr ein.

„Wir müssen unsere Verteidigungsfähigkeit so stark machen, dass wir nie wieder Krieg führen müssen”,

argumentierte Klingbeil in der Diskussion um die Aufhebung der Schuldenbremse. Anscheinend ist auch Lars Klingbeil dem Oxymoron „Mit Waffen Frieden schaffen“ auf den Leim gegangen. Nun gut, er ist ja erst 47 Jahre alt, und hat im Gegensatz zu Friedrich Merz noch die Möglichkeit, die Einsicht zu gewinnen, dass Gewalt wieder Gewalt erzeugt. Und Waffen bedeuten Gewalt, was diesen ruchlosen Bellizisten anscheinend nicht klar ist.

Wie kann Klingbeil als angeblicher Arbeitnehmervertreter dafür sein, den deutschen Steuerzahler zu schröpfen, um einen sinnlosen und für die Ukraine von Anfang an nicht gewinnbaren Krieg zu finanzieren. Ich sehe in München tagtäglich Rentner die Abfalleimer nach Pfandflaschen absuchen. Wie will Klingbeil diesen um die Existenz kämpfenden Menschen die vielen, in die Ukraine verschobenen, nicht wertschöpfenden Milliarden Euros erklären? Zum anderen: Wie kann er als ehemaliger Pazifist und Wehrdienstverweigerer seine momentane Haltung verteidigen?

Im ARD-Talk "deep und deutlich" am 22. Juni 2024 erklärte Klingbeil auf Fragen zur russischen Invasion in der Ukraine und damit verbundenen Waffenlieferungen und der Einsatztüchtigkeit der Bundeswehr:

„Das macht mir Sorgen… ich hätte nicht gedacht, dass meine Politikergeneration auf einmal diejenige ist, die sich ernsthaft wieder Gedanken um die Frage machen muss: Schaffen wir es, einen Krieg zu verhindern."

In diesem Zusammenhang halte er es für richtig, "die Bundeswehr hochzufahren", und relativierte: "Alles nicht, weil ich will, dass wir das einsetzen. Aber ich glaube, dass Putin zu einem gewissen Maße nur die Sprache der Stärke und der Härte versteht."

Als Gastgeber Aurel Mertz Klingbeil nach seiner Meinung zu einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht fragte, äußerte der sich „zwiegespalten". Sowohl eine „Massenarmee" als auch einen „Zwangsdienst" fand Klingbeil falsch. „Ich würde mir wünschen, dass sich jeder junge Mensch damit auseinandersetzt, ob er das will oder nicht.“ Nach der Ernstsituation gefragt, antwortete Klingbeil:

„Ich glaube, wenn ich mein Land verteidigen müsste, würde ich auch zur Waffe greifen."

Ich würde in diesem Fall nicht zur Waffe greifen, weil meines Erachtens die europäischen Bellizisten wie Keir Starmer, Emmanuel Macron und demnächst Friedrich Merz diesen Härtefall provoziert hätten.

1999 begann Klingbeil an der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Universität in Hannover ein Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Geschichte, und schloss 2004 mit dem Magister ab. In Hannover arbeitete der leidenschaftliche Hobbygitarrist und Fußballfan in dieser Zeit im Wahlkreisbüro des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder.

„Als Torwart war ich zu schlecht. Und als Rockstar hätte ich gern Karriere gemacht, aber das wollte das Publikum nicht“,

sagte Lars Klingbeil der Bunten.

„Meine Bands ‚Sleeping Silence‘ und ‚Pflaumenmus‘ waren auch nicht für eine Weltkarriere geschaffen“.

Ich teile das gleiche Schicksal mit Herrn Klingbeil.

Fußball-Fan ist er nach wie vor, und sitzt sogar im Verwaltungsbeirat des FC Bayern. Warum nicht Sankt Pauli, HSV oder Hannover 96 werden Sie sich fragen. „Das kam wohl aus Opposition zu meinem Vater, der echter HSV-Anhänger ist. Beim FC Bayern fühle ich mich willkommen, auch unter CSU-Mitgliedern. Die Farbe Rot verbindet uns. Ich habe ein durch und durch rotes Herz,“ so Klingbeil.

Lars Klingbeil scheint ein Mann aus dem Volk zu sein.

Von 2001 bis 2004 finanzierte sich Lars Klingbeil teilweise über ein Stipendium der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Bereits 2003, ein Jahr vor Abschluss seines Studiums, wählten ihn die Jusos zum Bundesvorsitzenden. Von Mai 2003 bis November 2007 war der 1,96 Meter große Hüne – und damit ist er als künftige Nummer 2 auch nur um zwei Zentimeter kleiner als Friedrich Merz – einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Jusos. Dieses Amt bekleidete Klingbeil bis 2007. Im Jahr 2006 wurde er Kreistagsabgeordneter im Heidekreis. Im Bundestag sitzt er wie bereits erwähnt, seit 2009, und ist seit Dezember 2021 Parteivorsitzender der SPD. Nun soll er zum – offiziell – zweitmächtigsten Mann Deutschlands aufsteigen.

Wenn man allerdings den Verlauf der Koalitionsverhandlungen beobachtet hat, gewinnt man den Eindruck, dass Lars Klingbeil am längeren Hebel als der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz saß. Friedrich, der Große, möchte unbedingt Bundeskanzler werden – koste es, was es wolle. Und ohne Herrn Klingbeil geht es nicht. Saskia Esken hatte eher die Funktion eines „Adabeis“. Der Koalitionsvertrag trägt in meinen Augen eindeutig die Handschrift von Lars Klingbeil und ist geprägt von Zugeständnissen an die SPD. Ich würde ihn als ein links-grünes Abkommen bezeichnen – vom vor der Wahl angekündigten konservativen Politikwechsel keine Spur, eher ein „Weiter so“ der Ampelpolitik, allerdings noch bellizistischer. Ich hoffe, Lars Klingbeil vermag es, dem kriegstreiberischen und diesbezüglich ignoranten Friedrich Merz Einhalt zu gebieten.

Seine Positionen Vizekanzler und Bundesfinanzminister

Das SPD-Präsidium habe sich für die personelle Besetzung dieser Posten einstimmig ausgesprochen, erfuhr die Nachrichtenagentur AFP am Mittwoch, den 30. April 2025 aus Parteikreisen. Lars Klingbeil begründete in einem Schreiben an die SPD-Bundestagsfraktion diese Entscheidung, wie folgt: "Das Bundesfinanzministerium ist der Ort, an dem wir unsere Schwerpunkte und insbesondere das große Finanzpaket mit dem Sondervermögen Infrastruktur vorantreiben und umsetzen können", und diese Aufgabe wolle er "mit großer Entschlossenheit" angehen.

Klingbeil machte in seinem Brief deutlich, die SPD gehe nicht als "Aufpasser oder als reines Korrektiv" in die Regierung. "Wir wollen gestalten." Nötig sei "ein wirtschaftlicher Turnaround für neues Wachstum, eine starke Industrie und sichere Arbeitsplätze", so Klingbeil. Mit dem 500 Milliarden schweren Sondervermögen Infrastruktur müsse Deutschland "systematisch" modernisiert werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollen laut Klingbeil im Mittelpunkt der Politik der Bundesregierung stehen.

Und genau diese Arbeitnehmerverbundenheit nimmt die Bevölkerung der ältesten und traditionsreichsten Partei Deutschlands, der SPD, immer weniger ab. Die SPD wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Milieu- oder Klassenpartei der Arbeiterschaft gegründet. Sie sieht sich nach wie vor als linke Volkspartei mit ihren Wurzeln in der Arbeiterbewegung. In der Vergangenheit hatte die SPD sowohl in Arbeiterkreisen als auch im liberalen Bildungsbürgertum großen Rückhalt. Dieser Rückhalt bröckelt jedoch, wie das letzte Bundestagswahlergebnis zeigt. Die Menschen glauben der SPD den Nimbus der „klassischen Partei der Arbeiterschaft“ nicht mehr. Verstärkt wurde die diesbezügliche Debatte durch die jüngsten Umfragewerte der SPD sowie das Erstarken von BSW und AfD. Eine Civey-Umfrage vom 1.Mai 2025 (vorläufiges Ergebnis) ließ die SPD ziemlich alt aussehen:

Vertritt die SPD Ihrer Ansicht nach aktuell die Interessen der Arbeiterschaft im ausreichenden Maße?

  • Ja, auf jeden Fall: 9,2%
  • Eher ja: 10,1%
  • Unentschieden: 6,9%
  • Eher nein: 15,4%
  • Nein, auf keinen Fall: 58,4%

Das Amt als Fraktionsvorsitzender, das Klingbeil erst Ende Februar übernahm, will er wieder aufgeben. Er arbeite dafür, „dass in enger Abstimmung mit den Strömungen und Landesgruppen ein Gesamttableau für die zukünftige Führung der Fraktion entwickelt wird", schrieb er in seinem Brief. Die Politik der kommenden vier Jahre solle „maßgeblich" auch aus der Bundestagsfraktion heraus geprägt werden, versicherte Klingbeil. Dafür gelte es, die "bestmögliche Teamaufstellung" zu finden.

Ausblick in die Zukunft

Wahrscheinlich wird Lars Klingbeil 2029 versuchen – falls die Große Koalition so lange hält – für das Amt des Bundeskanzlers zu kandidieren. Auch Olaf Scholz war zuvor Finanzminister unter Angela Merkel. Als Finanzminister bekleidet Klingbeil das wohl einflussreichste und mächtigste Ressort. Er besitzt bei der Ausübung seiner Aufgaben ein umfangreiches Vetorecht bei Regierungsvorhaben, und wird auch auf internationalen Treffen wie G20- und G7 in seiner Funktion als Vizekanzler präsent sein. Da Lars Klingbeil im Gegensatz zu Olaf Scholz vermutlich SPD-Chef bleiben wird, dürfte seine Macht größer werden als die von Olaf Scholz seinerzeit.

Macht macht mächtig, zu viel Macht eventuell übermächtig. Es bleibt zu hoffen, dass der designierte Vizekanzler und Bundesfinanzminister auf dem Teppich bleibt, und den BlackRock-Agenten und Kriegstreiber Friedrich Merz in seine Schranken weist.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Lars Klingbeil
Bildquelle: photocosmos1 / shutterstock


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