Ein Standpunkt von Anke Behrend.
Die größte Propagandamaschine der Geschichte
Das Selbstverständnis der USA als führende Weltmacht ist eine tragende Säule der US-amerikanischen Identität, die sich nicht auf Jahrtausende alte Geschichte berufen kann, sondern ihre Existenz den zwei Erbsünden der europäischen Kolonialisten verdankt: Der nahezu völligen Ausrottung der indigenen Völker und der Sklaverei. In einer beispiellosen, religiös unterfütterten Heldenerzählung gelang es den USA aus dem blutigen Prozess ihrer Entstehung von der Amerikanischen Revolution, über die Unabhängigkeitserklärung, die Verfassung der Vereinigten Staaten und den Bürgerkrieg einen Gründungsmythos zu formen, der das Selbstverständnis als Demokratie, Weltmacht und Licht der Freiheit rechtfertigt sowie den Anspruch auf eine Sonderrolle – im US-amerikanischen Verständnis eine Führungsrolle – begründet. Zahlreiche Äußerungen zeugen von dieser beispiellosen Hybris. Prägnant beschreibt dies Stephen Kinzer 2006: die USA seien „die einzigen in der Geschichte der Neuzeit (…), die überzeugt sind, dass sie Gottes Werk verrichten, indem sie ihr politisches und wirtschaftliches System anderen bringen.“ (1) (2)
Dieser Exzeptionalismus ist das in die US-amerikanische Identität eingewobene Bewusstsein, besonders und einzigartig zu sein, der sprichwörtliche „Beacon of Hope“. Unter Berufung auf Gott beanspruchen die USA Privilegien und fühlen sich internationalem Recht nur bedingt verpflichtet. De Facto stellt der US-amerikanische Exzeptionalismus eine Ideologie dar, die die historischen Schandflecke bemänteln und die imperialistischen Machenschaften der USA rechtfertigen soll. Politisch, wirtschaftlich und militärisch ist diese US-amerikanische Anmaßung spätestens nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus unübersehbar. Mit ihrer Kultur sind die USA längst in nahezu jeden Winkel der Erde vorgedrungen. Keiner anderen Nation ist dies je gelungen.
„Der einfachste Weg, eine Propagandaidee in die Köpfe der meisten Menschen zu bringen, besteht darin, sie durch das Medium eines Unterhaltungsfilms einfließen zu lassen, wenn sie nicht merken, dass sie propagiert werden.“, Elmer Davis, Direktor des United States Office of War Information (3).
Die wichtigste Rolle bei der Verbreitung US-amerikanischer Kultur und Wertvorstellungen spielen die modernen Massenmedien. Bereits im Zuge der Machtergreifung durch die NSDAP und die darauf folgende Emigration zahlreicher jüdischer Filmschaffender in die USA verlagerte sich der Schwerpunkt des gerade im Entstehen befindlichen Filmgeschäfts aus Deutschland nach Amerika und wurde während des Zweiten Weltkriegs ausgebaut „zum inoffiziellen Propaganda-Arm des US-Militärs“. Die Unterabteilung „Bureau of Motion Pictures“ des „Office of War Information“ (4) überprüfte von 1942 bis 1945 1.652 Drehbücher auf Konformität zur US-amerikanischen Kriegspropaganda. (5)
Nach dem Sieg über Hitlerdeutschland brachten US-amerikanische Besatzer ihre Musik, ihre Filme und den amerikanischen Lifestyle mit nach Europa und setzten den Propagandafeldzug mit den Mitteln der Kultur bis heute fort.
Dazu die deutsche Wikipedia:
„In den 1950er und 1960er Jahren, in den frühen Jahren des Kalten Kriegs, wurde die Regierung der Sowjetunion kritisiert und in subtiler Form in der Kunst herabgesetzt. Dies geschah in den Bereichen Film, Fernsehen, Musik und Literatur.“ (6) (Stand Februar 2024)
Die US-amerikanische Filmindustrie ist heute weltweit führend. Laut Statista betrug der Umsatz der Filmindustrie in den USA im Jahr 2020 rund 20,9 Milliarden US-Dollar. Auf Platz zwei bleibt China trotz seiner knapp 7 Milliarden international ohne Relevanz. Deutschland belegt den fünften Rang mit 2,3 Milliarden Dollar und ist im internationalen Filmgeschäft ebenfalls bedeutungslos. Das indische Bollywood produziert zwar weltweit die meisten Filme aber ohne Reichweite über den indischen Markt hinaus. (7)
Filme und Serien transportieren auf mehr oder weniger unterschwellige Art die sogenannten „westlichen Werte“ und mithin die in wohlfeile Euphemismen gekleidete amerikanische Hybris in die ganze Welt. So stand beispielsweise bis in die 1960er und 70er Jahre noch das Genre Western hoch im Kurs, um verpackt in spannende Abenteuer die Mähr von den indigenen Völkern als unzivilisierten Wilden und hinterhältigen Untermenschen zu erzählen, derer man sich zu erwehren hatte. Western-Fernsehserien wie „Rauchende Colts“, „Bonanza“ oder „Die Leute von der Shiloh Ranch“ verklärten die buchstäbliche Wild-West-Mentalität verbrämt mit klebrigem Familienkitsch zu leicht verdaulicher Vorabendunterhaltung.
In den 1980er Jahren transportierten US-amerikanische Erfolgsserien wie „Dallas“, „Denver Clan“ und ihre Spin-Offs die glamouröse Welt der US-Oberschicht in über 90 Länder. Und als an einem Dienstag im April 1986 die Tagesschau den Reaktorunfall in Tschernobyl vermeldete, mag für manchen der Serientod von Bobby Ewing am selben Abend die größere Katastrophe gewesen sein (7).
Mit dem großflächigen Erscheinen des Privatfernsehens in der deutschen Medienlandschaft 1981 nahm der Einfluss US-amerikanischer Popkulturproduktionen weiter zu. Seinen Ursprung hatte das kommerzielle Privatfernsehen – Achtung Überraschung! – in den USA. Es startete am 1. Juni 1941 als „Commercial TV“ mit den Sendeanstalten NBC und CBS und erreichte 1955 Europa. In Deutschland startete SAT1 seinen Betrieb 1985. RTL zog 1988 nach mit expliziter Ausrichtung auf das konservative Lager. (8)
Neben exzessiver Werbung fiel das Privatfernsehen von Beginn an mit Lizenzproduktionen vor allem US-amerikanischen Ursprungs auf. Unter den bekanntesten finden sich international lizenzierte TV-Shows wie „Das Supertalent“, „Der Bachelor“, „The Biggest Loser“ oder „Let’s Dance“ aber auch Serien wie „Stromberg“. Andere Formate beziehen sich in der Stilistik auf US-Produktionen, sind aber für deutsche Sehgewohnheiten adaptiert und keine Lizenzprodukte. Seichte Unterhaltungsgenres wie Daily-Soaps, Doku-Soaps, Campus-Serien und Reality TV sind US-amerikanischen Ursprungs und dienen als Verpackung für Werbeblöcke.
Heute stehen aktuelle Interpretationen der US-Narrative im Fokus. „The American Dream“ (9), das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, sozialer Aufstieg, Konsumismus, „the american Way of Life“ und Rollenbilder aber auch Zukunftsvisionen mit transhumanistischem Anstrich und natürlich Katastrophen aller Art. Von Pandemie über Atomkrieg, Aliens und Klimakatastrophe werden alle gängigen Krisennarrative mehr oder weniger offensichtlich bespielt. Verherrlichung von Eroberung, Krieg und Militär verbrämt mit gefälliger Selbstkritik erzeugt den Eindruck von ausgewogener Reflektiertheit. Fiktionale Rückgriffe auf vormoderne Stoffe normalisieren Gewalt, Zivilisationsbrüche und Manichäismus (10). Oft gibt es einen dumpfen, unzivilisierten Gegner, der von „Homegrown Heroes“ besiegt wird. Nach wie vor werden Filmproduktionen vom Pentagon auf inhaltliche Konformität geprüft und finanziell unterstützt. Die Liste dieser Produktionen ist lang. Sie umfasst militärisch orientierte Stoffe wie „Air Force One“ und „Top Gun“, aber auch „King Kong“, „Godzilla“, „Das Schweigen der Lämmer“, „Wonder Woman“, „Star Trek IV“ und James Bond Filme (4).
Rund um das TV- und Filmgeschäft gruppiert sich heute das gesamte Spektrum der Unterhaltungsindustrie in einer gigantischen selbstreferentiellen Blase. Popmusik, Filmmusik, Stars, Influenzer, Spiele, Merchandising, Sportler, Mode, Boulevard-Medien und Filmpreise runden das globale Marketing ab, generieren Fans, Aufmerksamkeit und Einfluss. Stars aller Genres stehen als Meinungsmacher direkt oder indirekt für politische Werte und Aussagen. Companys wie Disney rekrutieren die Zielgruppen der Zukunft. Mit Merchandising, Disney-Franchise-Charakteren und -Marken erzielte Disney Consumer Products 2021 einen weltweiten Umsatz von 56,2 Milliarden US-Dollar (11).
Mindestens ebenso bedeutend wie die visuellen Medien ist die Musikindustrie. Allerdings transportiert sie weniger offensichtlich „westliche Werte“, sondern eher ein Lebensgefühl, Freiheit, Coolness, wohl temperierte Rebellion und allgemeine Identifikation mit der US-amerikanischen Popkultur und dem Lifestyle ihrer Leitfiguren. Wer auf dem internationalen Markt reüssieren will, tut gut daran, sein Produkt amerikanisch anmuten zu lassen und kaum jemand, der heute die Politik der USA kritisiert, kommt ohne das Bekenntnis aus, dennoch ein Amerika-Fan zu sein, die Musik zu schätzen, den Jazz, den Rock’n’Roll, Pop, Rap und vieles andere mehr. Es existiert keine weltweit tonangebende Musikrichtung, die nicht mit den USA in Verbindung gebracht werden kann oder durch US-Künstler zu Popularität gelangt wäre. Die USA haben den größten Anteil am internationalen Musikmarkt und nicht zufällig sind zwei der größten Major-Labels Ableger von US Filmstudios. Führend sind die Universal Music Group mit einem Weltmarktanteil von 32% im Jahr 2022 und die Warner Music Group vor dem japanischen Label Sony Music Entertainment. Universal besitzt die Verwertungsrechte für namhafte internationale Stars wie die südkoreanische Boyband BTS, ABBA, Taylor Swift, Ariana Grande und etliche mehr. Aber auch deutsche Künstler wie Helene Fischer, Rammstein und Sido finden sich im Portfolio. (12) (13)
Der Markt der digitalen Medien ist mit Google, Apple, Microsoft, Netflix, YouTube, Amazon, Comcast und anderen fest in US-amerikanischer Hand. Nur wenige nicht amerikanische Streaming- und Onlinedieste wie Spotify mit Sitz in Schweden konnten sich im Markt behaupten. Die chinesische Streaming- und Internetindustrie mit ihren Flaggschiffen Baidu, Alibaba und Tencent bleibt trotz stetig steigender Nutzerzahlen in China bisher ohne weltweite Bedeutung. Einzig die Plattform TikTok kann beachtliche internationale Erfolge verbuchen. Einen Einfluss auf die Verbreitung explizit chinesischer Kultur oder Wertvorstellungen hat sie nicht.
Neben Filmen, Musik und Spielen verbreiten sich fast unmerklich viele weitere Elemente der US-amerikanischen Pop- und Alltagskultur über die ganze Welt. Modegenres wie Denim, Sportswear, Streetwear sind allgegenwärtig und etliche Marken längst legendär: Levi’s, Vicrotia’s Secret, Nike oder Tiffany & Co. Die weltweit führende Fastfood-Kette MacDonalds betreibt in 120 Ländern über 41.000 Restaurants (14). Das am weitesten verbreitete US-amerikanische Produkt dürfte Coca-Cola sein. Der Umsatz betrug 2022 43 Milliarden US-Dollar (15). Supermärkte sind weltweit gefüllt mit Produkten US-amerikanischer Konzerne wie Procter & Gamble, Mars Inc., Kraft-Heinz und Kellanova (ehemals Kellogg Company) (16). Und last but not least trat auch der Tabakkonsum als bedeutender Kultur-Export seinen Siegeszug von Amerika aus an (17). Die US-Tabakindustrie propagierte das Rauchen in Werbung und Filmen explizit und implizit als „Fackel der Freiheit“ (18) – möglicherweise ein Grund, warum Rauchverbote noch heute als Eingriff in die Freiheit gewertet werden.
Die weltweite Verbreitung US-amerikanischer Inhalte und Ästhetik führen zu Homogenisierung von Sprach-, Seh- und Konsumgewohnheiten und zur Identifikation mit der Marketingerzählung vom Sehnsuchtsort Amerika. Wie keine andere Kultur oder Nation haben die USA heute unbestreitbar eine kulturelle Hegemonie (19) erlangt und ihre Sonderrolle Realität werden lassen. Der Machtanspruch, die ganze Welt missionieren zu müssen, wird heute mehr denn je mit Softpower (20) Techniken über die gesamte Bandbreite der kulturellen Infrastruktur vorangetrieben. Und so beglücken die heutigen Kolonisten die Welt mit regenbogenbunten Glasperlen der postmodernen Identitätspolitik und dröhnen ihre exzessiv moralisierende Gesinnung unter der Fahne der Progressivität auf allen Kanälen in die Welt hinaus. Yes we can!
Quellen
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Amerikanischer_Exzeptionalismus
(2) https://www.manova.news/artikel/gottes-auserwahltes-volk
(3) https://en.wikipedia.org/wiki/Elmer_Davis
(4) https://en.wikipedia.org/wiki/United_States_Office_of_War_Information
(4) https://en.wikipedia.org/wiki/Military%E2%80%93entertainment_complex
(6) https://de.wikipedia.org/wiki/Propaganda_in_den_Vereinigten_Staaten
(7) https://www.stern.de/kultur/tv/40-jahre-dallas--intrigen--possen-und-tragoedien--30593564.html
(8) https://de.wikipedia.org/wiki/Privatfernsehen#Deutschland
(9) https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/UsefulNotes/TheAmericanDream
(10) https://www.deutschlandfunk.de/manichaeismus-apostel-des-lichts-100.html
(11) https://allears.net/2022/07/08/disney-makes-how-much-on-merchandise/
(12) https://de.wikipedia.org/wiki/Universal_Music_Group
(13) https://de.wikipedia.org/wiki/Musikindustrie#Branchenabgrenzungen (Umsatz)
(14) https://de.wikipedia.org/wiki/McDonald%E2%80%99s
(17) https://rauchfrei-info.de/informieren/tabak-tabakprodukte/geschichte-anbau/
(16) https://www.sueddeutsche.de/kultur/public-relations-der-erste-verdreher-1.894159
(19) https://freiheitslexikon.de/kulturelle-hegemonie/
(20) https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-europalexikon/177268/soft-power/
+++ Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags. +++ Bildquelle: Romolo Tavani / shutterstock
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