Ein Meinungsbeitrag von Stephan Ossenkopp.
Es ist ein Signal der Unabhängigkeit und ein Zeichen der Selbstachtung: Kolumbiens Beitritt zur Initiative „Neue Seidenstraße”. Als der kolumbianische Präsident Gustavo Petro gemeinsam mit dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping in der imposanten Halle des Volkes in Peking am 14. Mai die Dokumente unterzeichnete, wurde nicht nur ein weiteres Land Mitglied dieser weltweit größten Wirtschaftsinitiative. Denn das Land im Nordwesten des lateinamerikanischen Kontinents ist ein wichtiger Partner der USA in den Bereichen Sicherheit und Handel.
Doch Chinas Einfluss in Südamerika hat den der USA längst überholt und Washington hat nichts anderes zu bieten als Druck und Drohgebärden. Gerade Kolumbien und sein Präsident Petro bekamen dies besonders im Zuge des Migranten- und Zollstreits mit Washington zu spüren. Die Zeremonie in Peking fand am Rande der bislang größten Konferenz zwischen China und der Gemeinschaft Lateinamerikanischer und Karibischer Staaten (CELAC) statt. Zu dem Treffen reisten Delegationen aus 28 Staaten und von sechs regionalen Organisationen und verabschiedeten einen Aktionsplan für die kommenden drei Jahre.
Beim Festbankett des China-CELAC-Gipfels begrüßte der chinesische Präsident Xi Jinping an erster Stelle den kolumbianischen Staatschef, dann den brasilianischen Präsidenten Lula da Silva, das chilenische Staatsoberhaupt Gabriel Boric und die Vorsitzende der BRICS-Entwicklungsbank, Dilma Rousseff. Xi betonte, dass die Beziehungen Chinas zu dem Kontinent auf das 16. Jahrhundert zurückgingen, als chinesische Schiffe in freundschaftlicher Absicht den Pazifik überquerten, um nach Südamerika zu gelangen. Zum großen Wohlwollen der Gäste verteidigte Xi das Recht der Panamaer auf ihren Kanal und verurteilte das Embargo gegen Kuba.
Im Rahmen der Neuen Seidenstraße bzw. der Belt and Road Initiative (BRI) habe China bereits über 200 Infrastrukturprojekte in der Region verwirklicht und Handelsabkommen mit einer ganzen Reihe von Staaten geschlossen. Das Handelsvolumen liege inzwischen bei über 500 Mrd. USD, was einer Vervierzigfachung innerhalb von 25 Jahren entspricht. Und auch sonst war die Rede des chinesischen Staatschefs auf die Intensivierung der Zusammenarbeit fokussiert. Er kündigte Investitionen in Höhe von 66 Mrd. Yuan (umgerechnet über 8 Mrd. Euro) an. Die Zahl sechs gilt in China übrigens als Symbol des Glücks und der Prosperität.
Kolumbien ist das 150. Land, das sich der BRI anschließt. In der lateinamerikanischen Presse wurde dieses Ereignis gebührend gefeiert. Petro wird mit folgenden Worten zitiert:
„Die Geschichte unserer Außenbeziehungen verändert sich. Von nun an wird Kolumbien mit der Welt auf Augenhöhe und in Freiheit interagieren.“
Damit spricht Petro zwei wesentliche Punkte an: Einerseits die infrastrukturelle Vernetzung und Einbindung Kolumbiens in die Transport- und Logistikkorridore, die Lateinamerika mit dem asiatischen Kontinent verbinden, und andererseits die Abkehr von der traditionellen Abhängigkeit von Rohstoffexporten, vor allem gegenüber den Industriestaaten. Selbstverständlich, so Kolumbiens Minister für Bergbau und Energie, Edwin Palma, würden nun kolumbianischer Kaffee, Schnittblumen und Agrarprodukte auch auf Chinas Märkte gelangen. Es gehe aber ebenso um die von ihm als „Wirtschaft der Zukunft“ bezeichneten Bereiche neuer Technologien, Wissenswirtschaft und künstlicher Intelligenz. Verkehrsministerin María Fernanda Rojas Mantilla erhofft sich vor allem, dass eine Mitgliedschaft bei der BRI das kolumbianische Eisenbahnnetz wiederbeleben, Binnenregionen und weiter abgelegene Gebiete verbinden und das Land in die nun auf dem südamerikanischen Kontinent errichteten Korridore integrieren könnte.
In der westlichen Presse war kaum Brauchbares zu finden. Die Neue Zürcher Zeitung titelte „Xi umgarnt Südamerika und die Karibik“ und Der Spiegel entdeckte darin „Lateinamerikas riskante Chinawette“. Das Magazin zitiert interessanterweise jedoch den brasilianischen Präsidenten Lula mit den Worten: „Es ist gut, dass wir China haben“, denn ungeachtet aller Vorwürfe der Einflussnahme Pekings in der Region „verhält sich China wie ein Land, das versucht, Geschäfte zu machen, die in den vergangenen 30 Jahren von vielen anderen vernachlässigt wurden.“
Wer damit gemeint war, kann man sich denken. Entsprechend war Lula mit sage und schreibe elf Ministern und 200 Geschäftsleuten zum China-CELAC-Treffen angereist. Der „Spiegel“ konstatierte: „Noch 2013 waren die USA der größte Handelspartner Südamerikas mit einem Gesamtvolumen von rund 280 Milliarden Dollar. Dieses fiel bis 2023 um 25 Prozent, das von China wuchs um 43 Prozent auf inzwischen 304 Milliarden Dollar.“ Nur Ecuador und Kolumbien trieben derzeit noch mehr Handel mit den USA als mit China. Das Magazin The Economist aus London veröffentlichte jüngst Umfragen, denen zufolge China als die respektvollere Supermacht und der verlässlichere Handelspartner angesehen wird. Selbst der argentinische Präsident und Trump-Fan Javier Milei sagte, das Wohlbefinden der Argentinier erfordere eine engere Handelspartnerschaft mit China. Er verlängerte ein 5-Mrd.-Dollar-Swap-Abkommen mit China, trotz Beschwerden aus Washington.
Die wachsende positive Stimmung in Lateinamerika gegenüber China ist kein Zufall. China legt großen Wert darauf, durch wechselseitiges Kennenlernen und personellen Austausch Vertrauen als Grundlage für alle weiteren Schritte zu schaffen. Der chinesische Staatschef kündigte die Schaffung entsprechender Programme an. Die Regierung in Peking wird für Bürger der CELAC 3.500 Stipendien, 10.000 Ausbildungsplätze, 500 Studienplätze für internationale chinesische Sprachlehrer und 300 Trainings für Fachleute zur Armutsbekämpfung einrichten. Außerdem erhalten fünf lateinamerikanische Länder Visafreiheit. Diese und weitere Vorhaben wurden in einem China-CELAC-Aktionsplan für die Jahre 2025-2027 schriftlich fixiert. Darin heißt es, man wolle sich „gemeinsam für die Interessen des Globalen Südens einsetzen”.
Intensiviert werden sollen die Zusammenarbeit bei Investitionen, die Kooperation bei Infrastrukturprojekten wie Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Tunneln und Häfen, der See- und Luftfrachthandel, die Forschung im Bereich Agrartechnik sowie der Einsatz von Equipment für Telekommunikation, Big Data und künstliche Intelligenz. Das Spektrum erstreckt sich dabei von 5G-Netzen und Satellitentechnik über Katastrophenschutz bis hin zur Zusammenarbeit bei dualer Ausbildung, Lehrerschulung und dem Austausch zwischen Akademikern. Ein besonderer Fokus liegt auf der gemeinsamen Bekämpfung von Korruption, Geldwäsche, Drogen- und Menschenhandel sowie dem Schmuggel von Waffen und Wildtieren. Es scheint kaum noch Bereiche zu geben, die nicht abgedeckt sind.
Das China-CELAC-Forum ist mit Sicherheit kein antiwestliches oder gar antiamerikanisches Unterfangen. „Die lateinamerikanischen Länder wollen alternative und multipolare Entwicklungsmodelle, die sie von der ausschließlichen Abhängigkeit von den US-amerikanischen und europäischen Märkten befreien“, meint der Politikwissenschaftler Giulio Chinappi in einem Artikel des US-kritischen Online-Journals Strategic Culture Foundation (SCF), das in Moskau ansässig ist.
Trotzdem kann man bei der Unterzeichnungszeremonie, den Festbanketten, Gruppenfotos und Handschlägen nicht umhin, auch etwas Genugtuung in den Gesichtszügen von Präsident Gustavo Petro zu erkennen. Dies ist umso verständlicher, wenn man sich das vorausgegangene Aufeinanderprallen mit der US-Regierung unter Donald Trump ins Gedächtnis ruft. Seit Jahren akzeptiert Kolumbien über 100 Flüge mit aus den USA abgeschobenen illegalen Migranten. Doch jüngst verweigerte Bogotá zwei Militärtransportern die Landung. Petro beschwerte sich in Richtung Washington über die Behandlung der Flüchtlinge und betonte, dass es sich bei Migranten nicht um Kriminelle handele. Er bot an, zivile Flugzeuge zu entsenden. Trump und sein Außenminister Rubio reagierten mit Einreiseverboten und Zöllen von zunächst 25 Prozent, die auf 50 Prozent steigen sollten. Kolumbien ließ die Landung von US-Militärflügen schließlich zu, doch die Beziehungen waren nachhaltig gestört. Kolumbien drohte mit Gegenzöllen in gleicher Höhe.
Präsident Petro, der in seinem Leben schon alles Mögliche durchgemacht hat – von Folter und Inhaftierung bis hin zu Versöhnung und Verhandlung –, ist ein stolzer Kolumbianer, ohne jedoch nationalistische Ambitionen zu hegen. Als Reaktion auf die Irritationen schrieb er auf X einen offenen Brief an Trump:
„In unseren Adern fließt das Blut der schwarzen Widerstandskämpfer, die ihr zu Sklaven gemacht habt. In Kolumbien liegt das erste freie Gebiet Amerikas, vor Washington. […] Mein Land ist das der Goldschmiedekunst aus der Zeit der ägyptischen Pharaonen und der ersten Künstler der Welt in Chiribiquete. Ihr werdet uns niemals beherrschen.“
Im berühmten Nationalpark und Weltkulturerbe Chiribiquete fand man 75.000 uralte Felszeichnungen. Der Brief war der Zeugnis dafür, dass Petro seine Kraft und seinen Handlungsfaden aus den langen Bögen der Universalgeschichte ableitet. Und obwohl er ihn Monate vor seinem Besuch in Peking verfasst hatte, scheinen seine Schlussworte die spätere Hinwendung Kolumbiens zur Neuen Seidenstraße vorwegzunehmen: „Kolumbien öffnet sich ab heute der ganzen Welt mit offenen Armen, wir sind Baumeister der Freiheit, des Lebens und der Menschlichkeit.“ Mit der Welt auf gleicher Augenhöhe zu interagieren – das ist die kollektive Ambition der Länder des Globalen Südens. Länder wie Kolumbien wollen nicht länger Spielball von Großmächten sein. Mit dem Beitritt zur Neuen Seidenstraße beginnt ein neues Kapitel.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Gustavo Petro (Präsident von Kolumbien)
Bildquelle: A.PAES / shutterstock
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