Lyrische Beobachtungsstelle

KI-Puppen: Der Verrat am Kind | Von Paul Clemente

audio-thumbnail
LBS 20250720 apolut
0:00
/611.976

Die Lyrische Beobachtungsstelle von Paul Clemente.

Trotz aller Warnungen: Der Transhumanismus scheint unaufhaltsam. Niemand da, der ihm Grenzen setzt. Regierungen schon gar nicht. Man nimmt ihn als unabwendbares Schicksal.

Schon in den 1920ern glaubten Intellektuelle, der Mensch halte den Anforderungen der Gegenwart nicht stand. Er sei überfordert, müsse optimiert, oder noch besser: überwunden werden. Russische Avantgardisten entwarfen einen posthumanen Sozialismus, eine Utopie artifizieller Übermenschen. Konträr dazu die Spielfilmproduktion der Weimarer Republik: Auch darin wimmelte es von Robotern, künstlichen Menschen und Monstern. Ob die Maschinenfrau Maria in „Metropolis“, die im Labor gezeugte Femme fatale „Alraune“ oder der „Homunculus“. Allerdings entglitten die künstlichen Übermenschen regelmäßig ihrem Schöpfer, entwickelten Autonomie, wurden zur Gefahr. Diese skeptische Perspektive wirkt noch in US-Blockbustern wie „RoboCop“ nach.

Inzwischen hat sich der Wind gedreht: Bereits der erste „Star Wars“-Film zeigte den Androiden C3PO als tollpatschigen, aber liebevollen Begleiter von Luke Skywalker & Co. Seit den Zweitausendern sind menschenfreundliche Androiden fester Bestandteil medialer Zukunftsszenarien. So der elfjährige David aus Steven Spielbergs „A.I“. Der ist zwar ein Roboter, verspürt aber menschliche Emotionen. Ein anderes Beispiel: Die schwedische TV-Serie „Real Humans“: In ihr leistet eine Zukunftsgesellschaft Human Robots als Sklaven. Vom Arbeiter, Pfleger, Kindermädchen bis zum Sexualpartner. Die Vorteile liegen auf der Hand: Androiden brauchen keine Bezahlung, keine Nahrung, keinen Schlaf, keinen Urlaub und werden niemals krank. Der Traum sämtlicher Arbeitgeber. Außerdem widersprechen sie nicht, nehmen nichts übel, verzeihen alles. Man kann sie nicht beleidigen. Die Furcht, dass sie einen verlassen könnten, entfällt ebenso. Mit anderen Worten: Alle Stolperfallen des Sozialen, alle zwischenmenschlichen Kämpfe und Missverständnisse: Hier sind sie abgeschafft. Endlich!

Leider hat man die Rechnung ohne die menschliche Psyche gemacht. Der Homo sapiens neigt nämlich zum Animismus. Er hat die Tendenz, auch tote Materie via Projektion zu beseelen, sich emotional an sie zu binden. Ein besonders krasses Beispiel boten vor 28 Jahren die sogenannten Tamagotchis. Das sind kleine Roboter, Elektronikspielzeuge, digitale Haustiere: Sie erhalten Namen, ein Geschlecht, verlangen regelmäßig Nahrung, benötigten Zuwendung und – sterben irgendwann. Zahlreiche Kinder waren untröstlich, als ihr virtuelles Haustier den Löffel abgab. Damalige Therapeuten konnten ein Lied davon singen. Aber das alles ist harmlos im Vergleich mit dem neuesten Produkt der Spielzeugfirma Mattel: Der KI-Barbie!

Schon seit Jahren setzt Mattel auf Technisierung, und der Einsatz von KI-Puppen ist keine Premiere. Vor zehn Jahren hatte der Konzern erstmals eine Smart-Barbie auf den Markt gebracht. Mit Anschluss an einen Großcomputer. Damals hagelte es Proteste: Man sprach von einer „Spionin im Kinderzimmer“. Mattel stellte die Produktion ein. Die Zeit war noch nicht reif. Jetzt startet der zweite Anlauf. Eine strategische Partnerschaft mit Open AI ist bereits besiegelt. Allerdings will man noch nicht preisgeben, welches der Mattel-Produkte mit KI aufpoliert wird: Ob Barbie, ob Ken oder ein Stofftier. Vermuten wir mal, dass es sich um Barbie handelt. Schließlich ist sie das populärste Produkt des Konzerns. Berbie soll künftig intelligente Gespräche mit Kindern führen, sogar als Begleiterin oder als Erzieherin fungieren. Ganz wie in der Serie „Real Humans“.  Bei dem Stichwort „Erzieherin“ sollte man jedoch aufhorchen: Was genau soll die KI-Barbie dem Kind vermitteln?

Barbie-Puppen sind nämlich längst ein Politikum. Früher hassten Feministen sie als Verkörperung sämtlicher Klischees. In den Neunzigern, wo Skelette wie Kate Moss das Schönheitsideal vorgaben, geriet auch Barbies spindeldürrer Körper in die Kritik: Eine reale Frau, so schlank wie Barbie, müsse an Bullimie im Endstadium leiden. Um dieses Image zu beerdigen, schickte man vor zwei Jahren Greta Gerwigs „Barbie“-Blockbuster in die Kinos. Der Film schlug sämtliche Kassenrekorde. Darin leidet Barbies Lebenspartner Ken an Depression: Er sei komplett überflüssig, bloß der Partner einer prominenten Frau. Schließlich startet Ken eine Revolte im Barbieland, will dort ein Patriachat, ein „Kendom“  errichten. Natürlich scheitert der Plan. Zum Trost verspricht man ihm: Er dürfe künftig eine eigene Persönlichkeit entwickeln, dürfe mehr sein als die große Null an Barbies Seite. - Dieser Kino-Hit hat das Image der Mattel-Puppe neu definiert, sie als Feministin, als politisch Progressive etabliert. Und an dieser Stelle kehren wir zur KI-Barbie zurück:

Wer die KI bei Recherchen nutzt, bemerkt schnell: Da wird politisch gesiebt. Und hier steckt das Problem: Was wird eine KI-Barbie auf Kinderfragen antworten? Was erwidert die Puppe einem Kind, das nach Klimawandel oder Corona fragt? Können Eltern vorher einstellen, welche politische Richtung die KI-Barbie gegenüber der Tochter vertreten soll? Wohl kaum. Vielmehr steht zu befürchten, dass KI-Puppen den Nachwuchs künftig mit Mainstream-Müll einseifen. Vor allem aber: Wo landen die Mitschnitte dieser Gespräche? Wer hört oder liest, was Kinder ihrer Puppe anvertrauen? Eigentlich müsste man die Kids vorwarnen: Vorsicht! Puppe schneidet mit. Obwohl diese Warnung wohl vergeblich wäre. Schließlich ist es schon schwer, Kinder am Ausplaudern von Familieninterna in Kindergärten oder Schulen zu hindern. Bei einer Puppe wird die Hemmschwelle noch niedriger sein. Natürlich versichert Mattel, dem Datenschutz höchste Priorität einzuräumen. Wer’s glaubt. Nein, die KI-Puppe wird - nach Kreditkarten, Smartphones und Sprachassistenten - zur dritten Großwanze in der bürgerlicher Privatsphäre.

Aber es kommt noch krasser! Wie gesagt, wenn das Kind seine Barbie-Puppe zur besten Freundin erkoren hat, wird es ihr sämtliche Geheimnisse anvertrauen. Niemals käme ihm der Verdacht, dass die Puppe ein potenzieller Verräter sei. Aber genau das ist der Fall! Und dabei geht es nicht nur um Datenabschöpfung durch Konzerne. Nein: Alles, was die Tochter mit der KI-Puppe bespricht, wird mitgeschnitten und den Eltern als Transkript vorgelegt! Nein, das ist kein Witz. Laut heise.de „werden alle Transkripte der Gespräche an die Eltern übermittelt und in einer Microsoft-Cloud gespeichert“, wo man sie zur Produktoptimierung ausgewertet. So können Helikopter-Eltern die intimsten Geheimnisse ihres Kindes erfahren. Alles, was die Tochter aus guten Gründen verschweigt. Was, wenn sie der KI-Puppe anvertraut, dass sie Papa und Mama doof findet, und deren Verbote heimlich unterwandert? Die Lektüre solcher Protokolle ist wie heimliches Tagebuch-Lesen. Was für eine Scham wird die Tochter empfinden, wenn diese Spionage auffliegt? Wird sie jemals wieder vertrauen können? Schließlich hat ihre beste Freundin sie verraten. Und gleich zweifach: An Datensammler und die eigenen Eltern.

+++

Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++

Bildquelle:  / shutterstock 


+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoinzahlung

Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/

+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.

+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/

+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut

Paul Clemente Transhumanismus KI-Barbie Mattel Androiden Übermenschen Tamagotchis Open AI KI-Puppen