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Kanzler Friedrich Merz, die Zweite Wahl | Von Hermann Ploppa

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Erst im zweiten Wahlgang wurde CDU-Führer Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler gekürt. Die Berliner politische Machtmaschine erlitt empfindliche Schrammen durch eben diesen Merz.

Ein Kommentar von Hermann Ploppa.

Das Hamburger Boulevardblatt mit vier großen Buchstaben läutet den taufrischen Tag ein mit der frohen Botschaft: „Ab heute regiert die Hoffnung! – Unser Krisen-Land bekommt neue Regierung.“ Hallelujah! Alles geht von nun an wie von selbst. Man scheint vollkommen sicher zu sein, dass sich der neue Kanzler mit ganz neuer Regierung den hoffnungsfrohen Untertanen zeigen wird. Die Maschine ist gut geschmiert. So träumt man in Hamburg.

Denn alles ist doch nur noch Formsache, oder? Am Vormittag des 6. Mai soll Friedrich Merz zum neuen Bundeskanzler gewählt werden. Zuvor ist die Regierungsmannschaft zusammengestellt worden. Ein dynamischer Neuanfang lockt mit lauter neuen und jungen Ministern. Nur Kriegsminister Boris Pistorius, angeblich Deutschlands beliebtester Politiker, soll sein Amt behalten. Doch nach der Auszählung der Stimmen gibt es lange Gesichter: Friedrich Merz erhält nur 310 Stimmen. 316 Stimmen sind zu seiner Kanzlerwahl unerlässlich. Blamabel: die Fraktionen von CDU, CSU und SPD verfügen zusammen über 328 Mandatsträger. Also haben 18 Abgeordnete der so genannten Großen Koalition dem Merz die Zustimmung verweigert. Bleierner Schock. Dann leert sich der Plenarsaal des Bundestages in Windeseile.

Das hat es noch nie gegeben. Bislang waren alle Bundeskanzler im ersten Wahlgang in ihr Amt gelangt und konnten sich sofort beim Bundespräsidenten die Ernennungsurkunde abholen. Die politische Maschine der Parteienherrschaft ist dramatisch ins Stottern geraten. Denn schon sieht CSU-Chef Söder „Weimarer Verhältnisse“ heraufziehen <1>. Die AfD, nicht Teil der Berliner Machtmaschine, jubiliert. Alice Weidel fordert sofortige Neuwahlen. Zeitungen fragen derweil ihre Leser: „Bedeutet die gescheiterte Kanzlerwahl eine ernste Bedrohung für unsere Demokratie?“ Die Abweichung vom Drehbuch der weisen Eliten wird doch glatt zur Katastrophe hochstilisiert. Die extremistische Merz-Politik in Frage zu stellen scheint eine ungeheuerliche Attacke auf unsere Demokratie zu sein.

Dabei werden die Positionen des Friedrich Merz von der Öffentlichkeit schon seit Längerem als Frontalangriff auf den inneren und äußeren Frieden wahrgenommen. Nachdem Angela Merkel Anfang der 2000er Jahre Friedrich Merz aus dem Arkanum der Berliner Politikmaschine verjagt hatte, war Merz eine Zeit lang als Deutschland-Chef des weltweit größten Vermögensverwalters BlackRock unterwegs. Zudem führte er die USA-Lobbygruppe Atlantikbrücke, die deutsche Eliten mit den Interessen US-amerikanischer Oligarchen synchronisiert. Als Sozius der Wirtschaftskanzlei Meyer Brown wickelte Merz die Privatisierung der Landesbank West LB ab. Für diese ungenierte Plünderung von Volksvermögen bekam Merz an jedem Arbeitstag 5.000 Euro aus Steuermitteln überwiesen, was Merz insgesamt um 1,9 Millionen Euro reicher gemacht hatte <2>. In einigen Büchern erklärte Merz zudem, dass Gewerkschaften in Betrieben nichts mehr zu suchen hätten, und dass Sozialhilfe, jetzt vornehmer Bürgergeld genannt, ruhig auf 136 € monatlich reduziert werden könne.

All diese Dinge sickern über kurz oder lang dann doch ins allgemeine Bewusstsein. Obwohl Friedrich Merz mit einem geschätzten Privatvermögen von „lediglich“ zwölf Millionen Euro und seinem Privatjet eigentlich eher nur dem gehobenen Mittelstand zuzurechnen ist, nimmt man ihn aufgrund seiner mächtigen Netzwerkverbindungen als Fremdkörper wahr <3>. Merz erhält denn auch die Quittung für sein großkotziges Gebaren. Im Jahre 2018 bewirbt Merz sich für den Vorsitz der CDU. Er unterliegt damals deutlich gegen das politische Fliegengewicht Annegret Kramp-Karrenbauer. Und im Jahre 2021 gibt die Parteibasis bei der erneuten Wahl zum CDU-Vorsitzenden dem farblosen Armin Laschet den Vorzug gegen den umtriebigen Netzwerker Merz. Erst als die darauf folgende Bundestagswahl von der CDU verloren wird, und bei der erneuten Wahl zum CDU-Vorsitzenden nur die beiden Nobodys Helge Braun und Norbert Röttgen im Weg stehen, schluckt die CDU-Basis endlich den ungeliebten Friedrich Merz als ihren Boss.

Nicht nur die CDU-Mitglieder können den Merz nicht leiden. Immer wieder ergeben Umfragen, dass die große Mehrheit der deutschen Bevölkerung den Merz nicht als Kanzler haben will. Die Süddeutsche Zeitung berichtete noch vor Kurzem, dass sogar 56 Prozent der Befragten Friedrich Merz als Kanzler definitiv ablehnen <4>. Trotzdem wird uns genau diese polarisierende Gestalt mit unerbittlicher Entschlossenheit vor die Nase gesetzt. Ich hatte bereits vor vier Jahren vorhergesagt, dass Merz der nächste Kanzler werden muss, koste es was es wolle <5>.

Wir werden nämlich von einer Parteien- und Verbände-Demokratie regiert. Es geht nicht darum, in einer freien und geheimen Wahl Richtungsentscheidungen zu ermitteln. Vielmehr geht es darum, mit einer Demokratie-Simulation im perfekten Zusammenspiel von Politik, Medien, Wissenschaft und Verbänden eine bestimmte Agenda durchzupeitschen und den Leuten draußen im Lande gleichzeitig zu suggerieren, sie hätten diese Politik gewollt. Diese Inszenierung nennt sich „Governance“ <6>. Dabei ist es ausdrücklich eine Tugend, „unpopuläre Entscheidungen“ unerschrocken durchzusetzen. Wer des Volkes Wille durchsetzen will, wird in diesen erlauchten Kreisen als „Populist“ berümpft und gilt keinesfalls als „ministrabel“. Und es ist jetzt sicher „unpopulär“, den heißen Krieg gegen Russland voranzutreiben. Aber es muss sein. Das meinen jedenfalls die Eliten. Das verdammte deutsche Friedens-Gen muss endlich ausgemerzt werden. So bedeutet natürlich die Forderung von Friedrich Merz, gegen Russland Taurus-Marschflugkörper auf ukrainischem Boden zu postieren, für jeden ordinären Bundesbürger nichts anderes als Selbstmord mit Ansage. Für die orchestrierte Politikmaschine in Berlin gibt es allerdings dazu keine Alternative.

Die orchestrierte Politikmaschine. Getrennt marschieren – vereint zuschlagen. Den letzten Sitzungstag des alten Bundestags nutzte die Allparteienkoalition aus CDU, CSU, SPD, Grünen und „Linken“, um eine schamlose Verschuldung der deutschen Bevölkerung in Höhe einer halben Billion Euro zugunsten einer wahnwitzigen Aufrüstung durchzupeitschen. Wider alle Vernunft. Wider jeden menschlichen Anstand <7>.

Und nun dachte diese Fünfparteienkoalition, ihr Leithengst Merz würde mühelos die Kanzlerschaft im Alleingang erringen. Probe-Abstimmungen in den Fraktionen von CDU/CSU und SPD hatten klare Mehrheiten für Merz ergeben. Warum also zweifeln? Nun, die Wut gegen den BlackRock-Insolvenzverwalter ist eben doch größer als die Insassen der Filterblase Berlin-Mitte sich das haben träumen lassen. Bei der Kanzlerwahl stimmen die Abgeordneten anonym und geheim ab. Sie können also im Nachhinein nicht durch ihr Wahlverhalten identifiziert werden. Ohne diese Anonymität würden die Abgeordneten es wohl kaum wagen, dem Merz ihr Misstrauen auszusprechen. Würden sie offen gegen Merz rebellieren, wäre das Ende ihrer politischen Karriere besiegelt.

Friedrich Merz hatte seine Watschen einkassiert. Wie sollte man aber nun aus der Nummer wieder herauskommen? Versetzen wir uns mal in die Rolle der Fraktionschefs von CDU, CSU und SPD: sie wollen so schnell wie möglich den ungeliebten Merz in das Kanzleramt hieven. Sie wissen aber partout nicht, wer von ihren Untergebenen im Fraktionsfußvolk falsch abgestimmt hat. Sie kungeln auf die Schnelle mit den Oppositionsdarstellern Grüne und „Linke“ zusammen eine Satzungsänderung aus, die es ermöglicht, noch am Tag der Niederlage eine erneute Kanzlerwahl anzusetzen. Alle fünf Parteien sind durch die perfide letzte Sitzung des alten Bundestags zur Schicksalsgemeinschaft zusammengeschweißt. Keine der fünf Parteien kann es sich leisten, dass nach zwei Wochen immer noch kein Kanzler gewählt ist. Denn Artikel 63 des Grundgesetzes sieht vor, dass dann der Bundespräsident den Bundestag auflösen und Neuwahlen ansetzen kann <8>. Nach der – sagen wir es mal ganz salopp – Schweinerei der zwangsweisen Volksverschuldung mit einer halben Billion Euro sind die Umfragewerte der Fünfparteienkoalition sehr abgeschwächt, um es einmal galant auszudrücken. So manch ein Abgeordneter könnte im Falle einer Neuwahl seinen Sitz im Bundestag einbüßen.

Man ist sich nach der Merz-Pleite bei der Kanzlerwahl sowieso wieder näher gekommen. Die Emissäre der fünf Parteien tauschten sich untereinander aus, um die Satzungsänderung für eine zweite Kanzlerwahl noch am selben Tag unter Dach und Fach zu bekommen. Es ist unter diesen Umständen durchaus vorstellbar, dass so mancher Abgeordneter der Grünen oder gar der „Linken“ aus Angst um den Verlust seines Bundestagsmandats im zweiten Wahlgang für Friedrich Merz gestimmt hat. Dazu bedarf es vermutlich nicht einmal einer schmutzigen Verabredung. Im Dunkel der anonymen Kanzlerwahl ist einfach alles möglich.

Nun ist der Horror der vergeigten ersten Kanzlerkür erst einmal vergeben und vergessen. Zumindest unter der Glaskuppel des Deutschen Bundestags in Berlin wird jetzt wieder gelacht. Friedrich Merz wird nun allerdings leben müssen mit dem Makel einer verzockten Kanzlerwahl. Merz hat seinen gerade mühsam gezüchteten Nimbus der Unbesiegbarkeit gleich am ersten Tag wieder eingebüßt. Er wird damit leben müssen, dass ihn die gewöhnlichen Deutschen nicht leiden können. Und wenn Merz weiter provoziert und polarisiert, wird er seine verhassten Maßnahmen mit autoritärer Härte durchziehen müssen. Ein Votum bekommt er dafür nämlich nicht.

Merz bringt die Politikmaschine der Fünfparteienkoalition vom ersten Tag seiner Kanzlerschaft an ins Stottern. Die Risslinien dieser stotternden Maschine können uns einen Neuanfang einläuten. Es liegt an uns, dass wir aus diesem Macht-Gestotter das Beste für uns herausholen.

Quellen und Anmerkungen

<1> https://www.stern.de/news/soeder-mahnt-nach-gescheiterter-merz-wahl-zur-besonnenheit-und-erinnert-an-weimar-35698064.html

<2> https://apolut.net/friedrich-merz-der-insolvenzverwalter-fuer-blackrock-von-hermann-ploppa/?fbclid=IwY2xjawKHB41leHRuA2FlbQIxMQBicmlkETF3UlpqQTM2aEI1RHhwQXF2AR6DTQ1thqln5qNnorZAUtBeLdDJN-EvNfCfIYTegICEB7iMqIivJaaUDoIALA_aem_HBopYzi8sed420i7BZKNxA

<3> https://politik.watson.de/politik/politik-profil/644084306-friedrich-merz-im-portraet-kanzler-wahl-vermoegen-frauenbild

<4> https://www.zeit.de/politik/deutschland/2025-05/zdf-politbarometer-union-friedrich-merz-afd-umfrage

<5> siehe <2>

<6> Hermann Ploppa: Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke die Demokratie heimlich unterwandern. Frankfurt/Main 2014.

<7> https://apolut.net/ausgemerzt-von-hermann-ploppa/

<8> https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_63.html

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Friedrich Merz
Bildquelle: Ryan Nash Photography / shutterstock


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