Ein Standpunkt von Paul Soldan.
Aufgrund sich permanent ausweitender Krisen stieg in den letzten Jahren die Anzahl der Menschen, die es weg aus Deutschland zog, rapide an. Tansania mit der dazugehörigen Insel Sansibar wurde wegen der gegensätzlichen Handhabung weltweit praktizierter Corona-Maßnahmen zunehmend zu einem Hotspot für Corona-Flüchtlinge und Auswanderungswillige. Viele gingen ins absolute Risiko: verkauften ihre Habseligkeiten, gaben Beruf und Heimat auf und wagten den Sprung ins kalte Wasser Afrika – in eine fremde Kultur, in eine unbekannte Sprache sowie in ein gänzlich anderes System. Im Frühjahr 2021 starb jedoch der coronakritische Präsident John Magufuli unter ungeklärten Umständen, woraufhin sich auch die politische Haltung des Staates zu Corona änderte.
Wie ist es den Auswanderern ergangen? Haben sie in der Ferne ein neues Zuhause gefunden? Oder gestaltete sich der Schritt doch deutlich schwieriger als gedacht, sodass sie sogar ihre Zelte wieder abbrechen mussten? Dieser Bericht gibt einen ehrlichen Eindruck über das Auswandern nach Tansania und lässt aus Deutschland Abgewanderte vor Ort zu Wort kommen und sie über ihre Beweggründe, Vorstellungen und Erfahrungen berichten.
*Hinweis vorab: Zum Schutz der Menschen, die bereit waren, sich in diesem Artikel zu äußern, wurden von allen Beteiligten die Namen geändert.
„Ich hatte nicht vor auszuwandern“, antwortet Klemens – Vertriebsleiter aus Norddeutschland und bis vor kurzem im Norden Tansanias – auf die Frage, was seine Beweggründe waren, Deutschland zu verlassen. Seines Erachtens sei es kindlich naiv, in ein Land auswandern zu wollen, das man nicht kenne. „Meine Planung war, für ein Jahr Urlaub zu machen, weit weg von Deutschland. Ob Impfplichtdebatte oder der beginnende Krieg in der Ukraine: Diese politische Entwicklung, mit unmittelbaren potenziellen Gefahren für Leib und Leben, hat mich in Deutschland schwer depressiv gemacht.“
Die Entscheidung, ein Jahr nach Tansania zu gehen, sei eher Zufall gewesen. „Es war weit weg, friedlich und englischsprachig.“ Er wollte ausspannen, sich, um unabhängig zu sein, ein Motorrad kaufen und ein neues Land mit einer vollkommen fremden Kultur kennenlernen. „Vorstellen konnte ich mir, irgendwo ein halbes Jahr kostenlos mitzuarbeiten. Insgesamt war ich offen für alle Entwicklungen, hatte alles aber als ‚Urlaub‘ für ein Jahr geplant.“ Im Vorfeld suchte er auch Kontakt zu anderen Deutschen, die aus ähnlichen Gründen nach Tansania gekommen waren. Jedoch werde häufig ein „geschöntes Bild vom ‚Auswandern nach Tansania‘ in den Social-Media-Kanälen verbreitet“, so sei heute seine Sichtweise.
Für Katharina – Künstlerin aus dem Ruhrgebiet – sei die „Enge und Borniertheit der deutschen Mentalität“ nur noch schwer zu ertragen gewesen. „Als dann im Februar 2022 der Krieg in der Ukraine eskalierte, begann ich aktiv an einem Fluchtplan zu stricken, da ich große Angst hatte – und noch immer habe –, dass sich dieser Krieg auf den Rest Europas ausweiten könnte. Ich besorgte mir ‚für alle Fälle‘ ein Visum für Sansibar, um im Notfall schnell fliehen zu können.“ Ende April 2022 habe sie sich dann plötzlich eine neue Arbeit sowie eine neue Wohnung suchen müssen und reiste daraufhin kurzerhand aus. Sansibar kannte sie bereits aus einem früheren Urlaub und habe sich damals in diese „exotische, überirdisch schöne Trauminsel schlicht und einfach verliebt“.
Der deutsche Facharzt Lasse nennt als Grund für das Verlassen Deutschlands: „Zerstörung durch Totalitarismus“. Dies mache er nicht nur am „Coronawahn und an der Kriegstreiberei“ fest, sondern an einer Vielzahl von Themen, darunter: „Zensur, Polizeibrutalität, Deindustrialisierung sowie staatliche Kindesgefährdung“. Auf Tansania fiel die Wahl, da es dort seit Ausrufung der Pandemie „keine Corona-Massenpsychose gab“. Er wollte mit seiner Familie „raus aus dem Wahnsinn, vor Ort arbeiten, Abenteuer erleben und den Horizont erweitern“. Ein Pluspunkt Tansanias sei für ihn zudem gewesen, dass das Land seit der Unabhängigkeit keinen ernsthaften Krieg erlebt habe und die Bevölkerung dadurch sehr freundlich und friedfertig sei. Außerdem reizten die schöne Natur und der Zugang zum Indischen Ozean.
Für Viktoria – mehr als 20 Jahre Ärztin in Norddeutschland – sei es schwierig, ihre Entscheidungen auf konkrete Gründe zurückzuführen. „Ich lasse mich schon immer gerne vom Leben leiten“, sagt sie. Jedoch schien die Zeit, in Deutschland nach ihren Vorstellungen leben und arbeiten zu können, vorbei zu sein. Insbesondere ihr Beruf als Ärztin sei für sie aufgrund des Umgangs mit dem Thema Corona sowie des politischen Drucks auf die Ärzteschaft nicht mehr ausführbar gewesen. „Ich bin es mir selbst wert, nicht mehr in einem so unmenschlichen und krankmachenden Umfeld leben und arbeiten zu müssen.“
Auch Viktoria habe Sansibar bereits von mehreren Reisen gekannt und sich in die Inseln und das umgebende Meer verliebt. Und nach „zwei sehr aktiven Jahren in der Friedensbewegung dachte ich: Ich buche mal einen Flug; mal wieder raus, mal erholen“. Bei einem Strandspaziergang mit ihrem Partner sah sie dann vor einem Haus ein Schild: „For Sale“. „Das hat einen Prozess in Gang gesetzt, der mich hierhergeführt hat. Eigentlich gab es nie die Entscheidung ‚Ich wandere aus‘. Das Leben hat mich geführt.“ Wünsche und Erwartungen hatte sie nicht, „nur die Idee, direkt am Meer sowie mit weniger und einfacher zu leben“. Das Loslassen ihrer gesamten Existenz sei ihr deutlich leichter als erwartet gefallen.
Residence Permit
Um tatsächlich nach Tansania auswandern zu können, kommt man nicht um den Erwerb einer offiziellen Aufenthaltsgenehmigung herum. Die Wege, eine solche „Residence Permit“ zu bekommen, können jedoch lang und beschwerlich sein. Die Anforderungen unterscheiden sich je nach Höhe der folgenden Kategorien <1>.
Kategorie A
Wer im Land ein eigenes Unternehmen gründet, findet sich in dieser Kategorie wieder. Neben einer Fülle an einzureichenden Dokumenten und zu tätigenden Behördengängen sind auch die Kosten für diese Permit am höchsten. 3.000 US-Dollar für die Aufenthaltsgenehmigung und rund 500 US-Dollar für die Arbeitserlaubnis betragen die reinen Gebühren für die Ausstellung. Diese ist begrenzt gültig und muss alle 2 Jahre erneuert werden – ebenso für 3.500 US-Dollar. Hinzu kommen natürlich die Kosten für den Unternehmensaufbau, bei denen schnell ein Investitionsvolumen im sechsstelligen Bereich zusammenkommen kann.
Problematisch ist dabei: Die Rechts- und Planungssicherheit sind nicht mit denen, die wir bislang aus Deutschland kannten, vergleichbar. So können formal alle Bedingungen erfüllt sein und trotzdem gibt die zuständige Behörde nicht die finale Genehmigung. Einem bekannten Deutschen wurde auf Sansibar die Freigabe seines Unternehmens verweigert, da der Behörde das Investionsvolumen zu gering erschien. Auf diese Entscheidung verlassen kann man sich allerdings auch nicht; beim nächsten Unternehmensgründer kann diese schon wieder anders ausfallen. In diesem Sinne sind eine vollständige Rechts- und Planungssicherheit nicht wirklich vorhanden.
Zwar gibt es auch die Möglichkeit, eine Art „Kleingewerbe“ zu gründen – hier betragen die reinen Permit-Gebühren „nur“ rund 1.500 US-Dollar –, jedoch benötigt man dafür auch die passende Geschäftsidee. Schließlich muss das Unternehmen „klein“ sein, aber auch genug Gewinn erzielen, um die regelmäßige Erneuerung der Permit sowie die Lebenshaltungskosten zu bezahlen. Diese sind nämlich nicht nur vor der Einwanderung höher als die der Einheimischen, sondern bleiben es in der Regel auch danach. Bis auf Ausnahmen ist es den Wazungu – den weißen Ausländern – nicht möglich, ein echtes „Local-Life“ zu führen. Dafür ist der einheimische Lebensstandard zu weit vom westlichen Komfort, der das Leben zwar angenehmer, aber eben auch deutlich teurer macht, entfernt – insbesondere auf Sansibar, das zu den hochpreisigen Orten Afrikas zählt.
Kategorie B
In diese Kategorie fällt, wer ein Anstellungsverhältnis bei einer tansanischen oder auch internationalen Firma findet, was aber für gewöhnlich keine einfache Angelegenheit ist. Die Auflagen dafür sind streng und die Behörden behalten sich stets vor, das letzte Wort über die endgültige Entscheidung zu haben. Der Staat verfolgt eine nachvollziehbare protektionistische Politik, welche in erster Linie der tansanischen Bevölkerung und eben nicht Zuwanderern zu Gute kommen soll. Mit einer hochspezialisierten Qualifikation – bevorzugt in den Bereichen Technik, Handwerk und IT – hat man gute Chancen. Doch ohne entsprechende Qualifikationen kann dieser Weg äußerst schwierig sein, da der Arbeitgeber dem Staat gegenüber nachweisen muss, dass die Tätigkeit von keinem Einheimischen ausgeübt werden kann. So kann es passieren, dass mit dem potenziellen Arbeitgeber alles ausgehandelt ist, die zuständige Behörde die Anstellung jedoch ablehnt.
Wie in vielen afrikanischen Ländern, herrscht auch in Tansania ein großer Mangel an Arbeitsplätzen. In verschiedenen Gesprächen berichteten mir Einheimische, dass es je nach Branche nicht ungewöhnlich sei, nach abgeschlossenem Studium bis zu zwei Jahre auf einen Arbeitsplatz warten zu müssen.
Für das Organisieren der Residence Permit sowie für die Übernahme der Gebühren von rund 2.500 US-Dollar ist normalerweise der Arbeitgeber verantwortlich. Wie die A-Permit ist auch diese lediglich zwei Jahre gültig und muss regelmäßig in gleicher Höhe erneuert werden. Zusätzlich ist zu beachten, dass es auf Sansibar einen „Mindestlohn für Ausländer“ von monatlich 1.000 US-Dollar gibt, der umgerechnet knapp das Achtfache des sansibarischen beträgt. Nicht jedes Unternehmen kann sich die Zahlung eines solchen Gehalts leisten.
Kategorie C
In diese fällt man, wenn man eine nicht vergütete Tätigkeit ausübt, zum Beispiel ein Volontariat, ein Auslandssemester oder eine Arbeit bei einer NGO (Nichtregierungsorganisation). Auch Rentner zählen dazu. Wem es darum geht, sich hier dauerhaft niederzulassen und zu arbeiten, wird in dieser Kategorie nicht fündig, da offiziell kein Einkommen generiert werden darf. Über eine NGO oder ein Volontariat kann man sich jedoch unter Umständen etwas Zeit erkaufen.
Pro und Contra des neuen Zuhauses
„Fast alles ist hier positiver“, beurteilt Lasse das neue Leben. „Man wird im Prinzip fast komplett in Ruhe gelassen. Die einzigen Berührungspunkte mit dem Staat sind korrupte Verkehrspolizisten, das Visum und vielleicht mal eine Müllgebühr. Man lebt inmitten einer wunderschönen, zum Teil spektakulären Natur, jeden Tag traumhaftes Wetter, die Menschen sind freundlicher, das Leben ist einfacher!“ Aktuell lebe er in Tansanias Norden und empfinde die Mentalität und Religion auf dem Festland angenehmer als auf Sansibar.
Auch für Viktoria und Klemens ist die Freiheit im alltäglichen Leben sehr spürbar. Viktoria genießt es, ihre Lebensmittel frisch auf den Märkten einzukaufen. Jeder Einkauf sei immer auch menschliche Begegnung. Was sie an den Sansibaris liebe, sei ihre „Lebendigkeit, Hilfsbereitschaft, Farbigkeit sowie die Bereitschaft zu einem Lachen“. Auch die Tatsache, das man sich nicht um eine Heizung und die damit verbundenen Kosten sorgen müsse, mache das Leben einfacher – insbesondere bei der aktuellen Preisentwicklung.
Durch ihre Ausbildung und eigenen Erfahrungen ist Viktoria seit vielen Jahren sehr trainiert im Jetzt zu leben. „Das kommt mir hier sehr zugute, denn ‚Afrika kennt kein Morgen‘. Deutsche Ordnung und Struktur werden ersetzt durch Kreativität und Spontaneität. Habe ich eine Panne mit dem Auto, kommt der ‚Auto-Fundi‘ nach einem Anruf meist schneller als jeder ADAC; und auch die Reparatur wird umgehend ausgeführt, ohne erst auf einen Termin warten zu müssen.“
Katharina und Klemens bestätigen die enorme Improvisationsfähigkeit und Flexibilität der einheimischen Menschen. „Vieles wird einfach ‚drauflos‘ gemacht, ohne alles dreimal durchzuplanen“, so Katharina. Und Klemens ergänzt: „Vorschriften werden oft und mit viel Fantasie umgangen. Vieles im Alltag ist noch nicht so überreguliert wie in Deutschland, wo unsinnige Einschränkungen, Vorschriften oder kostenpflichtige Genehmigungen einen oft in den Wahnsinn treiben.“
Ein Negativpunkt sei für ihn, dass man in Tansania keine Rechte habe, sondern „als Ausländer unter bestimmten Voraussetzungen geduldet wird“. „Je mehr Geld man hat und bezahlt, desto leichter ist es, im Land leben zu dürfen. Um hier mehrere Jahre am Stück leben zu dürfen, gründen viele Deutsche Firmen oder NGOs für viele tausend Dollar. Dies ermöglicht ihnen wiederum, erneut für viele tausend Dollar eine Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.“ Relativ „einfach“ sei es für Rentner mit ausreichenden Bezügen, mit einer Anstellung bei einer internationalen Firma oder wenn man über eine mittlere sechsstellige Summe zum Leben und Investieren verfüge.
Auch nach Lasses Ansicht ist „ein Auswandern im eigentlichen Sinne schwierig“. Die Einwanderungsbedingungen empfinde er als sehr hoch – Arbeit habe er hier bislang noch keine gefunden. Weitere Kritikpunkte sind für ihn unter anderem die großen Qualitätsprobleme in vielen Bereichen. Hinzu kommt, dass der Kauf von bestimmten Produkten, die in Deutschland alltäglich sind, wie zum Beispiel hochwertiges Fahrradzubehör, Alarmanlagen sowie weitere Dinge aus dem Elektronik- und Technikbereich schwierig werden kann. Wovor er in Tansania warne, sei „Abzocke“ – nicht nur von den Einheimischen, sondern auch von einigen „Auswanderern“.
Für Katharina ist es nach der ersten Begeisterung über die andere Kultur bislang herausfordernd, sich durchgehend in einer Fremdsprache ausdrücken zu müssen. „Obwohl ich sehr gutes Englisch spreche, ist es doch etwas komplett anderes, als in meiner Muttersprache zu kommunizieren – es fehlen die Nuancen und letztlich das Herz. Ein richtig tiefes und persönliches Gespräch finde ich sehr schwierig.“ Auch das durchgehende Feilschen um jeden Kaufpreis sei anstrengend: „Da sehne ich mich oft nach den fixen deutschen Preisschildern zurück.“
Viktoria dagegen empfindet die größten Probleme eher im Aufbau des neuen Lebens: „Es ist schon deshalb komplizierter, weil wir letztlich eine vollständig neue Existenz gründen. Die Behörden, Ämter und Bürokratie kennen wir nicht und jeder einzelne Schritt muss neu erarbeitet werden. Das kann sehr anstrengend sein und kostet viel Zeit.“
Sicherheit
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass Tansania ein sicheres Land ist. Besonders die Schwelle zur Gewaltkriminalität scheinen die Tansanier und Sansibaris gemeinhin nicht übertreten zu wollen – kein Vergleich zu Ländern wie <2> Südafrika, Nigeria, Mexiko und auch Brasilien, wo die Mordraten zu den höchsten weltweit zählen. Auch Klemens, Viktoria, Lasse und Katharina fühlen sich sowohl auf dem Festland als auch auf Sansibar sicher – auch als Frau, wie Katharina betont.
Nichtsdestotrotz ist auch Tansania nicht vor dem Konfliktpotenzial gefeit, wenn große Armut auf großen Reichtum trifft. Insbesondere aus den gut besuchten Tourismusorten ist zeitweilig von nächtlichen Überfällen an unbelebten Plätzen sowie von Einbrüchen zu hören. Vornehmlich handelt es sich um ein Einsteigen bei Abwesenheit, vereinzelt aber auch um brachialen Einbruch mit Bedrohung der Hausbewohner.
Die heftigste Geschichte, welche aber schon einige Jahre zurückliegt, hörte ich von einem bekannten ehemaligen Hotelmanager auf Sansibar. Nachdem mehrere mit Macheten bewaffnete Männer in sein Haus eingedrungen waren und er nicht genug Bargeld bei sich hatte, drehten diese durch und fügten ihm schwerste Verletzungen zu. Nicht selten spielen Drogen dabei eine Rolle, so auch bei seinem Einbruch, wie er sagte. Diebstähle und Einbrüche können nämlich für die Täter durchaus lebensgefährlich sein, da die Einheimischen zuweilen auch zur Selbstjustiz greifen. Im Extremfall wird der Täter in einen Autoreifen gesteckt und angezündet.
Impfkampagnen
Die aktuelle Regierung hat die coronakritische Haltung des vorigen Präsidenten John Magufuli – der im Frühjahr 2021 unter bis heute ungeklärten Umständen verstarb, nachdem er mehrere Wochen zuvor schlagartig von der Bildfläche verschwunden war – nicht übernommen. Im Gegenteil: Im Sommer 2021 ließ sich die neue <3> Präsidentin Samia Suluhu Hassan öffentlich impfen und startete damit die Corona-Impfkampagne in Tansania. Seitdem wurde der Druck auf die Bevölkerung, sich ebenso impfen zu lassen, permanent erhöht. Unter anderem berichtete zu Beginn dieses Jahres eine Angestellte aus einem öffentlichen Krankenhaus in Arusha, dass die Mitarbeiter zum Impfen gezwungen würden und verpflichtet seien, ein <4> vorgegebenes Tagesziel zu erreichen. Den zunehmenden Druck bestätigte mir auch ein Sansibari in einem persönlichen Gespräch: In seinem Heimatdorf seien kürzlich Impfteams von Tür zur Tür gegangen und hätten bei Bedarf umgehend geimpft. Er habe jedoch abgelehnt, da er die Corona-Impfung nicht für sicher halte.
Die Impfquote in Tansania hat im vergangenen Jahr einen enormen Sprung nach oben gemacht. Waren im <5> März 2022 lediglich 6% mindestens einmal geimpft, sind es <6> inzwischen offiziell 53%, womit sich Tansania mittlerweile in den „Top Ten“ der afrikanischen Länder – die bevölkerungsarmen Inseln ausgenommen – mit der höchsten Impfquote befindet. Die Impfquoten von Ländern wie Kenia (26%) oder Südafrika (40%), die eine weitaus rigidere Maßnahmenpolitik verfolgten, stagnieren dagegen seit Monaten.
Neben der Corona-Impfkamapgne gab es in der ersten Jahreshälfte 2022 auch eine <7> riesige Polio-Impfkampagne, nachdem ein dreijähriges Mädchen in Malawi erkrankt war. Unabhängig von ihrer bisherigen Impfgeschichte sollten 10,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren im ganzen Land verpflichtend geimpft werden. Auch damals gingen Impfteams von Tür zu Tür, nachdem sämtliche Häuser, in denen Kinder wohnten, zuvor <8> markiert worden waren. Laut Erfahrungsberichten einiger Deutscher konnten diese die Pflichtimpfung zwar ablehnen; ob die Einheimischen dies aber ebenso durften, ist ungewiss.
Fazit
Wie sieht nun das Fazit für Tansania aus? Lohnt sich ein Auswandern? Ist ein tatsächliches Auswandern überhaupt ohne Weiteres möglich? Für Lasse sei es bisher eher ein Dauerurlaub für deutlich weniger Geld, als er in Deutschland fürs bloße Leben brauchen würde. Hinzu käme ein erheblich geringeres Stresslevel. „Wirkliches Auswandern erfordert für alle, die nicht Rentner oder Millionäre sind, eine funktionierende Selbstständigkeit oder ein Angestelltenverhältnis mit ausreichendem Gehalt. Hier sehe ich für mich größere Probleme, auch wenn das noch nicht endgültig entschieden ist. Ich bin geblieben. Wer nicht bleibt, muss ja nicht zurück – man kann auch weiterziehen. Es sei denn, man hat nicht gut geplant.“
Neben vielen, die hier in den letzten Jahren neue Wurzeln geschlagen haben, ist es aber auch vielen nicht gelungen, im neu gewählten Zuhause zu bleiben. Denn „ohne Weiteres“ ist ein Auswandern hierher tatsächlich nicht möglich, dazu sind die Anforderungen zu hoch. Nicht wenige Auswanderer der letzten Jahre traten demzufolge bereits wieder die Heimreise an – entweder aus Geldmangel, weil eine Permit nicht zu realisieren war und die bisherigen Visa-Lösungen nicht mehr funktionierten, oder weil das Land dann doch zu wenig ihren persönlichen Vorstellungen entsprochen hat und sie letztlich nicht angekommen sind.
Klemens hat Tansania vor kurzem verlassen und wird noch für einige Monate weiterreisen, bis er vermutlich im Sommer nach Deutschland zurückkehren wird. Nach Tansania auszuwandern, könne er sich grundsätzlich nicht vorstellen, wie er sagt; auch aufgrund negativer Erfahrungen mit anderen „Auswanderern“. „‚Fürchte auf dem Meer Sturm und Wind – und Deutsche, die im Ausland sind‘ habe ich hier mehrmals von den wenigen, langjährig erfolgreich Ausgewanderten gehört.“
Andere Rückkehrer berichteten zudem, dass auch das fremde Essen, öffentliches Verbrennen von Plastikmüll, ein geringes Umweltbewusstsein, <9> übermäßig hoher Einsatz an Pestiziden, Fluorid im Trinkwasser sowie die erwähnten Impfkampagnen mit ein Grund gewesen seien, das Land wieder zu verlassen. Im Allgemeinen liege es jedoch eher daran, wie lange die Ersparnisse ausreichen und ob es einem gelingt, hier tatsächlich ein neues Leben zu beginnen. Wer mit ausreichend Vermögen und Geschäftssinn ausgestattet ist, hat es leichter, jedoch durch Bürokratiegewirr und verbreitete Korruption häufig trotzdem einen beschwerlichen Weg vor sich. Wer lediglich mit ein paar Tausend Euro Ersparnissen hierherkommt, wird es schwer haben. Das bedeutet nicht, dass es unmöglich ist. Jedoch muss man dann auch dafür bereit sein, sich mit geringem Budget und Kreativität seinen Weg durch den undurchsichtigen Bürokratie-Dschungel zu bahnen.
Auch Katharina hat nicht vor, für immer auszuwandern. „Ich habe für mich erkannt, wie sehr ich doch in meiner Mutterkultur verwurzelt bin, und wie sehr ich die vertrauten Strukturen brauche. Trotz sehr netter und gastfreundlicher Einheimischer und trotz meiner eigenen weltoffenen, neugierigen Einstellung bleibt in Nuancen immer eine Sprach- und Kulturbarriere. Ich werde noch eine Zeit lang weiterreisen und auf Sansibar und dem afrikanischen Kontinent unterwegs sein – auf jeden Fall solange, bis in Europa wieder Frieden herrscht. Irgendwann werde ich aber wieder nach Deutschland zurückkehren.“
Die Vorstellung, die Zelte in Deutschland abzubrechen und an einem anderen Ort auf der Welt einfach neu aufzuschlagen, scheint für viele noch ein alter, romantischer Traum zu sein, der jedoch recht schnell von den realen Verhältnissen in der neuen Heimat zum Platzen gebracht werden kann. Zumindest gilt das für Tansania sowie für andere Länder Afrikas. Unter anderem haben in den letzten Jahren auch Südafrika und Namibia die Bedingungen für Zuwanderung deutlich erhöht.
Viktoria, die als einzige der Befragten eine offizielle Residence Permit erworben hat, sieht ihre nähere Zukunft hingegen vorerst auf Sansibar. Für wie lange kann sie jedoch nicht sagen. „Häufig werde ich gefragt: ‚Wollt Ihr jetzt immer dort bleiben?’ Auf diese Frage antworte ich immer: ‚Wir sind jetzt hier, alles andere wird uns das Leben zeigen.‘“
Quellen
<1> https://immigration.go.tz/index.php/downloads/regulations
<4> https://critical-news.de/tansania_7/
<6> https://www.corona-in-zahlen.de/weltweit/
<8> https://critical-news.de/tansania_6/
<9> https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S2468227622001831
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Bildquelle: SebastianGorzow/ shutterstock
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