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Interview mit Jens Fischer Rodrian: „Das Parteiensystem hat keine Zukunft mehr“

Interview mit Jens Fischer Rodrian: „Das Parteiensystem hat keine Zukunft mehr“


Jens Fischer Rodrian appelliert mit neuem Album an politische Veränderungen

Ein Interview von Eugen Zentner mit Jens Fischer Rodrian.

Der Lyriker und Musiker Jens Fischer Rodrian hat in den letzten drei Jahren immer wieder die Regierungspolitik kritisiert und sich den offiziellen Narrativen entgegengestellt, ob es um Corona, den Ukraine-Krieg oder den Umgang mit dem inhaftierten Journalisten Julian Assange ging. Er lief nicht nur auf Demonstrationen mit, sondern sprach auch auf diversen Bühnen. Er initiierte nicht nur Benefizkonzerte, sondern brachte auch kritische Künstler zusammen. Er war nicht bloß aufmerksamer Beobachter des Zeitgeschehens, sondern aktiver Teil der außerparlamentarischen Opposition. Diese Erfahrungen sind in sein neues Solo-Album (https://protestnoten.de/produkt/alles-nur-geliehen-cd/) eingegangen, das weitaus politischer daherkommt als sein Erstling. In Spoken-Word-Manier atmet es den subversiven Geist des heutigen Krisenbewusstseins und vermischt dabei tiefgründige Lyrik mit groovigem Sound. Im Interview spricht der Berliner über die politischen wie gesellschaftlichen Herausforderungen der Gegenwart, über die Kraft der Kunst und über Anfeindungen, die er wegen seiner unangepassten Haltung regelmäßig erfährt.

Jens Fischer Rodrian, Ihr neues Spoken-Word-Album ist äußerst politisch und benennt die Missstände der Gegenwart. Damit sind Sie im Vergleich zum ersten Album künstlerisch einen neuen Weg gegangen. Was hat Sie dazu bewogen?  

Ich war eigentlich ganz glücklich mit meinem lyrischen Weg, sich abstrakt oder persönlich mit dem Leben, der Liebe und der Endlichkeit auseinanderzusetzen. Dass das Tagesgeschehen so intensiv in die Lyrik einzieht, war den Umständen geschuldet, mit denen wir alle, aber vor allem die Maßnahmenkritiker, die Corona-Zeit überstehen mussten. Erst kam gar nix. Ich war lyrisch völlig leer. Deshalb schrieb ich Essays, um die Zeit zu verarbeiten. Doch dann kam der Song «Es gab kein Leben vor dem Tod», der für mich wie ein Befreiungsschlag war.

Das ganze Album appelliert an Widerstand und Rebellion? Wieso ist diese Haltung so wichtig?  

Weil der Zeiger kurz vor zwölf steht – und das auf ganz vielen Ebenen. Wir leben in Zeiten, in denen eine Bundesregierung die Kriegsglocken läutet, entgegen ihrem Versprechen weiterhin Waffen in Krisengebiete liefert, komplett gegen die Interessen ihrer Bürger agiert, kein Interesse zu haben scheint, den größten Anschlag auf die zivile Energieversorgung wirklich aufzuklären, und unter anderem dadurch ihre Abhängigkeit vom großen transatlantischen Bruder schmerzlich zur Schau stellt. Wenn wir da nicht gegensteuern, dann geben wir das Ruder aus der Hand, selbstbestimmt in Frieden zu leben.

Genau diesen Eindruck vermitteln die vertonten Lyrik-Stücke auf dem Album. Aus ihnen spricht ein gewisses Krisenbewusstsein. Lässt sich die gegenwärtige Krise auf einen Nenner bringen? Wie würden Sie sie bezeichnen?

Diese Krise betrifft uns auf so vielen Ebenen, und sie trifft uns mitten ins Herz. Denn es geht um alles, was eine Gesellschaft ausmacht, die sich selbst für zivilisiert hält: Frieden, Freiheit Selbstbestimmung. All die Dinge sind massiv in Gefahr. Aber auch genau daran besteht eine riesige Chance. Der Mensch überrascht mich immer wieder – im Negativen wie im Positiven. Was gab es für unglaubliche Persönlichkeiten: Martin Luther King, Gandhi oder Hannah Arendt, die uns gezeigt haben, zu was wir in der Lage sein können. Wir müssen diese Energie in uns selbst entfachen. Was wir nicht brauchen, ist, wieder einem „Anführer“ hinterherzulaufen, der uns irgendwo, irgendwie die goldene Zukunft verspricht. Wir brauchen eine aufgeklärte Zivilgesellschaft, dezentrale Strukturen, mündige Bürgerinnen und Bürger, die den Mut haben, den Weg vom Untertan zum Souverän zu gehen.

Wie lässt sich die derzeitige Krise Ihrer Meinung überwinden?

Ich glaube wir müssen uns trauen, Demokratie völlig neu zu erfinden und zu leben. Das Parteiensystem hat keine Zukunft mehr. Falsche Versprechen, Abhängigkeit von der Wirtschaft und Großkonzernen, Korruption und Bestechlichkeit kann man ohne eine Parteienlandschaft wesentlich besser in den Griff bekommen. Ich plädiere für das aleatorische System oder zumindest für die Direktkandidaten-Demokratie. Dafür braucht es Mut und einen Hang zur Anarchie. Denn die wird uns auf diesem Weg begleiten. Zumindest für eine Zeit.

Können Sie das ein wenig erläutern: Wie funktionieren diese Formen der Demokratie? 

Nach meiner Auffassung sollten wir hin zur aleatorischen Demokratie, die auf Auslosung und Rotation basiert. Sie wurde sowohl in der Antike in Athen als auch in der Renaissance in Florenz und Venedig erfolgreich angewendet. Hierzu empfehle ich das Buch „Gegen Wahlen“ von David van Reybrouck. Wenn man auf Wahlen bestehen möchte, wäre es denkbar, Direktkandidaten zu wählen, die eine gewisse Region vertreten, die aber auch während einer Legislaturperiode abgewählt werden können, wenn sie nicht im Sinne ihrer Wählerinnen und Wähler agieren. Die Menschen sollten bei allen wichtigen Fragen durch Volksentscheide einbezogen und im Vorfeld umfangreich und ausgewogen informiert werden. Davon sind wir bei der jetzigen Parteien- und Mainstreammedienlandschaft aber meilenweit entfernt. Zum Glück gibt es alternative Portale wie dieses hier. Parteien sind überflüssig geworden, denn sie arbeiten nur selten im Sinne der Menschen, die sie eigentlich vertreten sollen. Egal wofür wir uns als Gesellschaft entscheiden, Machtbegrenzung durch eine begrenzte Amtszeit sollte im Fokus stehen, sodass Bestechung und Korruption endlich unterbunden werden können. Vor allem müssen wir zurück zur Meinungsfreiheit und Informationsvielfalt, weg von Zensur durch Faktenchecker, die von der Elite bezahlt werden, um Stimmen zu unterdrücken, die nicht ins gängige Narrativ passen.

Im Booklet steht, dass das Album allen Mutigen gewidmet sei, die sagen: "Ich mach da nicht mit!" Können Sie das ausführen? Wobei machen sie nicht mit?  

Wir machen nicht mit bei Ausgrenzung, bei der Verengung des Diskurses, bei der Spaltung. Es gibt überhaupt gar nichts, was nicht hinterfragt werden darf oder muss. Viele Ereignisse der letzten Jahrzehnte beweisen dies. Vom Kennedy-Mord über 9/11 bis hin zur Causa Corona sind wir seit viel zu langer Zeit von Politik, Medien, Militär, Tech-Konzernen und Lobbyisten belogen und manipuliert worden. Darauf zu vertrauen, dass es jemand anderes für uns richten wird, wäre fatal. Es braucht jeden Einzelnen. Wir müssen lernen mit allen aus der Bewegung, die sich mit der Aufarbeitung beschäftigen, auf Augenhöhe, das heißt respektvoll und zugewandt, zu reden und auch in schmerzhafte Diskurse zu gehen. Wir können nur gestärkt aus der Misere herauskommen, wenn wir bereit sind, dahin zu schauen, wo es besonders wehtut. Und dazu gehört es auch, sich selbst und sein Handeln immer wieder zu überprüfen und kritisch zu betrachten.

Im Booklet findet sich auch der schöne Satz: "Wenn kritische Kunst verschwindet, stirbt die Seele einer freien Gesellschaft." Das klingt, als tendiere die Kunst derzeit zum Konformismus. Haben Sie tatsächlich diesen Eindruck? Oder ist der Satz anders gemeint?

Dieser Satz war am Ende meines Solidaritätsvideos für die Aktion #allesdichtmachen. Ich wollte und will immer noch ernsthaft darauf hinweisen, wie unersetzbar die Kunst ist, wenn es darum geht, der Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten. Wir brauchen sie jetzt nötiger denn je. Deshalb bin ich ja auch so entsetzt, dass so viele „kluge Geister“ schweigen oder im schlimmsten Fall sogar gegen Kritiker hetzen.

Warum ist es so wichtig, dass die Kunst Kritik übt?  

Es gibt den wissenschaftlichen Diskurs, zumindest sollte es ihn geben. Darüber hinaus kann die Kunst abstrahieren. Sie beobachtet, ohne sich ausschließlich an Fakten halten zu müssen. Sie kann emotionalisieren, die Herzen erreichen und so auf einem anderen Wege auf Missstände hinweisen. Sie darf provozieren und den Finger in die Wunde legen. Wenn die Freiheit in Gefahr ist, wenn der offene Diskurs unterdrückt wird, wenn kritische Stimmen verstummen oder mundtot gemacht werden, ist auch der Frieden in Gefahr. Genau das sehen wir gerade. Menschen, die sich für eine friedliche Lösung in der Ukraine einsetzen, werden als Spinner abgetan. Spätestens jetzt sollten bei jedem die Alarmglocken läuten.

Kann die Kunst überhaupt etwas verändern? 

Das kann sie. Vor allem, wenn sie unerschrocken vor Autoritäten ist; wenn es immer mehr werden; wenn der Liedermacher gemeinsam mit dem Hip-Hop-Künstler für Freiheit und Frieden auf die Straße geht; wenn die unterschiedlichen Herangehensweisen an Kunst keine Rolle mehr spielen, weil man an einem gemeinsamen Strang zieht. Das kann Berge versetzen.

Worauf haben Sie bei der Produktion des neuen Albums geachtet? Wie wollten Sie die Leute mit Ihrer vertonten Lyrik erreichen?

Nach wie vor sind meine zwei Hauptanliegen, aufzuklären und Brücken zu bauen. Die Kombination ist nicht so leicht, dass die Aufklärung so viel ans Licht bringen wird, was der ein oder andere als Anschuldigung verstehen wird. Das schlechte Gewissen, eventuell doch zu lange geschwiegen zu haben, schwingt mit. Viele wird das vor den Kopf stoßen, weil sie mitgemacht haben. Aber es geht mir vor allem darum, dass die Verantwortlichen aus Politik, Medien, Pharma- und Rüstungsindustrie nicht davonkommen mit ihrem Wunsch, alles unter den Teppich zu kehren. Auf der anderen Seite stehen die Menschen, die (fast) alle gelitten und Federn gelassen haben. Einen kleinen Beitrag zu leisten, wieder zusammenzuwachsen, wäre mein Anliegen.

Sie sind nicht der einzige Künstler, der in seinen Werken Regierungskritik übt und auf gesellschaftliche wie politische Missstände hinweisen. Mittlerweile ist eine kleine alternative Szene von widerständischen Musikern, Malern oder Literaten entstanden. Wie nehmen Sie die Entwicklung dieser Szene wahr? 

Ein Großteil der Künstler kennt sich oder weiß voneinander. Man trifft sich auf Festivals wie jüngst in Weimar bei Uli Masuth, bei „Kunst ist Leben“ von Philine Conrad, bei meinen Solidaritätskonzerten für Julian Assange in Berlin oder auf Friedensfesten von „WIR SIND VIELE“. Wir stehen in Verbindung, schätzen einander und sind genreübergreifend oft gemeinsam aktiv. Hip-Hop trifft Liedermacher, Slam-Poet trifft Jazzkünstler. Da entsteht etwas, das verlässlich ist. Wir werden bleiben.

Sehen Sie in der gesamten außerparlamentarischen Opposition auch Schwachpunkte? Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?  

Wir müssen die Friedensbewegung wiederbeleben, stärken und erweitern. Das ist eine riesige Chance, auch mit den Leuten wieder ins Gespräch zu kommen, die bei Corona noch anders unterwegs waren. Es ist unfassbar, dass wir bei dem Thema überhaupt darüber diskutieren, ob Frieden ohne Waffen möglich ist. Er ist nur so möglich. Wer Waffen liefert, beteiligt sich am Töten. Wir werden von einem Kanzler regiert, der in einen der größten Finanzskandale der Nachkriegsgeschichte verwickelt ist und Friedensaktivisten als gefallene Engel aus der Hölle beschimpft. Unsere Außenministerin stolpert von einem Fettnapf in den nächsten. Die politische Riege ist so bürgerfern wie nie zuvor. Es reicht: keine kleinen Reparaturarbeiten der bestehenden Verhältnisse. Es braucht riesige Veränderungen, immer friedlich aber selbstbewusst und unnachgiebig in Bezug auf unsere Kernanliegen – Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung.

Erleben Sie wegen ihrer kritischen Haltung gegenüber der herrschenden Meinung und der Regierungspolitik Anfeindungen? Welche Erfahrungen haben Sie in den letzten Jahren gemacht? 

Ja, ich bekomme viel Gegenwind. Die taz hat mich auf dem Kieker und schreibt Schmähartikel, in denen ich namentlich erwähnt werde. Ein Festival, das mich schon gebucht hatte, sagte kurzfristig ab. Ein anderes wurde von einem Redakteur einer bekannten Tageszeitung bedrängt, mich nicht auftreten zu lassen. Veranstalter von Friedensfestivals, die mir eine Bühne bieten, werden mit Beschwerden adressiert und gefragt, wieso Künstler wie ich dort spielen dürfen. Konzerte, für die ich engagiert worden war, wurden aufgrund des Drucks der Antifa auf die Betreiber der Auftrittsorte ganz abgesagt. Vor Monaten hat eine Plattform meine Crowdfunding-Aktion für die „Protestnoten“-Produktion gecancelt, weil wir impfkritische Künstler auf dem Album zu Wort kommen lassen. Erst kürzlich bekam ich noch während meines Konzerts eine negative Google-Rezension. Dort wurde ich dafür kritisiert, dass ich die Corona-Maßnahmen ablehnte, und behauptet, ich wäre russlandnah. Solche Rezensionen schaden auch dem Club und schüchtern die Betreiber ein, sodass sie eventuell gar keine Konzerte mehr mit kritischen Künstlern veranstalten.

Wie gehen Sie mit diesen Anfeindungen um? 

Momentan ist es wirklich nicht leicht. Manchmal trifft es einen mehr als an anderen Tagen. Für uns Maßnahmenkritiker hat die Coronazeit nie wirklich aufgehört, wir spüren die Ausgrenzung immer noch, da wir nach wie vor als Persona non grata angesehen werden. Kürzlich wurden Freunde von mir gebeten, auf einer Filmpremiere bitte durch die Hintertür zu erscheinen, da man sich mit ihnen ungern auf dem roten Teppich präsentieren möchte. Die Aufarbeitung wird noch lange brauchen. Ich hoffe, die Leittragenden werden rehabilitiert.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: apolut


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