In der Wahrheit leben | Von Paul Schreyer

Ein Kommentar von Paul Schreyer.

Lähmende Stagnation, staatliche Übergriffe, allgemeine Unfreiheit – der tschechische Autor, Bürgerrechtler und spätere Präsident Václav Havel schrieb vor 44 Jahren einen Essay, der die Funktionsweise von Staat und Gesellschaft im damaligen Ostblock als „posttotalitär“ analysierte. Havel beschrieb zugleich, wie ein Mensch in einem solchen System leben kann, ohne seine Würde zu verlieren.

Havels 1978 verfasster Essay „Versuch, in der Wahrheit zu leben entstand zehn Jahre nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und ein Jahr, nachdem Havel als Sprecher der Bürgerinitiative Charta 77“ internationale Bekanntheit erlangt hatte. Diese Initiative setzte sich für Rechtsstaatlichkeit in der damaligen Tschechoslowakei ein und wurde von der Regierung als Gegner betrachtet.

Der Text entstand somit in einer Zeit, die von Menschen wie Havel als lähmend und ausweglos empfunden wurde und die geprägt war von einer Übermacht des Staates, der alles und jedes zu reglementieren versuchte. Kritisches Denken stand generell im Verdacht, „antistaatlich“ zu sein. Havel selbst wurde mehrfach verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Mit „in der Wahrheit leben“ (im Original titelte Havel „Moc bezmocných“ – „Die Macht der Machtlosen) ist vom Autor das Bemühen gemeint, Lügen der Regierung nicht zu tolerieren und nicht durch eigenes Handeln zu unterstützen. Sein wiederkehrendes Beispiel dafür ist ein Gemüsehändler, der im Schaufenster seines Ladens eine Parteilosung aufhängt, an die er selbst nicht glaubt. Er tut das, weil alle es tun und weil er weiß, dass es von ihm erwartet wird. Indem er die Losung entgegen seiner eigenen Überzeugung aufhängt – und damit allen Passanten und Kunden seine Unterordnung unter das System signalisiert – werde er jedoch selbst zum aktiven Träger des Systems und dessen Ideologie:

Der Mensch muss nicht an alle diese Mystifikationen glauben. Er muss sich aber so benehmen, als ob er an sie glaubt, muss sie zumindest schweigend tolerieren oder sich wenigstens gut mit denen stellen, die mit den Mystifikationen operieren. Schon deshalb muss er aber in Lüge leben. Er muss die Lüge nicht akzeptieren. Es reicht, dass er das Leben mit ihr und in ihr akzeptiert. Schon damit nämlich bestätigt er das System, erfüllt es, macht es – er ist das System.

In der Wahrheit zu leben bedeute für den Gemüsehändler daher, die Losung nicht mehr aufzuhängen, und, wenn er darauf angesprochen werde, seine Meinung ehrlich zu äußern.

[Die Ideologie] ist einer der Pfeiler der äußeren Stabilität dieses Systems. Dieser Pfeiler ist jedoch auf Sand gebaut – nämlich auf der Lüge. Deshalb bewährt er sich nur so lange, solange der Mensch bereit ist, in der Lüge zu leben.

Havel erklärt die Stabilität eines solchen, von ihm als „posttotalitär“ bezeichneten Systems mit dessen elastischer, alles umfassender Ideologie sowie damit, dass Menschen sich in dieser Ideologie bequem einrichten könnten:

[Unser System] verfügt [im Unterschied zu anderen modernen Diktaturen] über eine unvergleichbar konzisere, logisch strukturierte, allgemein verständliche und in ihrem Wesen sehr elastische Ideologie, die in ihrer Komplexität und Geschlossenheit den Charakter einer säkularisierten Religion erreicht: Sie bietet dem Menschen eine fertige Antwort auf jede Frage, und es ist nicht gut möglich, sie nur teilweise zu akzeptieren; wird sie akzeptiert, greift sie tief in die menschliche Existenz ein.

In einer Epoche der Krise von metaphysischen und existenziellen Sicherheiten, in einer Epoche der menschlichen Entwurzelung, Entfremdung und der Sinnentleerung der Welt muss diese Ideologie zwangsläufig eine besondere hypnotische Anziehungskraft ausüben: Sie bietet dem irrenden Menschen eine leicht erreichbare ‚Heimat. Man braucht sie nur zu akzeptieren, und gleich ist alles wieder klar, das Leben bekommt einen Sinn, und es gibt keine Geheimnisse mehr, keine Fragen, keine Unruhe und keine Einsamkeit.

Für diese billige ‚Heimatmuss der Mensch freilich teuer bezahlen: Mit der Absage an seinen eigenen Verstand, sein Gewissen und seine Verantwortung: ein integraler Bestandteil der übernommenen Ideologie ist das Delegieren des Verstands und des Gewissens an die Vorgesetzten, das heißt das Prinzip der Identifizierung des Machtzentrums mit dem Zentrum der Wahrheit.

Anders gesagt: Die Regierung hat meist recht. Sie hat die Fachexperten, kennt sich aus, lügt nicht absichtlich. Wir vertrauen ihr, müssen nicht alles hinterfragen. Die staatliche Ideologie, so Havel, diene auch als „Schleier, mit dem der Mensch „seinen ‚Existenzverfall, seine Verflachung und seine Anpassung an die gegebene Lage“ verbergen könne. Sie helfe dem Einzelnen bei seiner Anpassung an die Macht, was ihre Stärke und Dauerhaftigkeit erkläre.

Der Mensch wird zum Leben in Lüge gezwungen, kann aber nur deshalb dazu gezwungen werden, weil er imstande ist, so zu leben. Nicht nur, dass das System den Menschen entfremdet – der entfremdete Mensch stützt dieses System zugleich als eine unwillkürliche Projektion seines Ichs. Als erniedrigtes Bild seiner eigenen Erniedrigung. Als Dokument seines Versagens.

Havel kommt dann auf ein anderes gesellschaftliches Problemfeld zu sprechen – die zunehmende Loslösung der Ideologie von der Wirklichkeit. Mit anderen Worten: Es werden Dinge behauptet, die immer offenkundiger nicht stimmen.

Dort, wo es einen öffentlichen Wettbewerb um die Macht, also auch eine öffentliche Kontrolle der Macht gibt, (…) wirken immer bestimmte Korrektive, die die Ideologie daran hindern, sich vollständig von der Wirklichkeit zu emanzipieren. In den Verhältnissen der Totalität verschwinden aber diese Korrektive, nichts hindert also die Ideologie daran, sich immer mehr von der Wirklichkeit zu entfernen und sich allmählich in das zu verwandeln, was sie in einem posttotalitären System ist; in eine Welt des ‚Scheins, in ein bloßes Ritual, in eine formalisierte Sprache, die sich von dem semantischen Kontakt mit der Wirklichkeit löst und in ein System ritueller Zeichen verwandelt, die die Wirklichkeit durch eine Pseudowirklichkeit ersetzen.

Das Aufhängen der Transparente mit politischen Losungen und das Argumentieren mit diesen Losungen in der Öffentlichkeit sind Rituale, bei denen nicht der Sinn der Worte zählt. Es geht vielmehr um den Akt ihres Aussprechens, das die eigene Unterordnung, das eigene Wohlverhalten symbolisiert. Derjenige, der die Worte spricht, die Floskeln gebraucht, gehört dazu, stellt sich nicht quer, ist „zuverlässig. Die Rituale werden im Laufe der Zeit allerdings immer dominanter und löschen in diesem Prozess zunehmend die Individualität der einzelnen Menschen aus.

Das ‚Diktat des Ritualsführt freilich dazu, dass sich die Macht deutlich anonymisiert. Der Mensch löst sich fast im Ritual auf, lässt sich von ihm tragen, und manchmal scheint es, als ob es das Ritual selbst wäre, das die Menschen aus den dunklen Winkeln in das Licht der Macht hinaufträgt. Oder – ist es denn nicht für das posttotalitäre System charakteristisch, dass auf allen Ebenen seiner Machthierarchie Persönlichkeiten immer mehr durch Menschen ohne Gesicht, durch Marionetten, uniformierte Diener des Rituals und der Machtroutine verdrängt werden?

Havel will solche Gedanken dabei nicht allein als Kritik am System des Ostblocks verstanden wissen:

Ist nicht letzten Endes das graue und leere Leben in dem posttotalitären System eigentlich nur eine Karikatur, ein zugespitztes Bild des modernen Lebens überhaupt? (…) Unsere Aufmerksamkeit richtet sich also unausweichlich auf das Grundsätzliche – auf die Krise der modernen Zivilisation insgesamt. (…) Das posttotalitäre System ist nur ein Gesicht der allgemeinen Unfähigkeit des modernen Menschen, ‚Herr seiner eigenen Situationzu sein – ein besonders dramatisches und um so klarer seine wahre Herkunft verratendes Gesicht.

Gegen Ende seines Essays gibt Havel Stichworte für eine positive Entwicklung – wenn er auch eine große, umfassende Vision ablehnt. Man solle nicht das Ergebnis des gesellschaftlichen Prozesses vorwegnehmen und vermeintlich fertige Lösungen für eine bessere Welt anbieten. Entscheidend sei vielmehr, den Menschen ein freies, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Erst von dieser Grundbedingung aus sei eine neue, bessere Gesellschaftsordnung realisierbar.

Es gehe, so Havel, um „die Rehabilitierung solcher Werte wie Vertrauen, Offenheit, Verantwortung, Solidarität, Liebe. Er glaube an „Strukturen, die sich nicht an der ‚technischenSeite der Machtausübung orientieren, also etwa an der einfachen Übernahme des vorhandenen Apparates durch neue, „bessere“ Politiker. Nötig seien vielmehr „Strukturen, die mehr durch das gemeinsame Gefühl, dass bestimmte Gemeinschaften sinnvoll sind, als durch gemeinsame Ambitionen zur Expansion nach ‚außengefestigt werden. Also mehr Sinn und Gemeinsinn statt Taktik und Kalkül. Vieles davon sei schon in der Gesellschaft präsent, ihr aber kaum bewusst. Havel schließt:

Es ist nämlich überhaupt eine Frage, ob die ‚bessere Zukunftwirklich und immer nur eine Angelegenheit irgendeines fernen ‚dortist. Vielleicht ist sie schon längst hier – und nur unsere Blindheit hindert uns daran, sie um uns und in uns zu sehen und zu gestalten.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 09. August 2022 im Online-Magazin multipolar.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle: Syukri Shah / shutterstock

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Kommentare (14)

14 Kommentare zu: “In der Wahrheit leben | Von Paul Schreyer

  1. Irwish sagt:

    Biologische Wahrheit – Wahrhaftigkeit

    Die wenigsten Menschen, die Alkohol konsumieren, wissen darüber bescheid, wie Alkohol im menschlichen Körper funktioniert. Sie wissen nicht, daß Alkohol ein Zellgift ist, das jede Zelle, in die es gelangt, unwiederbringlich zerstört. Um zu verhindern, daß Giftstoffe in die Zelle gelangen, tastet die Zellmembran – das eigentliche »Gehirn« und Kontrollorgan jeder Zelle – die chemischen Stoffe, die an ihre Außengrenzen gelangen, vorsichtig, aber gründlich ab. »Schmeckt« sie Gift, reduziert sie die Durchlässigkeit der Zellmembran auf Null, was den Nachteil hat, daß sie auch keine Nährstoffe mehr aufnehmen kann, die sie für ihr Fortbestehen und ihre Vermehrung benötigt.

    Mit anhaltendem bis zunehmendem Alkoholkonsum scheint sich der Mensch an dieses Gift zu gewöhnen, so daß er immer mehr davon benötigt, um den gewünschten Rauschzustand herbeizuführen, da das Zellgift nun immer schwerer in die Zellen gelangt. Die bekannte Enthemmung durch Alkohol entsteht durch die Abtötung bzw. Lahmlegung von Zellen im Gehirn, die für die Umsetzung gesellschaftlicher Konventionen bzw. der jeweiligen Moral verantwortlich sind.

    Zellen, Mikroorganismen, Bakterien können nicht lügen. Sie sind ihrer biologischen Wahrheit verpflichtet, was ihrem Überleben dient. Stellen Sie sich einmal vor, eine Zelle würde sich vormachen können, das Zellgift Alkohol sei ein willkommener Stoff, woraufhin sie das Gift hereinläßt. Das würde zu ihrem vorzeitigen Ende führen, sie könnte ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen und würde somit dem Oranismus – dem System, in dem sie lebt, gedeiht, sich fortpflanzt und schließlich stirbt – großen Schaden zufügen.

    Genau so ergeht es uns Menschen, wenn wir uns von unserer Wahrheit entfernen – entfremden. Die Wahrheit der Körperzelle läßt sich nur schwer hintergehen, doch der Mensch ist wegen seines überbordenden kognitiven Leitsystems ganz besonders anfällig für Manipulationen, für Täuschungen und Lügen. Auch in der Tier- und Pflanzenwelt gibt es Täuschungsmanöver, man denke nur an die fleichfressenden Pflanzen, die einem Tier vorgaukeln, leckeren Nektar anzubieten, um es in ihre Verdauungskanäle zu locken; oder an jene Insekten, die einen Pflanzenstengel mimen, um so Beute anzulocken. Ähnlichen Täuschungen unterliegt auch der Mensch, wenn er auf angebliche Vorteile hereinfällt, die sich letztendlich zu seinem Nachteil und Schaden auswirken. Man muß dem Menschen keine Lockung direkt vor Augen führen, es genügt, davon zu reden, und schon wird er zur Beute.

    In seinem Buch IM ANFANG WAR DAS GEFÜHL beschreibt Antonio Damasio den biologischen Ursprung menschlicher Kultur. (1) Dabei verwendet er häufig den Begriff der Homöostase, der einen Gleichgewichtszustand eines dynamischen, offenen Systems bezeichnet, der durch interne regelnde Prozesse aufrechterhalten wird, ein Spezialfall der Selbstregulation von Systemen. Ohne Haften an der Wahrheit – ohne Wahrhaftigkeit – könnten die Einzelteile eines Systems keine Homöostase bewerkstelligen; sie würden in die Irre gehen und das System zum Kollabieren bringen. Und genau das geschieht auch derzeit: Das System der Kontrolle Weniger über die Massen der Menschen versagt seinen Dienst, die Kontrolleure bzw. Ausbeuter müssen mehr und mehr auf Gewalt zurückgreifen, um das System noch einigermaßen halten zu können. Zu diesem Zweck bedienen sie sich der Erzeugung von Angst und Panik, um so das Denk- und Orientierungsvermögen der Massenmenschen zu beeinträchtigen.

    Der von Paul Schreyer angeführte Essay von Vaclav Havel ist es wert, ganz gelesen zu werden (um die 90 Seiten). (2)

    (1) http://irwish.de/PDF/Psychologie/Damasio/Damasio_Antonio-Im_Anfang_war_das_Gefuehl.pdf
    Original-Layout:
    http://irwish.de/PDF/__Scans/Damasio_Antonio-Im_Anfang_war_das_Gefuehl_(OCR).pdf

    (2) http://irwish.de/PDF/__Scans/Havel_Vaclav-Versuch_in_der_Wahrheit_zu_leben_(ocr).pdf

  2. Parkwaechter sagt:

    „In eurer Hölle kann ich nicht atmen…“ – Juri Galanskow: Das Manifest des Menschen
    1
    Wieder und wieder
    packt mich in nächtlicher Stille ein Weinen.
    Denn nicht einmal den Saum der Seele
    kann man verschenken.
    Niemand braucht
    einen Tag lang
    nach einem Irren zu suchen.
    Aber die Leute gehn nach der Arbeit
    dorthin, wo Geld rollt und Huren sind.
    Sollen sie´s tun.
    Ich aber werde durch die Lawine der Leute
    hindurchgehn,
    anders als sie, und allein –
    wie der Splitter eines Rubins,
    der im Eise glüht.
    Himmel!
    Lasse mich leuchten.
    Lasse mich nachts
    auf das schwarze Samtkleid
    ausschütten die Diamanten der Seele.

    2
    Glaubt nicht den Führern und Ministern,
    Glaubt nicht den Zeitungen!
    Erhebt euch, die ihr mit eurem Antlitz die Erde deckt!
    Seht ihr die große Bombe
    und den Blick des Todes aus den offenen Gräbern?
    Steht auf!
    Steht auf!
    Steht auf!
    O Purpurblut des Aufstands!
    Steht auf und reißt die morschen Zuchthausmauern
    dieses Staates ein!

    3
    Wo sind sie –
    die den Kanonen an die Gurgel fahren,
    die mit dem heiligen Messer der Rebellion
    die Geschwüre des Krieges herausreißen ?
    Wo sind sie?
    Wo sind sie?
    Wo sind sie?
    Oder gibt es sie nicht mehr? –
    Dort an den Werkbänken stehen ihre Schatten
    angekettet mit einer Handvoll klingender Münzen.

    4
    Der Mensch ist verlorengegangen.
    Unwichtig wie eine Fliege
    rührt er sich kaum in den Zeilen der Bücher.
    Ich gehe hinaus auf den Platz
    und presse ins Ohr der Stadt
    den Schrei der Verzweiflung.
    Menschen! Tröstet mich nicht!
    In eurer Hölle kann ich nicht atmen!

    5
    O Himmel!
    Ein strafendes Messer will ich besitzen!
    Sieh nur, wie man die schwarze Lüge
    auf das weiße Linnen speit.
    Sieh nur,
    wie abends die Dunkelheit
    am blutbesprengten Banner nagt …
    Furchtbares Leben –
    wie ein Gefängnis, auf Knochen getürmt.
    Ich falle!
    Ich falle! …
    und fühle wie in meinem Innern tief
    der Mensch erblüht.

    6
    Wir haben uns daran gewöhnt,
    in freien Stunden
    auf den Straßen Gesichter zu sehen,
    die vom Leben besudelt sind –
    Gesichter wie eure.
    Aber plötzlich –
    wie das Grollen eines Gewitters
    und wie das Antlitz Christi am Tag der Wiederkunft
    aufersteht
    die getretene und gekreuzigte
    Schönheit des Menschen.
    Ich bin es – ich,
    der zur Wahrheit ruft und zum Aufstand,
    der nicht mehr Diener sein will,
    und eure schwarzen
    aus Lügen geflochtenen Fesseln zerbricht.
    Ich bin es – ich,
    der vom Gesetz in Fesseln Geschlagene,
    der das Manifest des Menschen verkündet!
    Mag mir der Rabe
    in den Marmor des Leibes eingraben
    das Kreuz.

    https://www.nachrichtenspiegel.de/2016/06/24/in-eurer-hoelle-kann-ich-nicht-atmen-juri-galanskow-und-das-manifest-des-menschen/

  3. Ursprung sagt:

    "Die Macht der Machtlosen" ist meistens einfach deren Mehrheit. Die Machtlosen treiben in Wahrheit die vermeintlichen Maechtigen qua Existenz vor sich her. Dinge zu denken und zu tun, welche sie ohne Existenz der Machtlosen nicht fuer noetig befinden wuerden,
    Macht Anstrebende sind also die Parasitaeren, Schwachen, sich nicht stark genug Waehnenden, aus eigener Kraft leben zu koennen.
    Sie sind die Schwaechlinge unserer Spezies.
    Sie meinen, Methoden anwenden zu muessen, andere zu uebertoelpen -Macht ausueben zu muessen- um heil oder komfortabel durchs Leben zu kommen. Das Teuflische ist nix als Schwaeche.
    Staerke ist das HEIL-ige.
    Mephisto ist der sich laufend selbst brandmarkende Looser oder in heutiger Sprache ausgedrueckt ein Klabauterbach in einem Looser-Machtausuebungs-Regime.

  4. triple-delta sagt:

    Wie leben denn die Menschen heute, da die Visionen eines Havel seit 1990 Realität geworden sind?
    Havel war offensichtlich Antikommunist. Damit war er für den Kapitalismus und damit auch stillschweigend für alle Konsequenzen, die sich daraus ergeben, auch eine faschistische Diktatur. Leider spricht sowohl aus Havels, als auch aus den Worten des Autors hier nur der dumpfe Antikommunismus, der die Rolle des Klassenkampfes zwischen Kapital und arbeitender Klasse völlig negiert. Da sind die Kapitalisten weiter. Ich erinnere an das Zitat von Warren Buffet zum Klassenkrieg. Wie will man die gegenwärtigen Entwicklungen kritisieren, wenn man sich doch geistig im Fahrwasser des Kapitals aufhält? Das ist schizophren.

  5. How - Lennon sagt:

    "Dort, wo es einen öffentlichen Wettbewerb um die Macht, also auch eine öffentliche Kontrolle der Macht gibt, (…) wirken immer bestimmte Korrektive, die die Ideologie daran hindern, sich vollständig von der Wirklichkeit zu emanzipieren."

    Er träumte noch den Traum des angeblich freien Westens.
    Die wirkliche Macht – völlig egoistisch, lebensfeindlich, unsichtbar und zukunftsblind (nach mir die Sintflut!) – lässt sich nicht kontrollieren, sie macht was sie will und bestimmt auch die "Wahrheit". Erst wenn es zu auffällig und für sie zu brenzlig wird, wechselt die Clique ihre Oberhäupter aus. Für die Dummie-Masse, die der andere Pol der Lebensfeindlichkeit darstellt weil unendlich verblendet und gutgläubig, mag das so aussehen, als ob eine große Revolution im Gange ist, die sie initiiert hätte. In Wirklichkeit werden sie wie immer an der Nase herumgeführt.
    Die wirklich Sehenden, Lebendigen, die wirklich in der Wahrheit leben, bewegen sich immer zwischen diesen Polen und sind immer eine verschwindend kleine Minderheit. Da sie aber ständig aufpassen müssen, nicht zwischen den Polen zermahlen zu werden und gezwungen sind, der Wahrheit immer direkt in die Fratze zu sehen, ist dieses Leben oft alles andere als ein Zuckerschlecken.

    "Das Aufhängen der Transparente mit politischen Losungen und das Argumentieren mit diesen Losungen in der Öffentlichkeit sind Rituale, bei denen nicht der Sinn der Worte zählt."
    "Das ‚Diktat des Rituals‘ führt freilich dazu, dass sich die Macht deutlich anonymisiert. Der Mensch löst sich fast im Ritual auf, lässt sich von ihm tragen, (…)"

    Im glorreichen, ach so freien und regulativen Kapitalismus waren und sind die politischen Transparente und Rituale die Werbung und der Konsum. Für die Natur insgesamt noch einen ordentlichen Ticken schädlicher bzw. mittlerweile tödlich pur.
    Wenn demnächst alles kollabiert ist, darf man hoffen auf eine "bessere" Welt mit mehr Sehenden und (Natur-)Liebenden. Erst dann.

    • Poseidon sagt:

      Unser Geist kontrolliert die Materie wissen wir aus der Quantenphsik (Doppelspaltexperiment) und dem Kybalion
      Wir sind unser Ego aber unser Ego sind nicht wir.
      Goettliche Freiheit gibt es nur dort wo wir unser Ego kontrollieren und
      sie ist die Voraussetzung fuer eine dynamisch gesunde und authentische Entwicklung der Menschheitsfmilie.
      Love is the key!
      https://youtu.be/je6haxaLBPc

    • How - Lennon sagt:

      Ich interpretiere das ach so mystische Doppelspaltexperiment ziemlich anders, nämlich extrem simpel: Die Teilchen – und es sind und bleiben Teilchen, keine Wellen – werden vom "Äther", also unendlich kleine/feine Materie, die durch eben dieseTeilchen in Schwingung versetzt wird, gelenkt.
      Unser Geist und überhaupt das scheinbare Nichts/Vakuum bestehen auch aus dieser unendlich feinen Materie. Die gröbere und feinere Materie beeinflussen sich ständig gegenseitig, so wie Atome ganze Sternsysteme beeinflussen und umgekehrt. Prinzipiell sind sie das Gleiche, bis auf die Größe und Geschwindigkeit.

      Insofern haben Sie im Ergebnis Recht.

    • Kiristal sagt:

      >>Er träumte noch den Traum des angeblich freien Westens.

      Hätte er wissen können, dass die Freiheit (west) darin besteht noch eine weitere Runde mit dem Riesenrad fahren zu können (wenn man noch Geld dafür übrig hat)? Und dass alle denen das nicht reichte mit Valium / Antidepressiva ruhig gestellt wurden?

      Ich glaube kaum. Die Kulisse die der Westen aufgestellt hatte war gewaltig und verlockend. Sie basierte auf kurzfristiger, maximaler Ausbeutung aller Resourcen zum schnellen Sieg über den Gegner. 32 Jahre später und im 22.Jahr des endlosen Krieges gehen diese Resourcen jetzt langsam aus und kein Sieg in Sicht.

  6. Poseidon sagt:

    Die "Maske"ist zur Zeit der Kokon der Menschheitsfamilie.
    Bei der nimmerstten Raupe hilft es auch nicht den Kokon goettlich anzuschneiden.
    Sonst werden die Fluegel in der Metamorphose nicht stark genug um ihn als Teil der Schmetterlingsfamilie zu tragen.
    Wer liebt dem wachsen Fluegel.
    Great people come together and give each other wings and Love is the key!
    https://youtu.be/dkxAJZFTwxU
    https://youtu.be/7kBorZDx2WA

  7. Pexus sagt:

    Die "Bürgerbewegung" Charta77, da ist noch nicht untersucht worden, ob nicht der Westen hinter dieser Bürgerbewegung stand.

  8. Andreas I. sagt:

    Hallo,
    und als er dann selber Präsident war, lautete die Losung "Tschechien in die Nato!"

    • Poseidon sagt:

      Die NATO(D) ist auch nur eine Polaritaet im Wirbelsturm mit dem goettlichen Auge in der Mitte.
      Wer in der Ruhe der Mitte balanziert ist ,sieht von dort ganz klar und friedlich die Kraeftepaare toben und tanzen.
      Love is the key.

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