Kretschmer attackiert Norbert Bolz
Ein Kommentar von Paul Clemente.
Endlich wieder eine Hausdurchsuchung. Wurde auch Zeit. Der Abgang von Innenministerin Nancy Faser und Thomas Haldenwang trieb Zensur- und Cancel-Fans in qualvolle Ungewissheit: Wer schickt jetzt die Polizei zu den Oppositionellen? Bundeskanzler Friedrich Merz? Eher nicht. Der jagt sozial Schwache und sponsert die Ukraine mit Feuerwerkskörpern. Darüber hinaus erklärt er: Der Erhalt von Meinungsfreiheit zähle zu seinen „Hauptaufgaben“. Ist die Cancel Culture damit erledigt?! Ach wo. Auch die CDU mag auf Schock-Pädagogik nicht verzichten. Hausdurchsuchung am frühen Morgen als Mittel gegen publizistische Frechheit: Das hat sich bewährt. Das gibt man nicht einfach so auf. Letzte Woche traf es den Medien- und Kommunikationswissenschaftler Professor Norbert Bolz.
Der begann vor 44 Jahren als Pop-Theoretiker. Seine philosophischen Paten-Onkel: Gilles Deleuze und Felix Guattari. Als postmoderner Denker analysierte Bolz den Zwiespalt der Moderne. In jüngerer Zeit konvertierte er zu neoliberalen Positionen: Mehr „Selbstverantwortung“ des Einzelnen, Kritik am Sozialstaat. Den Medien attestierte er die Zerstörung der Debattenkultur, O-Ton Bolz:
In „Feuilletons und Talkshows wird längst nicht mehr diskutiert, sondern nur noch emotionalisiert.“
Wiederholt schoss der Professor gegen Verengung des Meinungskorridors. Schlimmer noch: Er publizierte bei bösen Alternativ-Medien: Darunter Die Achse des Guten und die Wissensmanufaktur. Beim Mainstream sprang die Alarmanlage an: Bolz hat ideologisches Feindesland betreten.
Dann kam der Januar 2024. Die Taz feierte die Bekämpfung der AfD mit dem Tweet: „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“. Bolz kommentierte:
„Gute Übersetzung von woke: Deutschland erwache!“
Anderthalb Jahre später: 23. Oktober 2025, Tatort Berlin Zehlendorf. Um 8:50 Uhr klingelt die Polizei bei Norbert Bolz. Hausdurchsuchung! Vorwurf laut Amtsgerichts Tiergarten: Verstoß gegen § 86a des Strafgesetzbuches (StGB): Die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. „Deutschland erwache!“ war einst Losung der SA. Bolz habe das gewusst und sie trotzdem getweetet. In aller Öffentlichkeit. Daraus folgerte der zuständige Amtsrichter: Eine Durchsuchung sei verhältnismäßig und erforderlich, ergo legal.
Nun haben die Beamten nicht die ganze Bude durchgewühlt. Der Grund: Die Staatsanwaltschaft hatte den Amtsrichter vorab gebeten, die Durchsuchung mit einer Abwendungsbefugnis zu mildern. Das bedeutet: Wenn der Beschuldigte kooperiert, wenn er freiwillig die gesuchten Beweise übergibt, wird auf Durchsuchung verzichtet. Bolz nutzte diese Option: Auf seinem Smartphone zeigte er den Beamten, dass er der Autor war. Damit galt die Durchsuchung als beendet.
Ihnen kommt die Aktion seltsam vor? Trösten Sie sich. Dem Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner ergeht es ebenso. Der fragt sich: Bolz war als Autor des Tweets doch bekannt. Er hatte ihn nicht anonym gepostet. Was suchten die Beamten also? Rechtsanwalt Udo Vetter hält die Durchsuchung für „krass rechtswidrig“. Ein Anhörungsbogen hätte vollkommen ausgereicht. Oder war die Aktion als Schocktherapie intendiert? Immerhin riet ein Beamter dem Professor:
„Sie sollten in Zukunft vorsichtiger sein, was Sie posten.“
Bolz kommentierte auf Twitter:
„Das werde ich tun und nur noch über Bäume sprechen.“
Der Vorfall geriet zum Skandal. Sogar Politiker aus dem linken Spektrum lehnten die Aktion ab. So solidarisierte sich Ex-Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang mit dem Autor. O-Ton:
„So ziemlich alles, was ich von Norbert Bolz je gelesen habe, fand ich politisch komplett falsch. Aber solche Razzien sind absurd. Und die so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten untergräbt das Vertrauen in den Rechtsstaat.“
Ex-Justizminister Marco Buschmann stellte klar: Der Tweet erfülle keinen Straftatbestand, da er keine Identifikation mit dem NS, sondern als „Schmähung der ‚Woke‘-Bewegung“ intendiert war.
Selbst die Taz, gegen die der Tweet gerichtet war, schrieb: Sie wundere sich „über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, hält eine Hausdurchsuchung wegen eines solchen Tweets für unverhältnismäßig und fragt sich, warum die Staatsanwaltschaft nicht schon 1998 bei der Taz geklingelt hat, als wir titelten 'Deutschland, erwache!'“
So angenehm die Solidarisierung der Mainstreamer überrascht, desto bizarrer die Äußerungen des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer. Der verteidigte die Razzia gegenüber der Bild-Zeitung:
„Naziparolen dürfen wir nicht dulden. Wer das tut oder den Hitlergruß zeigt, der muss in diesem Land mit Bestrafung rechnen.“
Dass dieser Tweet eine Satire war, spielt für Kretschmer keine Rolle. „Da kann man versuchen, sich herauszureden und sagen, das ist Satire. Das werden Gerichte klären, ob das der Fall ist.“ Mit Verweis auf die Gräuel des NS-Regimes folgert er: „Deswegen hat das überhaupt nichts mit Meinungsfreiheit zu tun. Sondern das sind Straftatbestände, zu Recht!“ - Man fragt sich, ob Kretschmer den Tweet je gelesen hat. Glaubt er tatsächlich, dieser Satz spiegele den politischen Standpunkt von Bolz? Und der satirische Kontext wäre bloß Tarnung?
Kretschmers Reaktion ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Cancel Culture, Kriminalisierung von Satire und Kritik nicht mehr von der jeweiligen Regierungspartei abhängt. In der Lockdown-Zeit etabliert, wird sie seitdem von NGOs und staatlichen Meldestellen getragen. Es war das Melde-Portal „Hessen Gegen Hetze“, das Bolz ans Bundeskriminalamt verpfiffen hat. Das hatte voriges Jahr einen bayrischen Rentner ans Messer geliefert. Seine Untat: Das Posten eines satirischen Memes gegen den damaligen Wirtschaftsminister Robert Habeck. Denis Yücel, Autor bei der Tageszeitung Die Welt, forderte gestern eine Schließung der „Denunziationsbude“. Guter Vorschlag. Aber ausreichen dürfte es kaum.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Zwei Polizisten stehen vor der Eingangstür des Gebäudes
Bildquelle: Ground Picture/ shutterstock
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