Hässliche Fratzen hinter frommem Antlitz der EU-Menschenrechtsritter | Von Rainer Rupp

Ein Kommentar von Rainer Rupp.

Am Montag dieser Woche, am 7. Dezember, haben sich die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten über neue Maßnahmen der Europäischen Union verständigt, um Länder außerhalb der EU bei Menschenrechtsverletzungen schneller mit Strafen zu sanktionieren. Bei Ländern in der EU, wie z.B. bei den groben Menschenrechtsverletzungen einschließlich Folter eines journalistischen Dissidenten in einem britischen Hochsicherheitsgefängnis sehen die EU-Herrschaftseliten keinen Rechtsbruch. Die EU-Parlamentarier finden dieses himmelschreiende Unrecht in Großbritannien nicht einmal erwähnenswert.

„Splitter im Auge des anderen suchen, Balken im eigenen Auge ignorieren“; das ist das bewährte Motto nicht nur der Herrschaftseliten in der Exekutive der Europäischen Union wie EU-Kommission und EU-Rat, sondern auch in der Mogelpackung, die Europäisches Parlament (EP) genannt wird.

In der bisherigen Regelung der EU-Kommission waren Sanktionen gegen Einzelpersonen, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen oder davon profitieren, nicht vorgesehen. Strafen konnten nur gegen Staaten verhängt werden. Auf Grund der diese Woche verabschiedeten, neuen Sanktionsregeln können jetzt gegen bestimmte Personen u.a. Einreiseverbote verhängt oder ihre eventuell vorhandenen Vermögenswerte in der EU eingefroren werden.

Allerdings legt die Erfahrung mit der heuchlerischen Menschenrechtspolitik der EU-Chefetage und der Regierungen der EU-Mitgliedsländer nahe, dass auch dieser neue Strafkatalog nicht aus humanitärer Sorge beschlossen wurde. Tatsächlich haben sich die politischen Eliten der EU damit ein neues Propagandainstrument gegen Russland, China und Belarus und einige andere, ihnen nicht genehme Länder und Personen geschaffen. Denn in der medialen Begleitmusik zu dem neuen Menschenrechtsbeschluss der EU-Außenminister werden die „üblichen Verdächtigen“, vor allem Russland, China, und Belarus, als Hauptzielscheibe für die neuen Strafmaßnahmen genannt.

Laut der sogenannten, deutschen „Qualitätsmedien“ sollen diese Strafen auch gegen angebliche, aber in der Regel nicht bewiesene Cyberangriffe und Chemiewaffeneinsätze (Nowitschok) angewandt werden.

Als Vorbild für das neue Menschenrechts-Strafsystem der EU hat der sogenannte „Global Magnitsky Act“ des US-Kongresses gedient, ein dubioses, anti-Russland Gesetz des viel gepriesenen US-Leuchtturms für Menschenrechte. Entsprechend hatten eifrige Russenhasser unter den EU-Eliten den Vorschlag gemacht, den neuen EU-Sanktionsmechanismus nach dem von Putin höchstpersönlich gemarterten und jüngst von den westlichen Kriegstreibern selig-gesprochenen Alexej Nawalny zu benennen. Diese Idee setzte sich im EU-Ministerrat jedoch nicht durch, was darauf hindeutet, dass einige EU-Außenminister noch über Reste von vernünftigem Menschenverstand verfügen. Der SPD-Komparse, der die Rolle des deutschen Außenministers spielen darf, gehört nicht dazu.

Außerdem hatten die EU-Staaten wegen des gefakten Nowitschok-Anschlags, auf den vom Westen zum Oppositionspolitiker erhobenen Nawalny bereits im Oktober Einreise- und Vermögenssperren gegen mutmaßlich Verantwortliche aus dem Umfeld von Russlands Präsident Wladimir Putin verhängt. Mit knapp 1 Prozent der Stimmen bei den letzten Präsidentschaftswahlen ist Nawalny in Russland vollkommen unbedeutend, wird aber vom Westen als Störfaktor gegen den Kreml propagandistisch aufgewertet und ausgenutzt.

Wenn es darum geht, propagandistisch angebliche Menschenrechtsverstöße in Russland und Belarus anzuprangern, oder auch in China, das neuerdings aus Kadavergehorsam gegenüber Washington wieder verstärkt im Visier der EU-Menschenrechtskrieger steht, dann drängt sich vor allem das Europa Parlament (EP) nach vorne.

Dabei ist das Europäische Parlament kein richtiges Parlament, sondern eine Mogelpackung. Auf der steht zwar Parlament drauf, aber von den Rechten eines echten Parlaments, wie wir es aus den nationalen Mitgliedsstaaten der EU kennen, ist in der EP-Mogelpackung nur wenig vorhanden. Denn die Aufgabe des EP besteht nicht in der Gesetzgebung, sondern hauptsächlich darin, den Völkern der Europäischen Union vorzugaukeln, dass die EU, samt Kommission und Rat, ein demokratisches Projekt ist. Zugleich gilt es, die Tatsache zu verdecken, dass es sich bei der EU um eine neoliberale Oligarchie der Superreichen handelt, die von Konzernen, durch Konzerne, für Konzerne regiert wird. Dementsprechend setzt sich auch das Groß der Europarlamentarier zusammen.

Wenn es darum geht, politische und soziale Tugend zu signalisieren und Menschenrechte zu heucheln, dann kennt das Gros der Europarlamentarier kein Halten mehr. „Splitter im Auge des anderen zu finden und Balken im eigenen Auge zu ignorieren“ ist dabei ihr bewährtes Motto, wie der Fall Assange wieder unter Beweis stellt. Denn in einem neuen Rekord der Scheinheiligkeit haben zwei Drittel der Europarlamentarier jüngst in einer Plenarsitzung, in der es um die Einhaltung der „Menschenrechte in der EU“ für den neuen Jahresbericht ging, beschlossen, dass der Name Assange im neuen Menschenrechtsbericht nicht erwähnt wird.

Die erwähnte Plenarsitzung des Europäischen Parlaments fand letzten Monat, am 24. November 2020, in Brüssel statt. Eingangs wurden alle EP-Mitglieder mit der nötigen, moralischen Schwere an die hohen Werte erinnert, für die die Europäische Union und auch sie selbst angeblich stehen. Wörtlich hieß es:

„Unsere gemeinsamen Werte und Grundrechte sind in Artikel 2 des EU-Vertrages beschrieben: Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit, Wahrung der Menschenrechte, einschließlich Rechte von Minderheiten. Artikel 3 benennt die Förderung dieser Werte als Ziel der EU.“

Bei der anschließenden Debatte zu Punkt 5 der Tagesordnung, der lautete: „Die Lage der Grundrechte in der Europäischen Union“, verhinderte die Mehrheit der Europarlamentarier, dass Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen in etlichen EU-Mitgliedsstaaten, wie z.B. die langjährigen Haftstrafen für gewählte Volksvertreter in Spanien, oder der Fall über die Folterhaft von Assange in Großbritannien keinen Eingang in den Jahresbericht finden sollten.

Die Einzige, die zu diesem Punkt Klartext sprach, war Clare Daly, eine EP-Abgeordnete aus Irland: Zitat:

„Grundrechte sollten über politische Spielchen und Eigeninteresse stehen. Sie sollten für alle der große Gleichmacher sein, egal wer du bist oder aus welchem Land du kommst. Wenn wir das ignorieren, dann führt unser Grundrechtsbericht, der sich mit Whistleblowern und Pressefreiheit befasst, aber den gefährlichen Präzedenzfall Julian Assange nicht erwähnt, uns nur in eine Sackgasse.“ Weiter sagte sie:

„Wenn es der Trump-Administration gelingt, dass er an die USA ausgeliefert wird, kann er für seine Journalismus Tätigkeit in der EU für 175 Jahre in einem US-Hochsicherheitsgefängnis landen. Das (der Fall Assange) ist der größte Fall der Pressefreiheit in unserer Generation und wir schweigen.“

Aber wie erwartet zeigte der leidenschaftliche Appell der Frau Daly bei der Mehrheit der Europarlamentarier keine Wirkung.

Einen Tag später, am 25. November stimmte das EP dann über den Änderungsantrag, mit dem die Menschenrechtsheuchler sicherstellen wollten, dass der Name von Assange im neuen EP-Menschenrechtsbericht mit keinem Wort erwähnt wird, ab. Für diesen Antrag stimmten 408 Mitglieder des EP, dagegen 191 und 93 enthielten sich der Stimme. Somit stand fest, dass die große Mehrheit der Europarlamentarier sich entschieden hatten, dass das Leiden des weltberühmten, investigativen Journalisten Julian Assange einfach vergessen wird, seine Person ausradiert wird, als hätte er nie existiert. — Assange? Nie gehört. Wer ist das?

Dem deutschen Satiriker Martin Sonneborn, fraktionsloses Mitglieds des EP für die Partei „Die Partei“, ist es zu verdanken, dass es eine tabellarische Übersicht über das Abstimmungsverhalten der deutschen Europarlamentarier zum Fall Assange gibt, mit Namen und Parteizugehörigkeit,

  • Von der CDU/CSU haben alle – ohne Ausnahme – den Antrag unterstützt, den Namen „Julian Assange“ im Menschenrechts-Jahresbericht der EU nicht zu erwähnen. Nicht einmal eine einzige Stimmenthaltung gab es in dieser Partei.
  • Von den 16 SPD-Stimmen gab es erwartungsgemäß 10 Abgeordnete, die wie die CDU gestimmt haben. Weiter gab es bei der SPD nur eine einzige Nein-Stimme, zwei Stimmenthaltungen und 3 Abwesende.
  • Bei der FDP waren alle für die Resolution, Assange nicht zu erwähnen.
  • Bei den „Grünen“ und den „Linken“ waren alle Stimmen dagegen, wollten, dass der Fall thematisiert wird.
  • Und bei der AfD war das Ergebnis durchwachsen, mit der Mehrheit dagegen, wie bei Grünen und Linken.

Assanges großer Fehler war, dass er nicht wie das Gros seiner westlichen Journalisten-Kollegen sich ein leichtes Leben gemacht hat, indem er hochbezahlte Artikel mit billiger Hetze gegen Russland und China als investigativen Journalismus verkauft. Vielmehr hat Assange in mühsamer Arbeit mit Hilfe von Whistleblowern u.a. aus dem US-Militär eine ganze Reihe von US- und westlichen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgedeckt. Er hat die hässlichen Fratzen enthüllt, die sich hinter den so ehrlich und sorgenvoll wirkenden Politikergesichtern der Demokratie- und Menschrechtskrieger verbergen. Und damit steht Assange auch all jenen deutschen Polit-Eliten im Weg, die immer mehr „Verantwortung“ rund um den Globus übernehmen wollen. Aber für wen und wofür?

Den Motiven dieser Politikertruppe, die seit nunmehr über zwei Jahrzehnten jeden Krieg, den Washington vom Zaun gebrochen hat, am liebsten ungefragt und sofort mit deutschen Soldaten unterstützt hätte, hatte der im November 2015 verstorbenen ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt zutiefst misstraut. In einem Grundsatzartikel in der Wochenzeitung „Die Zeit“ vom 30.10. 2008 hatte er auch seine SPD-Genossen mit folgenden Worten gewarnt:

„Bisweilen hört man, wir müssten uns aus Solidarität im NATO-Bündnis an militärischen Interventionen beteiligen. Das Argument passt besser in die Nibelungensage als in die heutige Wirklichkeit. Denn das nordatlantische Bündnis war und ist ein Verteidigungsbündnis, nicht etwa ein Bündnis zur Umgestaltung der Welt. Solange es ein Verteidigungsbündnis bleibt, ist es erwünscht, weil für einen Notfall notwendig. Aber daraus ein Instrument zur Umgestaltung fremder Staaten zu machen, daran sollten wir nicht mitwirken, auch wenn von einigen Politikern oder Schreibern dergleichen als Ausdruck weltpolitischer Verantwortung dargestellt wird. Wo immer von weltpolitischer Verantwortung die Rede ist, dort muss man prüfen, was die eigentlichen Motive sind.“

Aber zurück zur Plenarsitzung des Europäischen Parlaments am 24. November. Dort wurde erwartungsgemäß auch viel von „Verantwortung“ für alle möglichen Weltregionen gefaselt, bevor die Heuchlerparade unter einem weiteren Punkt, Punkt 15, der Tagesordnung die „Bekämpfung der Straflosigkeit für Verbrechen gegen Journalisten weltweit“ debattierte. Vergeblich sucht man im EP-Sitzungsprotokoll zu diesem Tagesordnungspunkt eine Erwähnung des Journalisten Julian Assange. Dabei wird Assange laut Bericht des UNO-Bevollmächtigten Nils Melzer im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh „gefoltert“.

Vor einem Jahr, Anfang November 2019 hatte Melzer, ein international anerkannter Experte für Foltermethoden, Assange erneut im Gefängnis in Belmarsh besucht, wo er auch heute noch isoliert in Einzelhaft sitzt. Zuvor war Melzer bereits im März 2019 bei Assange in Belmarsh gewesen. Beide Male war Melzer ohne Wenn und Aber zu dem Schluss gekommen, dass Assange von den britischen Behörden psychisch gefoltert wird. Sein Alarmruf, der auf damals aktuellen medizinischen Diagnosen bezüglich Assanges Gesundheit basierte, klang wenig hoffnungsvoll: Zitat:

“Die Gesundheit von Herr Assange befindet sich in eine Abwärtsspirale aus zunehmender Angst, Stress und Hilflosigkeit, die typisch ist für Personen, die längerer Isolation und ständiger Willkür ausgesetzt sind.”

In einer düsteren Einschätzung fügte Melzer hinzu:

“Während die genaue weitere Entwicklung schwer mit Sicherheit vorherzusagen ist, kann sich dieses Symptommuster schnell zu einer lebensbedrohlichen Situation entwickeln, die einen kardiovaskulären Zusammenbruch oder einen Nervenkollaps zur Folge hat.”

Melzer sagte, die Maßnahmen, die er im Mai ergriffen habe, um Assanges Gesundheit und Würde zu schützen, seien von den britischen Justizbehörden ausdrücklich ignoriert worden. Zitat:

„Was wir stattdessen von der britischen Regierung gesehen haben, ist völlige Missachtung der Rechte und der Integrität von Herrn Assange. Trotz der medizinischen Dringlichkeit meiner Berufung und der Schwere der mutmaßlichen Verstöße hat das Vereinigte Königreich keine Maßnahmen zur Ermittlung, Vorbeugung und Wiedergutmachung ergriffen, die nach internationalem Recht vorgeschrieben sind. “

Weiter fügte Melzer hinzu, dass Assanges Haftbedingungen nicht zu rechtfertigen seien. Er sagte, Zitat:

“Während die US-Regierung Herrn Assange wegen der Veröffentlichung von Informationen über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen, einschließlich Folter und Mord, verfolgt, genießen die Täter, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, weiterhin Straflosigkeit.“

Wie schon im Mai, schenkten die westlichen Medien der Erklärung Melzers über die Folterung Assanges keine Aufmerksamkeit. Angesichts der Vorgehensweise der großen Mehrheit im Europäischen Parlament und des Schweigens der selbsternannten Qualitätsmedien verstärkt sich der Eindruck, dass das Schicksal des unschuldig gefangenen und gequälten Assange bereits besiegelt ist und das Opfer im Gedächtnisloch entsorgt werden soll. So sieht die ungeschminkte Fratze der westlichen Wertegemeinschaft aus, die gerne den Rest der Welt über Demokratie, Menschenrechte und internationales Recht belehren will.

Man muss sich nur mal den hysterischen Aufschrei dieser Heuchler vorstellen, wenn Assange unter diesen Bedingungen in einem russischen Gefängnis festgehalten würde.

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Die Bücher „Wir sind die Guten“, „Wer regiert das Geld?“ und „Chronik einer angekündigten Krise“ von Paul Schreyer werden in diesem Zusammenhang empfohlen.

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Danke an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bildquelle:   Alexandros Michailidis / shutterstock

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