Grün verpackte Nato-Meinungsmache und die Herausforderungen unserer Zeit

von Bernhard Trautvetter.

In unseren Zeiten, in denen ein System auf der Erde wütet, das alles andere als zukunftsfähig ist, braucht die Menschheit im großen internationalen Rahmen und in allen noch so klein erscheinenden Handlungsbezügen einen weiten Blick über das eigene Gesichtsfeld und über den Augenblick hinaus. Das betrifft die Alternative Solidarität und Zusammenwirken beim Abwenden der Zukunftsgefährdungen oder Barbarei mit eventuell finalen Folgen für die Zivilisation.

Was international gebraucht wird, braucht seine Entsprechungen in allen Horizonten unterhalb der internationalen Ebenen bis in unseren heutigen Alltag. Wer sich dafür einsetzt, kann mit dazu beitragen, dass die Zukunftsgefährdungen abgewendet werden.

Leider greifen genau in der unsrigen Zeit Hass, Nationalismus und Rassismus um sich. Und leider verbreiten sich auch Militarismus, Konkurrenzdenken, Ohnmacht und Alltagsgewalt. In der Lage haben alle VerantwortungsträgerInnen in den alternativen Spektren die Verantwortung, friedliche Problem- und Konfliktlösungen zu verbreiten, zu unterstützen und immer erst einmal einfach zu versuchen.

Leider geschieht derartiges nicht immer, wie die unsäglichen Querfront-Verdächtigungen auch in Spektren, die sich im Bereich der politischen Linken einordnen, zeigen. Auch in der “Grünen-Partei”, die 1980 als “Kind der Vereinigung von Umwelt- und Friedensbewegung” aus der Taufe gehoben wurde, ist schon lange – spätestens seit dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Nato ein Ungeist verbreitet, der die Überlebenskräfte der Menschen und der Menschheit lähmt. Ein trauriges Beispiel dafür ist aktuell der am 22.2.2018 erschiene Gastbeitrag Omid Nouripours (Die Grünen/Bündnis 90) in der Frankfurter Rundschau (FR). Omid Nouripour rückte 2006 für Josef Fischer (der den Nato-Krieg gegen Jugoslawien mit verantwortet) in den Bundestag nach. Dort sammelte er Erfahrungen unter anderem in folgenden Ausschüssen: im Europa-, Haushalts- und Verteidigungs-Ausschuss sowie im Auswärtigen Ausschuss und im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Sein aktueller FR-Beitrag steht für die Entwicklung einflussreichster Führungskräfte der Grünen hin zu einer im Sinne der Bundeswehr olivgrünen Umfärbung seiner Partei. Herr Nouripour meint darin, der Koalitionsvertrag kümmere „sich wenig um Außenpolitik“; das Vorwort zu seinem Text endet mit den Worten: „Dabei müssen wir mehr über Deutschlands internationale Rolle sprechen (…) Bürgerinnen und Bürgern müssen wir verdeutlichen, was notwendig ist für die Sicherheit unseres Landes.“

Herr Nouripour schreibt das, obwohl er z.B. diese ausgewählten Textstellen aus dem Vertrag selber kennt: „Deutschland wird auch künftig einen angemessenen Beitrag zum Erhalt der Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses und zu einer starken europäischen Verteidigung leisten. In diesem Rahmen bleibt die Bundeswehr (…) ein unverzichtbarer Bestandteil deutscher Sicherheitspolitik. Unsere Politik (…) dient unseren Interessen. (…) Ab 2018 bis 2021 wird die Koalition zusätzlich entstehende Haushaltsspielräume prioritär dazu nutzen, neben den Verteidigungsausgaben (…) Mittel für Krisenprävention, humanitäre Hilfe, auswärtige Kultur- und Bildungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit (…) angemessen zu erhöhen. (…) Diese Erhöhungen dienen der Schließung von Fähigkeitslücken der Bundeswehr und der Stärkung der europäischen Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich wie auch (…) der Stärkung der zivilen Instrumente der Außenpolitik und Entwicklungszusammenarbeit. (…) Vor einer zukünftigen Beschaffung von bewaffnungsfertigen Drohnen sind die konzeptionellen Grundlagen für deren Einsatz zu schaffen. Völkerrechtswidrige Tötungen lehnen wir kategorisch ab, auch durch Drohnen.“

Herr Nouripour erinnert im Text daran, dass Frau von der Leyen sowie die Herren Gauck und Steinmeier in der Sicherheitskonferenz 2014 das Credo von “mehr deutscher Verantwortung” (…) beschworen haben. Er bedauert, in diesem “Credo” gäbe es nun Risse, obwohl der Dreiklang Gauck/Steinmeier/von der Leyen Deutschland auch so genannte  „militärische Lösungen“,  so als ob es so etwas gäbe, so als enden Kriege im Frieden, einfordert. Die Grünen entfernen sich immer rasanter von ihrem Ursprung, von ihrer Seele. Da liest man in Petra Kelly’s Buch “Um Hoffnung kämpfen”: „Doch Tatsache ist, dass diese Sicherheitspolitik uns an die extremste Unsicherheit geführt hat, der sich die Menschheit je gegenüber sah.“  Herr Nouripour bezeichnet nun – 35 Jahre später – das Militär als „Ultima Ratio und letztes Mittel der Außenpolitik“, und er kritisiert: „Eine politische Definition der deutschen außen- und sicherheitspolitischen Ambitionen“ sei nicht in Sicht. Er übernimmt die von Petra Kelly kritisierte Vokabel und verabschiedet sich von der grünen Gründungsidee des Zusammengehens von Friedens- und Ökologie-Bewegung. Stattdessen übernimmt er unüberprüft Narrative der Nato-Propaganda. Er kritisiert, das „Versagen“ deutscher und westlicher Politik, während „Russland und China ihre (…) Ordnungsvorstellungen (…) mit Waffengewalt, Entwicklungsmitteln und Desinformationskampagnen” durchsetzen.

Er schreibt das so, als gäbe es das auf westlicher Seite nicht. Westliche Desinformation betrifft aber demgegenüber schon die Begründung für die Aufrüstung durch die Nato: Man verweist immer wieder darauf, Russland abschrecken zu müssen. Russland hat aber einen Militäretat, der ca. 1/10 des Pentagon-Budgets  ausmacht, die weiteren Nato-Ausgaben bedeuten dann, dass die westliche Allianz die Hälfte der Welt-Militärausgaben verantwortet. Hier mehr Geld zu fordern, wie das auch Herr Nouripour fordert, ist durch die Fakten nicht zu rechtfertigen. Im Gegenteil: Auch Petra Kelly kritisierte auf der großen Friedensdemonstration 1981 in Bonn, dass die Rüstung zusätzlich auch ökologisch nicht zu verantworten ist: „Wir (…) fordern einen selbstgenügsamen Umgang mit den Rohstoffen in einer ökologischen Lebens- und Wirtschaftsweise, so dass in unserem Namen keine Gewaltpolitik mehr von den Herren da oben mehr betrieben werden kann.“

Ein weiteres Nato-Narrativ, das Herr Nouripour mit seiner Formulierung über die von Russland ausgehende „Waffengewalt“ mit bedient, ist die Russland-Politik gegenüber der Ukraine, vor allem bezüglich der Krim. Die Nato rechtfertigt in manipulativer Absicht damit sogar ihre lange schon vor den Ereignissen in Kiew und auf der Krim beschlossene Weiterentwicklung der Nuklearsysteme, die die Nuklearschwelle weiter absenkt. Am 8.10.2015 las man dazu in der Bild-Zeitung: „Die Nato ist schwer besorgt über den immer aggressiveren, weltpolitischen Kurs Moskaus. BILD erfuhr: Beim Nato-Verteidigungsminister-Treffen heute in Brüssel tagt auch die “Nuclear Planning Group” (…) um ihre Nuklearstrategie anzupassen. Hintergrund: Putin hat während des Ukraine-Kriegs die Anzahl seiner Truppenübungen drastisch erhöht – und dabei auch den Einsatz von Atomwaffen geprobt. Die Nato-Beschlüsse zur Stationierung lenkbarer und in ihrer Sprengkraft dosierbarer B61-12-Nuklearsysteme fielen schon auf dem Chicago-Gipfel der Nato 2012 und sie hatten schon da ihren jahrelangen Vorlauf. Mit der russischen “Waffengewalt” meint Herr Nouripour unausgesprochen auch die Krim-Eingliederung ins russische Staatsgebiet. Sie war nach der Verfassung der Ukraine Rechtsbruch. Diesem Rechtsbruch ging allerdings ein Rechtsbruch voraus, den der Westen geflissentlich übergeht: Wochen zuvor wurde eine pro-westliche Regierung in der Ukraine installiert, die nur mit dem Bruch der Verfassung zustande kam. Die Verfassung schreibt vor, dass eine Regierung nur mit ¾-Mehrheit abgesetzt werden darf. Dieses Quorum hat man nicht erreicht, als die Vorgänger-Regierung Janukowitsch abgesetzt und die Regierung Yazenjuk mit rechtsextremer Unterstützung ins Amt gehoben wurde. Wer sich aus der Vielzahl der Rechtsbrüche diejenigen herauspickt, die ins eigene Narrativ passen, manipuliert. Im gegebenen Fall ist es zusätzlich Propaganda, die genutzt wird, um militärische Eskalation zu rechtfertigen.

Dieses “Spiel mit dem Feuer” bedient Herr Nouripour, wenn er am Ende seines Gastkommentars schlussfolgert: „Ein Land in der Mitte Europas, dessen Bürger weiter auf den Schutz der Nato vertrauen, in dem aber (…) nur 38 Prozent bereit wären, unsere Nachbarn im Falle eines russischen Angriffs zu verteidigen, hat ein unbestreitbares Defizit in der außenpolitischen Debatte.“

Man kann in den Vorbehalten der Bevölkerung gegenüber Kriegsbeteiligung auch eine dem Grundgesetz entsprechende Friedensliebe sehen, sind doch alle Handlungen, die das friedliche Zusammenleben der Völker gefährden, nach Artikel unter Strafe zu stellen. Die Friedensbewegung füllt diese Vorgabe mit Leben. Bitter, dass Grüne wie Herr Nouripour sich davon nun schon seit zwei Jahrzehnten verabschiedet haben. Eine antikapitalistische Bewegung für eine Zukunft, die nur ökologisch und sozial sein kann, wird gerade angesichts des Aufschwungs von Rücksichtslosigkeit und Gewalt im Kleinen wie im Großen immer nötiger. Dieser Satz stimmt genauso wie dieser Satz: Derzeit gibt es für diese übergreifende Kraft in den Spektren kaum Ansätze, im Gegenteil – das aber macht diese Aufgabe nicht gegenstandslos.

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