Seit ihrem ersten Bombardement einer syrischen Militäreinrichtung unter dem Vorwand des Einsatzes von Chemiewaffen am 7. April, eskalieren die USA die Lage weiterhin in gefährlicher Weise. Jetzt, da der „Islamische Staat“ im Irak und in Syrien so gut wie besiegt ist, versuchen sie ihren Einfluss in Syrien für die Zeit nach dem IS zu sichern.
von Petra Wild.
In al-Tanf im Südosten Syriens an der irakischen Grenze haben die USA einen Stützpunkt errichtet, dem sich in einem Umkreis von 55 km keine Truppen der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten nähern dürfen. Mehrere Konvois (18. Mai, 6. Juni) und Drohnen (8. Juni, 20. Juni) wurden beschossen bzw. abgeschossen. [1]
Das Scheitern der US-Pläne für den Nordosten Syriens
Von al-Tanf aus beabsichigten die USA, sich im Nordosten Syriens ebenfalls ein Einflussgebiet zu sichern, doch das misslang bisher. Das Ziel, die Regierungstruppen und ihre Verbündeten daran zu hindern, die syrisch-irakische Grenze unter ihre Kontrolle zu bringen, wurde nicht erreicht. Am 10. Juni nahmen diese den ersten Grenzstützpunkt seit 2015 ein. Sie trafen sich dort mit den irakischen Milizen von den „Popular Mobilisation Units,“ die von der anderen Seite der Grenze gekommen waren und auf ihrem Weg, den Angaben ihres Anführers Abu Mahdi Al-Muhandis zufolge, 142 Dörfer befreit hatten. Damit besteht nun ein zusammenhängender Landkorridor von Teheran über Bagdad und Damaskus bis Beirut. Obwohl die USA erklärt hatten, das unbedingt verhindern zu wollen, fehlten ihnen offensichtlich die Mittel dazu.[2] Die Schlacht um den Osten Syriens wird vielfach als eine der wichtigsten Schlachten für die Zukunft Syriens und der Region betrachtet. Dort versuchen sowohl die pro-Regime-Koalition als auch die Pro-US-Koalition, möglichst viel von dem Terrain, das durch die Niederlagen des IS frei wird, zu besetzen.
Der Nordosten Syriens ist reich an Rohstoffen und arm an Bevölkerung. In der Provinzhauptstadt Deir Ezzor, wo etwa 200.000 Menschen leben, gibt es einen Stützpunkt der syrischen Armee, der vom IS belagert wird. Jetzt da der Westen Syriens, wo die Mehrheit der Syrer/innen lebt, wieder zu großen Teilen unter der Kontrolle der Regierung steht, konnte die syrische Armee gegen den IS in Deir Ezzor in die Offensive gehen. Diese Offensive wurde am 18. Juni von den USA durch den Abschuss einer syrischen Militärmaschine behindert. Das war eine neue Eskalationsstufe, die von Russland mit einer scharfen Warnung beantwortet wurde.
Ursprünglich hatten die USA beabsichtigt, die Offensive im Nordosten selbst zu leiten, um dieses Gebiet dann zu ihrer Einflusszone machen zu können. In al-Tanf bilden sie eigens eine syrische Truppe aus, die unter anderem für diese Offensive eingesetzt werden sollte. Doch die syrische Regierung und ihre Verbündeten kamen ihnen zuvor.
Die Hauptstadt des IS al-Raqqa liegt ebenfalls im Nordosten Syriens. Dort wird die Offensive gegen den IS von den mit den USA verbündeten „Syrischen Demokratischen Kräften“ (SDF) durchgeführt, die größtenteils aus den „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) bestehen, die der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahe stehen. Raqqa grenzt an das von den Kurd/inn/en unter ihre Kontrolle gebrachte Gebiet im Norden des Landes, das sie zu einer eigenen kurdischen Konföderation machen wollen. Die syrische Regierung betrachtet das als Beginn der von den USA angestrebten Teilung des Landes und die Türkei als unakzeptable Bedrohung.
Trotz der Kollaboration der syrischen Kurd/inn/en sind die Kräfte der USA in Syrien schwach. Es ist nicht klar, wie weit die YPG in ihrer Zusammenarbeit mit den USA, die sie für den Kampf gegen die vom Iran unterstützten Milizen instrumentalisieren möchten, gehen wird. Ein Vertreter der Organisation erklärte gegenüber der Online-Zeitung al-Monitor, dass das Bündnis mit den USA auf die Bekämpfung des IS begrenzt sei. Für ein Vorgehen gegen den Iran stünden sie nicht zur Verfügung. Im Gegensatz dazu meldete die in irakischen Teil Kurdistans erscheinende Onlinezeitung „Basnews“ unter Bezug auf Quellen in der YPG, dass die SDF wie von den USA gewünscht, Truppen nach al-Tanf schicken und sich am Kampf gegen die schiitischen Milizen beteiligen würden. Schon seit geraumer Zeit schlägt die SDF einen raueren Ton gegenüber den schiitischen Milizen an. So warnten sie diese Anfang Juni davor, das von ihnen kontrollierte Territorium zu betreten.[3] Andere Bodentruppen als die Kurden haben die USA nicht.
Die vielen Versuche, eine pro-US-Rebellenarmee aufzubauen, die in den letzten Jahren Milliarden von Dollar gekostet haben, sind gescheitert. Doch die USA versuchen es weiterhin. In al-Tanf stellen sie gegenwärtig aus den Resten vergangener gescheiterter pro-US-Truppen die „Jaysh Maghawir al-Thawra“ („Kommandotruppen der Revolution“) auf, die von ihnen ausgebildet und bewaffnet wird. Mitte Juni eröffneten sie im nahegelegenen al-Zakf eine zweite Militärbasis und brachten in al-Tanf ein hochentwickeltes Raketensystem in Stellung.
Wenn die USA zumindest einen Teil ihrer Ziele in Syrien noch erreichen wollen, müssen sie ihr militärisches Eingreifen verstärken. Das erhöht die Gefahr der Konflikte mit Teheran und Moskau.
Kampf gegen den Iran – und nicht gegen den IS – als Schwerpunkt der US-Politik
Mittlerweile hat die US-Administration den Schwerpunkt ihrer Politik in der Region von der Bekämpfung des IS auf die Bekämpfung des Iran und seiner Verbündeten verlegt.
Außenminister Tillerson beschuldigt den Iran, auf Kosten der US-Verbündeten Hegemonialmacht in der Region werden zu wollen. Er erklärte, dass die USA weiterhin „Regime Change“ in Teheran anstrebten. Auch werde geprüft, das Iranische Revolutionsgardenkorps (IRGC), Irans wichtigste militärische Kraft, in seiner Gesamtheit zur terroristischen Organisation zu erklären. Als solche gilt bisher gilt nur die Quds (Jerusalem) Force der IRGC, die für Auslandsoperationen zuständig ist. Der nationale Sicherheitsberater Generalleutnant H.R. McMaster macht den Iran für die humanitäre und politische Katastrophe in der gesamten Region verantwortlich. Verteidigungsminister James Mattis benannte als die drei größten Bedrohungen für die USA: „Iran, Iran, Iran.“ Die Verschärfung der Linie gegenüber dem Iran zeigt sich auch in der Ernennung von Michael D’Andrea, einem extremen anti-Iran-Hardliner, zum Chef des Iran-Programms der CIA.
Parallel zur Verschärfung der Rhetorik gegenüber dem Iran und den zunehmenden militärischen Angriffe auf Truppen, die an der Seite des Regimes in Syrien kämpfen, unternahm der IS seinen ersten Anschlag in Teheran. Bei zwei Angriffen von Selbstmordattentätern auf das iranische Parlament und den Khomeini-Schrein wurden am 7. Juni 17 Iraner/innen getötet. Der Iran machte Saudi-Arabien, den engsten arabischen Verbündeten der USA, für den Anschlag verantwortlich. Saudi-Arabiens neuer Kronprinz Muhammad bin Salman, der den Krieg gegen den Jemen initiiert hat, hatte zuvor in einem Fernsehinterview damit gedroht, den Krieg ins Innere des Iran zu tragen.
Der Iran nahm das nicht passiv hin, sondern ließ ebenfalls die Muskeln spielen. Am 17. Juni feuerten die iranischen Revolutionsgarden aus dem Westen des Iran „als Vergeltung“ für den Anschlag Mittelstreckenraketen auf einen IS-Stützpunkt in Deir Ezzor ab. Dieser erstmalige Einsatz iranischer Raketen war vor allem eine politische Botschaft an die USA, Saudi-Arabien und Israel. Dadurch sollte allen drei Staaten klargemacht werden, dass der Iran sowohl die Fähigkeit als auch die Entschlossenheit habe, deren Territorien bzw. im Falle der USA deren in der Region stationierte Truppen unter Beschuss zu nehmen.[4] Während etliche Hardliner im Weißen Haus auf eine Verschärfung der Konfrontation mit dem Iran innerhalb und außerhalb Syriens drängen, warnen Verteidigungsminister James Mattis und der Joint Chief of Staff General Joseph Dunford aufgrund der unkalkulierbaren Risiken davor. Das heißt nicht, dass sie weniger anti-iranisch wären, sie haben nur einen realistischeren Blick auf die Gefahren.[5]
Als Präsident Trump am 26. Juni vor der Absicht der syrischen Regierung warnte, erneut Chemiewaffen einzusetzen und zugleich eine militärische Antwort der USA ankündigte, konnte das nur als Vorbereitung neuer US-Angriffe verstanden werden. Außenminister Lawrow warnte die USA und kündigte an, sein Land werde angemessen auf einen US-Präventivschlag reagieren. Nur wenig später erklärte Verteidigungsminister Mattis, die syrische Regierung sei durch die US-Warnung abgeschreckt worden und plane nun doch keinen Chemiewaffeneinsatz. Das war ein deutliches Zurückrudern gegenüber der vom Weißen Haus ausgehenden Eskalation.
Die USA sind in der Klemme, einerseits wollen sie nicht, dass das syrische Regime mit der Unterstützung seiner Verbündeten den Krieg gewinnt und an der Macht bleibt und andererseits ist ein stärkeres militärisches Eingreifen mit großen Risiken verbunden. Wie weit die USA diese Risiken eingehen soll, ist innerhalb des Staatsapparates umstritten.
Israels wachsende Beteiligung am Syrien-Krieg
Auch der wichtigste regionale Verbündete der USA – Israel – ist an der schrittweisen Eskalation gegen Syrien und den Iran beteiligt. Ende Juni bombardierte es innerhalb einer Woche viermal syrische Truppen auf den Golan-Höhen. Auch wenn das damit begründet wurde, dass Geschosse aus Syrien auf dem von Israel besetzten Golan eingeschlagen seien, so legt das Zusammenfallen dieser Bombardements mit einer Offensive jihadistischer Truppen gegen die syrische Armee nahe, dass Israel die Luftunterstützung für al-Qaeda und ihre Verbündeten übernommen hat. Die Zusammenarbeit Israel mit diesen wahhabitischen Extremisten ist schon seit längerem bekannt und wurde kürzlich auch im „Wall Street Journal“ thematisiert.[6]
Israel verfolgt die Entwicklungen in Syrien mit großer Sorge. Nicht nur wurde das Assad-Regime nicht gestürzt, die regionale Achse des Widerstands gestärkt und die militärischen Fähigkeiten der Hizbollah verbessert, nun droht auch noch eine Situation, in der die Hizbollah und die iranischen Revolutionsgarden direkt an seiner Grenze sitzen. Eine der irakischen Milizen, die an der Seite der syrischen Armee kämpft hat bereits eine Brigade zur Befreiung Palästinas aufgestellt. Israel fordert nun eine Pufferzone im Süden Syriens. Ob die USA in der Lage sein werden, eine solche zu errichten, ist ungewiss. Hassan Nasrallah, der Generalsekretär der Hizbollah, warnte Israel Mitte Juni in einer Rede davor, selbst Krieg gegen Syrien oder auch gegen den Libanon zu führen. Denn in diesem Falle könne es sich nicht darauf verlassen, dass es ein rein israelisch-syrischer oder israelisch-libanesischer Krieg bleiben werde.
Die wachsende Gefahr eines größeren Krieges
Kriege entwickeln sich nicht immer als Ergebnis von Planung und Vorsatz, sondern infolge falscher Einschätzungen und Kalkulationen. In Syrien agieren die USA, der Iran, Russland, das UK und andere westliche Staaten sowie die Hizbollah, die SDF, irakische Milizen und anderer Kräfte nebeneinander, manchmal auf engstem Terrain. Die Spannungen zwischen den verschiedenen Lagern nehmen zu. In einer solchen Situation kann die unüberlegte Aktion einer Seite zu einer größeren Konfrontation führen. Zum Beispiel wurde in einer Stellungnahme des „Befehlshabers der Einsatzzentrale der mit Syrien verbündeten Kräfte,“ die in den Militärnachrichten der Hizbollah verbreitet wurde, am 6. Juni davor gewarnt, dass militärische Positionen der USA angegriffen würden, wenn diese die rote Linie überschritten. Dass es bisher keine militärische Reaktion auf die Provokationen der USA gegeben habe, sei kein Zeichen von Schwäche, sondern von Vernunft. [7]
Diese Warnung ist ernstzunehmen. Wenn die USA weiter eskalieren, wird es früher oder später Angriffe auf sie geben. Daraus könnte wiederum eine größere Eskalation erwachsen.
Quellen
[1]: Iddon, Paul, The US expands its Toehold in Southern Syria, The New Arab, 16.6.2017
[2]: Hashim, Ali, Recapture of Iraq-Syria Border Point heralds a new regional Reality, Al-Monitor, 19.6.2017
[3]: Testekin, Fehim, Kurds reaching critical Juncture in US Partnership, Al-Monitor, 22.6.2017; Basnews English, YPG to send Troops to Tanf to fight Iran-backed Militias: Source, 17.6.2017; Abedin, Mahan, A Confrontation is looming on the Iraq-Syria Border, Middle East Monitor 6.6.2017
[4]: Abedin, Mahan, Going ballistic: The defiant Iranian Message in Deir Ezzor, Middle East Eye, 26.6.2017; Middle East Eye, Iran fires Missiles at IS in Syria to avenge Tehran Attacks, 18.6.2017
[5]: Brannen, Kate; De Luce, Dan; McLeary, Paul, Mattis overrules White House Radicals on Syria Policy, Newsweek, 19.6.2017
[6]: Jones, Rory, israel gives secret Aid to Syrian Rebels, Wall Street Journal, 18.6.2017; Winstanley, Asa, Could Israel’s Love Affair with al-Qaeda come to an End ?, Middle East Monitor, 11.2.2017
[7]: Middle East Eye, Pro-Assad Alliance threatens to hit US Positions in Syria, 7.6.2017
Petra Wild ist Islamwissenschaftlerin mit den Arbeitsschwerpunkten Palästina-Frage sowie Widerstand und Revolution in der arabischen Welt. Sie ist Autorin der Bücher „Apartheid und ethnische Säuberung in Palästina. Der zionistische Siedlerkolonialismus in Wort und Tat“ (Wien, 2013) und „Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung. Zur Zukunft eines demokratischen Palästinas“ (Wien, 2015)
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