Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
Als ich von dieser Geschichte erfuhr, hätte ich meinen Glauben an die Menschheit fast wiedergewonnen. Die Rede ist von den Kaapor (Bewohner des Waldes), einem der dreihundert indigenen Völker Brasiliens, deren 1800 Stammesmitglieder im Bundesstaat Maranhão leben. Ihr staatlich anerkanntes und demarkiertes Territorium Alto Turiaçu entspricht der doppelten Fläche des Saarlandes und ragt wie eine grüne Insel aus einem Meer der Zerstörung hervor. Bis an den Rand des Schutzgebiets haben Holz- und Bergbaufirmen, Viehzüchter, Großgrundbesitzer und Spekulanten den Regenwald fast komplett gerodet. Da die Behörde für Urbevölkerung, die Fundação do Índio, die Kaapor seit Jahren allein ließ, griff der Stamm zur Selbsthilfe.
Um ihr Gebiet besser schützen zu können, haben sich viele der Indigenen in neu errichtete Dörfer am Rande ihres Territoriums niedergelassen–zumeist in geräumten Holzfällercamps oder an Orten, an denen Straßen bis an das Stammesgebiet führen. 25 Holzfäller-Pisten wurden dadurch bereits blockiert. So sichern und kontrollieren die Kaapor die Grenzen des Regenwaldes vor Eindringlingen. Außerdem bildete der Stamm ein bewaffnetes „Urwald-Heer“ aus, mit dem er gegen illegale Holzfäller und Wilderer zu Felde zieht. Die Krieger zerren diese Leute von den Sitzen der Planierraupen und aus den Führerhäusern der LKWs, verprügeln und fesseln sie, um sie anschließend zu verschleppen, nicht ohne die Fahrzeuge zuvor in Brand gesteckt zu haben. In den Dörfern des Stammeswerden die Gefangenen ihrer Kleidung beraubt und von den Kindern und Frauen bespuckt und verhöhnt. Anschließend zwingt der Stamm die geschundenen Holzfäller zu einem sogenannten „Friedenstrank“- zu einer gemeinsamen Ayahuasca-Sitzung.
Der Ayahuasca-Tee wird aus den Fasern der Mariri-Liane und den Blättern des Rosenstrauchs Chacrona gewonnen, seine Herstellung ist kompliziert. So wie ein Kellermeister ein besonderes Zungenspitzengefühl entwickelt, so ist auch der Ayahusqueiro ein Meister der Zubereitung. Er ist es, der die Sitzungen leitet und die kollektive und individuelle Erfahrung lenkt. Die Wirkung des Tees ist unberechenbar und heftig, bis zu dem Moment, da der Meister die erste Chamada anstimmt. Chamadas sind Anrufe, welche als Orientierung dienen. Das ist der Augenblick, in dem Misstrauen in Vertrauen umschlägt. Und darum geht es den Kaapor in erster Linie. Allerdings will man seinen Gefangenen den Schrecken, den der halluzinogene Trank für Anfänger bereit hält, nicht ersparen.
Ein befreundeter Ethnologe, der einige Wochen bei den Kapoors gelebt hat, war Zeuge einer solchen „Strafaktion“ geworden. Er berichtete, wie den Holzfällern nach der Einnahme des Tees der Schrecken in die Glieder fuhr, wie sich ihre Gesichter vor Angst verzerrten, wie sie sich krümmten und winselnd um Gnade flehten. Einige versuchten zu fliehen und warfen sich doch nur in den Staub, um sich schließlich im Gesang des Ayahusqueiros langsam aufzurichten. Ihre Gesichtszüge entspannten sich, die flackernden Augen kamen zur Ruhe. Die Männer schienen plötzlich reinzuhören in eine Welt, die ihnen vorher verschlossen war, sie lachten und berührten sich gegenseitig, ihre Köpfe richteten sich nach dem Gesang der Vögel aus. „Sie betrachteten die Blumen mit solcher Zärtlichkeit, dass ihnen die Tränen kamen.“
Nach zehn Stunden, als die Wirkung des Tees allmählich nachließ und sie sich auf dem Dorfplatz erneut den Frauen und Kindern stellten, herrschte Frieden zwischen den illegalen Holzfällern und dem Stamm.
Ayahuasca. Die Indios im brasilianischen Regenwald nennen die Leute, denen der Tee heilig ist, die „Trinker des kleinen Todes.“ Mein Bekannter nahm einige Monate später selbst an einer Sitzung teil, in St.Augustin bei Köln, wo diese Zeremonien zur Selbstheilung ganz legal angeboten werden. Sein Erfahrungsbericht hat mich beeindruckt:
„Tatsächlich hatte ich in den ersten Stunden nach der Einnahme das Gefühl, als würde ich sterben, ohne es jemanden sagen zu können. Ich befand mich im freien Fall, die Strecke abwärts war mit Dämonen gepflastert. Einer der Schamanen sagte mir später, dass ich die Skala meiner Ängste hinunter gerauscht wäre. Einen Herzschlag habe ich jedenfalls nicht erlitten und einen Aufprall gab es auch nicht. Und wenn, dann war das Trampolin, mit dem ich am Ende der Dämonengalerie in ungeahnte Höhen geschleudert wurde, so fest gespannt, dass es mir vorkam, als hätte man mich einfach weiter geleitet, anstatt mich abzubremsen oder aufzufangen.
Ich werde sie nie wieder betreten, die Insel des Verstandes, das steht fest. Ich weiß jetzt, von welchen drei Eigenschaften der Mensch sich leiten lassen sollte, wenn er den Traum von Frieden und Harmonie nicht aufgegeben hat: Entschlossenheit, Redlichkeit, Einfachheit – mehr braucht es nicht, mehr macht krank. Wer Ayahuasca erleben will, muss auf jeden Fall den Preis der Veränderung in Kauf nehmen, der Veränderung seines eigenen Wesens. Der Tee passt einen im wahrsten Sinne des Wortes an. Ich bin ein Angepasster geworden, wer hätte das gedacht. Angepasst an die Natur. Ich wünsche mir, dass mir diese emotionale Intelligenz, die mich befähigt hat, den Bäumen und Tieren, dem Himmel und den Flüssen so selbstverständlich zuzuhören, wie einem Vertreter meiner Spezies, noch lange erhalten bleibt. Die gewonnenen Einsichten sollen eine unüberhörbare Stimme bleiben, die mich gegen alle Dummheiten auf den richtigen Pfad zwingt. Die ungetrübte Erkenntnis, worum es im Leben wirklich geht, wird als kristalline Errungenschaft in meinem Innersten bewahrt.“
Da kommt mir eine Idee: Vielleicht sollten auch wir, das Volk der Alemannen, dem Beispiel der Kaarpor folgend das europäische Politiker-Pack aus ihren Sesseln zerren und zu einem „Friedenstrank“ zwingen. Wir würden sie verhöhnen, ihnen unsere Hassreden direkt ins Gesicht schleudern, anstatt die wohlfeilen Wörter den Zensoren des Internets zu überlassen. Was für ein Vergnügen wäre es doch, sie im Strahl kotzen zu sehen. Der Tee ist nämlich nicht nur extrem bitter, sondern sieht auch extrem unappetitlich aus: eine undurchsichtige gelbbraune Flüssigkeit von seltsamer Konsistenz, aus der essigsaure Dämpfe steigen. Das Elend kann Stunden dauern. Ein widerlicher Zustand, indem sich die kriegsgeilen Herrschaften schwitzend und mit glasigen Augen durch ein Gestrüpp aus Halluzinationen immer wieder dem Eimer zubeugen. Und wenn sie zwischendurch die Köpfe heben, erschrecken sie zu Tode. Der Anblick der werten Kollegen ist nämlich nicht zu ertragen. Zum ersten Mal sehen sie sich in all ihrer leblosen Hässlichkeit.
Das Pflanzengebräu hält die Qualen bewusst bereit. Schließlich soll der Proband schlackenfrei und physisch gereinigt sein, wenn Ayahuasca die Geschenke reicht und ihn mit der Schöpfung bekannt macht. Ein Zauber der besonderen Art. Deshalb wäre an einer solchen Aktion auch nichts verwerflich. Wer mit dem Tee in Berührung kommt, muss auf jeden Fall den Preis der Veränderung in Kauf nehmen, der Veränderung seines eigenen Wesens.
Die gewonnenen Einsichten werden eine unüberhörbare Stimme bleiben, die selbst eine Ursula von der Leyen, eine Strack-Zimmermann, einen schlackernden Mundwinkelakrobaten Merz, die Heerschar der Kiesewetters, Scholzens, die Baerböcke und Harbecks gegen alle Dummheiten auf den richtigen Pfad zwingt. Jetzt ist sie implantiert, die ungetrübte Erkenntnis, worum es im Leben wirklich geht. Mal sehen, ob die geläuterten Giftzwerge den Russen immer noch vor unserer Haustür stehen sehen.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: ConstanzaMartinez / shutterstock
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