Obwohl China ein zentralistisch geführter Nationalstaat und die EU ein föderaler Staatenverbund ist, lohnt sich der Vergleich beider Akteure in Ansätzen vor allem dort, wo es um die Frage geht, wie souverän und strategisch mit den USA verhandelt wird. Während Peking auch unter Druck auf seinem eigenen Kurs besteht und Zugeständnisse nur gegen klare Gegenleistungen macht, begnügt sich Brüssel zunehmend mit symbolischer Mitsprache. Besonders deutlich zeigt sich das im Bereich der Zoll- und Handelspolitik. Donald Trump konnte jüngst sowohl gegenüber Europa als auch China Bedingungen diktieren – doch der Unterschied liegt im Umgang damit: China wahrt strategische Zurückhaltung, kalkuliert Zeit und Druckpunkte. Die EU unter Ursula von der Leyen hingegen akzeptiert de facto US-Vorgaben – und verkauft sie als Einigung.
Ein Meinungsbeitrag von Sabiene Jahn.
Peking schweigt. Während Donald Trump lautstark Exportkontrollen aussetzt, um ein Handelsabkommen mit China nicht zu gefährden, bleibt Xi Jinping stumm. Kein Tweet, kein Dementi, kein Vorschlag. Und doch ist es genau dieses Schweigen, das die Karten neu mischt. Denn China weiß, was Europa bis heute nicht begriffen hat: Macht entsteht nicht durch Prinzipien, sondern durch strategische Geduld, nationale Kohärenz – und den unerschütterlichen Willen zur Selbstbehauptung. Während die EU sich im Juli 2025 mit einem fragwürdigen Zollabkommen den Zugang zu amerikanischen Gasmärkten teuer „erkauft“ , untergräbt China leise, aber systematisch die technologischen und politischen Spielräume des Westens. Nicht durch Krieg. Nicht durch Sanktionen. Sondern durch eine Kombination aus industrieller Zielstrebigkeit, geopolitischem Realismus – und einem Selbstbewusstsein, das in Brüssel längst abhanden gekommen ist. China denkt in Dekaden. Die EU in Wahlzyklen. Schon in der frühen Phase seiner Industrialisierung setzte China nicht auf moralische Appelle oder regenerative Träume, sondern auf Pläne – „Made in China 2025“, Rohstoffpartnerschaften, globale Lieferketten. In der EU hingegen galt lange: Märkte regulieren sich selbst. Man glaubte an Effizienz, nicht an Souveränität. An Klimaziele, nicht an Versorgungssicherheit. Während Peking eine Strategie für seltene Erden, Speicherchips, künstliche Intelligenz und Rohstoffe aufbaute, gab Brüssel die Kontrolle über fast jeden dieser Sektoren aus der Hand – oft freiwillig.
Zahlen, Schweigen, Folgen
Die Entkopplung der USA von chinesischer Hochtechnologie ist im Kern kein Zollstreit, sondern ein Wettlauf um Vorherrschaft. Doch während Washington eskaliert, kontert Peking mit kontrollierter Offenheit. Trump will einen Deal, China will strategischen Einfluss. Dafür setzt Xi Jinping auch kurzfristig auf Zurückhaltung. Dass der speziell für China entwickelte Nvidia-Chip H20 nun doch geliefert werden darf, ist kein „Erfolg Trumps“, sondern ein kalkulierter Vorteil Pekings: Es erhält Zugang zu kritischer Infrastruktur, ohne einen Finger zu rühren. Europa hingegen? Gibt auf, bevor es beginnt. Die Hoffnung: weniger Konflikt. Die Realität: Absolute Abhängigkeit. Der neue Zollkompromiss zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten, am 27. Juli 2025 in Turnberry (Schottland) von US-Präsident Donald Trump und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen unterzeichnet, wird von Brüssel als diplomatischer Erfolg gefeiert. In Wahrheit markiert er einen politischen Tiefpunkt. Unterwerfung. Die vereinbarten 15 Prozent Zölle auf europäische Exporte – vorher meist bei 2,5 Prozent – treffen Schlüsselindustrien hart: Maschinenbau, Chemie, Pharma, Medizintechnik und insbesondere die Autoindustrie. Im Gegenzug verpflichtete sich die EU zur Abnahme von US-Energie im Wert von 750 Milliarden US-Dollar über drei Jahre sowie zu Investitionen von 600 Milliarden US-Dollar in die US-Wirtschaft, darunter Militär- und Technologiebereiche. Trump nannte das Abkommen „einen historischen Deal für amerikanische Interessen“. Für Europa bedeutet es: zahlen, schweigen, folgen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte schon vor Unterzeichnung vor „einem Deal, der sich wie ein Kuhhandel auf Kosten der Realwirtschaft anfühlt“. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) schätzt die Mehrbelastung für deutsche Hersteller wie VW, BMW und Mercedes auf über 1,2 Milliarden Euro pro Quartal – ein Großteil davon entsteht in exportstarken Regionen wie Niedersachsen und Baden-Württemberg. Laut Maschinenbauverband VDMA sehen viele Mittelständler ihre US-Geschäfte „nicht mehr planbar“. Ein Unternehmen im Saarland gibt an, durch die neuen Zölle allein im Jahr 2025 rund 300.000 Euro zusätzlich zahlen zu müssen. Bei kleinen Margen entscheiden solche Summen über Löhne, Standortentscheidungen – oder das Überleben. In der Medizintechnik melden Firmen wie B. Braun, Dräger oder Siemens Healthineers zunehmende Nachfrageausfälle bei beatmungs- und labortechnischer Ausrüstung. Laut einer Modellrechnung der IHK könnten bis zu 120.000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen, wenn Lieferketten angepasst und Exportmärkte schrittweise verlassen werden.
Schnitzer: „Überschaubare“ Auswirkungen
Und so sehen es deutsche Ökonomen in der F.A.Z: Eine schlechte Einigung ist besser als keine Einigung – so kommentieren sie den Zoll-Deal Europas mit den Vereinigten Staaten. Die deutsche Wirtschaft könne damit leben, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest. Die Zolleinigung werde die deutsche und europäische Wirtschaft belasten, aber nicht in eine Rezession stoßen. Wichtigster Bestandteil sei der generelle Einfuhrzoll von 15 Prozent auf europäische Waren in die USA. „Mit den 15 Prozent kann die deutsche Wirtschaft leben“, betonte Fuest. „Gegenüber der Situation vor dem neuerlichen Amtsantritt von Trump ist das aber eine erhebliche Verschlechterung.“ Der deutsche Export werde etwa 15 Prozent niedriger ausfallen, was teilweise durch höhere Exporte in andere Länder ausgeglichen werden könne. Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, sprach von „überschaubaren“ Auswirkungen: Das Wachstum könnte um 0,2 bis 0,3 Prozent niedriger ausfallen. Holger Schmieding von der Berenberg Bank nannte die Einigung „erträglich“ und hob hervor, dass ein Handelskrieg vermieden wurde. Der fiskalische Stimulus in Deutschland gleiche die Belastung weitgehend aus.
Nach Berechnungen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) sinkt das deutsche BIP um 0,15 Prozent im ersten Jahr, für die EU insgesamt um 0,1 Prozent. Fuest lobte, dass Autos künftig mit 15 statt 25 Prozent verzollt werden, während Stahl und Aluminium bei 50 Prozent bleiben – Letzteres sei bedauerlich, aber weniger bedeutend. Politisch wertete Fuest den Deal als „Demütigung für die EU“, da er die realen Machtverhältnisse widerspiegle: Solange Europa militärisch von den USA abhängig sei, könne es nicht hart verhandeln. Diese Einschätzungen verharmlosen jedoch die strukturellen Schäden: Sie fokussieren auf kurzfristige Wachstumszahlen, ignorieren aber die wachsende Abhängigkeit und den Verlust strategischer Souveränität.
Deal stabilisiert keine Ordnung
Auch energiepolitisch ist der Deal ein Rückschlag. Statt sich aus der Kostenfalle westlicher Energieimporte zu befreien, bindet sich die EU mit einem Gesamtvolumen von 750 Milliarden US-Dollar an LNG- und Ölimporte aus den USA. Diese sind im Durchschnitt 30–40 Prozent teurer als Pipelinegas aus Russland. Laut DIHK planen 35 Prozent der energieintensiven Industriebetriebe eine Teilverlagerung ins Ausland – insbesondere in den asiatisch-pazifischen Raum, wo Energiepreise stabiler und politische Risiken geringer sind. Der aktuelle Industriestrompreis in Deutschland liegt bei 13,4 Cent/kWh – rund 50 Prozent über dem EU-Durchschnitt. Und obwohl der Ausbau erneuerbarer Energien voranschreitet, bleibt das Problem der Volatilität ungelöst: Windkraftanlagen liefern Überkapazitäten, die oft zu negativen Preisen ins Ausland abgegeben werden müssen, während Speichertechnologien nicht im Ansatz ausreichend ausgebaut sind. Ergebnis: Unsicherheit für Betriebe, Entwertung staatlicher Subventionen und eine unübersehbare Lücke bei grundlastfähiger Versorgung.
Dazu kommt die schleichende Erosion der Ernährungssouveränität. Der Deutsche Bauernverband warnt vor einem „verdrängenden Effekt“ durch zollfreie Agrarimporte aus der Ukraine. Bereits 2024 wurden über 11.200 Hektar landwirtschaftlich nutzbare Fläche in Deutschland in Solarparks umgewandelt – oft ohne regionale Planung. Das betrifft insbesondere fruchtbare Böden in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Bayern. Gleichzeitig importiert die EU hochsubventioniertes Getreide, Soja und Ölfrüchte aus der Ukraine, das auf deutschen Märkten zu Preisverwerfungen führt. Klein- und Mittelbetriebe, die noch auf regionale Versorgung setzen, geraten in die Defensive – auch, weil Förderprogramme zunehmend an industriell-energetische Nutzungsformen gekoppelt sind. Der Milchbauernverband formulierte es drastisch: „Wir verlieren den Boden unter den Füßen.“ Die Kommissionspräsidentin nennt all das einen „wichtigen Schritt für Planungssicherheit in geopolitisch unruhigen Zeiten“. Doch Planungssicherheit ist nicht das Ergebnis von Unterwerfung, sondern von Verhandlungsstärke. Der Deal stabilisiert keine Ordnung – er zementiert Europas Schwäche.
Abhängigkeit politisch erzwungen
Bereits im Mai 2025 wies die kanadische Politökonomin Prof. Radhika Desai in einem Interview mit Neutrality Studies darauf hin, dass Freihandel längst keine faire Austauschordnung mehr sei, sondern ein Machtinstrument imperialer Struktur: Die USA, so Desai, nutzten ihre Rolle als Hegemon nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich zur „Abwälzung der inneren Widersprüche des Kapitalismus auf abhängige Partner“. Das reiche von Waffenlieferungen bis zur Energiebindung, von Kapitalflüssen bis zur Währungshegemonie. Das jetzt abgeschlossene Abkommen mit der EU ist kein Vertrag zwischen Partnern, sondern Ausdruck eines asymmetrischen Systems, das Abhängigkeit nicht nur akzeptiert, sondern politisch erzwingt. Besonders sichtbar wird das im Kontext des Ukrainekriegs. Während von der Leyen in Turnberry unterschrieb, scheiterten in Istanbul parallel neue Gesprächsrunden zwischen Russland und der Ukraine. Beobachter verweisen auf die Symbolik: Die wirtschaftliche Anbindung der EU an die USA wird zur geopolitischen Festlegung. Eine neutrale Ukraine, wie sie Russland fordert, wird unter diesen Umständen unwahrscheinlicher. Die USA bleiben „Hauptsponsor“ der ukrainischen Rüstungs- und Sicherheitsstruktur, die EU finanziert die zivile Infrastruktur – ohne diplomatische Mitsprache. Russland sichert seine territorialen Zugewinne ab, Kiew bleibt abhängig, Europa zahlt, weil es in einem Spiel mitspielt, das andere führen.
Der eine predigt, der andere exportiert
Was hätte Europa tun können? Drei Wege lagen auf dem Tisch – und wurden nicht einmal ernsthaft erwogen. Erstens: gezielter Protektionismus im Sinne Friedrich Lists – Vergeltungszölle auf US-Energieimporte, Subventionen für Elektrofahrzeuge und Medizintechnik, Standardvorgaben bei Nachhaltigkeit und Rohstofftransparenz. Zweitens: Stärkung der Selbstversorgung – durch Investitionen in grundlastfähige Energien wie Geothermie oder moderne Kernkraftwerke, Schutz landwirtschaftlicher Flächen, Wiederbelebung regionaler Vorratswirtschaft. Drittens: geopolitische Emanzipation – Verträge mit Russland, Indien, Iran oder Brasilien auf Augenhöhe, unabhängig von Washingtoner Vetos oder Brüsseler Netzwerkstrukturen. Doch all das bleibt Theorie, solange die EU nicht bereit ist, ihre Rolle zu überdenken – nicht als Markt, sondern als Subjekt. Der Zollkompromiss mit den USA zeigt nicht, wie Europa sich entwickelt. Er zeigt, was es bereits verloren hat: wirtschaftliche Autonomie, sicherheitspolitische Unabhängigkeit, diplomatische Relevanz. Und der Krieg geht weiter. Wer wirtschaftlich nachgibt, verliert politisch – das weiß China. Die EU dagegen verkauft ihre letzten Trümpfe für „Kompromisse“, die keiner einfordert.
Was China hat, ist nicht nur strategisches Denken, sondern Einheit. Nicht im westlichen Sinn liberaler Vielfalt – sondern im Sinne eines handlungsfähigen Zentrums. Xi Jinping spricht nie „für 27 Mitgliedsstaaten“. Er verhandelt im Namen einer Zivilisation, nicht einer Kommission. Brüssel hingegen muss Kompromisse zwischen Polen, Portugal und den Niederlanden abstimmen – und sich dabei noch mit transatlantischen Wünschen abstimmen, die selten europäisch sind. China kann mit Russland reden, mit dem Iran Verträge schließen, mit afrikanischen Staaten langfristige Infrastrukturprojekte finanzieren. Europa hingegen darf nur, was die USA nicht verhindern – und was mit den Klimazielen der Kommission kompatibel scheint.
Europa hat nie gelernt, strategisch zu verhandeln. Nie gelernt, nationale Interessen über Ideale zu stellen. Nie gelernt, dass moralische Überlegenheit keine Schutzfunktion hat. Es fehlt an Rohstoffen, Souveränität, industrieller Infrastruktur, Entscheidungsstärke – und am Mut, sich aus dieser Lage zu befreien. Europa hatte Aufklärung, Völkerrecht, Normensysteme. China hat heute Einfluss, Kapital, Machtprojektion. Europa hat NGOs – China hat Unternehmen. Europa baut Windräder – China kontrolliert Lithium. Europa diskutiert Verbote – China gestaltet Standards. Der eine predigt Dekarbonisierung, der andere exportiert Solarpanels. Es ist diese Asymmetrie zwischen Moral und Macht, die den Unterschied ausmacht. Und jetzt? China verhandelt gerade mit den USA auf Augenhöhe, weil es sich nicht entmündigt hat. Europa könnte das auch. Aber dafür müsste es aufhören, sich selbst zu delegitimieren.
Immer mehr Mitgliedstaaten der EU kritisieren nicht nur die Ergebnisse, sondern auch das Fehlen eines europäischen Mandats, das diese Politik überhaupt rechtfertigen würde. Von der Leyens außenpolitisches Handeln erscheint nicht als europäische Strategie – sondern als verlängerter Arm US-amerikanischer Interessen. Gerade deshalb ist der systematische Vergleich mit China aufschlussreich: Er zeigt nicht nur, was Europa nie hatte – sondern auch, was es dringend lernen müsste, wenn es in einer multipolaren Welt bestehen will.
Quellen und Anmerkungen
2.) https://www.politico.eu/article/eus-600bn-us-investment-will-come-exclusively-from-private-sector/
8.) https://www.tagesschau.de/wirtschaft/windkraft-probleme-101.html
11.) https://www.greenpeace.de/publikationen/klimaschutz_thg-einsparung_1.pdf
12.) https://www.presseportal.de/pm/108038/5734306
13.) https://www.tagesschau.de/ausland/europa/ungarn-getreide-ukraine-103.html
14.) www.youtube.com/watch?v=6YewbDRQERY
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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Ursula von der Leyen (Präsidentin der Europäischen Kommission)
Bildquelle: Alexandros Michailidis / shutterstock
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