Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.
Das war mal wieder ganz nach dem Geschmack von Medien und Verschwörungsanhängern. Der Krach zwischen Trump und Selenskjy bot reichlich Raum für wirre politische Theorien. Dabei hat es einfach nur gemenschelt zwischen den beiden nach den Anwürfen der vergangenen Tage.
Unter Druck
Bei aller Ablehnung von Selenskjys Person und Kritik an seiner Politik darf nicht übersehen werden, dass auch er ein mehr oder weniger alltäglicher Mensch ist wie alle anderen auch, wie du und ich, Trump und Putin. Sie sind zwar Politiker mit sehr viel Macht, aber auch einfache Menschen mit Familien, Freunden, Gefühlen, Gedanken und Hirngespinsten. Vieles davon ist mit den Hähnen Trump, Vance und Selenskyj im Oval Office durchgegangen. Vance hatte bereits bei der Münchener Sicherheitskonferenz einen Vorgeschmack auf die veränderte Stimmungslage in den USA gegeben, wenn auch noch nicht so emotional wie sein Chef im Weißen Haus am Freitag. Aber diese Veränderungen sind bei vielen Führungskräften im politischen Westen noch nicht angekommen.
Diesen Ansichten und Hirngespinsten steht die Realität gegenüber. Und wenn Selenskyj nicht vollkommen verblendet ist, dürfte er sich der Lage bewusst sein: Die russische Armee rückt immer weiter nach Westen vor. Für die Ukraine werden Waffen und Soldaten knapp, das Geld ohnehin. Nun droht nicht nur der größte Waffen- und Geldgeber, die USA, seine Hilfen einzustellen. Trump stärkt auch mehr oder weniger direkt Putin den Rücken, denn er will ein Ende des Krieges und das Geld der Amerikaner zurück. Dazu hat Trump direkte Verhandlungen mit aufgenommen, über die Köpfe der Ukraine und Europäer hinweg.
Die USA drohen, die Seite zu wechseln. Wenn auch der Rest der NATO in eigener Selbstüberschätzung gegenüber der Ukraine einen anderen Eindruck erwecken will, aber die Europäer werden keinen Ersatz für die USA bieten können. Dennoch beten sie immer noch die alten Parolen herunter von der unverbrüchlichen Solidarität mit der Ukraine, den Verhandlungen aus einer Position der Stärke zumindest aber auf Augenhöhe und dass es keine Verhandlungen über die Ukraine ohne diese geben darf und vor allen Dingen, dass Russland diesen Krieg nicht gewinnen darf. Sie wollen nicht wahrhaben, dass dieses das Denken der Biden-Regierung war und dass dieses Denken unter Trump nur noch wenig Gültigkeit hat.
In Panik jagt nun eine Konferenz die nächste, und die Besucher aus Europa geben sich bei Trump die Klinke in die Hand. Der selbstgefällige und sich selbst überschätzende Macron versuchte, mit psychologischen Tricks Trump um den Finger zu wickeln. Der eher hölzerne Brite Keir Starmer beschwor die anglo-amerikanische Kampfgemeinschaft seit dem gemeinsamen Kampf gegen die Nazis. Selenskyj dagegen versuchte, Trump mit Geschäften zu ködern. Ihnen allen ging es letztlich um die Fortsetzung des Krieges, wenn auch alle vom Frieden redeten. Wenn aber schon Frieden, dann jedenfalls nicht zu Putins Bedingungen.
Nicht unerwartet
Der Zusammenprall zwischen Trump und Selenskyj kam nicht aus heiterem Himmel. Aber dass es so undiplomatisch zur Sache gehen würde, hatte man im Rest des politischen Westens nicht erwartet. Da war man eher die leisen Töne gewohnt. Jedenfalls hatten sich Trump und Selenskjy schon des längeren mehr oder weniger öffentlich beharkt. Trump will in erster Linie die Milliarden von Dollar zurück, die in die Ukraine geflossen waren, ohne dass dabei etwas Sinnvolles herausgekommen ist.
Deshalb hatte er die geschäftlichen Angebote gerne angenommen, die ihm Selenskyj mit dem Abbau der ukrainischen Bodenschätze in Aussicht gestellt hat. Denn Trump ist Geschäftsmann, der von sich selbst sagt, dass sein Lebensinhalt darin besteht, Deals zu machen. Er kann nichts anderes. Als ihm Selenskjy nun die ukrainischen Bodenschätze anbot, griff er zu. Und als Selenskyj mit dem ersten Vertrag über den Abbau dieser Bodenschätze nicht einverstanden war, erhöhte Trump den Druck. Auch das gehört zu seinen Deals.
Selenskyj könne ins Weiße Haus kommen, wenn er bereit sei, den Vertrag zwischen den USA und der Ukraine zu unterschreiben, ansonsten brauche er nicht zu kommen. Nach einigen Änderungen im Text, die nicht zuungunsten der Ukraine ausfielen, wurde ein Termin im Weißen Haus zur Unterschrift angesetzt. Das ist der Hintergrund des Treffens, das dann aus dem Ruder lief. Aber gerade die Vorgeschichte der gegenseitigen Sticheleien und Angriffe sowie die verzweifelte Lage der Ukraine im Krieg dürfen nicht vergessen werden und hatten erheblichen Anteil an dem Streit.
So kam denn der ukrainische Präsident in Washington an vermutlich in der Hoffnung, nicht nur den Rohstoff-Deal abschließen zu können, sondern auch von Trump handfeste Zusagen bezüglich weiterer Unterstützung im Krieg oder zumindest Schutzgarantien zu erhalten für die Zeit nach dem Krieg. Und in alter Gewohnheit kam Selenskjy als gefeierter Held der Ukraine in seinem olivfarbenen Tarnfleck, das er immer trug, wenn er im politischen Westen Eindruck machen wollte, als Kämpfer für die Freiheit und Verteidiger der westlichen Werte.
Aber er wie so viele andere im NATO-Lager haben sich anscheinend immer noch nicht mit dem Wandel in Stimmung und Politik vertraut machen wollen, die unter der neuen US-Regierung herrschen. Dieser sind Werte nur dann wichtig, wenn sie auch in der Kasse klingeln, also materielle Werte sind. Die sogenannten westlichen Werte mit ihrer woken Doppelmoral haben ihre Bedeutung verloren. Es zählen die Interessen, Zählbares, nicht mehr launische Befindlichkeit.
So stieg denn Selenskyj aus, gewohnt als tarngefleckter Held gebührend empfangen zu werden wie üblich in den vergangenen drei Jahren. Aber plötzlich wehte es ihm eiskalt ins Gesicht. Denn Trump kritisierte seinen Aufzug. In dieser kurzen Geste äußerte sich der Stimmungswandel, der seit dem 20.1. in Washington stattgefunden hat. Selenskjy wird nicht mehr als Held in den USA empfangen, dem sich alle Schatullen öffnen, um weiter Krieg zu führen. Selenskyj wird als Bittsteller gesehen. Das verlangt Anpassung an die herrschenden Gepflogenheiten, und diese bestimmen nicht er, sondern der Hausherr. Und Washington verlangt auf einmal Dankbarkeit von ihm, der sonst mit Huldigungen überschüttet worden war.
Talkshow-Niveau
In ausführlicheren Aufzeichnungen des Treffens im Weißen Haus, nicht den gekürzten Fassungen, die nur Trumps Ausfälle zeigen, ist eine der ersten Fragen von Journalisten an Selenskyj, weshalb er keinen Anzug trage wie alle anderen auch. Es ist ihm anzusehen, wie sehr ihn diese Frage verstört und für ihn unerwartet kommt. Wie? Was? Sind Tarnfleck und Olivgrün als Nachweis für seinen aufopferungsvollen Kampf für die Interessen des freien Westens nun out? Um diesen Bezug hervorzuheben, antwortet er auch auf die ihm gestellte Frage, dass er erst nach dem Krieg wieder einen normalen Anzug tragen werden, also Zivil.
Damit aber gaben sich die Versammelten nicht zufrieden. Sie betonten, dass sein Aufzug nicht der Würde des Hauses entspreche, dass er damit die Gefühle des amerikanischen Volkes verletze. Inwieweit diese Behauptung wahrheitsgemäß ist, kann schwer beurteilt werden. Aber mit solchen Sichtweisen war der Ukrainer bisher nie konfrontiert worden und in der westlichen Öffentlichkeit und ihren Diskussionen hatten sie bisher keine Bedeutung gehabt. Aber sie ist Ausdruck für den Stimmungswandel, wenn auch Medien und Meinungsmacher beides als Belanglosigkeiten anzusehen scheinen, sodass sie darin keine Hinweise auf grundlegende Veränderungen erkennen konnten.
Dieser Stimmungswandel in den USA und die Hinwendung der amerikanischen Regierung zu einer deutlicher an materiellen Interessen orientierten Politik sind der Hintergrund der sich nun im Oval Office vollziehenden Explosion der Gefühle. Von sachlicher Auseinandersetzung konnte keine Rede mehr sein. Die Diskussion erinnerte vielmehr an jene zweitklassiger Talkshows, wo alle sich gegenseitig ins Wort fallen, mit Vorwürfen überschütten und jeder recht haben will.
Das war sehr ernüchternd für das weltweite Publikum. Auf solch einem Niveau sollten die Fragen um Krieg und Frieden behandelt werden, wo es um das Schicksal ganzer Völker geht? Da fühlten sich sicherlich viele Zuschauer eher an die Auseinandersetzungen in ihrem Alltag erinnert. Sollte es in der hohen Politik nicht eher sachlich zugehen bei all dem, was da auf dem Spiele steht? Das war für viele unverständlich, und so meldeten sich dann auch sehr schnell solche Beobachter zu Wort, die dahinter eine Verschwörung erkannt haben wollen, entweder weil sie die Vorgänge nicht verstehen oder aber Selenskyj und damit ihr eigenes Weltbild schützen wollen.
Der unvermeidlich Experte, hier ein Thomas Jäger, vom Nachrichtensender N-tv ausgewiesen als Politologe, erklärte dem erstaunten Publikum:
"Das ist kein Zufall, das ist keine Provokation. Da ist ein Manuskript abgespielt worden."(1).
Nun stellt sich die Frage, ob dieses Manuskript auch mit Selenskyj vorher durchgespielt worden war. Denn der hat ja auch mitgespielt. Waren die amerikanischen Fragen und die ukrainischen Antworten darauf in diesem Manuskript abgesprochen? Oder hatte da wieder nur ein sogenannter Experte nicht verstanden, was vor sich geht, und konnte es sich nicht anders erklären denn als Verschwörung?
Klare Worte
Natürlich haben sich alle Beteiligten auf das Gespräch vorbereitet. Schließlich handelte es sich nicht um eine Shopping-Tour nach Washington für Selenskjy, sondern um Werbung für die ukrainischen Interessen. Dasselbe galt auch für Trump und sein Team. Diese trugen neben allem Zank auch klare Sichtweisen zum Konflikt in der Ukraine vor. Bereits vor dem Treffen hatte Trump deutlich gemacht, dass es ihm um die Beendigung des Krieges geht – und das um jeden Preis. Im Gegensatz dazu will der Rest des politischen Westens, besonders die Europäer, den Krieg fortsetzen – um jeden Preis.
Aber diesem Rest schwimmen die Felle davon, denn sie scheinen allmählich zu merken, dass die Zeit der Werteorientierung zu Ende geht. Wer weiß, ob Trump nur eine Episode ist. Aber seine Wiederwahl unter höheren Zustimmungswerten macht deutlich, dass die Stimmung der Bevölkerung sich geändert hat – zumindest in den USA. Der verbliebene Rest des politischen Westens scheint sich noch nicht im Klaren zu sein über die derzeit stattfindende Entwicklung oder will sie nicht wahrhaben. Die USA wollen den Krieg nicht mehr, sie wollen eine Entspannung mit Russland und neue Geschäftsbeziehungen. Aber ohne die USA können die Europäer diesen Krieg nicht fortführen, geschweige denn gewinnen.
Trump hat nicht nur Selenskjy gezeigt, wo es lang geht, sondern auch den Europäern. Der Krieg muss eine Ende haben. Dabei haben die Amerikaner ihm klar zu verstehen gegeben, dass er den Krieg verlieren wird, dass immer mehr Menschen sinnlos sterben werden und dass er sein Land verlieren wird, wenn er keinen Frieden schließt. Dennoch musste Trump feststellen, dass der ukrainischen Präsident noch nicht bereit sei für den Frieden. Er soll wiederkommen, wenn er Frieden schließen will.
Für die Europäer hielt er die unangenehme Botschaft bereit, dass sie sich selbst um ihre Sicherheit sorgen müssen, wenn sie schon nicht mit Russland auskommen wollen. Schließlich ist es ja ihr Kontinent. Die USA wollen damit anscheinend immer weniger zu tun haben. Das dürfte den europäischen Politikern nun nach dem Zusammenprall im Weißen Haus immer klarer werden, und sie sind entsetzt. Denn dort stießen das alte Denken des politischen Westens mit dem neuen Denken der neuen US-Administration zusammen. Das Jonglieren mit doppeldeutigen Werten und woker Moral scheint vorbei zu sein.
Die Amerikaner unter Trump sind nicht zu Gutmenschen mutiert. Aber sie sprechen eine klare Sprache, die Sprache der eigenen Interessen. Sie wollen ihr Geld zurück, das die Vorgängerregierung in diesen Krieg gesteckt hat, deshalb das Abkommen mit der Ukraine über die Rohstoffförderung. Aber was bleibt dann für die Europäer, wenn die Filetstücke schon verteilt sind an die Amerikaner und die Russen? Auf die beschlagnahmten russischen Vermögen wird Putin bei einem Friedensvertrag bestimmt nicht verzichten wollen und ob die Europäer dann noch in der Position sind, ihm diese vorzuenthalten, ist unwahrscheinlich.
Quellen und Anmerkungen
Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Joshua Sukoff / shutterstock
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