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Ein Kommentar von Paul Clemente.
Das war komödienreif: Schließlich ist der ukrainische Präsident Selenkskyj gewohnt, dass die Europäer ihm den Allerwertesten pudern, ihm alle Forderungen postwendend erfüllen: Das Soldatensterben im Ukrainekrieg verlängern? - Aber gerne doch. Und schon fließen weitere Milliarden ins bodenlose Ukraine-Fass. Wie hatte ein grüner Politiker so schön formuliert: Ohne Rohstoffe aus der Ukraine schaffen wir die Energiewende nicht. Also wird Selenskyj von der westlichen Wertegemeinschaft aufgerüstet und geschützt: Ein Panzer hier, ein Bömbchen da.
Ein ähnliches Ziel verfolgt der Bundeskanzler in spe, Friedrich Merz. Als Ex-Vorsitzender der BlackRocker weiß er: US-Interessen haben auch in Europa Priorität. Und jahrelang wollte Amerika die Ukraine dem eigenen Macht- und Kontrollbereich hinzufügen. Außerdem käme ein geschwächtes oder gar besiegtes Russland nicht ungelegen. Schließlich konkurriert es bei der Energieversorgung mit preiswertem Erdgas. - So lautete das Programm unter Präsident Joe Biden. Aber seit dem Amtsantritt von Donald Trump erkennen Transatlantiker ihr gutes altes Amerika nicht mehr. Diese Wende bekam auch Selenskyj zu spüren. Vor wenigen Tagen flog er nach Washington, um einen Rohstoff-Deal zu fixen. Schon nach wenigen Minuten erlaubte sich Selenskyj einen unverschämten Vorwurf: Putin habe ukrainische Gebiete besetzt, erst die Krim 2014, dann den Osten. Und jetzt kommt’s.
„Niemand hat ihn damals gestoppt, nicht unter Obama, nicht unter Ihnen, nicht unter Biden.“
Trump erwiderte, er sei 2014 noch nicht im Amt gewesen. Folglich konnte er Putin damals nicht stoppen. Im Übrigen sei Frieden nur mit Kompromissen möglich. Dann meldete sich US-Vizepräsident J. D. Vance zu Wort. Der hatte erst kürzlich auf der Münchener Sicherheitskonferenz den Polit-Hühnerstall aufgewirbelt. Gegenüber Selenksy sagte Vance,
„Herr Präsident, bei allem Respekt – ich finde es respektlos, dass Sie ins Oval Office kommen und vor den amerikanischen Medien verhandeln wollen. Haben Sie überhaupt einmal ‚Danke‘ gesagt? Wir versuchen, Ihr Land zu retten, und Sie sitzen hier mit verschränkten Armen und reden über Putin, als ob wir das Problem wären. (…) Vielleicht sollten Sie erst mal dem Präsidenten danken, dass er einen Ausweg sucht.“
Was muss Selenskyj in diesem Moment durch den Sinn gegangen sein? Ist er doch von devoten Westpolitikern kaum Widerspruch gewöhnt. Trump dagegen verlangte sogar, dass er sich mit Putin an einen Tisch setze. Sich kompromissbereit zeige! Nein, erwiderte der ukrainische Präsident. Er werde dem Ruski niemals die Hand schütteln. Da platzte Trump endgültig der Kragen. Er erinnerte den Gast daran, dass er nicht in der Position sei, Forderungen zu stellen. Außerdem riskiere er mit seiner Weigerung den dritten Weltkrieg. Alsdann beendete Trump das Gespräch, ließ den Gast hinauswerfen. Vor laufender Kamera. Eine baldige Wiederaufnahme der Gespräche schloss er aus.
Was danach geschieht, lässt sich als globale Selenskyj-Tröstung bezeichnen. Daran beteiligt: Der gesamte westliche Mainstream, seine Medien und Politiker. Tenor: Bloß keine Dialogbereitschaft, bloß keine Zugeständnisse an Russland. Lieber weitere tausend Soldaten zerschießen, plattfahren und das Klima killen. In London sicherte man Selenskij sogleich einen weiteren Milliardenkredit zu. Erstaunen tut das kaum. Schon einmal stand der Russland-Ukraine-Konflikt kurz vor Schluss, da überredete Ex-Premierminister Boris Johnson die ukrainische Regierung zur Fortsetzung des Gemetzels. O-Ton Johnson:
„This ist no time for peace, this is time for victory!“ Das ist kein Zeitpunkt für Frieden. Das ist der Zeitpunkt für einen Sieg!"
Vor allem die Mainstream-Medien pesteten gegen Selenskijs Rausschmiss: Damit habe Trump sich auf die Seite Putins gestellt. Der Kremlchef sei jedoch unersättlich. Ganz Europa stünde auf seinem Speiseplan. Die belgische Online-Zeitung Standaard nutzte den Oval Office-Zoff für Durchhalte-Propaganda.
„Der öffentliche Streit zwischen zwei Präsidenten, von denen einer sich in einem Krieg gegen Russland verteidigt, signalisiert das Ende des Westens. Die Ukraine und Europa müssen es nun ohne militärische Unterstützung der USA mit Russland aufnehmen. Fortan ist es angemessener, von ,Donald Trumps Regime’ zu sprechen als von Trumps Präsidentschaft. (…) Jetzt hängt alles von Europa ab. Dies ist ein Moment der Wahrheit, eine Charakterprüfung wie seit 70 Jahren nicht mehr.“
Ebenso viel Unterhaltungswert hat ein Kommentar der Süddeutschen Zeitung: Selenskyjs katastrophaler Besuch im Weißen Haus werfe die Frage auf,
„Wie lange kann der Mann aus Kiew das überstehen? Und wie viel Schaden kann Trump noch anrichten, ehe die USA ihre Selbstdemontage spüren?“
Noch tiefer als alle Mainstream-Zeilenschinder griff die grüne Außenministerin Annalena Baerbock in die Pathos-Tunke. Sie, die unlängst einen Krieg zwischen EU und Russland herbeireden wollte, jammerte über Trumps Verhalten.
„Unser Entsetzen ist größer als zuvor. Eine neue Zeit der Ruchlosigkeit hat begonnen."
Mit anderen Worten: Ruchlos ist, wer Kompromisse fordert. Nein, man müsse das Recht mehr denn je gegen die Macht des stärkeren verteidigen. Und,
„wer in diesem Krieg gegen die Ukraine brutaler Aggressor und wer mutiger Verteidiger ist, wer hier Täter und wer Opfer ist, das steht vollkommen außer Frage. Niemand sollte sich daher im Feind irren. Er sitzt allein im Kreml, nicht in Kiew oder Brüssel.“
Wenn man Baerbock reden hört, möchte man vermuten, dass die wahren Friedensfeinde in Berlin wohnen.
Auch der ehemalige SPD-Außenminister Sigmar Gabriel wird vom Politfriedhof ausgegraben: Ihn habe der Eklat sprachlos gemacht. Schön wär’s. Stattdessen stellt er Europa in einen Zweifronten-Krieg. Im Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen warnt er: Europa sei durch Trump bedroht. Zitat: „Ich bin sicher, dass er Europa schwächen oder sogar zerstören will, denn wir sind eben doch ziemlich groß, wenn wir zusammenhalten." Um von Trump respektiert zu werden, brauche Europa wirtschaftliche und militärische Stärke“. Eine Allianz der Willigen. Und zwar subito!
Natürlich bieten hiesige Mainstream-Medien auch US-Politikern ein ein Forum – sofern sie Trumps Position kritisieren. Der Parteikollegin Lisa Murkowski beispielsweise. Die republikanische Senatorin aus dem Bundesstaat Alaska hatte auf X posaunt: Bei Trumps Verhalten gegenüber Selenskyj sei ihr – wörtlich - „übel“ geworden. Der Präsident habe einen Verbündeten im Stich gelassen… Natürlich griff der Spiegel dieses Zitat begierig auf. Suggeriert es doch, dass selbst Parteigenossen sich von Trump distanzieren.
Dagegen sind hierzulande nur wenige Stimmen aus Russland vernehmbar. Und die sparen nicht mit Ironie. Maxim Suchkow, Direktor des Instituts für Internationale Studien, hält Selenskijs Trump-Besuch für pädagogisch wertvoll:
„Selenskyj gab im Weißen Haus einen Meisterkurs darüber, wie man hinsichtlich des Stils und des Inhalts nicht mit Trump reden sollte."
Ein russischer Experte für Außenpolitik, Fjodor Lukjanow, vermutet einen Denk-Defekt beim ukrainischen Regierungschef.
„Selenskyj lag falsch – er verstand nicht, woher er kam und in welchem Ausmaß sich in der amerikanischen Politik alles verändert hatte. Er wird dort ausschließlich als Bittsteller wahrgenommen, dem geholfen werden kann, was aber ein großer Gefallen wäre."
Zu den wenigen Politikern, die es nicht heiß mögen, zählt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban. Dem EU-Ratspräsident António Costa schrieb er: Auf weitere Ukraine-Unterstützung werde er, Orban, mit einer Blockade antworten. Ein weiterer Hoffnungsträger für Kriegs-Muffel ist aktuell der finnische Premierminister Alexender Stubb. Am vergangenen Sonntag, kurz vor Beginn des Londoner Ukraine-Gipfels, versprach er gegenüber der BBC,
„Die Gespräche, die ich in den letzten 72 Stunden geführt habe, drehten sich im Wesentlichen darum, dass wir weitermachen sollten. Lasst uns wieder auf den richtigen Weg kommen. Lasst uns sehen, was die Diplomatie bewirken kann.“
Auf den Weg der Diplomatie zurückkehren! Lange her, dass man solche Worte gehört hat.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Joshua Sukoff/ shutterstock
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