Die Unterwerfung der Universitäten | Von Roland Rottenfußer

In seinem neuen Buch „Wie ich meine Uni verlor“ erzählt Michael Meyen, wie der akademische Nachwuchs in Deutschland ausgesiebt und auf die Regierungslinie eingeschworen wird.

Ein Standpunkt von Roland Rottenfußer.

„Das ist ja ein Dauerzustand geworden“, schrieb der Journalist Birk Meinhard, „einer Haltung Ausdruck zu verleihen und nicht mehr der Wirklichkeit. Die Wirklichkeit um die Teile zu reduzieren, die nicht zur Haltung passen, und dafür die Teile überzubetonen, die sich mit der Haltung decken.“

Meinhardt bezog sich damit auf die Süddeutsche Zeitung. Die mit dem Slogan „Seien Sie anspruchsvoll“.

Für Michael Meyen hat sich Meinhards Satz bewahrheitet. Er erklärt einen wichtigen Teil seiner Lebensgeschichte. Der Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München — gern auch nach ihren berühmtesten Studenten als „Geschwister-Scholl-Universität“ bezeichnet — passte irgendwann nicht mehr zu der derzeit erforderlichen „Haltung“. „Wie ich meine Zeitung verlor“ hieß ein Buch Birk Meinhards, dessen Titel Meyen für seine jüngste Veröffentlichung variiert hat.

Wer ist Michael Meyen? Folgt man dem, was im Mainstream über ihn geschrieben wird, ist er wohl ein „gefallener Engel aus der Hölle“, wie es unser Respektkanzler ausdrücken würde. Ihn umweht der Schwefelgeruch der Umstrittenheit. Anständige Menschen müssen heute völlig unumstritten sein, nirgendwo auffallen, nirgendwo anecken, nichts riskieren, mit dem Strom schwimmen.

Begegnet man Professor Meyen persönlich, wirkt er stets bescheiden, freundlich und kompetent. Die Vielzahl seiner Aktivitäten in den Bereichen Lehre, Journalismus und Journalismus-Ausbildung legt den Gedanken nahe, dass er wohl doppelt so lange oder doppelt so schnell arbeiten muss wie „normale“ Arbeitnehmer. Selbst der medialen Hetzjagd gegen ihn begegnet er stets gefasst, höflich und unverdrossen. Allenfalls kann man in manchen Momenten ahnen, wie sehr ihn das Unrecht mitnimmt, das er erleiden musste.

Der „Fall Meyen“ fällt in eine Zeit, in der die Mächtigen rücksichtslos mit ihren Gegnern abrechnen, in der sie diese nicht einmal mehr als Hofnarren oder anregende Provokateure in ihrer Gegenwart dulden möchten. Das Unkraut muss heute mit der Wurzel ausgerissen werden. Aus unserer Sicht, als kritische, vielseitig informierte Zeitgenossen, kristallisiert sich mittlerweile eine Faustregel heraus: Diejenigen Personen, um die die größten Skandale inszeniert werden, sind oft die Besten: Ulrike Guérot, Sucharit Bhakdi, Patrik Baab, Rudolph Bauer. Wo Menschen noch selbstständig denken, da lass dich ruhig nieder. Michael Meyen gehört ohne Zweifel dazu.

Déja-vu-Erlebnisse im Westen

Wer also ist Michael Meyen? Hier muss man vor allem seine DDR-Biografie mit in den Blick nehmen, auf die sich der Professor auch in diesem Buch oft bezieht. Meyen war

„tief genug drin in der DDR, um aus dem Zusammenbruch einen Kompass zu ziehen, der wild ausschlägt, wenn Freiräume eingeschränkt und Bekenntnisse verlangt werden“.

Aus der DDR-Vergangenheit lernen heißt Wachsamkeit lernen. Viele im Westen, speziell auch im wohlhabenden München, schwingen zu sehr in falscher Harmonie mit „ihrer Obrigkeit“ mit. Sie kennen nicht die Brüche, die vielfachen Enttäuschungen, das bittere Gefühl, von all den offiziösen Großsprechern aus Politik und Medien betrogen worden zu sein.

Meyen also war in seiner Jugend „Student an der Sektion Journalistik der Karl-Marx-Universität Leipzig, der Kaderschmiede für die Propagandisten des Sozialismus“. Sicher kam er mit der heutzutage naiv anmutenden Absicht in den Westen, dass in der „freien Welt“ alles ganz anders ablaufen würde. Meyen fand jedoch eher — wenn auch mit etwas Verzögerung —Phänomene vor, die ihm vertraut vorkamen:

„Wenn es um Gendern, Corona, Klima geht, höre ich Klassenfeind, Weltfrieden und die unverbrüchliche Freundschaft zum großen Bruder, zur Sowjetunion.“

Seine aus westlicher Sicht „dunkle“ Vergangenheit motivierte Michael Meyen, besser zu sein als der Rest, sich noch mehr anzustrengen als seine Mitbewerber.

„Heute sehe ich das als Folge der Diktaturerzählung, die sich wie Mehltau über die Erinnerungen an die DDR gelegt hat, jedes ostdeutsche Leben unter einen Generalverdacht stellt und jemanden wie mich so dazu zwingt, besser sein zu müssen als gleichaltrige Westdeutsche. Hier spricht ein Ostdeutscher, der gegen jede Wahrscheinlichkeit an der Universität aufsteigen konnte, bis er anfing, die Narrative der Macht öffentlich infrage zu stellen und seine akademische Reputation für die Ideen und Werte des 89er-Herbstes einzusetzen.“

Michael Meyen ist auch als Publizist in den letzten Jahren sehr fruchtbar gewesen. Ein Buch, „Die Propaganda-Matrix“, entstand, ebenso wie die Kolumne „Medienrealität“ bei Rubikon und Manova, in denen er Fehlentwicklungen mit Scharfblick unter dem Gesichtspunkt ihrer journalistischen Aufbereitung analysiert. Was haben Universitäten und Journalisten eigentlich miteinander zu tun?

„Wenn der Journalismus der Ausspielort ist, der Kanal, der die Lieder verbreitet, die alle zu singen oder wenigstens zu kennen haben, dann sind die Universitäten das Produktionsstudio. Hier wird komponiert, hier werden die Musiker konditioniert und ausgesiebt.“

Und welche Art von Musik ist heute angesagt? Hier trifft der Spruch „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“ zu: Universitäten bereiten Journalisten darauf vor, Herrschaftswissen wiederzukäuen und als Chorknaben nach dem Dirigat der Macht immer genau das zu intonieren, was von ihnen verlangt wird.

Die Religion der Gegenwart

Und was macht die Universitäten für Regierende so attraktiv, dass sie ihre Indoktrinationsbemühungen mit besonderem Eifer auf diese fokussieren?

„Wer die Universitäten beherrscht, bestimmt, wie wir leben. Die Universität ist das Nadelöhr, das jeder passieren muss, der irgendwann irgendwo etwas zu sagen haben will.“

Wer nicht über die Universitäten sprechen will, sollte also über andere vordergründig interessantere Bereiche der Gesellschaft schweigen.

„Man kann über Schule und Kitas schimpfen, über die Justiz und über die Kirche. Man kann fragen, was in der Kultur los ist, in der Politik und im Gesundheitswesen. Man kann den Kopf schütteln, wenn man Zeitung liest oder Bekanntmachungen der Ämter. Wer dem Übel auf den Grund gehen will, kommt an den Universitäten nicht vorbei.“

Dabei ist in einer säkularisierten, eigentlich halt- und glaubenslosen Zeit die Wissenschaft von überragender Bedeutung. Erst die Corona-Zeit mit ihren penetranten Drosten- und Wieler-Personality-Shows machte uns dies in seiner ganzen Tragweite deutlich.

„Wissenschaft ist die Religion der Gegenwart. Um etwas durchzusetzen, brauche ich Priester mit Professorentitel, Studien, Akademien, Ethikräte. Ohne die Weihen von Gelehrten keine Absolution. Diese Deutungshoheit macht die Universitäten attraktiv für alle, die tatsächlich etwas durchsetzen können. Große Unternehmen, Stiftungen, Parteien, überhaupt: die Politik und ihre Behörden.

Dieses Buch erzählt, wie die Freiheit der Wissenschaft im letzten Vierteljahrhundert systematisch ausgehöhlt worden ist. Heute wird nicht mehr das untersucht, was ein Professor, seine Schüler und seine Studenten für wichtig halten. Die Neugier der Forscher ist korrumpiert worden von einem System, das mit Geld und Ruhm lockt, Abweichler brandmarkt und dem Nachwuchs von klein auf eintrichtert, dass sich Anpassung und Nachbeten besser bezahlt machen als jeder Trip ins Ungewisse.“

Dabei ist der heutige Umgang mit Wissenschaft im Grunde unwissenschaftlich, weil er statt auf Neugier, methodischen Zweifel und ergebnisoffene Untersuchungen darauf setzt, diejenigen Erkenntnisse durch Verwendung von Fachvokabular zu adeln, die von Macht- und Geldinstanzen für opportun gehalten werden. Dabei gilt:

„Wissenschaftliche Wahrheit ist der aktuelle Stand des Irrtums.“

Jeder Dogmatismus, jede zu große Selbstgewissheit, wie wir sie in Corona-Zeiten bei eingebetteten Wissenschaftlern erlebt haben, ist im Grunde fehl am Platz. Schon das berühmte Milgram-Experiment von 1961 hat aber gezeigt:

„Menschen sind ‚bereit, Dinge zu tun, die sie üblicherweise verweigern würden, wenn ihnen gesagt wird, dass die Wissenschaft es von ihnen verlangt.‘“

Diese kollektive Glaubensbereitschaft, verbunden mit alles andere als glaubwürdigen Wissenschaftlern, ist im politischen Kontext brandgefährlich.

Studenten sollen Kinder bleiben

Nicht zuletzt menschelt es auch im Milieu der „exakten Wissenschaft“ beträchtlich. Eine Kollegin Meyens, so berichtet er, wollte nicht anerkennen, „dass in jedem ‚Fakt‘ ein Mensch steckt und damit ein Interesse“. Sie habe ihm entgegengehalten:

„Wenn das stimmt, Herr Meyen, dann können wir uns die ganze Wissenschaft gleich sparen. Relativismus. Populismus. Postfaktisches Denken. Alternative Fakten. Donald Trump. Wo kommen wir da hin? Woran sollen wir denn dann noch glauben, woran uns festhalten in diesen stürmischen Zeiten?“

Meyen entgegnet aber:

„Die Wissenschaft, die sich nur für die Wahrheit interessiert und für sonst nichts, ist eine Schimäre. Die Idee, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben, die ‚uneigennützig‘ und womöglich sogar ‚unentgeltlich‘ für das Wohl aller arbeiten: Das ist die illusio des akademischen Feldes …“

Um Meyens Absturz vom Wissenschaftsolymp zu ermessen, muss man die Fallhöhe in den Blick nehmen. Als er ungefähr 30 war, „kam ein Ruf der Ludwig-Maximilians-Universität München. Die beste Hochschule des Landes wollte mich. Professor am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung. Ich konnte das gar nicht glauben und hätte fast recht behalten.“ Meyens rasanter Aufstieg war letztlich zu schön, um wahr zu sein. Denn der Preis, der von ihm erwartet wurde, um weiter oben zu schwimmen, war intellektueller und moralischer Selbstverrat.

Anfangs meinte Michael Meyen noch, das akademische Establishment würde ihn zumindest als einen schicken Farbfleck auf dem einheitsgrauen Sakko dulden. Vielleicht, so gibt er die möglichen Gedanken seiner Vorgesetzten wieder,

„kann so ein Außenseiter nicht schaden, wenn wir gerade dabei sind, ein neues Regime zu installieren, das wenig später neben Leistungspunkten und Noten für jeden noch so kleinen Kurs auch H-Index und Impact-Faktoren, Exzellenzinitiative, W-Besoldung und Shanghai-Ranking hervorbringen sollte und damit eine ganz neue Gesellschaft“.

Interessant an „Wie ich meine Uni verlor“ ist nämlich auch die ganze Vorgeschichte. Lange bevor die Universität eine politische und hypermoralische Anstalt wurde, wurden wichtige Weichen formaler Art gestellt. Willst du das eigenständige Denken erdrosseln, so könnten sich die Bologna-Konstrukteure gedacht haben, nimm den Studierenden zuerst die Zeit und innere Ruhe, die sie bräuchten, um kreative Gedanken überhaupt erst zu entwickeln. Bring sie dazu, ängstlich auf Noten zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange, ihren Dozenten als den Austeiler der ersehnten Brosamen gefügig zu umsäuseln und alle Gedanken aus ihrem Hirn auszuradieren, außer

„Was muss ich tun für den nächsten Schein?“.

Im Endeffekt soll verhindert werden, dass aus Studierenden reife und im vollen Sinn des Wortes erwachsene Menschen werden. Es wird alles getan,

„damit Studenten Kinder bleiben“.

Dies alles wäre nichts weiter als ein skurriler Fall kollektiver Psychopathologie, würden nicht viele der auf diese Weise geistig und charakterlich Zurechtgestutzten am Ende Macht über uns alle in ihren Händen halten.

Die Pandemie der Unterwürfigkeit

Pisa und Bologna gingen der geistigen Dürre und jener Pandemie der Unterwürfigkeit voraus, die wir heute an Schulen und Universitäten beobachten können. Alles hätte anders kommen können,

„wenn die europäischen Regierungen das Betriebssystem der Hochschulen Ende der 1990er nicht komplett umgeschrieben und dabei das Zusammenspiel von Forschung, Bildung und gesellschaftlicher Verantwortung dem ökonomischen Diktat von Messbarkeit und Effizienz geopfert und Akademia so Machtinteressen zum Fraß vorgeworfen hätten“.

Welcher „tiefere Sinn“ lag in der radikalen Umgestaltung der Universitäten vor etwa 25 Jahren?

„Die Treiber von Bologna wussten, warum sie ein Blitzstudium wollten. Und sie wussten auch, dass Wettbewerb die Preise senkt und den Zusammenhalt schwächt, und pushen deshalb Frauen in die Spitzenjobs, neuerdings sogar mit dem Argument, dass jedes Kind, das nicht geboren wird, den Planeten retten kann. Der Notenzwang tötet das akademische Gespräch.“

Die Gedanken der Studierenden kreisen heute nicht mehr darum, was sie vom Leben wollen und nach welchen Erkenntnissen es sie verlangt, sondern darum, was sie müssen beziehungsweise noch dürfen.

Zum großen Teil negativ bewertet Michael Meyen in diesem Zusammenhang auch die brachial vorangetriebene Digitalisierung. Was wir heute an peinlicher Rückgratlosigkeit in der akademischen Welt erleben, ist

„im Rückblick auch zu erklären mit dem Siegeszug der Digitalplattformen, die nicht nur einer neuen Cancel Culture den Weg ebneten, sondern auch der Angst, sich alles zu verbauen mit einem einzigen Satz oder einem Bild, festgehalten für die Ewigkeit“.

Die neuen Kanäle formten so die altvertrauten Botschaften, die lauten:

„Gehorche!“, „Pass dich an!“.

Das Internet gibt einem Fehler — oder dem, was Etablierte für einen Fehler halten — quasi Ewigkeitscharakter. Alles ist für immer abrufbar, nichts wird verziehen. Und ein Artikel kann online von heute auf morgen verschwinden; bei Printmagazinen, die in Hunderten von Exemplaren in den Wohnzimmern der Leser herumliegen, ist dies nicht möglich.

„Das Medium ist die Botschaft, hat Marshall McLuhan gerufen, als das Fernsehen dabei war, die Welt zu erobern. Das ist hier mein Punkt. Wer die Kanäle gestaltet, über die wir uns austauschen, der bestimmt, wie wir miteinander umgehen und wie wir leben.“

Ein freies Studium, in dem selbstständiges und vernetztes Denken gefördert wird, definiert Michael Meyen im Gegensatz dazu so:

„Jeder sucht sich das, was ihn interessiert, ohne all die Schranken, die Fakultäts- und Institutsgrenzen setzen. Der Pflichtanteil? Minimal. Selbstorganisation statt Stundenplan. Und: Forschung statt Trichter. Vom ersten Tag an dort dabei sein, wo Wissen entsteht, und nicht einfach büffeln wie in einer Klippschule.“

Die Älteren von uns erinnern sich vielleicht sogar noch daran, dass es an Universitäten, speziell in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten, tatsächlich so gewesen ist. Heute erscheint so eine Beschreibung wie ein schönes Märchen von anno dazumal.

Keine „2023er-Revolte“

Die auf Einengung und Unterwerfung hin konzipierte Organisation des Studienbetriebs resultiert letztlich auch in politischem Kleinmut.

„Proteste, Demos, Streiks. Die Studenten von heute zucken mit den Schultern, wenn ich das erzähle. Sie haben längst verinnerlicht, dass man Lebenszeit bewirtschaftet und damit haushalten muss. Sie können Studienordnungen lesen und fragen nicht nach Literatur und Forschungsproblemen, sondern nach den Regeln. Was muss ich tun, damit Sie mir eine Eins geben, Professor Meyen?“

Schon in den frühen Jahren wird auf Menschen also ein enormer Angstdruck ausgeübt, derart, dass sie ihr Verhalten mit Blick auf mögliches späteres Bewertetwerden zu normieren haben. Michael Meyen verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Art und Weise, wie im Nationalsozialismus und in der DDR die Universitäten planmäßig unterworfen worden sind. Die Drohung mit Strafen im engeren Sinn des Wortes ist dazu gar nicht nötig. Es genügt ein

„Aufstiegsangebot an die Jugend, wenn sie bereit ist, in das Lied einzustimmen“.

Wer als Student diese Mühle durchlaufen hat, wird später als Professor höchstwahrscheinlich gar nicht mehr auf die Idee kommen,

„dass akademische Lehre mehr ist als die Zertifizierung von Sekundärtugenden und Forschung keine Magd der Macht“.

Die erste Bologna-Generation lehrt jetzt an den Universitäten und ist auch in der Politik angekommen — die Folgen sind verheerend. Hinzu kommt das Desaster der „Drittmittel“, mit deren Hilfe Professoren in ähnlicher Weise von der Wirtschaft gekauft werden können wie Profifußballer von entsprechend finanzkräftigen Vereinen. Meyen schreibt sogar,

„dass Professoren wie Eisenspäne auf den Magneten Drittmittel fliegen“.

Bezeichnenderweise wurden der Technischen Universität (TU) München laut Meyen in den letzten vier Jahren 41 Professuren geschenkt. Edelmut? Nein, auch in diesem Sektor bekommt man nichts umsonst. Die Folge:

„Heute kommen Menschen auf die Lehrstühle, die genau das tun wollen, was sie tun sollen, und deshalb Topmanagern, Behördenchefs und Spitzenpolitikern genauso gefallen wie ein teurer Wein.“

Warum geben taffe Wirtschaftslenker ihr kostbares Geld für etwas vermeintlich so Verstiegenes wie Professoren aus?

„Wer verstehen möchte, warum sich Facebook oder die Besitzer von Lidl und Kaufland Professoren kaufen, muss in das Herz einer Gesellschaftsform blicken, die Sheldon Wolin ‚umgekehrter Totalitarismus‘ getauft hat. (…) Dann seht ihr, dass der Staat die Konzerne geheiratet hat und dass beide alle anderen Formen der Macht adoptieren und alimentieren. Kirchen, Wissenschaft, Technik, Kultur. Hier, beim Staat, Militär und Gewaltmonopol, und dort, bei den Konzernen, das Geld, das heute auch die Autorität und die Ressourcen nutzt, die sich aus Wahlen, politischer Rhetorik und Steuern speisen. Eine ‚Supermacht‘ im wahrsten Sinn des Wortes, die anders als Hitlerdeutschland oder die frühe Sowjetunion kein Charisma braucht und die Massen weder mobilisieren muss noch in irgendwelche Lager stecken. (…) Für die Kontrolle, sagt Sheldon Wolin, genüge es, ‚ein kollektives Gefühl der Abhängigkeit zu schaffen‘, für einen ‚Gleichklang‘ der Leitmedien zu sorgen und dabei das zu nutzen, was inzwischen an Methoden der ‚Einschüchterung und Massenmanipulation‘ verfügbar ist.“

Das Stigma der Meyen-Nähe

Erschütternd sind die Berichte Michael Meyens über das Verhalten seiner Kollegen und Studenten, seit er mit diversen Vorwürfen konfrontiert wurde. Kontaktschuld spielte dabei eine wesentliche Rolle.

„Spätestens als der Name Daniele Ganser fiel, war ich für mein Publikum gestorben.“

Außerdem soll Meyen — man ahnt es fast schon — Ken Jebsen als Quelle empfohlen haben.

„Ken Jebsen, Michael. Das geht gar nicht.“

Und er war für kurze Zeit formal Herausgeber der Zeitschrift Demokratischer Widerstand. Ebenfalls vorhersehbar war, dass bei den Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden, das Wort „Verschwörungstheorie“ fiel.

Die Vertreter der Anklage legen keine Wert auf Originalität und Integrität, sie sondern ab — was in einem bestimmten Kontext von ihnen erwartet werden kann. Und die Studenten? Anstatt die Vorfälle zum Anlass für Protest zu nehmen, wie man sie aus der jüngeren Geschichte der Universitäten kennt, beeilten sie sich, das offenkundig sinkende Schiff zu verlassen. Angst saß ihnen im Nacken.

„Meyen trifft jemanden, der stigmatisiert ist. Ich habe bei Meyen promoviert. Also bin ich nun auch stigmatisiert.“

Meyens Stern, der am akademischen Himmel eine Zeit lang hell gestrahlt und ihm gar den Ehrentitel „Speerspitze der Wissenschaft“ eingetragen hatte, sank rapide.

„Sieben von elf Projekten wollen mich als Sprecher weghaben, noch am gleichen Tag oder erst am nächsten.“

Weder Mut oder menschlicher Anstand noch Sachkenntnis bezüglich der Themen, um die es Michael Meyen ging, focht die Reißausnehmenden an. Nur weg vom geistigen Infektionsherd, bevor ich angesteckt werde. Ein „Linkes Bündnis gegen Antisemitismus München“ veröffentlichte einen Artikel unter dem Titel „Michael Meyen und das Antisemitismusproblem an der LMU“. Dies macht den Antisemitismusvorwurf, der eigentlich schlimmer Judenfeindlichkeit vorbehalten sein sollte, beliebig, wertet das Wort zur Allzweckwaffe gegen alle ab, die man aus irgendeinem Grund nicht mag oder loswerden will.

Zudem wird Druck auf die Ludwig-Maximilians-Universität ausgeübt, sich von der potenziellen Kontaminationsquelle zu trennen. Besagtes Bündnis „informiert“ noch immer jeden Veranstalter, der Michael Meyen zu einem Vortrag einladen will, über dessen vermeintliche Nichtswürdigkeit.

Mit Beginn des Sommersemesters 2023 wurde Meyen mitgeteilt, dass seine Universität darum gebeten habe, ein Disziplinarverfahren gegen ihn einzuleiten. Dieses ist zum heutigen Zeitpunkt immer noch anhängig. Zur Last gelegt wurde ihm neben anderen Vorwürfen ein kurzes Werbevideo für den Demokratischen Widerstand. Der Trägerverein des Mediums werde dem Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zugerechnet. Man sieht, dass die Saat dieses für die Meinungsfreiheit tödlichen Knebelgesetzes jetzt nach und nach aufgeht.

Die außenreizgesteuerte Universität

Die Berichterstattung der Süddeutschen Zeitung über Michael Meyen ist zugleich Symptom einer weiteren bedenklichen Entwicklung. Die Freiheit der Lehre wird nicht nur durch die Einflussversuche von Staat und Wirtschaft beschnitten — nun müssen Lehrende und Lernende auch noch nach dem Wohlwollen der großen Medien schielen.

„Wenn Resonanz in den Leitmedien zu einem Kriterium für wissenschaftliche Qualität wird, dann hat das ganz unabhängig von politischen Geldtöpfen Folgen für die Personalauswahl, für die Forschungsthemen und selbst für die akademische Lehre.“

Das bedeutet, drastisch ausgedrückt:

Wer die Leitmedien beherrscht, kann den Universitäten diktieren, woran sie zu arbeiten haben. Niemand konsumiert ‚Tagesschau‘ oder Spiegel, Zeit, FAZ, Süddeutsche, um zu erfahren, wie die reale Welt da draußen aussieht. Das sieht jeder, wenn er vor die Tür geht. Leitmedien nutzen wir, um Definitionsmachtverhältnisse zu beobachten …“

Wer die Machtverhältnisse und die Strategien der Macht so klar sieht wie Meyen, bei dem ist anhaltender Widerstand doppelt mutig. Menschen, die sich ohnehin fast nur innerhalb einer alternativen „Bubble“ bewegen, können kaum ermessen, welchem Druck jemand ausgesetzt ist, der im Reich der „Normalen“ und Etablierten heutzutage etwas werden — oder bleiben — will. Der Widerstreit zwischen dem, was verlangt wird, und dem, was das eigene Gewissen als richtig erkannt hat, mag den Betreffenden schier zerreißen.

Oder ihm außergewöhnliche mentale Stärke verleihen. Dieses Buch ist neben seinen aufschlussreichen Sachaussagen auch ein Dokument des Nichtaufgebens, der fairen, jedoch spitzzüngigen intellektuellen Gegenwehr angesichts unsäglicher Angriffe. Denn mag die Solidarität mit dem „umstrittenen“ Professor innerhalb des „Lagers“ notorischer Medien- und Regierungskritiker auch erfreulich groß sein: Sobald Michael Meyen diesen schützenden Raum verlässt, sieht er sich umgeben von mächtigen Feinden aus Politik, Mainstreampresse, Wirtschaft, universitärem Establishment, ja selbst vonseiten der Studenten und ehemals vertrauter Weggefährten.

Jenseits der Häppchen-Wissensvermittlung

Im Mikrokosmos des „Falls Meyen“ spiegelt sich das große Ganze, entlarven sich die kleingeistige Mentalität und der Selbstverrat der Stützen der Gesellschaft, ihre vielfältigen Verflechtungen und wechselseitigen Abhängigkeiten sowie die Verachtung der Freiheit des Geistes. Der isolierte Einzelne, der — institutionell, nicht etwa mental — Schwächere, ist immer eine Art Fairness-Tester für die Mächtigeren. Daran gemessen ist das Versagen der Verfolger Michael Meyens ein vollständiges.

Der Weg aus der Misere heraus — so unwahrscheinlich so eine Entwicklung aus heutiger Sicht auch erscheinen mag — wäre zu finden durch die klare Analyse und dann Umkehrung der heute leider etablierten Verhältnisse: durch die entschiedene Rückkehr zu einem humanistisch-emanzipatorischen Menschenbild, wie es an den Universitäten lange Zeit wenigstens der Absicht nach gelehrt wurde; durch das Abschneiden der Gängelbänder, an die sachfremde und übelwollende Interessengruppen die Universitäten gelegt haben. Wäre dies vollbracht, könnte auch wieder eine Bildung blühen, die diesen Namen verdient und sich nicht in einem würdelosen Dauer-Kotau vor den Götzen Effizienz und Sollerfüllung erschöpft.

„Wir alle brauchen eine Bildung, die über Auswendiglernen hinausgeht, über Wissenshäppchen, aufgeschnappt in winzigen akademischen Parzellen, und über einen sechsten Sinn dafür, welche Themen ich mit welchen Sprachcodes und in welcher Zeit bearbeiten muss, um von der Sonne der Macht beschienen zu werden.“

Quellen und Anmerkungen

 

Roland Rottenfußer, Jahrgang 1963, war nach dem Germanistikstudium als Buchlektor und Journalist für verschiedene Verlage tätig. Von 2001 bis 2005 war er Redakteur beim spirituellen Magazin connection, später für den Zeitpunkt. Er arbeitete als Lektor, Buch-Werbetexter und Autorenscout für den Goldmann Verlag. Seit 2006 ist er Chefredakteur von Hinter den Schlagzeilen. Von 2020 bis 2023 war er Chefredakteur vom Rubikon, seit April 2022 ist er  Mitherausgeber und Chefredakteur von Manova.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 13. September 2023 bei manova.news

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Bildquelle: Gorodenkoff/ shutterstock

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Kommentare (17)

17 Kommentare zu: “Die Unterwerfung der Universitäten | Von Roland Rottenfußer

  1. Zivilist sagt:

    Man muß sich fragen, wie es möglich war, daß der brutale Westen das kulturell haushoch überlegene chinesische Reich so relativ schnell zerdeppern konnte.

    China konnte sich nicht wehren, weil es einen riesigen geistigen Überbau hatte, der von der Realität unendlich weit entfernt war, der seine Richtigkeit dadurch beweisen musste, daß er in sich selbst stimmig war.

    Für die USA beobachten wir eine solche Entwicklung schon lange (A nation built on lies, Larry Romanoff)

    Aber für Deutschland ist diese Entwicklung relativ neu und rasend schnell, die offizielle Denke hat den Bezug zur Realität gekappt und weil die Lügen ständig syncronisiert werden müssen, wird der Abstand zur Realität immer größer. Bleibt bloß die Frage: Wie entgehe ich dem kollektiven Untergang ?

    Das British Museum zeigt 'China’s hidden century' und China zeigt 'Escape from the British Museum' Das mag Propaganda sein, beides, alles, dann such ich mir halt die Propaganda aus, die mir am besten gefällt, und das ist die chinesische und ansonsten sind es die jungen Chinesen, denen sie gefällt. Tja, jetzt ist China näher dran an der Realität.

  2. Zivilist sagt:

    Wie mich mein Land verlor

    Noch vor dem Abi lernte ich den Charakter meiner 'Lehrer' und 'Erzieher' in der im Aufbau befindlichen Gedenkstätte Stutthof besser kennen, später lernte ich eine Frau kennen, die im Rahmen von Aktion Sühnezeichen an der Gaskammer mitgebaut hatte (ein X-Berger Holocausforscher bescheinigt mir zwar, daß es dort keine Gaskammer gab, nichts desto trotz zeigt sie Wikip.

    Daß das der Anfang der Holocaustindustrie war, konnte man damals freilich noch nicht ahnen, solche Erfahrung ließ einem jedenfalls Fragen stellen, für die man damals Nestbescmutzer diffamiert wurde und heute Holocaustleugner verfolgt wird.

    An den Unis habe ich mir geholt, was ich wollte, aber nicht, was die wollten.

    Leider mußte ich lernen, daß die anderen Staaten des Westens nicht besser waren und sind.

  3. Schramm sagt:

    Die Unterwerfung der Universitäten, vor und nach 1933 bis heute 2023

    Aus der Geschichte der NSDAP – zur wählerstärksten Partei des Kapitals.

    Der Aufstieg der NSDAP an den Universitäten und Hochschulen, an Gymnasien und Oberschulen.

    »Wie sich am deutlichsten an den Universitäten und Hochschulen, alsbald auch an Gymnasien und Oberschulen zeigte, wuchs der Einfluss der NSDAP auch unter dem Teil der Jugend, der in sozial privilegierten Verhältnissen lebte. Hier erntete die Partei, was die in ihrer Mehrheit konservative, teils stockreaktionär, parteipolitisch zu einem guten Teil deutschnational orientierte Professoren- und Lehrerschaft an nationalistischen, revanchistischen und rassistischen Ideen gesät hatte.

    Bei den Wahlen der Allgemeinen Studentenausschüsse erhielt der NSDStB 1929 an der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg 38 Prozent, an der Tierärztlichen Hochschule Berlin 30 Prozent der Stimmen. Ein Jahr später verbuchten die Nazis gar 66,6 bzw. 50 Prozent der Wähler. Sie waren konkurrierenden Rechtskräften und vor allem den waffentragenden Verbindungen abgejagt. Die sich formierenden faschistischen Kader führten sich an den Hochschulen zunehmend unverschämt auf. Sie störten oder boykottierten Kollegs demokratischer und liberaler Hochschullehrer sowie Professoren jüdischer Abkunft. Sie stellten auch einen aktiven Teil der SA-Mannschaft.

    Zum Einflussgewinn der NSDAP an Schulen und Hochschulen hatte beigetragen, dass ihre Führung seit 1929 ihr Organisationsgefüge mit dem Ziel verdichtete, die nachwachsende Intelligenz und insbesondere auch deren Lehrer zu erreichen. Im April 1929 war in Hof die Gründung eines Lehrerbundes (NSLB) vorgenommen worden, an dessen Spitze der bayerische Landtagsabgeordnete Hans Schemm trat. Darauf folgte im November die Bildung eines NS-Schülerbundes. Er unterstand direkt der Reichsleitung und sollte den Einfluss auf junge Leute vergrößern helfen, deren Ansprüche an politische Führung höher lagen, als sie der Durchschnitt der HJ-Führer befriedigen konnte. An ihre jüngsten Gefolgsleute gewandt, bediente sich die Partei eines besonderen Wortradikalismus. Der Titel des Periodikums für die Schülerbünde lautete »Aufmarsch«. Diese Jugend sei die Vergeltung, hieß es in den seit dem 1. April 1930 von Hitler selbst herausgegebenen »Nationalsozialistischen Monatsheften«. (1)

    Als eine vom Reichsministerium des Innern einberufenen Konferenz von hohen Ministerialbeamten aus Reich und Ländern die Entwicklung der NSDAP im Jahr 1929 beurteilte, wurde festgestellt, dass »sie sich mit Erfolg bemüht hat, Anhänger in den Kreisen der Intelligenz zu gewinnen, und … darüber hinaus versucht, noch mehr wie bisher in Arbeiterkreise und in die ländliche Bevölkerung Eingang zu finden«. (2)

    Anmerkungen

    1 Nationalsozialistische Monatshefte, April 1930, Heft 1. Zit. nach Staat und NSDAP 1930-1932. Quellen zur Ära Brüning. Eingeleitet von Gerhard Schulz. Bearbeitet von Ilse Maurer und Udo Wengst, Düsseldorf 1977, S. 28 (fortan: Ära Brüning)

    2 Vorträge auf der deutschen Nachrichtenkonferenz in Berlin über die Entwicklung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei am 28./29, April 1930. In: Ära Brüning, S. 13 ff., hier S. 44. Während der Konferenz befassten sich übrigens drei Referate mit der KPD und zwei mit der NSDAP.

    Vgl. Kurt Pätzold und Manfred Weißbecker: Geschichte der NSDAP 1920 – 1945. S. 116-117.

    17.09.2023, R.S.

  4. Schramm sagt:

    Wovon lassen wir uns motivieren?

    »Und täglich grüßt die Angst | Wohin man auch blickt, regiert die Angst und das schon seit Jahrzehnten. Angst vor dem Ozonloch, Angst vor dem Waldsterben, Angst vor der Überbevölkerung, Angst vor dem Russen, Angst vor dem 3. Weltkrieg, Angst vor dem Ausländer, Angst vor dem Ossi. Das sind nur einige der Ängste, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder ventiliert wurden, deren Endzeitprophezeiungen sich jedoch nie realisiert haben.«

    Ein Kommentar von Felix Feistel auf apolut.*

    Antwort von R.S. zu User Lennon:

    How – Lennon sagt: „Ja, extreme Gier und Angst machen blind, taub und stumm, bzw. blöd. Berechnende Typen bleiben aber trotzdem weiterhin berechnend, also nicht vollkommen umnachtet wie ein Hitler, Goebbels usw.“

    R.S. sagt: Nur einzelne (konstruktive und destruktive) Persönlichkeiten machen keine Geschichte.

    ►Hitler und Goebbels formten und artikulierten das in der deutschen Geschichte vormals herausgebildete Massenbewusstsein.

    70 Prozent aller Deutschen waren freiwillig in Massenorganisationen – unter gesellschaftspolitischer Führung der NSDAP.

    Die NSDAP hatte zwischen 8,5 und 9 Millionen freiwillige Kameraden (davon 20 Prozent Frauen) in ihren Reihen organisiert. Davon zwischen 2,55 und 3,6 Millionen Arbeiter.

    Die Wehrmacht und SS präsentierten mehr als 14 Millionen Kämpfer für den imperialistischen Krieg der deutschen Monopolbourgeoisie und (meist adligen) Großgrundbesitzer.

    Die Mehrheit der Deutschen war vor 1945 mit der Vernichtung der Menschen jüdischen Glaubens und anderer ethnischer Herkunft und Kulturen einverstanden.

    Ein nennenswerter antifaschistischer Widerstand hat es vor allem aus den Reihen der Kommunistischen Partei, minimal der Sozialdemokratie und von Christen gegeben.

    PS: Nicht zuletzt aus Rache wurde die KPD 1956 verboten und aus dem westdeutschen Bildungssystem und nach 1990 ebenso aus dem ostdeutschen Bewusstsein eliminiert.

    90 Prozent aller vormaligen NS-Beamten wurden in Westdeutschland von allen Ministerien und Behörden – ohne Berufsverbot – übernommen. Auch in den Wirtschafts- und Monopolverbänden, ebenso im Deutschen Bundestag, nach 1949, tummelten sich vormals blutige Juristen und Angehörige der SS.

    Der irreale Traum vom materiellen Reichtum und die straflose Bereicherung am fremden Eigentum trieb Millionen unter die Hakenkreuzfahne und in die freiwillige Beteiligung am Massenmord.

    ►Es wäre zu billig, historische Verbrechen, wie es in der bürgerlichen Geschichtsschreibung weiterhin geschieht, auf wenige Personen an der politischen Spitze zu reduzieren. Sie gaben dem bereits vorhandenem Massenbewusstsein ihre Aufgabe und Zielsetzung.

    * https://apolut.net/und-taeglich-gruesst-die-angst-von-felix-feistel/

    10.01./16.09.2023, R.S.

    • _Box sagt:

      In Anbetracht des riesigen Propagandaapparates der Einsatz findet halte ich es sehr gewagt von Freiwilligkeit zu sprechen. Es wurden und werden stets allerlei Kniffe und Ressourcen eingesetzt, um Gesellschaften zu faschisieren und/oder zu marktradikalisieren und was den Herren und ihren Knechten sonst so einfällt:

      Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken, d. h. die Klasse, welche die herrschende materielle Macht der Gesellschaft ist, ist zugleich ihre herrschende geistige Macht. Die Klasse, die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, verfügt damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so dass ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter nichts, als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft.
      – K. Marx, Deutsche Ideologie, MEW 3, 47.

      Und:

      So wie es keine gleichsam fix und fertige ahistorische Natur des Menschen (als Gattungswesen) gibt, so auch nicht die der menschlichen Individuen. Schon in den Feuerbach-Thesen hält Marx fest: „…das menschliche Wesen ist kein dem einzelnen Individuum innewohnendes Abstraktum. In seiner Wirklichkeit ist es das ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“.[32] Das darf nun aber keineswegs dahingehend interpretiert werden, dass die Individuen mit den gesellschaftlichen Verhältnissen identifiziert würden, vielmehr bedeutet Marx’ These, dass die Möglichkeit der Entfaltung menschlicher Individualität von den jeweils historisch sich verändernden gesellschaftlichen Verhältnisse abhängen.[33] Lucien Sève konstatiert – unter Verweis auf Marx’ ‘Grundrisse’: „Marx ist der erste, der die entwickelte menschliche Individualität wirklich als ein Produkt der Geschichte verstanden hat …“[34] und fährt fort: „Deshalb aber haben weder Marx noch die Marxisten jemals dafür gehalten, daß die Individualität dazu bestimmt sei, mit dem Kapitalismus zu verschwinden. Dessen historisch vorübergehender Charakter kommt ganz im Gegenteil deutlich in seiner Unfähigkeit zum Ausdruck, diese voll bei allen Menschen zu entwickeln. Die modernen Produktivkräfte zwingen dazu, ‘das Teilindividuum, den bloßen Träger einer Detailfunktion, durch das total entwickelte Individuum (zu ersetzen)’ …; dies setzt den Übergang zu einer kommunistischen Gesellschaft voraus, ‘der einzigen, worin die originelle und freie Entwicklung der Individuen keine Phrase ist’…“.[35]

      Aus:
      ‘Kommunismus’ – ein falsch verstandener Begriff?
      Überlegungen zur Dialektik von Individualität und Kollektivität bei Marx (Teil I)
      Werner Goldschmidt

      http://www.zeitschrift-marxistische-erneuerung.de/article/1135.kommunismus-ein-falsch-verstandener-begriff.html

      Und worauf das aufbaut:

      Es gehört zu unserem Wesen moralische Wesen zu sein. Wir sind von Natur aus moralisch. Wir sind keine Nutzenmaximierer. Wenn man sich das erst mal wieder klar macht, dann weiß man wie pervers eigentlich das Menschenbild ist, auf dem der Neoliberalismus eine Gesellschaftsordnung errichtet.
      Wir sind von Natur aus moralische Wesen. Und das interessante ist; daß das nicht einfach durch Kultur eingebläut wird. Das bringt der Säugling mit zur Welt und die moderne Säuglingsforschung, das ist ein Teil der Kognitionsforschung hat faszinierende Experimente gemacht, die zeigen, der Säugling kommt zur Welt und hat schon elementare, man nennt das dann häufig Protokonzepte, also etwas Vorläufiges, Hülsen für Gerechtigkeit. Er hat elementare Konzepte für Verteilungsgerechtigkeit.

      (Demokratie erneuern! – Rainer Mausfeld – DAI Heidelberg 2020, ca. min. 50)
      https://www.youtube.com/watch?v=VXhK8uN6WyA

    • Schramm sagt:

      „Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken“, damit bestätigt Marx wie _Box die geistige Macht der herrschenden Schichten und Klassen der Gesellschaft.

      ►Das entbindet aber nicht die an Verbrechen beteiligten Täter, – auch wenn sie nicht der herrschenden Klasse angehörten –, ihrer Verantwortung. Die Masse der Angehörigen der Wehrmacht, der Einsatzgruppen wie SS gehörte nicht zu der herrschenden Klasse, wohl aber zum Teil auch deren Administration.

      Aber auch der Bauer, der Handwerker, der Facharbeiter und Arbeiter, die Männer und Frauen aus den unteren sozialen Schichten der Gesellschaft, die große Mehrheit, die sich an Verbrechen beteiligten, müssen dementsprechend herangezogen werden.

      Das Fußvolk, auch wenn es von den Ideologen des feudalen Adels und der kapital-faschistischen Bourgeoisie über Generationen manipuliert wurde, erhält keine (christliche bzw. muslimische) Absolution.

  5. vizero 13 sagt:

    Die Gängelung der Universitäten hat schon lange vor Bologna angefangen. Das ging schon los, als die Studenten anfingen, sich politisch zu engagieren gegen die etablierten Mächte, die alte Nazis immer noch für ihre Zwecke benutzten. Um deren unangenehmen Fragen zu unterdrücken wurde schon Ende der 1960er Jahre die Freiheit der Studenten immer mehr beschnitten, ihnen durch Straffung der Studienzeit und Verschulung der Ausbildung immer weniger Zeit zum Nachdenken gelassen und ihre Proteste immer schärfer unterdrückt. Schimpfworte waren damals "Kommunist" "Sowjetagent", "RAF-Sympatisant", "Chaot" usw..

    • vizero 13 sagt:

      Ich lese grade, dass Irwisch ähnliche Erfahrungen gemacht hat, ein paar Jahre später, als ich schon raus war aus dem Spiel.

    • _Box sagt:

      Man findet sich oftmals wieder in einer Romantisierung der Verhältnisse, der "alten" BRD wobei hier die Kontinuitäten zum Dritten Reich unterschlagen werden. Anbei ein Artikel in dem diese Kontinuitäten besprochen werden:

      Donnerstag, 14. September 2023, 17:00 Uhr
      ~7 Minuten Lesezeit
      Zweifelhafte Verfassungshüter

      In „Verfassungsschutz: Wie der Geheimdienst Politik macht“ analysiert Ronen Steincke einen deutschen Geheimdienst, der selbst verfassungsfeindlich agiert und auf dem rechten Auge blind ist.

      Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat, wie dem Namen zu entnehmen, die Aufgabe, die deutsche Verfassung und damit die deutsche Demokratie zu schützen. Sein gesellschaftlicher Auftrag ist es, jene Kräfte, die durch menschenfeindliche und totalitäre Ansichten die liberale Ordnung gefährden, ausfindig zu machen und zu überprüfen, wie groß die Gefahr ist, die von ihnen ausgeht. Dass es dieser Anforderung im Grunde seit seiner Gründung nicht gerecht wird, hängt sowohl damit zusammen, dass die Behörde selbst bereits zu Beginn von Nazis durchsetzt war, als auch dass sie im Grunde ohne jegliche Kontrolle selbst legale Aktivitäten observieren kann, wie es ihr passt. Süddeutsche-Zeitung-Journalist Ronen Steincke skizziert in seinem Buch die Konstruktionsfehler des deutschen Geheimdienstes und geht dennoch nicht auf die Überwachung Andersdenkender seit der Coronazeit ein.

      von Walter van Rossum

      Im Jahr 1950 beschlossen die alliierten Westmächte, in der Bundesrepublik ein Amt für Verfassungsschutz zu gründen. Die vornehmste Aufgabe bestand nicht nur in der Beobachtung staatsfeindlicher Aktivitäten, sondern auch darin, Altnazis von Ämtern in Regierung, Verwaltung und Justiz fernzuhalten. Erster Präsident des neu gegründeten Amtes wurde Otto John, ein Jurist, der am Widerstand gegen die Nationalsozialisten teilgenommen hatte und dessen Bruder nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde.

      Am 20. Juli 1954 demissionierte Otto John auf spektakuläre Weise: Er wechselte in die DDR und gab zu Protokoll, in welchem Ausmaß alte Naziseilschaften nicht nur das Amt für Verfassungsschutz infiltriert, sondern überall im öffentlichen Leben das Ruder übernommen hatten. Er sprach von einer „Renazifizierung in Westdeutschland“.

      Dieser Seitenwechsel ging als der erste Skandal des Verfassungsschutzes in die Annalen ein. In Wahrheit bestand der Skandal natürlich darin, dass Otto John vollkommen recht hatte:

      1955 stellte sich heraus, dass 20 Prozent der Mitarbeiter des Bundesamts ehemalige NSDAP-Mitglieder waren. Vermutlich waren es noch sehr viel mehr.

      Die Untersuchungskommission, die dieser Frage nachging, wurde von Wilhelm Ludwig geleitet, der seit April 1933 Leiter des Referats IX bei der Gestapo gewesen war. Beim Bundeskriminalamt fanden sich 1958 unter 47 leitenden Beamten 33 frühere SS-Angehörige, 1957 waren 77 Prozent der leitenden Beamten des Justizministeriums ehemalige NSDAP-Mitglieder. Ähnliches gilt für andere Ministerien und Behörden.
      (…)
      Zu Zeiten des Radikalenerlasses nach 1972 schüchterten die Verfassungsschützer eine ganze Generation von kritischen jungen Menschen ein. Sie entschieden, wer „verfassungstreu“ oder „verfassungsfeindlich“ sei und schuldeten niemandem Rechenschaft über ihre Befunde. Nach der Wende jagte man alle, die nicht laut dem Teufel des Sozialismus abgeschworen hatten. Gewissermaßen eine Wendestasi. Umgekehrt übersahen sie systematisch die Rückkehr der einstigen Nazis an die Tröge der Demokratie. Den neuen Rechtsradikalismus mögen sie gesehen haben, doch aller Wahrscheinlichkeit nach haben ihre V-Leute NPD, Pegida und NSU mit öffentlichen, aber geheimen Geldern eher großzügig versorgt, statt sie zu unterwandern.

      Bei den Verbotsverfahren gegen die NPD konnte das Bundesverfassungsgericht vor lauter V-Leuten keine Nazis mehr sehen. Im Fall des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds gibt es starke Hinweise auf höchst sonderbare Ermittlungsfehler und Vertuschungen. Selbstredend wurden die nie aufgeklärt.

      Die Stärke des Verfassungsschutzes gegenüber polizeilicher Ermittlungsarbeit besteht in der Dunkelkammer als Arbeitsplatz. V-Leute, Telefonüberwachung und in Israel eigens angefertigte technische Überwachungsinstrumente können weitgehend ohne richterliche Genehmigung eingesetzt werden. Es gibt bestimmte gesetzliche Auflagen, doch wer kann die überprüfen? Auskunft müssen die Verfassungsschützer einzig einer streng geheimen Kommission geben, die zum größten Teil aus ehemaligen Politikern und aktiven Beamten besteht, kurzum aus Mitgliedern des politischen Apparats.

      https://www.manova.news/artikel/zweifelhafte-verfassungshuter

      Und noch eine Anmerkung, zur Verklammerung der DDR mit dem Dritten Reich, was im Grunde eine weitere Variante zur Weißwaschung der "alten" BRD ist:

      Unrecht gibt es in jedem Staat. Aber ab wie viel Unrecht ist ein Staat ein Unrechtsstaat? Der sozialdemokratische Rechtsphilosoph Gustav Radbruch hatte darauf eine klare Antwort, hinter die man nicht zurückfallen sollte. Es genüge dafür nicht, wenn Herrscher Recht brechen, um ihre Macht zu sichern. (Wenn die Vergehen, für die DDR-Funktionäre zu Recht angeklagt wurden, für dieses Verdikt genügen, dann haben wir auf der Welt allerdings nur Unrechtsstaaten: Rechtsbeugung, Gewalttaten oder unterlassene Hilfe an der Grenze, Wahlfälschung, Misshandlung Gefangener, Amtsanmaßung und Korruption, Doping und Kontrolle privater Kommunikation.)
      Das NS-Regime war für Radbruch ausschließlich deshalb ein Unrechtsstaat, weil da Schwerstverbrechen wie Angriffskrieg, Völkermord, Zwang zu Sklavenarbeit und Plünderung besetzter Gebiete, kurzum: Verbrechen gegen die Menschlichkeit, staatlich geboten waren – das Unrecht also das eigentliche Staatsziel war. Wer NS- und DDR-Herrschaft mit dem gleichen Begriff charakterisiert, verharmlost oder dämonisiert auf unstatthafte Weise. Beide Diktaturen haben keinen einzigen identischen Anklagepunkt hinterlassen.
      ( Daniela Dahn, Der Schnee von gestern ist die Sintflut von heute / Die Einheit – eine Abrechnung, S. 66)

  6. cumbb sagt:

    ;-)
    Faschismus: "Bündelung" der Unterschicht in Interesse und Auftrag der Eliten per Staat und Medien;-)
    Blöd für die Unterschichtler: Staatsdarsteller und Mediendarsteller werden aus der Unterschicht rekrutiert und gegen die eigenen Interessen eingesetzt;-)
    Also auch: Intellektuelle Unterschicht;-)

  7. Irwish sagt:

    Zunehmende Offensichtlichkeit

    Meinen Beobachtungen nach hat zwar die Orwell'sche Repression sichtbar zugenommen, doch handelt es sich dabei nicht wirklich um eine neue gesellschaftliche Entwicklung. Den Anpassungsdruck empfand ich bereits als junger Mann – der Beginn dieses Empfindens dürfte wohl gut 40 Jahre her sein –, obwohl ich die damit zusammenhängenden Erfahrungen damals noch nicht so recht einordnen konnte. Es gab eigentlich schon immer Diffamierungen, wenn man nicht so ganz mit dem Strom schwamm: »faule Arbeitslose«, »Langhaarige«, »Gestörte«, »Kommunistenfreunde« und dergleichen waren stets diejenigen, die sich wie auch immer widersetzten, die widersprachen, die in Machtverhältnissen stehend diskutieren wollten. Zudem empfand ich ab einer gewissen Charakterreife Vorgesetzte als intellektuell minderbemittelt – auch in der Berufsschule hatte ich schon dieses vage Gefühl, bei Diskussionsversuchen mit Lehrern erfolglos gegen Dummheit ankämpfen zu wollen.

    Wissenschaft, die Gottesgläubigkeit abzulösen drohte, wurde bereits vor Jahrzehnten thematisiert, meist von Kirchenvertretern, die eindringlich davor warnten. Diese Entwicklung hin zur Wissenschaft, die sich bereits mit Beginn der zunehmenden Rationalität (Aufklärung) abzeichnete, wurde in den vergangenen Jahrhunderten so gut wie gar nicht wahrgenommen. Tatsächlich sah man Wissenschaft und Religion als strikten Gegensatz, als miteinander unvereinbar. Die Vorstellung, daß die Welt von einem manchmal mehr, manchmal weniger gütigen Gotteswesen erschaffen wurde und gelenkt wird, steht der noch heute verbreiteten Ansicht, die Wissenschaft könne im Grunde alles im Sinne von Kausalität erklären, diametral gegenüber. Ein User von Quora hat diese Sichtweise illustriert:

    —– Zitat-Anfang —–
    Wissenschaft ist ziemlich genau das Gegenteil von Religion.
    Wissenschaft: Stellt Fragen und versucht mittels kritischer Diskussion und immer neuer Hypothesen ein zumindest vages Wissen über die Wirklichkeit zu generieren (Theorien). Wissenschaft glaubt, dass es dem Menschen nicht möglich ist, die Wahrheit zu kennen. Sie verlangt von den Menschen immer wieder den aktiven Versuch, wissenschaftliche Hypothesen zu widerlegen, denn das ist ihre Methode.
    Religion: Gibt Antworten und unterbindet jegliche Diskussion über Grundsätze. Sie benötigt kein neues Wissen, da sie sicher ist, dass schon alles Wichtige und Nötige bekannt ist. (Jede) Religion weiß, dass sie die Wahrheit kennt. Sie verlangt von den Menschen, bedingungslos und blind an die Lehre zu glauben, denn ansonsten würde sie sich selber verraten. Kurz: Wissenschaft kann uns lediglich eine Antwort darauf geben, wie die Welt nicht ist und wie sie vielleicht sein könnte. Religion gibt uns eine Antwort darauf, wie die Welt ist und verlangt von uns, sämtliches Zweifeln einzustellen. (1)
    —– Zitat-Ende —–

    DIE Wissenschaft gibt es letztlich aber nicht. Es gibt sehr unterschiedliche wissenschaftliche Herangehensweisen. Letztlich geht es bei allen Doktrinen um Interessen, und Interessen sind stets Machtinteressen. Es gibt kein Interesse ohne das Bedürfnis nach Macht. Ob es sich dabei um Macht über andere Menschen oder um Macht über eigene innere Zusammenhänge handelt, spielt dabei keine Rolle. Unser jeweiliges Interesse ist es, das uns immer ganz bestimmte Dinge aus der unermeßlich großen Vielfalt der Erscheinungen herauspicken läßt. Ebenso liegt es am jeweiligen Interesse, was Medienschaffende bzw. deren Vorgesetzte, was die Medienkonzerne als aktuell und unbedingt jetzt dringend wahrzunehmen auswählen. Immer stecken Interessen dahinter, wenn medial vermittelt wird, sogar beim persönlichen Gespräch zwischen zwei Individuen. Wer z.B. auf die Frage, warum er dies oder jenes wissen wolle oder warum er eben dies oder das gesagt habe, mit der lapidaren Antwort »ach, einfach so halt« aufwartet, möchte sein Interesse entweder verbergen oder es ist ihm nicht wirklich bewußt. Und wer behauptet, hinter seiner Mitteilung, hinter seiner medialen Vermittlung würde keinerlei persönliches Interesse stecken, der täuscht sein Gegenüber.

    Zum Thema des weitverbreiten Begriffs der »Ersatzreligion« empfehle ich einen Aufsatz von Lina Rodenhausen, der in deutscher und englischer Sprache vorliegt:

    —– Zitat-Anfang —–
    Ganz allgemein wird mit »Ersatz-/Quasi-Religion« etwas bezeichnet, das »irgendwie so ähnlich wie, aber halt nicht richtig« Religion sei. Grundvoraussetzung für eine solche Darstellung ist ein vorhandenes festes Religionsverständnis, das manchmal nur implizit mitschwingt und dort explizit erläutert wird, von dem aus Analogien zum Untersuchungsgegenstand gezogen werden, aber keine vollständige Gleichwertigkeit anerkannt wird. (2)
    —– Zitat-Ende —–

    In seinem Buch WIE ICH MEINE ZEITUNG VERLOR beschreibt der Autor Birk Meinardt unter anderem, warum er den Job bei seiner Zeitung aufgab und daraufhin von dieser diffamiert wurde. (3)

    Was sich in den letzten Jahren zunehmend ändert, ist nicht die Tendenz zur Überanpassung an von oben verordnete gesellschaftliche Verhältnisse, sondern das auch für bislang eher unkritische Geister sichtbar gewordene Ausmaß der Unterdrückung aller unerwünschten Äußerungen. Glaubte ich wie viele andere vor 40 Jahren noch, daß an mir etwas falsch, daß mit mir etwas nicht stimmen müsse, so fühle ich mich heute bestärkt in der Überzeugung, daß meine damaligen vagen Gefühle, irgendwie im falschen Film gelandet zu sein, durchaus ihre Berechtigung hatten.

    (1) https://de.quora.com/Inwiefern-kann-man-sagen-dass-Wissenschaft-Religionsersatz-ist

    (2) https://journals.openedition.org/zjr/1303

    (3) http://irwish.de/PDF/_GesKrit/_Sonstige/Meinhardt_Birk-Wie_ich_meine_Zeitung_verlor_(2020).pdf

    • vizero 13 sagt:

      Zit.: " Und wer behauptet, hinter seiner Mitteilung, hinter seiner medialen Vermittlung würde keinerlei persönliches Interesse stecken, der täuscht sein Gegenüber."
      Das kann man so generell nicht sagen. Es stimmt zwar für die Mehrheit (oder allen) der Karrieristen, aber nicht für mensch an sich. wie die forschungsergebnisse aus Anthropologie, Hirnforschung und Biologie imer deutlicher zeigen (siehe auch bei Gerald Hüther, David Graeber, David Wengrowe und anderen).

    • Irwish sagt:

      Könnten Sie mir da auch nur ein einziges Beispiel nennen?

  8. Nevyn sagt:

    „Wer die Leitmedien beherrscht, kann den Universitäten diktieren, woran sie zu arbeiten haben. Niemand konsumiert ‚Tagesschau‘ oder Spiegel, Zeit, FAZ, Süddeutsche, um zu erfahren, wie die reale Welt da draußen aussieht. Das sieht jeder, wenn er vor die Tür geht. Leitmedien nutzen wir, um Definitionsmachtverhältnisse zu beobachten …“

    Guter Gedanke!
    Darüber hinaus steht der Mensch vor der Entscheidung, ob er Mensch sein oder "etwas werden" will. Beides scheint in dieser Gesellschaft nicht mehr miteinander vereinbar.

    • Poseidon 1 sagt:

      Sich an den Sternen orientieren.
      Der Weg ist das Ziel und die liebe der Schluessel zur unerschöpflichen goettlichen Energiequelle.
      Daher selbstverstaendlich menschlich und göttlich bleiben ,statt Mensch sein.

      Wir sind unser Ego aber unser Ego sind nicht wir.

      Ankommen bedeutet Horror Vacui und Tod.
      Letztlich auch nicht schlimm.
      Wir fallen alle in gottes Hand mehr oder weniger weich.
      https://youtu.be/L_jWHffIx5E?si=va73mn8wqIwfZsPr

    • Nevyn sagt:

      "Daher selbstverstaendlich menschlich und göttlich bleiben ,statt Mensch sein."

      Ich möchte darauf mich Eliphas Levi antworten, der sinngemäß einmal schrieb, von jemandem, der fast ein Gott sein wolle, könne man erwarten, dass es erstmal ein richtiger Mensch werde.
      Alles fließt, nur das Sein ist ewiglich weil jenseits von Raum und Zeit.

  9. Yoyohaha sagt:

    👉🙏😡https://www.epochtimes.de/epoch-tv/meinung-epochtv/american-thought-leaders/christine-anderson-15-minuten-staedte-a4374553.html?welcomeuser=1

    👉🙏😡Siehe dazu auch sehr gute Analyse

    https://apolut.net/der-putsch-von-oben-von-ullrich-mies/

    👉🙏😡Und die Kommentare.

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