Tagesdosis

Die neue Staatsräson: Angst | Von Sabiene Jahn

audio-thumbnail
Tagesdosis 20251016 apolut
0:00
/724.863292

Der Streit um das neue Pentagon-Statut für Journalisten zeigt, wie eng Sicherheitspolitik und Informationskontrolle inzwischen verflochten sind. Die USA zügeln jetzt ihre Medien, Deutschland seine Zweifel – beides folgt derselben Logik der Angst.

Ein Kommentar von Sabiene Jahn.

Führende Nachrichtenorganisationen in den Vereinigten Staaten – darunter The New York Times, Washington Post, CNN, Reuters, The Atlantic und sogar Fox News – verweigerten am Dienstag die Unterzeichnung der neuen Pressezugangsrichtlinien des Pentagons (1). Diese Regeln untersagen Journalisten, Informationen zu beschaffen oder zu veröffentlichen, die nicht ausdrücklich vom Verteidigungsministerium genehmigt wurden – auch wenn sie nicht geheim sind (2). Die Bewegungsfreiheit innerhalb des Pentagons wird eingeschränkt, und wer die Vereinbarung nicht unterschreibt, verliert seine Akkreditierung. Verteidigungsminister Pete Hegseth, früher Fox-Moderator, verteidigte die Maßnahme als „common sense“ und begründete sie mit der Notwendigkeit, „die nationale Sicherheit zu respektieren“ (3). Auf Kritik reagierte er mit Ironie: einem winkenden Emoji auf X und einer Liste namens „Press Accreditation for Beginners“, in der er erklärte, die Presse habe „kein Recht, zu kriminellen Handlungen aufzufordern“ (4). Pentagon-Sprecher Sean Parnell wies gegenüber Newsweek die Kritik unterschiedlicher Medienhäuser als hysterisch zurück (5).

Von ihnen kam eine geballte Gegenreaktion. Washington Post-Chefredakteur Matt Murray sprach von einem

„Angriff auf die Pressefreiheit und den Ersten Verfassungszusatz“.

The Atlantic-Chef Jeffrey Goldberg nannte die Maßnahme „verfassungswidrig“ (6). Später stellte sich Präsident Donald Trump demonstrativ hinter Hegseth.

„Die Presse ist sehr unehrlich.“ (7)

Trump rechtfertigte die Beschränkungen als Disziplin, um „Soldaten und Generäle vor den Fake News“ zu schützen. Kommentatoren wie The Hill und New Republic sprachen von einem gefährlichen Präzedenzfall – einer

„Institutionalisierung der Informationskontrolle“ (8).

Die Episode zeigt, wie die vermeintliche Frontlinie zwischen „Sicherheit“ und „Freiheit“ in Wahrheit ein Machtkampf um Deutungshoheit ist. Jahrzehntelang hatten dieselben Pressehäuser Kriege gerechtfertigt; nun trifft sie die Zensur, die sie selbst kultiviert haben. Wenn die sogenannte Partei des Krieges – jene Allianz aus Politik und Publizistik, die militärische Stärke als moralische Tugend verkauft – plötzlich „Blut spuckt“, weil ihr der Zugang zur Macht verwehrt wird, dann zeigt sich: Nicht Wahrheitssuche war ihr Anliegen, sondern die Kontrolle über das Narrativ. In den Vereinigten Staaten ist dieses Misstrauen Ergebnis einer langen Entwicklung: Nach Jahrzehnten der globalen Interventionen, der Sicherheitsdoktrin nach 9/11 und des medialen Daueralarms um Russland oder China hat sich eine politische Kultur etabliert, die Öffentlichkeit als Risiko betrachtet. In den USA überbieten sich Fernsehsender seit Jahren mit Szenarien über den nahenden Krieg, den „russischen Cyberangriff“ oder die „chinesische Invasion“. Reale Gefahren treten zurück hinter die Simulation von Bedrohung – sie erzeugt Quoten, Klicks, politische Aufmerksamkeit. In dieser Logik sind Medien nicht mehr Beobachter, sondern Marktteilnehmer einer Angstökonomie.

Hegseth, der aus dieser Welt stammt, will die Kontrolle zurückgewinnen. Die großen Medienhäuser – vielfach finanziell verflochten mit Stiftungen, Tech-Konzernen oder sicherheitspolitischen Thinktanks – lieferten in den letzten Jahren keine Korrektur mehr, sondern Verstärkung. Die Grenze zwischen Regierungskommunikation und Nachrichtenfluss verwischte. Hegseths restriktive Pressepolitik ist, so gesehen, kein Bruch, sondern eine Konsequenz dieser Überhitzung. Er versucht, eine bereits ideologisch aufgeladene Öffentlichkeit wieder zu disziplinieren. Dieser Wandel fällt nicht zufällig in eine Phase, in der die USA erneut mitten in einem geopolitischen Konflikt stehen. Der Politologe Lew Sokolschtschik beschreibt die aktuelle Dynamik in Washington als das Werk einer „Partei des Krieges“ – jener Kräfte, die kein Interesse an einer raschen Lösung des Ukraine-Konflikts haben (9). Gemeint sind die Rüstungsindustrie, Teile der Demokraten, die europäische Außenpolitik und jene Netzwerke, die militärische Spannung als politischen Rohstoff betrachten. Präsident Trump, der nach außen den Dealmaker gibt, steht damit unter massivem Druck: Er will den Krieg beenden, seine Gegner wollen ihn verlängern.

Sokolschtschik bringt es auf den Punkt: Die „Partei des Krieges“ besteht nicht aus Generälen, sondern aus Geschäftsmodellen. Sie lebt von Eskalation, nicht von Lösung. Jede neue Waffenlieferung, jede neue Sanktion, jede neue „rote Linie“ sichert Einfluss, Budgets und mediale Aufmerksamkeit. Trump, so Sokolschtschik, müsse schnell Erfolge vorweisen – doch der Konflikt sei längst zu einem System geworden, das von sich selbst lebt. Ein Waffenstillstand würde Milliarden kosten, die Fortsetzung des Krieges bringt sie ein (10). Und Deutschland? Auch hier hat sich dieses Prinzip längst verfestigt. Aus jedem Zwischenfall wird eine geopolitische Bombe, aus jeder Drohne eine Bedrohung. Politiker und Medien bedienen Märkte, nicht Bürger. Die großen Kreditinstitute, die Rüstungsindustrie und ihre medialen Partner brauchen Spannung, um Nachfrage zu erzeugen. Was nach Sicherheit klingt, ist in Wahrheit ein Geschäftsmodell. Wenn ein BND-Chef dieses System mitträgt, statt es zu hinterfragen, ist das kein Schutz der Demokratie, sondern ihr Verrat.

Deutschland steht an einem anderen Punkt desselben Weges. Hier folgt die mediale und politische Sphäre weiter einer Rhetorik der Gefahr. Das Klima der Angst wird systemisch erzeugt – von Nachrichtendiensten, Ministerien, Stiftungen, Beratern. Medien verstehen sich nicht mehr als Gegenmacht, sondern als Vermittler staatlicher Moral. Kritik an Krieg, Rüstung oder geopolitischen Doktrinen wird nicht mehr argumentativ, sondern moralisch abgewehrt. Der Bürger soll glauben, nicht prüfen. Die Kontrolle erfolgt über Sprache, Rahmung und Erwartung. Gleichzeitig liefern Institutionen wie der BND scheinbar objektive Lagebilder, die auf denselben Medienberichten beruhen, die sie selbst mitgeprägt haben (11). Wenn der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, Martin Jäger, öffentlich erklärt, Russland könne „jederzeit“ die NATO angreifen –

„Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und denken, ein russischer Angriff kommt frühestens 2029“

– wirkt das absurd und realitätsfern.

„Wir stehen schon jetzt im Feuer“,

ist keine Nachricht, sondern eine Inszenierung (12). Es gibt keine Belege, keine Analyse, keine Quellen. Aber es gibt eine Wirkung: Angst. Sie diszipliniert, sie rechtfertigt, sie legitimiert neue Befugnisse.

Wie absurd dieses Denken geworden ist, zeigte der ehemalige Marineinspekteur Kay-Achim Schönbach bei einer Podiumsdiskussion in Berlin dieser Tage. Dort widersprach er offen der Regierungsbehauptung, russische Geheimdienste steckten hinter jüngsten Drohnenflügen über Deutschland. „Wir müssen das spielen, das ist politisch vorgegeben“, habe ihm ein ehemaliger Luftwaffeninspekteur gesagt (13). Die Bundeswehr müsse mitspielen, obwohl sie wisse, dass es keine Beweise gibt. Schönbach nannte das beim Namen: Hysterie mit Auftrag. Und tatsächlich, keine andere Industrie wächst derzeit so stetig wie die Rüstungswirtschaft. Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat gerade Projekte im Wert von sieben Milliarden Euro beschlossen – neue Radschützenpanzer, Spähfahrzeuge, Eurofighter (14). General Dynamics, ein US-Konzern mit Standorten in Rheinland-Pfalz, ist der größte Profiteur. „Investition in die Fähigkeiten von morgen“, nennt das Verteidigungsminister Boris Pistorius. Doch in Wahrheit ist es die Fortsetzung einer Politik, die Rüstung als Konjunkturprogramm begreift (15).

Gleichzeitig bricht die Kommunikation zwischen Ost und West weiter ab. Wer – wie der AfD-Außenpolitiker Markus Frohnmaier – den Dialog mit Russland sucht, wird nicht nur politisch attackiert, sondern als „Vaterlandsverräter“ gebrandmarkt (16). CDU-Politiker Roderich Kiesewetter fabuliert von Spionage, SPD-Mann Sebastian Fiedler von „russischer Einflussnahme“. Das Muster ist alt: Wer Frieden will, steht im Verdacht, fremde Interessen zu vertreten. Doch während die politischen Eliten auf Abschreckung setzen, wächst im Land eine stille, aber aktive Gegenbewegung. Die Zahl der Kriegsdienstverweigerer ist auf dem höchsten Stand seit Jahrzehnten (17). Mehr als 3.200 Anträge wurden im Jahr 2025 gestellt – sechzehnmal so viele wie noch 2021. Die Publizistin Christiane Reimann interpretiert den Anstieg als Reaktion auf die allgegenwärtige Kriegsrhetorik:

„Die Politiker betonen ständig die Kriegsgefahr. Es ist keine rationale Debatte, sondern eine Form von Kriegspropaganda. Wenn die Gefahr an die Wand gemalt wird, reagieren Menschen mit Ablehnung.“ (18)

Diese Mischung aus Angst, wirtschaftlicher Verflechtung und moralischer Erpressung ist das Kennzeichen der neuen Kriegsökonomie. Sie wirkt nach innen wie nach außen. In den USA bedroht sie die Pressefreiheit, in Europa den politischen Diskurs. Die Partei des Krieges braucht keine Mehrheit, sie braucht nur Stimmung und Panik. Sie haben einen Preis – und einen Nutzen. Jede Verschärfung des Kriegsnarrativs erzeugt Volatilität an den Märkten, die wiederum politische Entscheidungen legitimiert. Wenn Politiker, Analysten und Geheimdienste Gefahr beschwören, reagieren die Börsen prompt – Staatsanleihen steigen, Rüstungsaktien explodieren, Währungen schwanken. So entsteht ein perfider Kreislauf: Sicherheitsrhetorik steigert Marktspannung, und Marktspannung rechtfertigt neue Schulden. Schulden erhöhen politischen Druck, der wiederum neue Sicherheitsrhetorik erzeugt. Ein System, das Kriegsvorbereitung als Konjunkturprogramm nutzt, braucht keinen äußeren Feind – es produziert ihn selbst.

Wenn die Partei des Krieges über ihre Presseorgane Empörung inszeniert, dann nicht, weil sie Freiheit verteidigt, sondern weil sie ihre Deutungshoheit bedroht sieht. Sie hat Macht, Budget und Einfluss. Ihr Ziel ist Dauer. Ihr Motor ist Angst und ihr Kapital (noch) Vertrauen. Wer ihr widerstehen will, muss weder Pazifist noch Patriot sein. Es genügt, vernünftig zu bleiben.

Quellen und Anmerkungen

1) Yle (Anni Kavander): Pentagon yrittää rajoittaa rajusti lehdistön toimintaa – mediat kieltäytyvät sopimuksesta, 14. Okt 2025 – https://yle.fi/a/74-20188398

2) Reuters: US news outlets reject Pentagon press access policy, 14. Okt 2025 – https://www.reuters.com/business/media-telecom/us-news-outlets-reject-pentagon-press-access-policy-2025-10-14

3) Politico: Fox News among broadcasters refusing to sign Pentagon press pledge, 14. Okt 2025 – https://www.politico.com/news/2025/10/14/fox-news-pentagon-press-restrictions-00608019

4) Pete Hegseth (X): https://x.com/PeteHegseth/status/1977828217315549301

5) Newsweek: Pentagon Spokesman Sean Parnell Defends Press Policy, 14. Okt 2025 – https://www.newsweek.com/pentagon-spokesman-sean-parnell-defends-press-policy-2025-10-14

6) The Atlantic / NYT Statements (zitiert in Newsweek & Yle)

7) PBS NewsHour (Video): Trump on new Pentagon press rules: “The press is very dishonest”, 14. Okt 2025: www.youtube.com/watch?v=OD8Ru4wjLf8

8) Dominick Mastrangelo (The Hill): https://thehill.com/policy/defense/5555797-media-outlets-decline-pentagon-policy/  u. Edith Olmsted (New Republic), 14. Okt 2025: https://newrepublic.com/post/201737/judge-trump-comey-discovery

9) RIA Nowosti / freedert.online: Politologe: „Partei des Krieges“ erhöht Druck auf Trump, 14. Okt 2025 – https://freedert.online/international/258766-politologe-partei-krieges-erhoeht-druck-auf-trump/

10) Ebenda, Analyse zu Lobby- u. Rüstungsstrukturen.

11) Tagesspiegel: BND-Chef warnt vor russischem Angriff vor 2029, 13. Okt 2025 – https://www.tagesspiegel.de/politik/konnte-jederzeit-in-konfrontation-umschlagen-bnd-chef-warnt-vor-russischem-angriff-vor-2029-auf-nato-gebiet-14549639.html

12) Focus Online (10. Okt 2025) u. BND-Briefing Berlin (11. Okt 2025).

13) freedert.online: Vizeadmiral Schönbach: Die Bundeswehr glaubt nicht an „russische Drohnen“, muss aber mitspielen, 13. Okt 2025 – https://freedert.online/europa/258718-vizeadmiral-schoenbach-bundeswehr-glaubt-nicht-an-russische-drohnen-muss-aber-mitspielen/

14) BMVg – Bundesministerium der Verteidigung: Bundestag bewilligt weitere 14 Beschaffungsvorhaben, 8. Okt 2025 – https://www.bmvg.de/de/presse/bundestag-bewilligt-weitere-14-beschaffungsvorhaben-6006078

15) Handelsblatt: Rüstung: Bund will Radpanzer für fast sieben Milliarden Euro kaufen, 14. Okt 2025 – https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/ruestung-bund-moechte-radpanzer-fuer-fast-sieben-milliarden-euro-kaufen/100163044.html

16) freedert.online: Frohnmaiers Reise nach Russland – SPD-Abgeordneter spricht von „Vaterlandsverrat“, 13. Okt 2025 – https://freedert.online/inland/258662-frohnmaiers-reise-nach-russland-spd/

17) BAFzA-Jahresstatistik 2025 – Kriegsdienstverweigerung: https://www.bundeswehr.de/de/organisation/personal/faktencheck/kdv-antraege-5647366

18) freedert.online / Rumble: Kriegsdienstverweigerung: Zahl der Anträge seit 2022 stark gestiegen, 14. Okt 2025 – https://rumble.com/v70awtk-kriegsdienstverweigerung-in-deutschland-zahl-der-antrge-seit-2022-stark-ges.html

+++

Dank an die Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

+++

Foto: Washington DC, Vereinigte Staaten, 11. August 2025: Präsident Donald Trump hält ein Pressegespräch mit Regierungsbeamten ab, um bekannt zu geben, dass er sich auf das Home Act beruft 

Bildquelle: Joey Sussman / shutterstock


+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit der:

Spenden-Kryptowährung „Nackte Mark“: https://apolut.net/unterstuetzen/#nacktemark

oder mit

Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoin

Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/

+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.

+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/

+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut

Sabine Jahn Pete Hegseth Sean Parnell Donald Trump Pentagon-Statut Pressezugangsrichtlinien Matt Murray Jeffrey Goldberg Lew Sokolschtschik