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Die Macht der Gewohnheit

Die Macht der Gewohnheit

Ein Meinungsbeitrag von Dr. Rudolf Lothar Hänsel.

Einleitung

Nach den Erkenntnissen der Humanwissenschaften Anthropologie, Soziologie und Psychologie besitzt der Mensch einen gesunden Verstand und ein natürliches Urteilsvermögen. Dieser gesunde Menschenverstand arbeitet empirisch; er fällt konkrete Urteile auf der Basis alltäglicher Lebenserfahrung, genauer Beobachtung und aufklärender Informationen. Auch nimmt der gesunde Menschenverstand auf die Urteile aller anderen Menschen Rücksicht.

Der Aufklärer Immanuel Kant (1724-1804) stufte den gesunden Menschenverstand im Alltag als nützlicher ein als wissenschaftliche Erkenntnisse. Für den erfolgreichen Gebrauch des gesunden Menschenverstands stellte er drei Maximen auf:

1.     „Selbstdenken“

2.     „An der Stelle jedes andern denken“

3.     „Jederzeit mit sich selbst einstimmig denken“ (1)

Der Mensch besitzt nicht nur einen gesunden Verstand, er ist auch autonom. Autonomie ist der Zustand und das Lebensgefühl der Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Philosophisch gesehen ist sie die Fähigkeit, sich als Wesen der Freiheit zu sehen und aus dieser Freiheit heraus zu handeln. Damit ist sie auch die Kraft zum Nicht-Mitmachen (Adorno) (2).

Die folgenden Informationen sollen ein Beitrag zur Aufklärung sein, damit die Menschen ihren gesunden Verstand und ihr natürliches Urteilvermögen im Alltag auch einsetzen. Das betrifft sowohl die Gewöhnung an die verstörenden Bilder und Videos in den medialen Nachrichtensendungen als auch die Gewöhnung unserer Jugend an das virtuelle Töten von vermeintlichen Gegnern in sogenannten Killerspielen. Beides kann zur Macht der Gewohnheit führen.

Obwohl auf die Gefahr der Killerspiele bereits mehrfach hingewiesen wurde, scheinen Eltern und Lehrkräfte diese Warnung nicht ernst zu nehmen. Allein aus diesem Grund soll dieses Thema zum wiederholten Male behandelt werden. Im Vordergrund steht die Frage, wie Eltern ihre Kinder gegen die mediale Manipulation und die Gefahr der Gewöhnung immunisieren können.

Auch bezüglich der Gewaltdarstellungen in den täglichen Nachrichten soll dargelegt werden, wie der Prozess der Gewöhnung bewusst vermieden und die Macht der Gewohnheit unterdrückt werden kann.

Von der Gewöhnung zur Gewohnheit

Während der Lektüre der aktuellen Schlagzeilen am Computer und dem Verfolgen der abendlichen Fernseh-Nachrichten denke ich immer wieder darüber nach, ob ich mich jemals an die herzzerreißenden Berichte, Videos und Bilder über Kriege, zerbombte Häuser sowie verletzte und sterbende Kinder, Frauen und Männer gewöhnen kann.

Durch die Gewöhnung an menschliches Leid laufen wir Menschen unbewusst Gefahr, eine zunehmend geringere und im Extremfall gar keine mitmenschliche Anteilnahme zu empfinden.

Diese Abstumpfung oder auch Desensibilisierung gegenüber Gewaltdarstellungen führt ohne unser Zutun zu einer mächtigen Gewohnheit, der wir uns ausgeliefert fühlen. So werden die täglichen Nachrichten mit ihren verstörenden Bildern samt der Begleiterscheinung mitmenschlicher Gefühllosigkeit zu einer Selbstverständlichkeit. Die Welt ist dann eben jenseits unserer friedlichen Heimat ein unwirtlicher, böser Ort.

Der Wert eines Menschenlebens

Unweit der überlieferten Geburtsstätte des kleinen Jesus-Kindes sterben Abertausende Kinder, Frauen und Männer durch Flächen-Bombardements ihrer armseligen Behausungen.

Lässt man die täglichen Nachrichten, Fernsehbilder und Videos der Bomben-Opfer Revue passieren, bekommt man den Eindruck, dass ein Menschenleben in sogenannt unterentwickelten Regionen der Welt einen geringeren Wert hat als zum Beispiel in Europa oder den USA. In den westlichen Breitengraden wird der Nachwuchs gehätschelt und verwöhnt. 

Ganz anders verhält es sich mit dem Töten von virtuellen Spielkameraden am Bildschirm eines Computers oder Handys. Bei diesem Training in den Gewaltvideospielen machen die Heranwachsenden keinen Unterschied nach Nationalität; jeder beliebige „Gegner“ wird gnadenlos „umgenietet“.

„Wer hat unseren Kindern das Töten beigebracht?“

So lautet der Titel der deutschen Ausgabe des amerikanischen Buches „STOP TEACHING OUR KIDS TO KILL“. Es ist ein Aufruf gegen Gewalt in Fernsehen, Film und Computerspielen von Lt. Col. Dave Grossman und Gloria DeGaetano; erschienen 2014 (3).

Als Antwort auf die Frage, wer unseren Kindern das Töten beigebacht hat, schreibt der Militärhistoriker und Psychologieprofessor an der Militärakademie in Westpoint (USA) Dave Grossman zusammen mit dem Polizeibeamten i. R. Loren W. Christensen:

„Millionen von Kindern trainieren jeden Tag mit Gewaltvideospielen, und nur ein paar von ihnen werden losgehen und diese Fertigkeiten und konditionierten Reflexe, die sie in den Spielen lernten, anwenden, um einen Massenmord zu begehen. Aber das sollte genügen, damit wir verstehen, dass wir da was sehr Dummes tun! (…).
Im Vietnamkrieg und im Zweiten Weltkrieg haben die meisten 18jährigen mit Übelkeit und Zitteranfällen reagiert, nachdem sie zum ersten Mal jemanden im Kampf töten mussten. (…). Obwohl viele dieser jungen Soldaten nach ihrem ersten Töten sich übergeben mussten, empfanden sie das nächste Mal weniger schlimm, denn sie wussten, was sie erwartete.
Viele Kinder haben auch ihr erstes Töten – und ihr 101. und ihr 1001. – in supra-realistischen Videospielen hinter sich gebracht. Sie beobachteten immer und immer wieder, wie ihre Opfer bluteten, gurgelten, zuckten und um Gnade bettelten, während sie mit Punkten dafür belohnt wurden, dass sie ihren virtuellen Spielkameraden brutales Leid zufügten und Morde begingen. (…). Wir alle, Erwachsene, Eltern und die Videospielindustrie, ermöglichen diese Massenmorde.“ (4)

Wie junge Menschen gegen mediale Manipulation immunisieren?

Damit elektronische Medien die Gewaltbereitschaft Jugendlicher nicht verstärken, sollten Jugendliche lernen, auszusortieren, was sinnvoll ist und was nicht. Auch sollten sie lernen, mit den Medien etwas Vernünftiges anzufangen. Doch wie können Eltern, Lehrer und Erzieher das bewirken? Die Heranwachsenden lassen sich nur schwer etwas verbieten und außerdem muss heute jeder zur Vorbereitung auf den Beruf den Computer vernünftig handhaben können.

Meines Erachtens werden Heranwachsende nur dann einen Kompass für den konstruktiven Umgang mit Medien haben, wenn solche Lernprozesse in ein ethisches Wertegefüge eingebettet sind. Diese Werte müssen in der Familie gelegt und in den gesellschaftlichen Institutionen wie Kindergarten und Schule verstärkt und konsequent durchgesetzt werden. Erzieher wissen, dass ihre Bemühungen nicht fruchten, wenn es nicht gelingt, die Jugend vom destruktiven Weg abzubringen und sie zur Kooperation im Mitmenschlichen anzuleiten. 

Erzieher sollten es nicht fremden Großmächten und ihren Medien überlassen, an welchen Werten und Vorbildern sich die Jugendlichen orientieren, wenn sie eine Generation heranziehen wollen, die einmal konstruktive Mitbürger in den Gemeinden sein sollen. Also: Mut zur Erziehung!

Wie als Erwachsener den Prozess der Gewöhnung bewusst vermeiden und die Macht der Gewohnheit unterdrücken?

Die Erfahrung lehrt, dass die Menschen der Abstumpfung oder Desensibilisierung gegenüber medialen Gewaltdarstellungen nicht ausgeliefert sind. Zwar nehmen bewusste Überlegungen und Entscheidungen beziehungsweise ein vernünftiges Handeln mehr Zeit in Anspruch als ein reflexhaft zustande kommendes gewohnheitsmäßiges Reagieren, aber sie bleiben dadurch Personen mit mitmenschlichen Empfindungen.

Dem Betrachter von Gewaltdarstellungen sollte es zudem bewusst sein, dass die Politik an einer systematischen Desensibilisierung der Bürger durchaus interessiert ist, da sich diese in vielerlei Hinsicht nutzen lässt. Doch welcher Bürger möchte gerne Opfer einer solchen Manipulation des Staates werden?

Eine weitere Überlegung könnte sein, sich zu fragen, ob das gezeigte Bildmaterial der Wahrheit entspricht. Oft erfährt man erst durch alternative Nachrichten, was wahr ist und der Realität entspricht. Bürger sollten sich stets die Mühe machen, das Gelesene oder Gesehene zu hinterfragen und zu überprüfen.

Dabei wird er erfahren, dass es sehr schwierig ist, die Wahrheit herauszufinden. Böse Zungen behaupten sogar, dass die Politik ein abgesprochenes Schauspiel der Weltmächte für die ahnungslosen Völker sei, und dass im dichten Nebel des angsteinflößenden Verwirrspiels der maßgeblichen Politiker die wahren Herrscher dieser Welt die wirklichen Entscheidungen treffen würden.

Welche Rolle der Staat mit seinen Politikern auch immer spielt, wir Menschen sollten lernen, stets eigenständig und unabhängig zu denken, um der vermeintlichen Macht der Gewohnheit zu widerstehen und vernünftig zu handeln.

Quellen und Anmerkungen:

(1) Hänsel, Rudolf (2020). Keinem die Macht übergeben! Ein psychologisches Manifest des gesunden Menschenverstands. Gornji Milanovac, S. 7

(2) A. a. O., S. 9

(3) LT. Col. Dave Grossman and Gloria DeGaetano (2024). STOP TEACHING OUR KIDS TO KILL. New York

(4) Hänsel, Rudolf (2011). GAME OVER! Wie Killerspiele unsere Jugend manipulieren. Berlin, S. 7

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: breakermaximus / shutterstock


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