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„Die Hälfte der Menschheit ist dumm. Die andere Hälfte ist noch viel dümmer.“

„Die Hälfte der Menschheit ist dumm. Die andere Hälfte ist noch viel dümmer.“

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Ich komme seit Wochen nicht los von ihm. Inzwischen dürfte ich die meisten seiner Auftritte gesehen haben, manche sogar mehrmals. YouTube sei Dank. George Carlin entspannt, er zieht der menschlichen Tragödie den Stachel. Die „Truth-Machine“, wie sich der US-amerikanische Stand-up-Comedian nannte, ist Kult, immer noch, siebzehn Jahre nach seinem Tod.

„Wenn Du versuchst zu scheitern und trotzdem erfolgreich bist – was ist da schief gelaufen?“,

kommentierte er auf offener Bühne seinen überwältigenden Erfolg, der umso erstaunlicher war, weil er seinem Publikum nichts ersparte. „Ich bin meinetwegen hier,“ pflegte George zu sagen, „und Sie sind meinetwegen hier. Niemand ist ihretwegen gekommen.“ Dann zuckte er entschuldigend mit den Schultern und verabreichte den Leuten noch schnell ein verbales Sedativum: „In jedem Zyniker steckt ein enttäuschter Idealist.“ 

Seine Verehrer attestieren ihm einen Humor, der es durchaus mit dem von Mark Twain aufnehmen kann. „Seit ich Sie gesehen habe, fühle ich mich weniger alleine“, schrieb ein Fan dem Comedian einmal. Das ging vielen Menschen so. Carlin war der Mann mit dem riesigen Quirl, der in seinen umjubelten Live-Auftritten den faulenden, brackigen gesellschaftlichen Bodensatz aufwirbelte. Da war endlich jemand, der die im US-Fernsehen gezüchtete Lachkultur durchbrach und auf den Kopf stellte, der mit Aussagen und die Ecke kam, die für all jene, die im Kanon der Dummheit nicht mitsingen mochten, Balsam waren.

„Bei unserer Geburt,“ sagte er beispielsweise, „wird uns ein Ticket für eine Freak-Show ausgehändigt. Besonders privilegiert sind die Menschen, die in Amerika geboren werden. Sie dürfen in der erste Reihe sitzen.“

Carlin wurde Anfang der sechziger Jahre durch seine Auftritte in der Ed Sullivan Show bekannt. 1973 sorgte er mit einem Radiobeitrag über die „sieben schmutzigen Wörter“ (Filthy Words), die man auf keinen Fall im Fernsehen sagen sollte, für Entrüstung. Der Oberste Gerichtshof der USA verbot die weitere Ausstrahlung, „da die Gefahr bestehe, dass Kinder und Jugendliche zuhören könnten“.

Politische Korrektheit war für Carlin Realitätsvermeidung. Dass das funktioniert, erklärte er folgendermaßen: „Es besteht kein Zweifel, dass die Hälfte der Menschheit dumm ist. Und nun stellen Sie sich vor, dass die andere Hälfte noch viel dümmer ist. Es gibt genug Bullshit, um die Dinge in diesem Land zusammen zu halten. Bullshit ist der Klebstoff, der uns als Nation eint.“ Als Beweis verwies er gerne auf die Essgewohnheiten seiner Landsleute: „Wir Amerikaner essen alles. Wenn Waschbären-Arschlöcher am Spieß im Angebot wären, wir würden sie essen. Alles in unserem Land ist King-Size, Extra Large und Super-Jumbo, besonders die Menschen. Habt ihr sie gesehen, die big, fat, dumb motherfuckers walking around? Die sind von Beruf Verbraucher, das ist ihr Lebenssinn.“

George Carlin ersparte seinem Publikum nichts, schon gar nicht die Wahrheit. Aber er verstand es, dass sich seine Empörung lustig anhörte. „Das Comedian-Handwerk ist Kunst“, sagte er 1996 in einem Gespräch mit Charlie Rose in dessen Talkshow, die landesweit ausgestrahlt wurde.

„Als Künstler habe ich mich irgendwann entschieden, jede Hoffnung in unsere Spezies aufzugeben. Ebenso in die amerikanische Kultur, den amerikanischen Traum oder die amerikanische Nation. Das gab mir die Freiheit, sehr gelassen auf die Gesellschaft zu schauen, mit ihr zu spielen und sie fast amüsiert zur Kenntnis zu nehmen.“

Es war diese distanzierte Sicht auf den Allerweltswahnsinn, dieses ironische Staunen, das laute phonetische Kopfschütteln, welches seinen Sätzen zugrunde lag, die den Menschen das Gefühl gaben, ja, so sehe ich das eigentlich auch. Carlin machte sich mit seinem Publikum gemein, deshalb fühlte es sich auch nie getroffen, wenn es um die big, fat, dumb Motherfuckers ging. Die Menschen genossen es, wenn er die Finanz- und Politgangster für sie ohrfeigte. Diese Herrschaften, so betonte er immer wieder, wollen uns, den dumb Motherfuckers, tatsächlich einreden, dass wir frei sind und eine Wahl haben. „Bullshit, wir haben keine Wahl, wir haben Besitzer. Sie besitzen uns. Sie besitzen alles in diesem Land, inklusive der großen Medienhäuser, sodass sie die Informationen steuern können, die unser Weltbild prägen. Sie haben uns bei den Eiern. Sie geben jährlich Milliarden von Dollar für Lobbyarbeit aus, um das zu kriegen, was sie wollen. Sie wollen mehr für sich selbst und weniger für uns. Sie sind nicht interessiert an gebildeten, gut ausgebildeten Menschen, das hilft ihnen nicht. Sie wollen gehorsame Diener, die gerade schlau genug sind, die Maschinen zu bedienen und den Papierkram zu erledigen. Sie wollen euer Erspartes und sie wollen es ihrer kriminellen Freunden in der Wall Street in den Rachen schmeißen. Es ist ein großer Club, mit dem wir es da zu tun haben. Und ihr seid als Mitglieder nicht erwünscht. Ihr und ich, wir müssen draußen bleiben. Sie erzählen uns, was wir glauben sollen, was wir denken sollen und was wir kaufen sollen. Und niemand scheint, sich daran zu stören. Warum, um Gottes Willen? They don’t give a fuck about us, nicht im mindesten!“

It´s a big club, and we are not in it! Besser kann man das ausufernde Gangstersystem der Mächtigen aus Wirtschaft und Politik nicht beschreiben. Die deutschen Kabarettisten Volker Pispers und Georg Schramm hatten den Trick der „Truth-Machine“ übernommen, und der lautete: Sag einfach die Wahrheit, sie ist so absurd, dass sie automatisch genügend Lacher abwirft. Pispers und Schramm haben sich daran erschöpft, sie schweigen seit einigen Jahren. George Carlin hat bis zu seinem Tod weitergemacht. Seine letzte Show „It's Bad for Ya“ wurde auf HBO wenige Wochen vor seinem Ableben live ausgestrahlt. 

Carlin konnte es sich leisten, die Wahrheit zu sagen und nichts als die Wahrheit, weil er auf der Bühne immer wieder Seelenballast abwarf – weil er sich dem Publikum abseits der scharfen Polemik als das gezeigt hat, was er in Wirklichkeit war: ein aufrichtiger, liebevoller Mensch. Die Witze, die er in seine brillianten Shows einstreute, waren allesamt Brüller: „Hier ist alles, was Sie über Männer und Frauen wissen müssen: Frauen sind verrückt, Männer sind dumm. Und der Hauptgrund, warum Frauen verrückt sind, ist, dass Männer dumm sind.“ Oder den hier: „Für den Frieden zu töten ist wie für die Keuschheit zu vögeln.“

Die folgenden Worte sagen vielleicht am meisten über den wunderbaren Menschen George Carlin aus:

„Findet Zeit, Euch zu lieben, findet Zeit, miteinander zu sprechen, findet Zeit, alles was Ihr zu sagen habt, miteinander zu teilen – denn das Leben wird nicht gemessen an der Anzahl der Atemzüge, sondern an der Anzahl der Augenblicke, die uns den Atem rauben.“

Das von einem Mann, der Menschenansammlungen nach eigenen Aussagen hasste wie die Pest, Individuen aber liebte. „In den Augen jeder einzelnen Person kann man das ganze Universum entdecken, wenn man genau hinsieht. Dann habe ich das Gefühl, dieser großen, wunderbaren Familie wirklich anzugehören.“

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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystopische Zukunftsvision. 2024 erschien sein aktuelles Buch „Gefleckte Diamanten“.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

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Bild: Stern von George Carlin auf dem "Walk of Fame" in Hollywood
Bildquelle: Andy Chinn / shutterstock


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