Ein Standpunkt von Jochen Mitschka.
Die Aussagen über die Folgen des Wagner-Aufstandes könnten nicht gegensätzlicher sein. Während Russlandwissenschaftler erklären, dass Putin nun geschwächt sei, und man mit weiteren Putschversuchen rechnen müsse, sagen in Russland lebende Analysten, dass Putin gestärkt sei, denn er habe eine Krise ohne Blutvergießen gelöst. Aber, russische Beobachter wie Alexander Dugin glauben in der Reaktion der Gesellschaft auf den „Marsch auf Moskau“ auch Schwächen in der russischen Elite gesehen zu haben. In diesem PodCast will ich verschiedene Ansichten einmal untersuchen und versuchen herauszufinden, was wir als Reaktion auf diesen seltsamen Vorgang in der Zukunft erwarten dürfen oder müssen.
Rückblick
Schauen wir zurück auf den angeblichen Auslöser der Aktionen von Prigoschin, der Bombardierung des Ausbildungslagers von Wagner. Sowohl der Geheimdienst FSB als auch die Militärführung bestreiten diesen angeblichen Angriff von hinten, also aus den eigenen russischen Reihen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass dies ein vorgeschobener FalseFlag war, um zu behaupten in Selbstverteidigung zu agieren. Angeblich sollen 30 Wagner-Kämpfer ums Leben gekommen sein. Aber mal ehrlich: Warum sollte die Armeeführung Soldaten bombardieren, die sie selbst gerne in die eigenen Reihen integrieren möchte. Prigoschin hätte sich lieber ein Attentat auf sein Leben aussuchen sollen, möchte man meinen.
Später wurde kolportiert, dass die Armeeführung beabsichtigt hatte, Prigoschin zu verhaften. Gründe dafür gab es sicher inzwischen genügend, die Weigerung, seine Kämpfer an die Armee abzutreten war sicher nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.
Prigoschin hatte versucht, seinen Aufstand teilweise damit zu erklären, dass es sich angeblich nur um eine sogenannte "Anti-Korruptions"-Kampagne gegen das Verteidigungsministerium handelt. Er behauptete, keinerlei Pläne zur „Machtergreifung“ zu haben, sondern sagte, dass er nur daran interessiert sei, das Militär von seinen angeblich korrupten Elementen zu säubern. Dieses machte er für Rückschläge in der russischen Sonderoperation verantwortlich. Allerdings erfüllte er in seinen Tiraden auch einigen Erwartungen westlicher Russlandgegner und gab ihrem Narrativ neue Nahrung. Was einige Beobachter als „durch CIA umgedreht“ interpretierten.
Trotzdem klang es zunächst wie seine üblichen Tiraden, welche man von ihm kannte. Allerdings verwandelte sich seine "Anti-Korruptions"-Kampagne in etwas, das wie ein versuchter Staatsstreich wirkte, je mehr Informationen darüber bekannt wurden. Schließlich stellte er das Staatsoberhaupt in Frage, indem er versuchte, Präsident Putin zur Entlassung des Verteidigungsministers und des Generalstabschefs zu erpressen. Man gewann den Eindruck, er wollte sich selbst oder jemanden seines Vertrauens an deren Stelle einsetzen lassen. Dieses Verhalten stand im starken Widerspruch zu seinen Behauptungen, keinerlei politische Ambitionen zu haben.
Niemand konnte geglaubt haben, dass sich Putin auf eine Erpressung einlassen werde. Durch sein Nachgeben wäre seine Führung in Zeiten eines Krieges unterminiert, was die Stabilität des Landes in Frage gestellt hätte. Genau das muss sich aber Prigoschin wohl auch schon im Voraus gedacht haben. Denn anscheinend hatte er schon länger geplant, diesen Schritt des „Marsches nach Moskau“ zu unternehmen. Und schließlich hatte er seine Kampagne auch fortgesetzt, nachdem Präsident Putin ihn explizit aufgefordert hatte, damit aufzuhören und nicht leichtfertig zu riskieren, inmitten des existenziellen Konflikts Russlands mit dem Westen einen internen Konflikt zu provozieren.
Was mich stutzig gemacht hatte war, wie schnell es möglich war, tausende von Söldnern fast 1000 Km bis vor Moskau zu transportieren. Ebenso war seltsam, dass Meldungen kursierten, dass sich Wagner-Söldner schon vor dem angeblichen Angriff auf das Ausbildungslager von den Familien mit komischen Begründungen verabschiedet hatten, obwohl kein Fronteinsatz anstand.
Nachdem, was die Wagner-Soldaten in Bachmut bzw. Artjomowsk geleistet hatten, darf man davon ausgehen, dass sie nicht, wie nun zunehmend behauptet wird, blutrüstige Söldner sind, die sich an den Meistbietenden verkaufen. Die meisten, so lässt ihr Einsatz vermuten, sind Patrioten, die wohl aber überzeugt wurden, mit ihrem Marsch auf Russland das Beste für Russland zu tun. Die große Frage bleibt, wie viele sich nun in dieser Nacht, nachdem Putin eindeutig Stellung genommen hat, entschieden, weiter gegen die legitime Regierung des Landes mit militärischer Gewalt vorzugehen.
Es gab in der russischen Geschichte während und nach der Auflösung der Sowjetunion leider einige Fälle von militärischer Gewalt. Da war 1991 der Putschversuch gegen Gorbatschow. Und da war 1993 der vom Westen bejubelte Panzerbeschuss des Parlaments durch Jelzin. Wäre es zur „Schlacht um Moskau“ zwischen Wagner-Söldnern und staatstreuen Einheiten des Militärs gekommen, hätte dies Russland geschwächt.
Der weißrussische Präsident Lukaschenko vermittelte in Absprache mit Putin ein Exil und Straffreiheit für Prigoschin und beteiligte Söldner, die daraufhin ihren Aufstand abbrachen. Angeblich sollen einige tausend Mann der Wagner-Gruppe, die keinen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterschreiben wollen, nun in Weißrussland stationiert werden.
Die Folgen
Um die Reihen wieder zu schließen, aber auch um dem Druck nach einem härteren Vorgehen nachzukommen, wird Putin m.E. das Vorgehen in der Ukraine in absehbarer Zeit intensivieren. Nicht ausgeschlossen ist auch eine weitere Umstellung auf Kriegswirtschaft und Mobilisierung. Aber darüber hinaus wird es nun auch zu einer intensiven Diskussion über die Elite des Landes kommen. Wozu Alexander Dugin bereits in einem Tweet gefordert hat.(1)
„…Nur der Souverän Lukaschenko stellte sich ihm zusammen mit dem Souverän Putin selbst entgegen. Die Ereignisse haben gezeigt, dass viele den Präsidenten und das Volk hinters Licht führen können, indem sie im Verborgenen und scheinbar in seinem Namen handeln, aber die Rettung des Vaterlandes in einer kritischen Situation ist nicht ihre Spezialität. Die gestrige Abtrünnigkeit der Eliten ist verabscheuungswürdiger als Upper-Lars. [Gemeint ist vermutlich die Flucht von wehrpflichtigen „reichen“ Männern über den Grenzort Upper Lars nach Georgien, um sich dem Wehrdienst zu entziehen.]
Es gibt nur eine systemische Lösung: die sofortige und wahrhaft patriotische Ideologisierung der herrschenden Klasse und die Rotation der Eliten. Nur von einer gut ausgebildeten Elite kann man erwarten, dass sie sich in einer Notsituation heldenhaft und angemessen verhält. Wir brauchen eine [gemeint ist vermutlich keine] Elite wie die jetzige, wir brauchen eine souveräne Elite, sonst wird sich alles wiederholen. Die Schwächen unseres Systems haben sich gestern in ihrer ganzen Pracht gezeigt, aber wir haben auch den Willen Putins, die wahre Freundschaft Lukaschenkos und die volle und kompromisslose Unterstützung unseres Präsidenten durch alle wahren Patrioten gesehen. (…)“
Ganz stimmt seine Aussage nicht. Denn so hat z.B. der FSB-Direktor Bortnikov, der z.B. von Pepe Escobar als Schwachstelle in der Elite dargestellt worden war, schon am frühen Samstagmorgen eine Erklärung herausgegeben, dass das Vorgehen des ehemaligen Wagner Chefs ein Dolchstoß in den Rücken Russlands sei, was wenig später Putin fast wörtlich wiederholte. Putin war übrigens der frühere Direktor von Bortnikov im Geheimdienst gewesen.
Während also der „Russland Experte Mangot“(sic)(2) (laut Puls 24) erklärt, „dass dem russischen Machthaber Putin die Kontrolle über seine Militär verloren gehe“, und Professor Mangott auf Twitter erklärt, dass Putin schwer angeschlagen sei, meinte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth in der unnachahmlich diplomatischen Sprache deutscher Politiker:
„Das russische Verbrecherregime kannibalisiert sich! [Ich weiss nicht], ob das russische Verbrecherregime ernsthaft [wankt], aber in einer knallharten Diktatur kommt es einem Super-Gau gleich, wenn jemand die Macht des absoluten Herrschers infrage stellt.“(12)
Dagegen sieht ein russischer Politologe die Situation ganz anders. Andrew Korybko schreibt(4):
„Es ist wichtig, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, warum Präsident Putin ihnen gnädigerweise eine letzte Chance gab, ihr Leben zu retten, da er glaubte, dass diese Helden von Noworossija von Prigoschins ‚überzogenen Ambitionen und persönlichen Interessen‘ manipuliert wurden. Sein Angebot der Amnestie und des Exils in Weißrussland war kein Zeichen der Schwäche, wie die Medien und einige in der Gemeinschaft der Altmedien behaupteten, sondern ein Beweis dafür, dass der russische Staatschef die Situation voll unter Kontrolle hatte und stark genug war, sie ohne das vom Westen gewünschte Blutvergießen zu beenden.“
Der Fall eines Oligarchen
M.K. Bhadrakumar, der angesehene Ex-Diplomat aus Indien, schreibt in seinem Blog über den Aufstieg und Fall eines russischen Oligarchen. Er erinnert daran, wie Putin bei seinem Amtsantritt den Oligarchen, die fast ausnahmslos mit gesetzlosen Mitteln ihren ungeheuren Reichtum angesammelt hatten, einen Deal angeboten hatte. Entweder sie hielten sich aus der Politik heraus und zahlten Steuern, dann konnten sie ihr zusammen gestohlenes Vermögen behalten, oder sie versuchten sich in die Politik einzumischen, dann würden sie die volle Härte des Staates spüren. Der Ex-Wagner Chef hatte nun den Fehler gemacht, zu letzteren Gruppe zu gehören.
Bhadrakumar weist dann darauf hin, dass auch die in Russland gebliebenen Oligarchen, die sich arrangiert hatten, darauf geachtet hätten, einen großen Teil ihrer Beute in westlichen Ländern, in Banktresoren oder als bewegliches und unbewegliches Vermögen außerhalb des Geltungsbereichs der russischen Gesetze aufzubewahren. Das bedeute, meint er, dass die Oligarchen auch sehr anfällig für westliche Erpressung seien. Es überrasche nicht, dass die westlichen Hauptstädte damit liebäugeln, dass die Oligarchen dazu beitragen könnten, das Kreml-Regime von innen heraus zu unterminieren oder eine soziale Implosion herbeizuführen, um Russland zu destabilisieren und seine Kriegsanstrengungen in der Ukraine ins Wanken zu bringen.
Es sei jedoch durchaus denkbar, dass dieser Mann, dem ein besonders großer Einfluss in den Machtetagen des Kremls zugeschrieben wurde, im Fadenkreuz der westlichen Geheimdienste stand. Prigoschin verfüge über ein Privatvermögen von mindestens 1,2 Milliarden Dollar. Er sei auch eine Art Pionier gewesen, denn er habe eine quasi-staatliche Söldnerfirma geleitet, die ausgebildet und ausgerüstet wurde, um als militärische Auftragnehmer an Brennpunkten im Ausland in Ländern zu agieren, in denen Russland wirtschaftlich, politisch oder militärisch wichtige Interessen hat.
Die Wagner-Gruppe habe sich in der Sahelzone und anderswo in Afrika als Sicherheitsgarant für die etablierten Regierungen als äußerst effektiv erwiesen. Die ehemaligen Kolonialmächte hätten keine Chance mehr, den afrikanischen Regierungen Bedingungen zu diktieren, meint Bhadrakumar.
In seiner Ansprache an die Nation habe sich Putin mit dem Vorwurf zurückgehalten, dass bei den aktuellen Entwicklungen eine "ausländische Hand" im Spiel sei, und auf "übermäßige Ambitionen und persönliche Interessen, die zum Verrat geführt haben" verwiesen. Aber Putin habe auch ausdrücklich - mehr als einmal -, betont, dass es ausländische Mächte, die Russland feindlich gesinnt sind, sein werden, die letztendlich von Prigoschins Aktivitäten profitieren.
Bezeichnenderweise habe der FSB Prigoschin direkt des Verrats beschuldigt, was nur auf der Grundlage nachrichtendienstlicher Informationen und mit Putins Zustimmung habe geschehen können. Auch die Tatsache, dass Prigoschins Meuterei mitten in der ukrainischen Offensive stattfand, als der Krieg auf einen Kipppunkt zugunsten Russlands zusteuert, müsse sorgfältig abgewogen werden. … Soweit der Artikel.
Wagners Listung als Terrororganisation
Der Stopp der Listung von Wagner als Terrororganisation in den USA weist darauf hin, dass immer, wenn eine Terrororganisation sich für die Interessen der USA einsetzt, diese plötzlich keine Terrororganisation mehr ist. Manchmal sogar zur Freiheitsbewegung wird, wie so viele Beispiele aufzeigen. Man nehme nur die anti-iranische Terrororganisation Volksmujahedin(7) oder MEK.
Nun ist es aber nicht dazu gekommen. Vielmehr wird wohl Wagner schon bald in der derzeitigen Form aufhören zu existieren. Ob es sich um eine Umbenennung wie bei Blackwater nach den Skandalen im Irak handeln wird, eine Umorganisation und Austausch der Führung, oder ganz einfach um die Übernahme der Aufgaben durch die Armee handeln wird, ist m.E. noch nicht ganz klar. Jedenfalls wird dadurch der Versuch der USA, Militärhilfe für Afrika durch die Terrorlistung zu verhindern, zum Teil wirkungslos werden.
Kriegslist
In russlandfreundlichen Kommentaren wurde teilweise erklärt, alles sei eine Kriegslist gewesen, um die Wagnertruppen an der weißrussischen Grenze, näher an Kiew zu positionieren. Das erscheint mir so wie einer der seltsamen Verschwörungstheorien, welche auch zu Trumps Fehlern erklärten, es sei 3D-Schach gewesen. Und diese Meinung teilt wohl auch Pepe Escobar(3). Näheres findet man im Anhang (11). Er glaubt, dass alle verbliebenen wertvollen Vermögenswerte der Restukraine von BlackRock verschlungen würden: von Metinvest, DTEK (Energie) und MJP (Landwirtschaft) bis hin zu Naftogaz, der Ukrainischen Eisenbahn, Ukravtodor und Ukrenergo. Und dann fragt Escobar:
„Welchen Sinn macht es also noch, nach Kiew vorzustoßen? Der hochgradig toxische Neoliberalismus feiert bereits fröhliche Urstände an jener Stelle, an der sich früher die Ukraine befand.“
Nun könnte man allerdings auch das Gegenteil annehmen, nämlich dass es nun erst recht interessant sein könnte, den Neoliberalismus zu schädigen, indem die gesamte Ukraine von ihm befreit wird. Und in diesem Zusammenhang mag man das Zitat von Putin gegenüber Kriegskorrespondenten genau lesen:
"Wir mussten versuchen, den Krieg, den der Westen 2014 begann, mit Waffengewalt zu beenden. Und Russland wird diesen Krieg mit Waffengewalt beenden und das gesamte Territorium der ehemaligen Ukraine von den Vereinigten Staaten und den ukrainischen Nazis befreien. Es gibt keine anderen Optionen. Die ukrainische Armee der USA und der NATO wird besiegt werden, egal welche neuen Waffensysteme sie vom Westen erhält. Je mehr Waffen geliefert werden, desto weniger Ukrainer und desto weniger der ehemaligen Ukraine wird übrig bleiben. Auch eine direkte Intervention der europäischen NATO-Streitkräfte wird an diesem Ergebnis nichts ändern. Nur dass in diesem Fall das Feuer des Krieges ganz Europa verschlingen würde. Aber es sieht so aus, als wären die USA auch dazu bereit."
Interessant ist auch, wie unumwunden Putin Probleme im russischen Militär bei diesem Interview zugab. Und man mag daran erkennen, warum es Sympathien unter den Soldaten für den „Marsch gegen Moskau“ der Wagner-Truppe gab. Es gebe „Operettengeneräle“, es gebe Mangel an Drohnen, Präzisionsmunition und Kommunikationsausrüstung. Ein Eingeständnis, das von einem wahlweise „Autokraten“ oder „Diktator“ eher selten zu hören ist. Ebenso erklärte er, dass im Fall der Notwendigkeit eines Marsches nach Kiew auch eine Mobilisierung in Russland stattfinden müsse. Was für ihn DER ZEIT nicht in Frage komme. Ob dies auch noch nach dem beendeten Aufstand der Wagner-Truppe gilt, oder vielleicht nur eine bewusste Falschinformation ist, bleibt abzuwarten. Falschinformation, weil einer der viel zitierten Analysten des Westens, Larry C. Johnson auch zu den Anhängern der These gehört, die behaupten, dass alles ein Trick gewesen sei, um maßgebliche Truppenverlegungen durchzuführen, mit dem Ziel, eine neue Front im Norden der Ukraine zu errichten(5).
Judoka Putin?
Es gab Berichte, dass Putin seinen Verteidigungsminister öffentlich kritisiert und erniedrigt habe, und zwar vor dem „Marsch auf Moskau“. Dies, obwohl Schoigu zu seinen Vertrauten gehört. Schoigu ist kein klassischer Mann des Militärs, eher eine Art Architekt, was seiner Ausbildung nahe kommt. Nun solle er angeblich ersetzt werden durch Alexey Dumin. Dieser war schon stellvertretender Verteidigungsminister und für die persönliche Sicherheit Putins verantwortlich. Allerdings hat Putin nichts davon bei seiner „Rede an die Nation“ am 26. Juni verlauten lassen. Sie war bombastisch angekündigt worden, brachte aber keine Neuigkeiten.
Gleichzeitig, so die Gerüchte, soll der erfolgreiche Syrien-General Surovikin zum Stabschef ernannt werden. Er wird in westlichen Kreisen als Freund Prigoschins bezeichnet, tatsächlich aber einer der ersten war, der ihn mit einer Waffe in der Hand(8) in einem Video aufgefordert hatte, den Unsinn mit seinem Aufstand zu beenden.
Durch die Umbesetzung, das darf man vermuten, wird Putin den Unwillen der Soldaten und Teile der Bevölkerung über in Russland als ungenügend angesehene militärische Härte gegen die Ukraine und die NATO zunächst befriedigen.
Russlands Afrikapolitik
Russlands Einfluss in Afrika stieg in den letzten Jahren, da sich das Land als Partner in Sicherheitsfragen positionierte, ohne irgendwelche Forderungen an das Wohlverhalten der Länder zu stellen. Dabei war Wagner ein wichtiges politisches Werkzeug. Solange ein Land übrigens keine Sanktionen verhängt, wird auch die Ablehnung des Vorgehens Russlands in der Ukraine als souveräne Entscheidung angesehen, die akzeptiert wird, und keinen Einfluss auf die Beziehung hat.
Aber die westliche Medienlandschaft hat nun offensichtlich einen Schachzug in Arbeit, von dem man gespannt sein darf, ob er zu einem Erfolg führt. Nachdem US-Zeitungen behauptet hatten, dass die CIA im Voraus über den angeblichen Putschversuch informiert war, außerdem Wagner plötzlich nicht mehr weiter als Terrororganisation verfolgt wurde, ging man nun teilweise dazu über zu fantasieren, dass Wagner als Ganzes ein CIA-Asset sei. Was natürlich in Afrika zu heller Aufregung führen wird, sollte das dort geglaubt werden.
Alexander Korybko greift solche Analysten scharf an. Er schreibt(11), dass durch diese Behauptung, ein immenser Imageschaden für Russland entstehen könne.(10)
Russlands neu entdeckte Anziehungskraft auf afrikanische Länder sei eigentlich recht einfach zu erklären, und zwar, bedeute sie, dass Moskau sich in hohem Maße auf Wagner verlassen hatte, um die nationalen Demokratiemodelle seiner Partner vor (größtenteils westlich geprägten) Bedrohungen ihrer Souveränität durch Hybride Kriege zu schützen. Diese Politik der "Regimestärkung" wirke der entgegengesetzten Politik des Regimewechsels der Rivalen aus dem Neuen Kalten Krieg entgegen, und ihre Wirksamkeit habe sich in der Zentralafrikanischen Republik und jüngst in Mali zweifelsfrei erwiesen.
Diese beiden geostrategisch günstig gelegenen Länder seien von der Mehrheit der Welt als unrettbar gescheiterte Staaten abgetan worden, bis es Wagner mit seinen Operationen der "Demokratischen Sicherheit" gelang, trotz scheinbar unüberwindbarer Hindernisse ihre Sicherheit und Souveränität wiederherzustellen. Dieser Ansatz sei so erfolgreich gewesen, die bis dahin ungehinderte Welle von Bürgerkriegen und Regimewechseln auf dem gesamten Kontinent zu stoppen, dass die USA und Frankreich begonnen haben, in Afrika gegen Wagner zu kooperieren, schreibt der Autor.
USA und Frankreich machen Wagner z.B. für die Sudankrise verantwortlich, und behaupten, Wagner plane im Tschad den Sturz der Regierung. Beides ist frei erfunden, was aber nun, sollte Afrika glauben, dass Wagner ein CIA-Asset war, einen großen Rückschlag für Russlands Politik auf dem Kontinent bedeuten könnte.
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der Staatsduma, Andrej Kartapolow, habe erklärt, dass es Bestrebungen gebe, private Militärunternehmen im Land zu regulieren, habe aber gleichzeitig deutlich davon abgeraten, Wagner zu verbieten. Er habe es entschieden abgelehnt, die Wagner-Mitglieder pauschal für die Verbrechen ihres Anführers verantwortlich zu machen und habe hinzugefügt:
"Sie zu ergreifen, zu entwaffnen und zu zerstreuen - ein besseres Geschenk für die NATO und die Ukrainer kann man sich nicht vorstellen.“
Seine Einstellung dürfte die Äußerung Putins spiegeln, der die Wagner-Kämpfer ausdrücklich für ihre Tapferkeit in der Ukraine gelobt hatte, und davon sprach, dass sie durch Täuschung oder Drohungen in ein kriminelles Abenteuer hineingezogen worden seien. Er bezeichnete sie sogar als "die Helden, die Soledar und Artjomowsk, Städte und Dörfer im Donbass befreit haben, die gekämpft und ihr Leben für Noworossija und die Einheit der russischen Welt gegeben haben".
Aussichten
Während Prof. Mangott sinngemäß der Meinung ist, dass der Ex-Wagner-Chef gute Chancen habe, von einem plötzlichen und unerwarteten Tod ereilt zu werden, da er von Putin als Verräter bezeichnet wurde, muss man abwarten, was die nächsten Wochen und Monaten ergeben.
Meiner Meinung nach war die Lösung ein äußerst intelligenter Schachzug. Wie Prigoschin in seiner ersten Erklärung in Belarus erklärte, habe Lukaschenko die Tätigkeit von Wagner dort legalisiert. Während also Putin den Aufständlern einen ehrenvollen Abzug ermöglichte, können Sie sich nun im Nachbarland als Stabilisationsfaktor zur Stützung der dortigen Regierung und zur Abschreckung vor Angriffen beweisen und rehabilitieren. Alles deutet darauf hin, dass Prigoschin, nicht wie andere verbrecherische Oligarchen, den Weg ins westliche Exil wählt, um von dort gegen Putin zu giften.
Anhang und Quellen
Der Autor twittert unter https://twitter.com/jochen_mitschka über aktuelle politische Tagesthemen.
(1) https://twitter.com/Agdchan/status/1672851721800876033
(2) https://twitter.com/puls24news/status/1672561470624735232
(3) https://de.rt.com/meinung/173585-putin-weiss-genau-was-auf-dem-spiel-steht/
(4) https://korybko.substack.com/p/prigozhin-blinked-after-putin-mercifully
(6) https://www.indianpunchline.com/the-rise-and-fall-of-a-russian-oligarch/
(7) https://www.nzz.ch/international/fragwuerdige-verbuendete-ld.1450201
(8) https://twitter.com/artursorin/status/1672361405280911360
(9) Er schreibt(3), dass Putin deutlich sehe, wie sich die Konstellation auf dem globalen Schachbrett derzeit darstelle. Und er erkenne auch, dass die "Ukraine" im Grunde genommen schon gar nicht mehr existiere. Während alle abgelenkt waren, habe Kiew die Ukraine im vergangenen Monat für 8,5 Billionen US-Dollar, was kein Übersetzungsfehler ist, an die US-amerikanische Investmentgesellschaft BlackRock. Der Deal sei zwischen der Regierung der Ukraine und dem Vizepräsidenten von BlackRock, Philipp Hildebrand, besiegelt worden. BlackRock richte einen sogenannten Ukrainischen Entwicklungsfonds (UDF) für den "Wiederaufbau" ein, der sich auf Energie, Infrastruktur, Landwirtschaft, Industrie und IT konzentrieren soll.
(10) „Führende Vertreter der Altmedien griffen diese Geschichte auf und spekulierten, dies bedeute, dass die Gruppe [Wagner] vom amerikanischen Geheimdienst völlig kompromittiert worden sei, was versehentlich dazu geführt habe, dass sie den Infokrieg der USA gegen Russland in Afrika besser geführt habe, als es die CIA selbst je zu tun vermocht hätte. Indem sie ganz Wagner für die Verbrechen seines Anführers und seiner Kollaborateure verurteilen, riskieren sie einen immensen Imageschaden für die Strategie der "demokratischen Sicherheit" dieser multipolaren Großmacht gegenüber dem Kontinent.“
(11) https://korybko.substack.com/p/the-us-manipulated-alt-media-into
(12)
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
+++ Bildquelle: Andrey Sayfutdinov / shutterstock
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