Standpunkte

Die Entwicklungen innerhalb der BRICS | Von Thomas Röper

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... und die Nervosität des Westens

Der BRICS-Gipfel in Rio wurde als unspektakulär wahrgenommen und westliche Medien berichten kaum über die Entwicklungen in der Gruppe, dabei macht sie den Westen zunehmend nervös.

Ein Standpunkt von Thomas Röper.

Manche haben den unscheinbaren BRICS-Gipfel in Rio als Zeichen dafür gesehen, dass aus den BRICS “die Luft raus” sei, vor allem, wenn ihn mit dem Vorjahresgipfel in Russland vergleicht, auf dem viele weitreichende Entscheidungen, wie beispielsweise die Erweiterung der BRICS, getroffen wurden und wo langfristige Projekte wie die Abwicklung von Zahlungen in nationalen Währungen anstatt Dollar angestoßen wurden. Aber dieser Eindruck ist nicht richtig, denn nach jeder großen Veränderung folgt immer eine Zeit der Konsolidierung, das gilt auch hier. 

Fjodor Lukjanow ist Chef des Valdai-Clubs, des wohl einflussreichsten geopolitischen Thinktanks in Russland, und ein führender russischer Analyst. Er hat in einem kurzen Artikel objektiv und verständlich erklärt, was derzeit innerhalb der BRICS vor sich geht, wie die weiteren Perspektiven sind und warum die USA angesichts des Wachstums der BRICS inzwischen nervös werden. Ich habe seinen Artikel übersetzt. 

Beginn der Übersetzung:

Jahrelang belächelte der Westen den BRICS – heute nimmt man die Gruppe ernst

Das Gipfeltreffen der BRICS-Staaten in Rio hat gezeigt: Der Allianz steckt nicht in einer Krise, sondern in einem Wandel. 

von Fjodor Lukjanow | Russia in Global Affairs

Die Idee einer multipolaren Welt wurde lange in zwei unterschiedlichen Kontexten verwendet. Der eine war eine Zeit, in der die globale Hegemonie fest etabliert und unangetastet war, wie in den eineinhalb Jahrzehnten nach dem Kalten Krieg. In diesem Fall diente „Multipolarität“ lediglich als Schlagwort, als symbolischer Protest gegen die Dominanz der USA, ohne eine dahinterstehende praktische Strategie.

Der andere Kontext ist eine vollständig zusammengebrochene Hegemonie, in der die internationalen Beziehungen zu ihrer historischen Norm zurückkehren: ein fluides, unvorhersehbares Zusammenspiel von Staaten mit unterschiedlich großem Einfluss. In diesem Fall wird Multipolarität zur Realität, und das Handeln richtet sich nach dem unmittelbaren Kontext.

Die heutige Welt entspricht keinem dieser beiden Zustände. Die alte unipolare Ordnung verblasst, doch ihre Strukturen und Reflexe sind nach wie vor lebendig. Genau das macht die gegenwärtige Lage so eigenartig – und die BRICS zu einem wichtigen Indikator für den voranschreitenden Übergang. Diese Gruppe von Staaten spiegelt trotz aller Diversität und Widersprüche die Konturen einer Welt wider, die zunehmend weniger vom Westen geprägt ist.

Der jüngste BRICS-Gipfel in Rio de Janeiro sorgte mancherorts für Enttäuschung. Mehrere wichtige Staats- und Regierungschefs fehlten, und es entstanden keine spektakulären Schlagzeilen. Im Vergleich zum ambitionierten Treffen im vergangenen Jahr in Kasan wirkte die Veranstaltung eher gedämpft. Doch dieses gedämpfte Umfeld bedeutet kein Rückschritt, sondern es spiegelte das veränderte Umfeld wider, in dem BRICS heute agiert.

Drei Entwicklungen erklären die Trends des Gipfels:

Erstens nehmen die globalen Spannungen zu. Die jüngsten militärischen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan sowie zwischen Israel und Iran betreffen direkt Mitglieder der BRICS. Zwar handelt es sich nicht um Konflikte innerhalb der Gruppe, doch sie verdeutlichen ein Defizit an innerer Geschlossenheit. Mit der Erweiterung der BRICS wächst die interne Diversität, was es schwieriger machen wird, mit einer einheitlichen Stimme zu sprechen. Die Folge sind vorsichtige Formulierungen und vage Positionen. Das mag Beobachter frustrieren, spiegelt aber Realismus wider.

Zweitens nimmt die US-Regierung unter Donald Trump eine explizit feindliche Haltung gegenüber den BRICS ein. Das Weiße Haus sprach offene Drohungen aus und verhängte neue Zölle gegen Länder, die in Washington als mit der Gruppe verbunden gelten. Ziel dieser Maßnahmen ist es, eine engere Kooperation innerhalb der BRICS zu verhindern. Zwar blieb eine offene Gegenreaktion bislang aus, denn die meisten BRICS-Staaten scheuen die direkte Konfrontation mit dem Westen, doch der US-amerikanische Druck nährt zunehmenden Unmut, und sollte er weiter zunehmen, könnte auch die Reaktion darauf schärfer ausfallen.

Drittens hat der Wechsel der Präsidentschaft von Russland zu Brasilien den Rhythmus der Aktivitäten der Gruppe verändert. Für Russland sind die BRICS ein praktisches Instrument zur wirtschaftlichen Koordination und zugleich eine politische Bühne jenseits westlicher Kontrollmechanismen. Moskau investiert viel in seine Rolle innerhalb der Gruppe. Brasiliens Fokus ist ein anderer: stärker an den Westen angebunden, verfolgt das Land andere strategische Prioritäten. Das heißt nicht, dass Brasilien kein Interesse an den BRICS hat, es behandelt sie nur nicht mit derselben Dringlichkeit, wie Russland es tut.

Und dennoch ist etwas Entscheidendes geschehen: Die Gipfeltreffen 2023 in Südafrika und 2024 in Russland haben die BRICS verändert. Die Gruppe ist gereift und hat eine neue Identität angenommen. Diese Entwicklung wird Zeit brauchen, um voll erfasst zu werden. Indiens bevorstehende Präsidentschaft dürfte die aktuell zurückhaltende Phase fortsetzen, doch man das darf nicht mit Stillstand verwechseln. Es handelt sich um eine notwendige Phase der Konsolidierung.

Deshalb sollte das Treffen in Rio als Erfolg gewertet werden. Die frühere Phase der Expansion der BRICS, als die Gruppe noch vage und ehrgeizig erschien, war vergleichsweise einfach: Niemand hatte große Erwartungen. 

Heute hingegen sind die Erwartungen gewachsen. Die USA und ihre Verbündeten, die die BRICS einst belächelten, beobachten die Entwicklungen nun sehr genau. Sie suchen aktiv nach Schwachstellen und allein das zeigt, dass die BRICS zunehmend an Bedeutung gewinnen.

Die Attraktivität der Gruppe liegt in ihrer Nähe zu realen globalen Entwicklungen. Die gegenwärtige internationale Lage erfordert Flexibilität, minimale Verpflichtungen und Offenheit für Vielfalt. Die BRICS verkörpern all diese Anforderungen. Die Gruppe meidet feste Strukturen, bejaht Vielfalt und handelt auf Basis geteilter, wenn auch lose definierter, Interessen.

Wir leben in einer Ära der Unordnung. Es gibt kein stabiles internationales Gleichgewicht mehr – und keinen klaren Plan, wie eines wiederhergestellt werden könnte. Diese Übergangszeit wird sich womöglich Jahrzehnte hinziehen. In der Zwischenzeit wird die Welt verstärkt nach Plattformen suchen, die diese neue Realität abbilden – und BRICS gehören dazu.

Die Wahrnehmung der Gruppe wandelt sich. Sie wird nicht länger als rhetorisches Konstrukt oder Kuriosität betrachtet. Sie wird Teil der entstehenden Architektur einer multipolaren Welt. Dieser Wandel wird langsam und ungleichmäßig verlaufen, aber er hat begonnen.

Nach den Gipfeln in Johannesburg, Kasan und nun Rio sind die BRICS in eine neue Phase eingetreten. Die Herausforderung besteht nun darin, diesen Wandel zu erkennen – und sich ihm anzupassen.

Fjodor Lukjanow ist Forschungsdirektor der Stiftung für Entwicklung und Unterstützung des Valdai-Diskussionsclubs und arbeitete von 1990 bis 2002 als international tätiger Journalist. Er ist Chefredakteur von Russia in Global Affairs und wurde 2012 zum Vorsitzenden des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik ernannt – einer der ältesten russischen Nichtregierungsorganisationen. Seit 2015 ist Lukjanow Forschungsdirektor der Stiftung für Entwicklung und Unterstützung des Valdai-Diskussionsclubs.

Ende der Übersetzung

Anmerkungen

Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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Dieser Beitrag erschien zuerst am 19. Juli 2025 auf anti-spiegel.ru.

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Antonio Scorza / shutterstock


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