Rechtliche Grundlagen, Einschränkungen und Auswirkungen auf den Alltag
Ein Kommentar von Janine Beicht.
Der folgende Text untersucht die rechtlichen Grundlagen, Einschränkungen und praktischen Auswirkungen eines Verteidigungsfalls in Deutschland. Teil 1 behandelt die Feststellung des Verteidigungsfalls, die erweiterten Kompetenzen der Exekutive, mögliche Szenarien, Grundrechte, Mobilität sowie Arbeitsrecht und Dienstpflichten.
In einer Zeit geopolitischer Unsicherheiten, in der Konflikte die Sicherheit Deutschlands bedrohen, gewinnt die Frage nach den Abläufen eines Verteidigungsfalls an Bedeutung.
Stellen Sie sich vor, wie ein solcher Ausnahmezustand den Alltag verändert: Von zentralisierten Entscheidungen bis zu Rationierungen, die das Leben auf den Kopf stellen. Basierend auf dem Grundgesetz und dem Operationsplan Deutschland, der militärische und zivile Maßnahmen koordiniert, entsteht ein Bild von gesteigerter Staatsmacht, die Freiheiten einschränkt, um die Nation zu schützen. Rechtliche Grundlagen und praktische Auswirkungen verdeutlichen die Bedeutung von Resilienz und machen die Grauzonen sichtbar, in denen politische Entscheidungen getroffen werden.
Was bei Ausrufung des Verteidigungsfalls (also bei einem Krieg bzw. einer existenziellen militärischen Bedrohung) in Deutschland passieren würde, ist im Grundgesetz (GG) durch sogenannte Notstands-Artikel bestimmt. Aber: Es gibt viele Unsicherheiten, und nicht alle Szenarien sind gesetzlich konkret bis ins kleinste Detail geregelt. Die bestehenden Bestimmungen erlauben nur eine theoretische Einschätzung der zulässigen Maßnahmen, möglicher Einschränkungen von Grundrechten und der Bereiche, in denen Rechtslücken oder Interpretationsspielräume politisches Handeln bestimmen.
Rechtsgrundlagen: Was bedeutet „Verteidigungsfall“ rechtlich?
Der Verteidigungsfall markiert den Übergang zu einem Zustand erhöhter Alarmbereitschaft, in dem der Staat seine Kompetenzen erweitert, um eine sogenannte Bedrohung abzuwehren.
Definition und Feststellung des Verteidigungsfalls
Im Grundgesetz ist der Verteidigungsfall geregelt in Abschnitt Xa, Art. 115a–115l GG. Definition Verteidigungsfall, dort heißt es [1]:
„Die Feststellung, daß das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht (Verteidigungsfall), trifft der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates. Die Feststellung erfolgt auf Antrag der Bundesregierung und bedarf einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages.“
Die Feststellung wird vom Bundespräsidenten im Bundesgesetzblatt verkündet; ist dies nicht sofort möglich, erfolgt die Bekanntgabe auf anderem Weg und wird später im Bundesgesetzblatt nachgetragen. Ist der Verteidigungsfall festgestellt und erfolgt ein Angriff, kann der Bundespräsident mit Zustimmung des Bundestages völkerrechtliche Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles abgeben. Kann der Bundestag nicht tätig werden, übernimmt der Gemeinsame Ausschuss diese Aufgabe.
Gestärkte Kompetenzen der Exekutive
Im Verteidigungsfall erhält die Exekutive deutlich gestärkte Kompetenzen: Gesetzgebungsbefugnisse werden zentralisiert, Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte liegt beim Bundeskanzler. Notstandsgesetze (d.h. Gesetze, die nur im Verteidigungsfall relevant sind) können entgegenstehendes Recht außer Kraft setzen, solange sie gelten. Diese Notstandsregelungen gelten nach Art 115k jedoch nicht unbegrenzt: Spätestens sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalls treten viele der beschlossenen Maßnahmen wieder außer Kraft. [2]
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU)
Der Operationsplan Deutschland (OPLAN DEU) [3] erweitert den rechtlichen Rahmen für den Verteidigungsfall und offenbart, wie tiefgreifend der Staat in die Wirtschaft eingreifen kann, wenn er es für notwendig hält. Hinter der offiziellen Sprache versteckt sich eine klare Botschaft: Die Privatwirtschaft ist nicht nur Partnerin, sondern Instrument staatlicher Sicherheitsstrategie. Ob bei Katastrophenschutz, Mobilmachung kritischer Infrastrukturen oder Cyberabwehr, die Unternehmen werden faktisch verpflichtet, im Krisenfall den staatlichen Anforderungen zu folgen. Ohne ihre Mitwirkung drohe dem Gemeinwesen der Zusammenbruch. Der VSW Bundesverband erklärt [4], dass das Wirtschaftssicherstellungsgesetz (WiSiG) [5] es erlaubt, im Spannungs- oder Verteidigungsfall durch Verordnungen planwirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen:
„Im Rahmen der zivilen Verteidigung und Krisenvorsorge gibt es eine Reihe von Gesetzen, die staatliche Eingriffe in die Privatwirtschaft ermöglichen – teils nur im Spannungs- oder Verteidigungsfall, teils aber auch bereits zur Vorbereitung oder bei anderen Gefährdungslagen. Diese Eingriffsrechte betreffen nahezu alle Wirtschaftssektoren und können Unternehmen unter anderem verpflichten, Leistungen und Infrastruktur bereitzustellen.“
Der OPLAN wird ständig an die als „Sicherheitslage“ definierten Bedingungen angepasst, während der Großteil seiner Inhalte geheim bleibt. Die Behörden erhalten weitreichende Möglichkeiten, wirtschaftliche Akteure zur Kooperation zu drängen, rechtlich abgesichert, aber politisch kaum hinterfragbar.
Mögliche Szenarien
Eine Vorstufe zum Verteidigungsfall ist der Spannungsfall (Artikel 80a GG) [6]. Im Gegensatz zum Verteidigungsfall wird der Spannungsfall vom Grundgesetz nicht näher beschrieben [7]. Es könnte sich zum Beispiel um internationale Spannungen handeln, die das Potenzial haben, zu einem bewaffneten Konflikt zu eskalieren. Der Spannungsfall erweitert die Behördenbefugnisse im geringeren Umfang als der Verteidigungsfall, doch im Rahmen der Vorsorge- und Sicherstellungsgesetze sind bereits erhebliche Eingriffe möglich.
„Da die mit der Feststellung des Spannungsfalles verbundene Krisenprognose von zahlreichen außenpolitischen Faktoren sowie von der gesamteuropäischen Sicherheitslage zum entsprechenden Zeitpunkt abhängt, genießt der Deutsche Bundestag bei der Feststellung des Spannungsfalls einen erheblichen politischen Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum.“ (Kurzinformation Bundestag) [7]
Darüber hinaus können zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung die Kompetenzen der Bundeswehr ausgebaut werden. Außerdem wird die Wehrpflicht wieder aufgenommen. Zustimmungsfall: Auch wenn weder ein Verteidigungs- noch ein Spannungsfall vorliegt, kann der Bundestag der Anwendung einzelner oder aller Notstandsvorschriften zustimmen. Ziel dieser Regelung sei es nicht, die Schwelle für Maßnahmen abzusenken, sondern dem Parlament zu ermöglichen, gezielte Verteidigungsvorbereitungen zu treffen.
Der sogenannte Bündnisfall stellt ein weiteres mögliches Szenario dar. Ein Bündnisfall nach Art. 80a Abs. 3 GG [8] liegt vor, wenn das zuständige NATO-Organ einen bewaffneten Angriff auf eine Vertragspartei in Europa oder Nordamerika feststellt, koordinierte Verteidigungsmaßnahmen beschließt und die Bundesregierung diesem Beschluss zustimmt. [9] Anders als beim Spannungsfall muss keine nationale Bedrohung vorliegen. Die Zustimmung der Bundesregierung ermöglicht zudem die Anwendung verteidigungsvorbereitender Gesetze.
Praktische Auswirkungen
Praktisch bedeutet das: Im Verteidigungsfall könnte der Alltag über Nacht umgekrempelt werden, mit der Bundesregierung als zentraler Steuerungsinstanz, die schnelle Entscheidungen trifft, um Truppen zu mobilisieren und Ressourcen zu sichern. Doch der OPLAN DEU macht klar, dass dies eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, von der Wirtschaft bis zur Bevölkerung. [4]
Was genau passiert mit Grundrechten?
Wenn der Verteidigungsfall eintritt, balanciert der Staat zwischen Schutz und Freiheit, und die Grundrechte könnten temporär zurücktreten, um die kollektive Sicherheit zu gewährleisten.
Mögliche Einschränkungen
Einige Grundrechte können im Verteidigungsfall eingeschränkt werden. Beispiel: Freizügigkeit (Art. 11 GG) [10] kann eingeschränkt werden. Auch das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG) [11] kann beschränkt werden. Einschränkungen sind aber nicht pauschal: Das Grundgesetz setzt Grenzen (z. B. Verhältnismäßigkeit) und Notstandsgesetze dürfen nicht dauerhaft über dem Grundgesetz stehen. [12]
Geschützte Kernfunktionen
Die Verfassung schützt bestimmte Kernfunktionen: z. B. darf das Bundesverfassungsgericht auch im Verteidigungsfall nicht in seiner Mindestfunktionalität beeinträchtigt werden (Art. 115g GG) [13]. Wahlperioden / Amtszeiten können angepasst werden: Im Verteidigungsfall, so regelt Art. 115h GG [14], können Wahlperioden auslaufen bzw. Amtszeiten anders geregelt sein.
„Während des Verteidigungsfalles ablaufende Wahlperioden des Bundestages oder der Volksvertretungen der Länder enden sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit des Bundespräsidenten sowie bei vorzeitiger Erledigung seines Amtes die Wahrnehmung seiner Befugnisse durch den Präsidenten des Bundesrates enden neun Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles. Die im Verteidigungsfalle ablaufende Amtszeit eines Mitgliedes des Bundesverfassungsgerichtes endet sechs Monate nach Beendigung des Verteidigungsfalles.“ (Bundesministerium der Justiz) [14]
Im Verteidigungsfall kann der Bundestag nicht aufgelöst werden. Muss der Bundeskanzler neu gewählt werden, schlägt der Bundespräsident einen Kandidaten vor, und der Gemeinsame Ausschuss wählt diesen mit einfacher Mehrheit. Ein Misstrauensvotum ist nur möglich, wenn der Ausschuss mit Zweidrittelmehrheit einen Nachfolger bestimmt.
Praktische Auswirkungen
In der Praxis könnte das also bedeuten, dass Kommunikation überwacht, Wahlen verschoben und die Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, um, so heißt es, die Stabilität zu wahren. Der Kern der Demokratie soll dabei intakt bleiben, schwer vorstellbar, wenn man bedenkt, dass Macht, einmal eingeräumt, nur selten wieder abgegeben wird.
Der OPLAN DEU betont hier die Notwendigkeit, Resilienz [15] aufzubauen, damit solche Einschränkungen nicht zum Chaos führen.
Verkehr und Fortbewegung
Das Grundrecht auf Mobilität wird zugunsten des Militärs eingeschränkt, wodurch der zivile Verkehr fast vollständig zum Stillstand kommt.
Rechtliche Einschränkungen
Auch rechtlich gesehen sind Einschränkungen der Freizügigkeit (Art. 11 GG) [10] denkbar: Im Spannungs‑ oder Verteidigungsfall kann das Gesetz die Bewegungsfreiheit innerhalb Deutschlands beschränken. Zugleich erlaubt das Grundgesetz (Art. 87a GG) [10a] der Bundeswehr ausdrücklich, im Inneren Aufgaben der Verkehrsregelung oder Polizei zu übernehmen, z. B. den Schutz zivilen Eigentums oder die Priorisierung von Straßen für sicherheits‑ oder militärische Transporte.
"Die Streitkräfte haben im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle die Befugnis, zivile Objekte zu schützen und Aufgaben der Verkehrsregelung wahrzunehmen, soweit dies zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrages erforderlich ist. Außerdem kann den Streitkräften im Verteidigungsfalle und im Spannungsfalle der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden; die Streitkräfte wirken dabei mit den zuständigen Behörden zusammen." (Bundesministerium der Justiz) [14]
Der Einsatz endet, sobald Bundestag oder Bundesrat dies verlangen.
Praktische Auswirkungen
Praktisch bedeutet dies, dass Straßen und Autobahnen für Militärtransporte gesperrt oder blockiert werden können, wodurch Pendler und der öffentliche Verkehr erheblich beeinträchtigt werden. Militärkonvois haben Vorrang, und Autobahnen könnten sogar als temporäre Start- und Landeplätze genutzt werden. All dies führt zu langen Verzögerungen, Umleitungen und teilweise vollständigen Stillständen im zivilen Verkehr.
Ausreise und Grenzen
Grenzen, die im Frieden offen sind, könnten im Verteidigungsfall zu Barrieren werden, die Mobilität drastisch einschränken und Familien trennen.
Rechtliche Möglichkeiten
Das Grundgesetz erlaubt im Notstand Beschränkungen der Freizügigkeit (17a GG 2) [15]. Theoretisch könnten Grenzschließungen, Ausreisebeschränkungen möglich sein. In Absatz 2 heißt es:
„Gesetze, die der Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, können bestimmen, daß die Grundrechte der Freizügigkeit (Artikel 11) und der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13) eingeschränkt werden.“ (Bundesministerium der Justiz) [15]
Es gibt aber keinen präzisen gesetzlichen Zeitrahmen, wie lange Menschen ausreisen dürfen, bevor Grenzen geschlossen werden. Das hängt stark von politischer Entscheidung, Notstandsgesetzen und der praktischen Lage ab.
Praktische Auswirkungen
Praktisch könnte das zu Szenen führen, in denen Flughäfen überlaufen und Ausreisen nur mit Genehmigung möglich sind, während der OPLAN DEU die Sicherung von Transportrouten für militärische Zwecke [16] priorisiert, was zivile Reisen weiter behindert.
Deutsche im Ausland, Auslieferung und Maßnahmen
Für Deutsche im Ausland wird der Verteidigungsfall zu einer Frage der sogenannten Loyalität und des Schutzes, doch der Staat greift nicht automatisch ein.
Rechtliche Regelungen
In den Notstandsartikeln des Grundgesetzes wird nicht konkret geregelt, dass alle im Ausland befindlichen Deutschen zwangsausgereist oder ausgeliefert werden. Ob „Auslieferungsabkommen“ oder Ähnliches greifen, hängt von völkerrechtlichen Verträgen und dem konkreten Kriegs- bzw. Sicherheitskontext ab. Das ist kein zentraler Bestandteil der Notstandsverfassung. Allerdings ist im Wehrpflichtgesetz (WPflG) § 3 [17] geregelt, wie mit männlichen Personen ab dem 17. Lebensjahr verfahren wird, die in solchen Fällen ins Ausland reisen möchten,. Dort steht:
„(2) Männliche Personen haben nach Vollendung des 17. Lebensjahres eine Genehmigung des zuständigen Karrierecenters der Bundeswehr einzuholen, wenn sie die Bundesrepublik Deutschland länger als drei Monate verlassen wollen, ohne dass die Voraussetzungen des § 1 Absatz 2 bereits vorliegen." [17]
Gleiches gilt, wenn sie länger als genehmigt im Ausland bleiben oder einen Aufenthalt von über drei Monaten ausdehnen möchten.
Auslandsaufenthalt und Wehrpflicht
Die Wehrpflicht, gilt weiterhin für männliche Deutsche ab 18 Jahren, einschließlich derer im Ausland [18], sofern sie einen früheren Wohnsitz in Deutschland hatten oder einen deutschen Pass besitzen. Im Verteidigungsfall wird sie definitiv aktiviert werden, wobei Einberufungen über das Auswärtige Amt oder Botschaften erfolgen würden. Eine Zwangsrückführung oder Auslieferung ist jedoch verfassungsrechtlich ausgeschlossen (Art. 16 Abs. 2 GG) [19].
Aktuelle Entwicklungen wie der „Neue Wehrdienst“ (2025) [20] mit flächendeckender Musterung junger Männer könnten künftig auch Auslandsdeutsche einbeziehen. Bisher soll die Teilnahme auf Freiwilligkeit beruhen. Wie verbindlich diese Freiwilligkeit im Verteidigungsfall tatsächlich ist, wird durch den neuen § 2a im Wehrpflichtgesetz (WPflG) [21] geregelt. Die Tagesschau berichtet:
"Durch den neuen Paragrafen im Wehrpflichtgesetz […] erhält die Bundesregierung die Befugnis, die Einberufung zum Grundwehrdienst per Rechtsverordnung anzuordnen. Dies ist auch außerhalb des Spannungs- oder Verteidigungsfalls möglich, sofern die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte erfordert." [20]
Dort erhält die Bundesregierung die Befugnis, die Einberufung zum Grundwehrdienst per Rechtsverordnung anzuordnen. Dies kann auch außerhalb eines Spannungs- oder Verteidigungsfalls erfolgen, sofern die verteidigungspolitische Lage einen schnellen Aufwuchs der Streitkräfte erfordert. Damit wird deutlich, dass die angebliche Freiwilligkeit im Ernstfall faktisch aufgehoben wird.
Eigentum und Enteignung
Eigentum, das im Frieden heilig ist, könnte im Verteidigungsfall zum Gemeingut werden, um die Nation zu versorgen, ein weiterer Schritt, der Wohlstand bedroht.
Rechtliche Grundlagen
Enteignung ist im Friedensrecht schon geregelt (Art. 14 GG 3) [22]. Im Notstand / Verteidigungsfall kann der Staat vorläufige Maßnahmen treffen. Aus historischen Notstandsgesetzen ist vorgesehen, dass Vermögen vorläufig beansprucht oder zentral umverteilt werden kann. Aber: Diese Maßnahmen unterliegen dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit, und „dauerhafte Enteignung“ müsste später rechtlich geklärt werden.
Spezifische Gesetze
Die Inanspruchnahme von Sachen, Grundstücken, Werk- und Verkehrsleistungen ermöglicht das Bundesleistungsgesetz (BLG) [23]. Es kann unter besonderen Umständen auch außerhalb des Verteidigungsfalls gelten, wenn beispielsweise Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung bestehen.
„Leistungen können angefordert werden: 1. zur Abwendung einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes oder zur Abwendung oder Beseitigung einer die Sicherheit der Grenzen gefährdenden Störung der öffentlichen Ordnung im Grenzgebiet. […] 2. Die vorgesehenen Befugnisse dürfen außer im Verteidigungsfall nur in Anspruch genommen werden, wenn die Bundesregierung festgestellt hat, daß dies zur beschleunigten Herstellung der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik notwendig ist.“ (Bundesministerium der Justiz) [23]
Werden bestimmte Grundstücke zu Verteidigungszwecken benötigt, so regelt das Landesbeschaffungsgesetz (LBG) [24] deren Erwerb oder Enteignung. Nutzungseinschränkungen für Grundstücke, die in unmittelbarer Nähe von Verteidigungseinrichtungen stehen, können im Rahmen des Schutzbereichsgesetzes (SchBerG) [25] erlassen werden.
Praktische Auswirkungen
Praktisch könnte das bedeuten, dass Autos, Häuser oder Firmen requiriert werden, eventuell mit späterer Entschädigung, falls überhaupt möglich, was den Alltag von Eigentümern auf den Kopf stellt und eine wirtschaftliche Kettenreaktion auslöst.
Arbeitsrecht, Zwangsarbeit und Dienstpflicht
Der Arbeitsmarkt, normalerweise frei, könnte im Verteidigungsfall zu einem System der Pflicht werden, das Menschen in Rollen zwingt, die sie nie gewählt haben.
Das Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG)
Es gibt ein Arbeitssicherstellungsgesetz (ASG) [26]. Nach § 2 ASG kann im Verteidigungsfall:
„1. das Recht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vom vollendeten 18. Lebensjahr bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch beschränkt werden,
2. ein Wehrpflichtiger in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden,
3. eine Frau vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr im zivilen Sanitäts- oder Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation in ein Arbeitsverhältnis verpflichtet werden.“ (Bundesministerium der Justiz) [26]
Das heißt: Zwangsarbeit (in dem Sinne, dass der Staat Menschen in Arbeitsverhältnisse zwingt) ist im Rahmen des ASG möglich, wenn es um verteidigungsrelevante Dienste geht. Einschränkungen bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen: Personen könnten schwerer kündigen, weil das ASG ein Recht zur Beschränkung vorsieht.
Wehrpflicht und Kriegsdienstverweigerung
Ob Menschen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden können: Ja, bei Wehrpflichtigen ist das möglich. Außerdem: Es gibt eine Debatte, ob das Recht auf Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG) [27] im Verteidigungsfall eingeschränkt werden kann. Ein aktueller Beschluss des BGH [28] sagt: Im Kriegsfall kann dieses Recht ausgesetzt sein. Für bestimmte Berufsgruppen (z. B. medizinisches Personal) kann es also zivile Dienstpflicht geben.
Auswirkungen auf Unternehmen und Personal
Sollte einer der genannten Fälle eintreten, kann das für Unternehmen weitreichende Konsequenzen für den Personalbestand zur Folge haben. Mitarbeitende können durch gesetzliche Verpflichtungen aus ihrem regulären Arbeitsverhältnis abgezogen werden, was die Personalplanung und damit letztlich die gesamten Betriebsabläufe beeinträchtigt. Da mit der die Wehrpflicht für alle männlichen Deutschen im Alter von 18 bis 60 Jahren reaktiviert wird, könnten sie unmittelbar zum Wehrdienst einberufen werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine sogenannte Unabkömmlichstellung [29] erfolgen, wenn ein öffentliches Interesse an der fortgesetzten Tätigkeit im Unternehmen besteht, allerdings ohne verbindliche Leitlinien oder Rechtsmittel für Arbeitgeber. Während des Wehrdienstes ruht das Arbeitsverhältnis ohne Entgeltzahlung, es gilt ein besonderer Kündigungsschutz [30]. Das Arbeitsverhältnis von Zeitsoldaten ist in den ersten sechs Monaten ebenfalls geschützt, bei längerer Dienstzeit gelten Einschränkungen.
Arbeitnehmer, die im Zivil- oder Katastrophenschutz ehrenamtlich tätig sind, beispielsweise bei DRK, THW oder Feuerwehr, haben Anspruch auf bezahlte Freistellung für Einsätze, Ausbildungen und Bereitschaftsdienste. Arbeitgeber erhalten die Entgeltkosten in der Regel erstattet, beim THW jedoch erst ab bestimmten zeitlichen Ausfallgrenzen. [31]
Im Verteidigungs- oder Spannungsfall können Arbeitnehmer zum Einsatz in verschiedenen systemrelevanten Bereichen verpflichtet werden, etwa zur Bundeswehr, in Krankenhäusern, der Energieversorgung, in Verkehrsunternehmen oder in der Lebensmittelindustrie. Diese Regelung gilt im Spannungs- oder Verteidigungsfall für Wehrpflichtige. Für Frauen kommt (lt. Art 12a) [32] eine Verpflichtung nur im Verteidigungsfall infrage und ausschließlich für den Bereich Sanitäts- und Heilwesen.
"Kann im Verteidigungsfalle der Bedarf an zivilen Dienstleistungen im zivilen Sanitäts- und Heilwesen sowie in der ortsfesten militärischen Lazarettorganisation nicht auf freiwilliger Grundlage gedeckt werden, so können Frauen vom vollendeten achtzehnten bis zum vollendeten fünfundfünfzigsten Lebensjahr durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes zu derartigen Dienstleistungen herangezogen werden. Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden." (Bundesministerium der Justiz) [32]
Ausnahmen greifen beispielsweise bei Schwangeren oder Schwerbehinderten.
Praktische Auswirkungen
Praktisch könnte das zu leeren Büros und Fabriken führen, wo Menschen in Frontdienste gezwungen werden, was Familien zerreißt und die Wirtschaft des Landes vollkommen stilllegt.
Staat im Ausnahmezustand
Hier zeigt sich nur die äußere Kontur eines Ausnahmezustands, der die demokratische Betriebsamkeit anhält und dem Staat eine Autorität zuschiebt, die im normalen Alltag kaum denkbar ist. Zwischen verfassungsrechtlicher Erlaubnis und politischer Dehnbarkeit entsteht ein Zwischenreich, in dem Freiheiten nicht abgeschafft, aber jederzeit neu austariert werden können. Dieser Teil macht sichtbar, wie geschmeidig die Notstandsordnung konstruiert ist – ein politisch formbares Machtgerüst, dessen reale Grenzen im Ernstfall weniger vom Recht als von denen bestimmt werden, die es praktizieren.
Teil 2 wird dort ansetzen, wo diese Grundlagen enden: bei den gesellschaftlichen und konkreten praktischen Folgen, die den Ausnahmezustand erst vollständig verständlich machen.
Quellen und Anmerkungen
Hinweis: Teil 2 setzt die Analyse fort mit den Auswirkungen auf das Sozialsystem, die Versorgung, kritische Infrastruktur, das öffentliche Leben sowie die digitale Kommunikation und zeigt die umfassenden gesellschaftlichen Konsequenzen eines Verteidigungsfalls auf. Die Fortsetzung folgt am 20.11.2025.
[1] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_115a.html
[2] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_115k.html
[5] https://www.gesetze-im-internet.de/wisig_1965/BJNR009200965.html
[6] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_80a.html
[7] https://www.bundestag.de/resource/blob/1033576/3b03b24de75d0102a31ce929665647d1/WD-2-058-24-pdf.pdf
[8] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_80a.html
[9] https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Glossareintraege/DE/B/buendnisfall.html
[10] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_11.html
[10a] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_87a.html
[11] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_10.html
[13] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_115g.html
[14] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_115h.html
[15] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_17a.html
[17] https://www.gesetze-im-internet.de/wehrpflg/__3.html
[18] https://www.bundestag.de/resource/blob/983752/WD-3-112-23-WD-7-084-23-pdf.pdf
[19] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_16.html
[20] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/faq-wehrdienst-100.html
[21] https://www.gesetze-im-internet.de/wehrpflg/
[22] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_14.html
[23] https://www.gesetze-im-internet.de/blg/__1.html
[25] https://www.gesetze-im-internet.de/schberg/
[26] https://www.gesetze-im-internet.de/asg/__2.html
[27] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_4.html
[28] https://verfassungsblog.de/kriegsdienstverweigerung-kriegsfall-bundesgerichtshof
[29] https://www.gesetze-im-internet.de/wehrpflg/__13.html
[30] https://www.gesetze-im-internet.de/arbplschg/__1.html?utm_source=chatgpt.com
[31] https://www.gesetze-im-internet.de/wehrpflg/__13a.html
[32] https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_12a.html?utm_source=chatgpt.com
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Militärische Person in Kommandozentrale
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