Tagesdosis 23.12.2017 – Der Plan des BVB-Attentäters: Profitieren wie die Finanzelite

Ein Kommentar von Ernst Wolff.

Seit vergangenem Donnerstag steht der 28jährige Elektronikmeister Sergej W. aus Schwaben vor dem Landgericht Dortmund. Ihm werden die Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und 28facher Mordversuch vorgeworfen.

Anlass für den Prozess ist der Anschlag auf den Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund am 11. April 2017, bei dem der Bus schwer beschädigt und ein Spieler des Teams sowie ein Polizist  verletzt worden waren.

Sergej W.’s Plan bestand offensichtlich darin, mehrere Spieler der Profimannschaft des BVB zu töten oder schwer zu verletzen, um sich mittels Spekulation auf den zu erwartenden Kursverfall der Borussia-Dortmund-Aktie zu bereichern.

Zu diesem Zweck soll er folgendermaßen vorgegangen sein: Nach Angaben der zuständigen Staatsanwaltschaft lieh er sich vor dem Attentat 44.000 Euro und kaufte für 26.000 Euro Put-Optionen auf die Aktien von Borussia Dortmund.

Put-Optionen zählen zu den Derivaten, also den Finanzprodukten, mit denen man durch Wetten auf zukünftige Preis-, Zins- oder Kursentwicklungen hohe Gewinne erzielen kann. Sie können als Wertpapiere auch über die Börse gehandelt werden, sind also auch für nicht-institutionelle Anleger wie Sergej W. über einen Broker erhältlich.

Wie viele andere Derivate können auch Put-Optionen gehebelt werden, das heißt: Die Risikosumme kann bei gleichbleibendem Einsatz vervielfacht werden. Gehebelte Put-Optionen gehören zu den riskantesten Finanzgeschäften überhaupt. Liegt der Investor falsch, droht ihm der Totalverlust.

Sergej W. war sich offenbar sehr sicher, dass die Borussia-Dortmund-Aktie durch den Ausfall mehrerer Spieler auf Talfahrt gehen und ihm dadurch einen erheblichen Gewinn bescheren würde. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft hebelte er seine Put-Optionen so, dass bei seinem – nach professionellen Maßstäben geringen – Einsatz ein Gewinn von etwas mehr als einer halben Million Euro möglich gewesen wäre.

Was den Prozess in Dortmund so interessant macht, ist nicht nur die kriminelle Energie, mit der Sergej W. seinen Plan verfolgte, sondern auch die Tatsache, dass es sich hier um einen Vorgang handelt, der im Finanzsektor zum ganz normalen Alltag gehört und ein bezeichnendes Licht auf dessen parasitären und volkswirtschaftlich schädlichen Charakter wirft.

Wer auf den Kursverfall einer Aktie wettet, geht nämlich nicht nur davon aus, dass es dem Unternehmen, das diese Aktie herausgibt, in der Folgezeit schlechter gehen wird. Er hat auch ein eminentes finanzielles Interesse daran, dessen Talfahrt nach Kräften zu forcieren.

Internationale Großinvestoren haben es allerdings nicht nötig, selbstgebastelte Bomben zu zünden. Ihnen stehen ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung: Sie können einzelne Unternehmen über ihre Marktmacht in die Knie zwingen, im Extremfall sogar selbst übernehmen, ausweiden und in den Konkurs treiben.

Im Prinzip handelt es sich dabei übrigens um dasselbe Geschäftsmodell, nach dem auch Leerverkäufe funktionieren: Statt Aktien zu kaufen und auf steigende Kurse zu setzen, leihen sich Großinvestoren Aktienpakete, verkaufen sie umgehend, warten dann, bis die Kurse gefallen sind und kaufen sie zu günstigeren Preisen wieder auf.

Natürlich lassen sie die Zwischenzeit in der Regel nicht ungenutzt verstreichen, sondern unternehmen alles, um die betroffenen Kurse zu drücken. Da dieses Verhalten nicht nur den betroffenen Unternehmen, sondern auch der Volkswirtschaft insgesamt schadet, werden Leerverkäufe in Krisenzeiten häufig verboten.

Genau das ist nach dem Beinahe-Crash von 2008 passiert und hat dazu beigetragen, dass die weiterhin frei handelbaren Put-Optionen von Spekulanten noch stärker als zuvor gefragt wurden, obwohl der von ihnen ausgehende Schaden nicht geringer als der von Leerverkäufen ist.

Sergej W.’s Tat, die ihm möglicherweise eine lebenslange Freiheitsstrafe einbringen wird, sollte uns allen zu denken geben, denn die grundlegende Strategie, nach der er handelte, ist im Finanzsektor gang und gäbe. Ex-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney und US-Handelsminister Wilbur Ross zum Beispiel haben zwar keine Bomben gezündet, dafür aber gegen mittelständische Unternehmen gewettet, sie in den Konkurs getrieben und damit zahllose Menschen in die Arbeitslosigkeit oder in den persönlichen Ruin getrieben. Im Gegensatz zu Sergej W. hat das System die beiden für ihr Verhalten reichlich belohnt und aus Millionären Milliardäre gemacht.

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