Tagesdosis

Der Drops ist gelutscht | Von Paul Clemente

audio-thumbnail
Apolut 20250310 TD Montag
0:00
/579.064625

Das Sondierungspapier

Ein Kommentar von Paul Clemente.

Irgendwie frustrierend: Wenige Tage nach der Wahl ist die Stimmung ähnlich resignativ wie in der späten Merkel-Ära. Nichts geht mehr. Der Drops ist gelutscht. Für Linke wie für Konservative. Wagenknecht hat ’s nicht geschafft und die AfD wurde durch Brandmauern schon vorab ausgesperrt. Selbst jene Wähler, die auf Friedrich Merz gesetzt haben, mussten in den vergangenen Tagen, während der Sondierungsgespräche feststellen: Der BlackRocker ist derart vom Willen zur Macht beherrscht, dass er bereits zahllose Versprechen gebrochen hat. Und selbst die Wähler der Splitterpartei SPD stellen fest: Deren kosmetische Hartz-Reform, das so genannte Bürgergeld, wird Friedrich Merz zuliebe wieder zurückgenommen. Hauptsache, man regiert mit. Als Gegenmittel zur Inflation sind lediglich ein Mindestlohn von 15 Euro und eine zweijährige Mietbremse im Gespräch. Vor diesem Hintergrund ist es äußerst amüsant zu lesen, mit welch großen Worten der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil das Sondierungspapier auf X ankündigte.

„Die Lösungen müssen so groß sein, wie die Aufgaben, die vor uns liegen. Wir wollen in Deutschlands Sicherheit, Infrastruktur und Wachstum investieren wie vielleicht noch nie. Auf Verschleiß fahren ist dann vorbei.“

Mit anderen Worten: Die SPD soll den Verschleiß beenden, den sie mit den Grünen so weit vorangetrieben hat. Viel Spaß! Jetzt ist das Sondierungspapier raus und das Schlimmste ist: Den Mainstream-Medien und ihren „Experten“ ist es noch nicht destruktiv genug! Nehmen wir als erstes Beispiel die Sozialpolitik: Zu ihr gehört auch die Hilfe für Gestolperte: Die Arbeitslosen.

Hatte die SPD nicht erst im Januar 2023 versucht, ihr Image als Klientel-Verräter zu beenden, indem sie ihre hochnotpeinliche Agenda 2010 korrigierte, Hartz IV zum „Bürgergeld“ umbenannte, und ein paar Repressalien lockerte? Nach dem Motto: Bitte, liebe Arbeitslose und prekäre Kleinstverdiener, habt uns wieder lieb. Vor allem: Gebt uns wieder eure Stimme. Die haben sie aber nicht bekommen. Ihr früheres Klientel ist zum BSW und der Linkspartei gewandert. Vielleicht dachten die Sozialdemokraten daraufhin: Diesem undankbaren Pack zeigen wir‘s. In dem Sondierungspapier heißt Bürgergelt neuerdings „Grundsicherung“. Die Bildzeitung schlagzeilte „Jetzt kommt Hartz IV zurück!“ Und: „Für 200.000 Menschen wird es knallhart“. Tatsächlich setzen die Autoren maximal auf Repressalien,

„Für Menschen, die arbeiten können und wiederholt zumutbare Arbeit verweigern, wird ein vollständiger Leistungsentzug vorgenommen."

Ja, diese Formulierung atmet den Geist von Ex-Kanzler Gerhard Schröder: Der hatte seinen Hartz-IV-Terror mit der Begründung rechtfertigt, dass es kein Recht auf Faulheit gebe. Tja, und jetzt sitzt der Genosse der Bosse selber mit Burnout in der Psycho-Klinik.

Zahlreichen Mainstream-Medien gehen die sozialen Repressalien freilich nicht weit genug. So zitierte die Tagesschau den neoliberalen Ökonomen Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Mit altbekannten Euphemismen fordert er  sämtliche Marterinstrumente seiner Zunft: Es fehle dem Sondierungspapier,

„an allem, was Deutschland dringend benötige: höheres Renteneintrittsalter, Ausweitung der Wochenarbeitszeit, mehr Eigenverantwortung im Fall von Krankheit und Pflege, Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und ein konsequenter Subventionsabbau.“

Heißt im Klartext: Stellenabbau, Hochschrauben des Arbeitspensums und dabei möglichst lange durchhalten. Und Gesundheitsvorsorge für Geringverdiener? Muss „eigenverantwortlich“, aus der mageren Lohntüte finanziert werden. Eine moderne Versklavung mit Great Reset-Anstrich.

Wie gesagt: Nicht bloß Linke, auch Konservative dürften bei der Lektüre des Sondierungspapiers nur wenig Freude empfinden. Darauf hatte Kollege Uwe Froschauer schon vor zwei Tagen hingewiesen. Vor allem bei den Themen Migration und Grenzkontrolle. Selbst wer Merz in diesem Bereich eine Wende zugetraut hätte: Spätestens nach Lars Klingbeils Statement bei Maischberger war klar: Die Merkel-Politik wird ungehindert fortgeführt. O-Ton Klingbeil:

„Ich kann Ihnen sehr klar sagen: Die SPD wird keine faktischen Grenzschließungen mitmachen. Das können wir national nicht umsetzen. Und vor allem ist es europäisch unvernünftig.“

Stattdessen solle man laut Klingbeil bei Migrationsfragen

„mit den europäischen Partnern reden. Wir wollen gemeinsame Lösungen hinbekommen: Das sagt der Sondierungstext aus und das meinen wir auch sehr ernst."

Konkret bedeutet das: Grenzkontrollen werden zwar aufgestockt, aber Zurückweisungen finden nur „in Abstimmung mit europäischen Partnern“ statt. - Und was ist damit konkret gemeint? Erwartet Klingbeil etwa, dass unsere Nachbarländer uns anflehen: „Bitte lasst die Flüchtlinge nicht über die deutsche Grenze. Wir möchten die selber so gerne behalten?“ Wohl kaum.

Laut Klingbeil habe man auch in der Verteidigungs- und Wirtschaftspolitik ein „starkes Signal" für Europa gesetzt. Da scheut der SPD-Mann kein Pathos.

„Deutschland kommt zu alter Stärke zurück."

In einem ebenso starken Europa. Oder: Make Germany great again.

Beginnen wir mit der Verteidigungspolitik: Da sind Aufrüstungen im Bereich von rund 500 Milliarden Euro für die Bundeswehr eingeplant. Dazu muss das Budget aus den Klauen der Schuldenbremse befreit werden. Was wiederum eine Änderung des Grundgesetzes verlangt. Die aber ist an eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat gebunden. Mit den kriegsfrohen Grünen wäre das locker durchzuziehen. Aber im neu gewählten Bundestag, der sich spätestens am 25. März konstituieren muss, sind die Bellizisten zu gering vertreten. Stattdessen kommen AfD und Linke gemeinsam auf mehr als ein Drittel der Sitze. Und die werden sich quer stellen. Was also tun?

Ganz einfach: man stimmt noch schnell mit dem alten Parlament ab. Da passen die Relationen ja noch. Ist das nicht raffiniert? Leider bringt dieser Schachzug juristische Probleme mit sich. Davon weiß auch die Linkspartei und droht mit einer Klage. Die Medien laden schon erste Experten zum Hahnenkampf. Für den Marburger Jura-Professor Hans-Detlef Horn ist die Sache klar: Der alte Bundestag ist nach wie vor voll handlungs- und beschlussfähig. Konträr dazu positioniert sich der Jurist und Hochschullehrer Kyrill-Alexander Schwarz. Im ARD-Brennpunkt erklärte er: Der alte Bundestag dürfe den neuen nicht vor vollendete Tatsachen stellen.

„Wenn der jetzige Bundestag Maßnahmen ergreift wie ein dreistelliges Milliardenpaket, wofür es ja durchaus sachliche Gründe gibt, dann entfaltet das eine Bindungswirkung gegenüber einem späteren Parlament, das ja bereits gewählt worden ist. Diese Bindungswirkung für die Zukunft empfinde ich als überaus problematisch."

Wobei die ARD eilig hinzufügt, dass Kyrill-Alexander Schwarz eine Minderheiten-Meinung vertrete. Mit anderen Worten: Einem künftigen Wettrüsten steht nichts mehr im Wege.

Kommen wir nun zur Meinungsfreiheit. Wegen ihr waren die Sondierungsgespräche noch Ende Februar tatsächlich in Gefahr. Grund: Die CDU wollte Transparenz bei der Finanzierung von NGOs wie Omas gegen rechts, Correctiv und andere Arbeitsbeschaffungs-Organisationen. Auch die Grünen jaulten auf. Sie forderten sogar von der SPD, mit der CDU nur zu verhandeln, wenn die ihre unverschämte Anfrage fallen lasse. Auch Klingbeil wollte abwarten, ob die Union „in sich geht“. Nun, das hat sie getan. Im gemeinsamen Sondierungs-Text findet sich lupenreine Zensorenprosa.

„Die gezielte Einflussnahme auf Wahlen sowie die inzwischen alltägliche Desinformation und Fakenews sind ernste Bedrohungen für unsere Demokratie, ihre Institutionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. In Zeiten geopolitischer Spannungen müssen wir entschiedener denn je dagegen vorgehen. Dafür müssen wir den Digital Service Act (DSA) der EU auf nationaler Ebene konsequent durchsetzen.“

Wer gehofft hatte, dass die Merz-CDU in irgendeiner Weise das Netz aus privaten Stasis austrocknen und stattdessen Meinungspluralismus zulasse, hat sich getäuscht. Der Geist von Haldenwang und Faeser bleibt auch nach deren Ablösung erhalten. Ja, es geht weiter wie gehabt. Bis dahin kann man sich auf die nächste Wahl freuen.

 +++

Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.

+++

Bildquelle: Ground Picture / shutterstock 


+++
Ihnen gefällt unser Programm? Machen wir uns gemeinsam im Rahmen einer "digitalen finanziellen Selbstverteidigung" unabhängig vom Bankensystem und unterstützen Sie uns bitte mit Bitcoin: https://apolut.net/unterstuetzen#bitcoinzahlung

Informationen zu weiteren Unterstützungsmöglichkeiten finden Sie hier: https://apolut.net/unterstuetzen/

+++
Bitte empfehlen Sie uns weiter und teilen Sie gerne unsere Inhalte in den Sozialen Medien. Sie haben hiermit unser Einverständnis, unsere Beiträge in Ihren eigenen Kanälen auf Social-Media- und Video-Plattformen zu teilen bzw. hochzuladen und zu veröffentlichen.

+++
Abonnieren Sie jetzt den apolut-Newsletter: https://apolut.net/newsletter/

+++
Unterstützung für apolut kann auch als Kleidung getragen werden! Hier der Link zu unserem Fan-Shop: https://harlekinshop.com/pages/apolut

Paul Clemente Friedrich Merz Lars Klingbeil Bürgergeld Arbeitslose Schuldenbremse spd cdu Brandmauer