... und produziert einen Wahlwerbespot für Habeck
Ein Standpunkt von Norbert Häring.
Annalena Baerbock spricht von 1,3 Milliarden Europäern und wird dafür verhöhnt. Die – teilweise staatsfinanzierte – Nachrichtenagentur dpa meldet später, Baerbock habe sich versprochen. Daraufhin fälscht das ZDF nachträglich das Zitat. Und die ZDF-Talkshow Maybrit Illner sendet einen Wahlwerbefilm für Robert Habeck. Eine Oppositionspartei, die etwas auf sich hält, darf über so etwas nicht zur Tagesordnung übergehen, denn es hat System.
Nachdem der grüne Kanzlerkandidat Robert Habeck bereits von der ARD-Talkshow-Moderatorin Caren Miosga mit einem ausgesprochen zugeneigten bis willfährigen Interview hofiert worden war, setzte das ZDF mit Maybrit Illner am 5. Dezember noch einen drauf. Nachdem zunächst Vizekanzler Habeck (ab min 3:50) ungehindert von kritischen Fragen darstellen darf, wer Schuld am Ampel-Aus hat (die FDP), fährt Illner (ab min 4:50) einen gut einminütigen Film ab, in dem Olaf Scholz und Christian Lindner umkippen und im Staub versinken, während Habeck der „Last Man Standing“ sei, „staatstragend, seriös, der Erwachsene im Raum“, der gefeierte Star der Grünen und jetzt „fehlt nur noch die Richtlinienkompetenz“.
Der öffentlich-rechtliche Wahlwerbeskandal wird in der Sendung nicht etwa dadurch entschärft, dass der Film zum Ausgangspunkt einer Diskussion gemacht wird, ob Habeck tatsächlich so eine Lichtgestalt ist, oder ob er nicht vielleicht in Wahrheit sehr viel verbockt hat. Nein, der Habeck-Werbefilm wird weder angekündigt noch abmoderiert oder diskutiert, er wird völlig unkommentiert abgespielt, und es geht danach einfach weiter als wäre nichts gewesen. Und zwar mit einer Fortsetzung der wohlmeinenden Befragung durch die Moderatorin.
Als dann scharfe Kritik von den Chefs des Arbeitgeber- und des Industrieverbands am wirtschaftlichen Niedergang eingeblendet wird (ab min 12:40), wird nicht etwa Wirtschaftsminister Habeck unvorteilhaft dagegengeschnitten, sondern ein Kanzler, der offenbar den Niedergang leugnet. Illner fragt Habeck vor und nach diesem Spot hilfreich, ob das Nichtstun der Regierung gegen den Niedergang an allen drei Spitzenleuten gelegen habe oder nur an einem Kanzler, der das Problem nicht sehen wollte, sodass Habeck ihn erst noch vom Problem überzeugen musste.
So geht es weiter, bis Mitdiskutant Michael Hüther ab Minute 19 zum ersten Mal etwas sagen darf. Bis dahin wurden die beiden anderen Gäste neben Habeck nur gelegentlich nickend und freundlich zu seinen Ausführungen lächelnd eingeblendet. Hüther wird aber nicht etwa aufgefordert, Habeck in irgendetwas zu widersprechen, sondern zum dankbaren Thema Bürokratie-Abbau befragt, bei dem sich jeder einig sein kann. Als es dabei dann um das Heizungsgesetz-Desaster Habecks gehen darf, wird dieses für Habeck heikelste Thema über Kritik der SPD an grüner Gängelung eingeführt und Maybrit Illner fragt in leicht empörten Tonfall: „Macht die SPD da gerade Wahlkampf gegen Sie?“. Und wieder geht es nicht um Habecks Fehlleistungen, sondern um die Befindlichkeiten innerhalb der Ampel.
ZDFheute fälscht Baerbock-Zitat
Auf der Tagung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Malta am 5.12. bezichtigte Außenministerin Baerbock laut Medienberichten auf Basis von Nachrichtenagenturen wie dpa ihren russischen Amtskollegen Lawrow „unerträglicher Lügen“ zum Ukraine-Krieg und sagte:
„Sie können sich selbst etwas vormachen, aber uns, den 1,3 Milliarden Menschen in Europa können Sie nichts vormachen.“
Das brachte ihr reichlich Spott ein, denn Europa hat nur halbsoviele Einwohner. Auch auf der Netzseite der Nachrichtensendung des ZDF, ZDFheute, war das Baerbock-Zitat zu lesen. Ruft man die Seite jetzt auf, liest man dagegen folgendes Zitat:
„Sie können sich selbst etwas vormachen, aber uns, den 1,3 Milliarden Menschen in der OSZE-Region, können Sie nichts vormachen.“
Im Abspann, ganz weit unten, liest man dann den „redaktionellen Hinweis“:
„In der ursprünglichen Fassung war in einem Zitat von Annalena Baerbock von „1,3 Milliarden Menschen in Europa“ die Rede. Am Nachmittag sendete die Nachrichtenagentur dpa eine Korrektur, die Außenministerin habe sich versprochen. Der Beitrag wurde daraufhin entsprechend angepasst und „Europa“ durch „OSZE-Region“ ersetzt.“
Der OSZE als ständiger Staatenkonferenz zur Friedenssicherung in Europa gehören neben den europäischen Staaten unter anderem auch die USA an. Auch Russland ist Mitglied. Russland ist auch europäisches Land, was das „uns“ in „uns, den 1,3 Milliarden Menschen in der OSZE-Region“ besonders überheblich und deplatziert klingen lässt. Denn ein Großteil der russischen Bevölkerung unterstützt den Krieg gegen die Ukraine und glaubt Lawrow eher als Nato-Vertretern und Baerbock. Doch darum soll es hier nicht gehen.
Die ZDF-Redaktion gesteht hier ganz offen eine Zitatfälschung. Denn es ist das eine, ob man sprachliche Unsauberkeiten bei der schriftlichen Wiedergabe einer mündlichen Aussage glättet, oder ob man sich herausnimmt, einfach ein Wort durch einen ganz anderen Ausdruck zu ersetzen, wenn die Zitierte nachträglich ausrichten lässt, dass sie eigentlich etwas anderes gemeint habe.
Die dpa hat in den letzten Jahren mehrere Millionen Euro von der Bundesregierung erhalten und zeigt sich dafür scheinbar immer wieder mit Berichterstattung im Sinne der Regierung erkenntlich.
Für Annalena Baerbock ist diese Zitatfälschung sehr hilfreich, denn Sie hat sich in ihrem bedeutenden Amt als Außenministerin schon viele kleine und große Versprecher geleistet, für die sie verspottet wird und steht dafür und für ihr oft ungeschicktes Auftreten auf diplomatischer Bühne chronisch in der Kritik. Die journalistisch seriöse Vorgehensweise, unter dem Zitat den Hinweis anzubringen, dass sich die Ministerin nach Auskunft des Ministeriums lediglich versprochen habe und eigentlich „OSZE-Region“ habe sagen wollen, hätte natürlich weiter dazu beigetragen, diesen unvorteilhaften Eindruck von ihr zu verstärken.
Andere Massenmedien wie t-online, die ohnehin keinen Ruf der Seriosität mehr zu verlieren haben, meinen sogar, sich die Zitatfälschung ohne Änderungshinweis erlauben zu können. Dort steht im „Newsblog zum Krieg in der Ukraine“ das gefälschte Baerbock-Zitat mit der Uhrzeit !6:14 Uhr (des 5.12). Im Kleingedruckten oben steht als Zeitstempel nur „Aktualisiert am 6.12.2024 – 6:03 Uhr“. Einen Änderungshinweis gibt es nicht. Im „Journalistischen Leitbild„, dem die Redaktion von t-online angeblich folgt, wird dagegen Transparenz bei nachträglichen Korrekturen versprochen. Auch das Redaktionsnetzwerk Deutschland, das teilweise der SPD gehört, berichtet lediglich das gefälschte Zitat, ohne jede Erläuterung oder einen Änderungshinweis.
dpa übt Selbstkritik
Die Nachrichtenagentur dpa räumte auf X.com am Nachmittag des 6.12. einen Bruch der eigenen Standards im Umgang mit Zitaten ein:
"Nach dem Senden der Meldungen fiel in der dpa-Redaktion auf, dass die Zahlenangabe nicht stimmen kann. Es wurde geprüft, ob wir Baerbock möglicherweise falsch zitiert hatten. Auf Nachfrage korrigierte eine Sprecherin Baerbocks die falsche Angabe und verwies auf den veröffentlichten schriftlichen Redetext. (…) Daher entschied die zuständige Redaktion im Berliner Newsroom, in den beiden Meldungen das direkte Zitat entsprechend zu korrigieren und in den Notizblöcken der Meldungen darauf hinzuweisen, dass Baerbock sich in ihrer mündlichen Rede versprochen habe.
Dieses Vorgehen entspricht jedoch nicht den dpa-Standards. Ein direktes Zitat ist für Nachrichtenagenturen heilig. Im dpa-Handbuch heißt es dazu: „Auf keinen Fall dürfen inhaltliche Veränderungen bei vollständig wiedergegebenen Zitaten vorgenommen werden.“ Der Fehler wird derzeit intern aufgearbeitet.“
Ob der englische Redetext vom Auswärtigen Amt vor oder nach der gehaltenen Rede veröffentlicht wurde, und ob er korrigiert wurde, ist nicht erkennbar.
Reform des öffentlichen Rundfunks dringend
Was Miosga, Illner und ZDFheute da veranstaltet haben, sind keineswegs Ausrutscher. Das hat System in einem System, in dem die Sendeanstalten Beute der etablierten Parteien geworden sind, die sie direkt und indirekt kontrollieren, und die ihrerseits wieder von dem Wohlwollen der Sender abhängig sind.
Erinnert sei an die von falschen Zitaten und Falschaussagen gespickte Kampfschrift der ARD gegen das BSW. Oder an die unzähligen sogenannten Faktenchecks der ARD, mit denen der Sender Kritik an fragwürdigen Narrativen der Bundesregierung diskreditiert. Erinnert sei daran, wie der MDR eine Sendung zu Verunreinigungen in Impfstoffen zensierte, die eigenen Redakteure öffentlich der Schlampigkeit beschuldigte und nach Feststellung, dass der Beitrag in Ordnung war, die Zensur trotzdem nicht aufhob. Oder daran, wie der MDR eine peinliche propagandistische Fehlleistung ohne Hinweis aus einer Magazinsendung schnitt. Rücktrittsforderungen von hochrangier Stelle gegen Gesundheitsminister Karl Lauterbach waren dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk nie berichtens- und kommentierenswert, ebensowenig die vielen dokumentierten Lügen und gefährlichen Falschbehauptungen des Ministers. Die Skandale in den RKI-Protokollen, die teils freigeklagt, teils geleakt wurden, waren sehr lange kein Thema und nach Monaten dann nur sehr zurückhaltend und kurzzeitig.
Zur Nato und deren Interessen haben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ein besonders inniges Verhältnis. Bei allem was diese Interessen ernsthaft tangiert, gerät die objektive Information gegenüber der Propaganda sehr weit in den Hintergrund, etwa wenn aus einem „Nato-Hauptquartier“ in Rostock nachträglich ein Bundeswehr-Stützpunkt wird, sobald sich die Sprachregelung der Regierung ändert, oder wenn die Frage, ab wann Deutschland in der Ukraine Kriegspartei wird tendenziös, im Zeitablauf wechselnd, aber immer regierungsnah beantwortet wird. Oder wenn Friedensdemonstranten mit allen möglichen beleidigenden Unterstellungen und Charakterzuschreibungen diskreditiert werden. Oder wenn angebliche militärische Erfolge und Erfolgsaussichten der Ukraine so lange viel zu rosig dargestellt werden, bis das offenkundig wird und von US-Zeitungen verkündet wird.
Die Liste der propagandistischen Fehlleistungen, mit denen der öffentlich-rechtliche Rundfunk in eklatantem Bruch seines Auftrags, neutral und fundiert zu informieren, den Interessen der Regierung und der etablierten Parteien gefügig war, ließe sich noch sehr lange fortsetzen. Trägt man „Rundfunk“ in die Suchfunktion dieses Blogs ein, erhält man ein beeindruckend langes Dossier solcher Fehlleistungen.
Was zu tun wäre
Es gibt nur zwei Möglichkeiten, dafür zu sorgen dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk von einem Propagandamedium der abwechselnd Regierenden zu einem Informationsmedium wird, welches das Geld wert ist, das die Bürger dafür bezahlen. Entweder man schafft die Zwangsfinanzierung ab, was ich nicht befürworte, weil der qualitativ sehr ausbaufähige private Rundfunk durchaus einer öffentlich-rechtlichen Ergänzung bedarf oder man nimmt den Rundfunk den Parteien weg und gibt die Kontrolle denen, die dafür bezahlen.
Wie das gehen könnte, habe ich in einem früheren Beitrag bereits skizziert: Den Beitragszahlern wäre – wie in anderen Körperschaften mit Zwangsbeiträgen – der Status von Mitgliedern zu geben, die das Führungspersonal und die Kontrolleure der Rundfunkanstalten wählen und über die Ausrichtung der Sender bestimmen können. Mir fällt keine vernünftige Rechtfertigung ein, das nicht zu tun.
Die etablierten Parteien befinden sich in einer symbiotischen Beziehung mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Von Ihnen ist keine Reform zu erwarten, die den Namen verdient. Deshalb ist es bisher nur die AfD, die das bestehende System des regierungsnahen Rundfunks angreift, wobei sie den Fokus darauf legt, ihm die Zwangsbeiträge zu entziehen. Vom BSW als neuer Partei, die nicht zuletzt vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk in der radikalen Ecke verortet wird, kommt in dieser Hinsicht enttäuschend wenig. Offenbar sieht man dort nur die falsche Alternative eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks im großen und ganzen so wie er jetzt ist, oder seiner Abschaffung. Man will nicht in Gefahr geraten, durch radikale Kritik den Eindruck zu erwecken, man habe hier dieselbe neoliberal-libertäre Agenda wie die AfD. Das ist kleinmütig.
Es ist auch überaus unklug, denn es macht einen zum Verteidiger eines mächtigen Systems zur Meinungsmanipulation, das alles das bekämpft, wofür man selbst steht, einschließlich der eigenen Vorstellungen von Friedenspolitik. Das BSW sollte es deshalb zum erklärten Programm machen, den Rundfunkstaatsvertrag zu kündigen um Reformdruck aufzubauen und dabei erklären, dass man einem reformierten Staatsvertrag, der den Beitragspflichtigen die Kontrolle über den Rundfunk gibt, zustimmen würde. In Thüringen und Brandenburg wurde das in den Koalitionsverhandlungen nicht ernsthaft versucht und lässt sich wohl kaum noch nachholen. In Sachsen könnte das BSW einen entsprechenden Antrag im Landtag einbringen, um die Diskussion über eine grundlegende Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (statt Abschaffung) in Gang zu bringen.
Transparenzhinweis: Der Autor ist BSW-Mitglied
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Dieser Beitrag erschien zuerst am 06. Dezember 2024 bei norberthaering.de
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Bildquelle: photocosmos1/ shutterstock
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