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Das Schwarze Meer selbst geschaufelt

Das Schwarze Meer selbst geschaufelt

Wer den Mythos glaubt, das Schwarze Meer sei von den eigenen Vorfahren mit Schaufel und Stolz gegraben worden, hält jeden Vorschlag für eine Zumutung. In Istanbul traf ukrainischer Übermut auf russische Härte – und aus Friedensgesprächen wurde ein geopolitisches Kasperletheater.

Ein Meinungsbeitrag von Sabiene Jahn.

Im Istanbuler Çırağan-Palast, wo osmanische Pracht auf moderne Diplomatie trifft, versuchten am Montag russische und ukrainische Delegationen unter türkischer Vermittlung, die Scherben eines dreijährigen Krieges zusammenzufügen – zum zweiten Mal in diesem Jahr, nach dem Scheitern von Minsk 2022. Außenminister Hakan Fidan pries eine „ergebnisorientierte Atmosphäre“, doch die Gespräche – auf Englisch geführt – gerieten zum Tanz auf Messers Schneide. Am Vorabend hatte die ukrainische „Operation Spinnennetz“ fünf russische Luftwaffenstützpunkte angegriffen – ein düsteres Vorspiel. Dass dennoch verhandelt wurde, ist anzuerkennen – aus Sicht Moskaus. Dass am Ende nur humanitäre Krümel blieben, offenbart die tiefe Kluft zwischen den Verhandlungspartnern.

Die „Operation Spinnennetz“ war kein Zufall. Ein amerikanischer Analyst vermutet die Beteiligung des britischen MI6 und der amerikanischen CIA, an der Planung und möglicherweise auch an der Durchführung des Angriffs. Ein Lastwagen voller Drohnen explodierte in Amur vorzeitig. Künstlich-intelligente Drohnen, in Container geschmuggelt – offiziell als Material für Fertighäuser deklariert – attackierten strategische Bomber in Murmansk, Iwanowo, Rjasan, Irkutsk und Amur. Präsident Selenskyj feierte den „brillanten Erfolg“, der Russland „den Preis seiner Aggression“ spüren lasse. Kiew sprach von 13 bis 41 zerstörten Maschinen. Moskau dagegen von minimalen Schäden, 162 Drohnen seien abgefangen worden. Außenminister Lawrow nannte den Angriff einen Versuch, „den Friedensprozess zu sabotieren“. Der Schweizer Ex-Oberst Jacques Baud kommentierte:

„Die Ukraine setzt solche Aktionen für PR ein, nicht für strategische Erfolge. Es geht um westliche Sympathien.“

Der Zeitpunkt des Angriffs – einen Tag vor den Gesprächen – war eindeutig: Kiew will keinen Waffenstillstand, sondern Durchhaltewillen demonstrieren.

Die Welt hielt den Atem am Montag an. Reuters sprach von „strafenden Forderungen“ Moskaus, die New York Times von „menschlichen Gesten ohne Fortschritt“. Al Jazeera lobte einen „bescheidenen humanitären Erfolg“, während die Berliner Zeitung spekulierte, ob Putin mit Trump paktiere. Die Welt sah in Russlands Positionen „unerfüllbare Forderungen“, die FAZ „unvereinbare Linien“. Doch jenseits der Schlagzeilen offenbarte sich eine Tragödie: Diplomatie als symbolisches Ritual – während die Fronten in Blut ertrinkt.

Russlands Memorandum, veröffentlicht über TASS und Ria Novosti, war für Kiew weniger Angebot als Ultimatum: Anerkennung der Krim, Donezk, Lugansk, Cherson und Saporischschja, Rückzug ukrainischer Truppen, Neutralitätsverpflichtung ohne NATO-Beitritt, Entmilitarisierung, „Entnazifizierung“, Schutz der russischstämmigen Minderheit, Russisch als Amtssprache und Aufhebung westlicher Sanktionen. Zwei Optionen stellte Moskau: Sofortiger Rückzug oder ein „Paket“ mit Entwaffnung, Wahlen und internationalem Vertrag. Wladimir Medinski betonte: „Der zweite Teil bietet verschiedene Wege.“ Selenskyj reagierte schroff: „Ich halte sie für Idioten. Ein Waffenstillstand soll doch Opfer verhindern.“ Für Kiew klang das nach Kapitulation und territorialer Selbstaufgabe.

Kiew antwortete seinerseits mit einem eigenen Memorandum – ebenfalls maximalistisch: 30 Tage Waffenruhe, Rückgabe angeblich entführter Kinder, Gefangenenaustausch, Sicherheitsgarantien von USA und Europa, EU- und NATO-Beitritt, keine Gebietsabtretung, Reparationen. Der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Georgiy Tykhyi, nannte das Papier „logisch und rational“. Realitätsverlust oder politisches Kalkül? Ein Selenskyj-Putin-Treffen zwischen dem 20. und 30. Juni – eventuell mit Trump und Erdoğan – wurde in den Raum gestellt. Doch die Positionen bleiben unvereinbar: Moskau verlangt Kapitulation, Kiew pocht auf Selbstbestimmung. Wer daran glaubt, dass dieser Konflikt durch Handschlag enden kann, müsste wohl auch glauben, das Schwarze Meer sei mit bloßen Händen ausgehoben worden.

Das Thema der Kinder wurde zum emotionalen Mittelpunkt. Kiew überreichte eine Liste mit 400 angeblich von Russland entführten Kindern. Medinski konterte: „Kein Kind wurde entführt, sie wurden evakuiert.“ 101 Kinder seien bereits zurückgeführt worden, wenn Angehörige ausfindig gemacht werden konnten. Rustem Umerow entgegnete, solange ihre Kinder verschwänden, gäbe es keinen Frieden. Jacques Baud warnte:

„Die Kinderthematik wird zur PR-Waffe – oft auf Kosten der Fakten.“

Die ukrainischen Zahlen – zwischen 20.000 und 1,5 Millionen – schwächen die Glaubwürdigkeit. Was bleibt, ist ein moralisch aufgeladener Schlagabtausch, der die wahren Opfer – Kinder, Eltern, Soldaten – instrumentalisiert.

Ein Hoffnungsschimmer: Humanitäre Fortschritte verhinderten das völlige Scheitern. Beide Seiten einigten sich auf einen Gefangenenaustausch – mindestens 1.000 schwerverletzte oder junge Soldaten (18–25 Jahre) pro Seite. Umerow: „Alle gegen alle, für die Verletzten.“ Medinski ergänzte: „Mindestens 1.000, vielleicht mehr.“ Russland kündigte die Übergabe von 6.000 eingefrorenen Leichnamen ukrainischer Soldaten an – identifiziert durch DNA-Tests. Seit 2023 habe Moskau 7.790 Körper übergeben, Kiew nur 1.408. Medinski: „Wir haben sie identifiziert … nächste Woche erfolgt die Übergabe.“ Ein kurzfristiger Waffenstillstand zur Bergung der Toten wurde vorgeschlagen – ob Kiew zustimmt, ist offen.

Doch der große Durchbruch blieb aus. Die Streitkräfte beider Seiten – und ihre Verluste – blieben eine Fußnote. Russlands Rückzugsforderungen prallten auf Kiews Festhalten an EU-westlicher Einbindung. Analyst Tarik Cyril Amar kommentierte: „Kiews Drohnen sabotieren den Dialog – ein verzweifelter Versuch, den verlorenen Krieg zu wenden.“ Timofey Bordachev spottete:

„Europa betreibt geopolitisches Kasperletheater – und lähmt damit jede Verhandlungskraft.“

Geopolitisch war Istanbul ein Schauplatz der Ambitionen. Moskau lehnt eine US-Beteiligung ab, Kiew fordert sie. Trump mahnte: „Selenskyj und Putin müssen reden.“ Doch Anzeichen für eine Einigung mit Moskau fehlen. Selenskyj beharrte auf Sanktionen: „Nur so verstehen sie uns.“ Erdoğan träumt vom Gipfel: „Mein größter Wunsch ist, sie in Istanbul zusammenzubringen.“ Doch Realität schlägt Illusion: Drohnen, Ultimaten und ein zerrissener Westen lassen keine Feuer entfachen – nur Funken. Ein Gespräch zwischen Putin und Selenskyj? Möglich. Doch Selenskyjs Dekret von 2022 verbietet Friedensverhandlungen. Medinski zeigte sich dennoch offen – „trotz juristischer Hindernisse“.

Eine Stunde Verhandlung – und der Frieden bleibt ein Phantom. Russland strebt den juristischen Sieg, die Ukraine das physische Überleben. Doch wer je im Schlamm überlebte, kennt dessen Preis. Humanitäre Gesten lindern nicht den Schmerz eines Krieges ohne Sieger. Die FAZ brachte es auf den Punkt:

„Unvereinbare Positionen – doch beide Seiten eint der Wille zum Gespräch.“

Und doch frage ich mich: Warum schließen sich diese Männer nicht ein, bis sie eine Lösung haben? Andere vor ihnen taten es.

Selenskyj ist das Erbe von Biden und Poroschenko. Der Donbass wollte nie zurück nach Kiew. Er hat abgestimmt – auf Russisch. Aber Selenskyj? Der erinnert mich an einen pubertierenden Schuljungen, der seinem „großen Freund“ aus dem Westen seine Eistüte geben sollte – und der Freund zertrümmerte daraufhin die Eismaschine. Und verpetzte ihn auch noch. Dass dieser „Freund“ ihm nicht einmal zuhören will, merkt Selenskyj nicht. Vielleicht reicht ihm Moskau gerade nicht die Hand – aber Millionen Exilanten wünschen sich Rückkehr. Und mutige Ukrainer lehnen sich in den Städten gegen die Todeskommandos auf, für die es 500 Euro pro gefangenem Wehrpflichtigen gibt. Neulich haben sie einige dieser „Todes-Engel“ verprügelt. Es werden immer mehr.

Doch Selenskyj erfährt davon offenbar nichts. Er lebt in einer Welt, in der seine westlichen Freunde ihn gleichzeitig auslachen – und seine Landsleute ausnehmen. Er kann kämpfen, so lange er will. Aber gegen seinen großen Bruder gewinnt er nicht. Denn wer den Mythos glaubt, das Schwarze Meer selbst geschaufelt zu haben, ist nicht bereit, die Realität zu sehen.

Quellen und Anmerkungen:

2.) https://www.aljazeera.com/news/2025/6/2/russia-and-ukraine-agree-to-prisoner-swap-but-peace-talks-stall-in-istanbul

3.) https://www.spiegel.de/ausland/russland-und-ukraine-in-istanbul-moskau-schnuert-ein-kapitulationspaket-a-40c0c8c3-afd5-4d38-9883-e8235d4b7e3d

4.) https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/geopolitik/ukraine-putin-erhoeht-druck-auf-selenskyj-in-absprache-mit-trump-li.2330121

5.) https://www.unn.com.ua/en/news/2099969-mzs-ukrayinskiy-memorandum-logichniy-i-ratsionalniy-vidpovid-na-rosiyskiy-dadut-pislya-oznayomlennya

6.) https://www.aljazeera.com/news/2025/6/2/russia-and-ukraine-agree-to-prisoner-swap-but-peace-talks-stall-in-istanbul

7.) https://www.aljazeera.com/news/2025/6/2/russia-and-ukraine-agree-to-prisoner-swap-but-peace-talks-stall-in-istanbul

8.) https://www.faz.net/aktuell/politik/ukraine/gespraeche-zwischen-russland-und-ukraine-in-istanbul-zuerst-drohnenschlaege-dann-verhandlungen-110512499.html

10.) https://youtu.be/oGSkscfyXjM

11.) https://rmx.news/article/orban-convenes-military-council-says-hungary-remains-committed-to-peace-even-if-disputes-with-brussels-get-louder/

12.) https://www.reuters.com/world/europe/russia-ukraine-talk-about-peace-are-still-far-apart-2025-06-02/

13.) https://www.welt.de/politik/ausland/article256197632/ukraine-krieg-trotz-neuer-russischer-angriffe-ukrainische-delegation-zu-gespraechen-in-istanbul-eingetroffen.html

14.) https://www.rt.com/russia/618554-talks-or-terror-russia-ukraine/

15.) https://www.rt.com/news/618527-western-europe-has-lost-plot/

16.) https://rumble.com/v6u7tmt-zelensky-wont-be-around-long-enough-for-his-opinions-to-matter-professor-gi.html

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Wir danken der Autorin für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Landkarte des Schwarzen Meeres
Bildquelle: Michele Ursi / shutterstock


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