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Das österreichische Koalitionsgespenst | Von Bodo Schickentanz

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Tagesdosis 20250211 apolut
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Die Knieschützen der demokratischen Mitte vor der Qual der Wahl.

Ein Kommentar von Bodo Schickentanz. 

Warum die Koalitionsverhandlungen in Österreich zwischen der ÖVP und der als „Rechtsaußen“ geltenden FPÖ eine Vorschau auf deutsche Verhältnisse nach der Bundestagswahl 2025 sein könnten und worauf es in der Alpenrepublik derzeit politisch hinaus läuft: Qual oder (Neu)Wahl?

Nach der Nationalratswahl in Österreich 2024 war die Aufregung groß, sogar über die austrischen Grenzen hinaus. Die als rechtsextrem eingestufte FPÖ ging aus der Wahl als stärkste Partei hervor, mit knapp 29%, gefolgt von der ÖVP, die mit etwas über 26% nur den zweiten Platz belegte. Die SPÖ kam auf 21%, die österreichischen Liberalen „Neos“ auf 9% und die Grünen bildeten das Schlusslicht mit 8%.

Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen überraschte dann mit einem Schritt, der vollkommen unüblich, eben nicht die stärkste Partei auswählte, die normaler Weise dann auch den Kanzler stellt, der wiederum vom Präsidenten einen Regierungsbildungsauftrag bekommt, was in diesem Fall die FPÖ mit Herbert Kickl gewesen wäre, sondern, Van der Bellen verkündete im Oktober 2024 vor der erstaunten Presse, dass er Karl Nehammer von der ÖVP zum Kanzler ernennen und zur Regierungsbildung beauftragt habe. Damit wurde die FPÖ ganz bewusst übergangen, was an sich schon mal „ein starkes Stück“ war, das für sich genommen eventuell gar nicht so schlimm geworden wäre, wenn nicht die Koalitionsgespräche zwischen den verbliebenen Parteien, die man zur „demokratischen Mitte“ zählt, schlussendlich krachend gescheitert wären, denn es bahnte sich eine Art „Ampel-Szenario“ an, was wir in Deutschland ja erst kürzlich hinter uns gelassen haben und die parteipolitischen Unterschiede waren auch bei unseren südlichen Nachbarn so unvereinbar, dass der einzig einigende Gedanke, eben eine FPÖ in der Regierung zu verhindern, nicht genug demokratischen Magnetismus entwickelte, das man zueinander fand.

Die Erklärungsversuche der Verhandlungspartner legten nahe, dass man nicht etwa auf einen Eisberg aufgelaufen sei, sondern ÖVP, SPÖ und Neos sich gegenseitig so viele kleine Löcher in den Schiffsrumpf gebohrt hatten, dass der Kahn nicht mehr schwimmfähig war für eine gemeinsame Fahrt in der Länge einer Legislaturperiode.

Und während man im Rest Europas bereits den Sieg der aufrechten Demokraten am feiern war, setzte nun wieder Schnappatmung ein, als Van der Bellen sich nun gezwungen sah, doch traditionsgemäß, die stärkste Fraktion und ihren Kanzlerkandidaten Herbert Kickel den Ritterschlag zur Regierungsbildung zu erteilen. Das für sich genommen wurde von den „Qualitätsmedien“ schon als „Rechtsabrutsch“ gewertet und in Erwartung einer Lawine, bemühte sich der ÖVP Bundesobmann Christian Stocker intensiv darum, von seinen glasklaren und wortgewaltigen Abgrenzungsfloskeln zurück zu rudern, die er noch vor der Wahl, genau wie unser Kanzler ins spe Friedrich Merz, in alle Mikrofone und Kameras abgegeben hatte. Daraufhin setzte sich ein sichtlich zufriedener und tatendurstiger Herbert Kickl in einer Pressekonferenz, auf dem FPÖ-YouTube-Kanal vor die Kamera und zeigte inhaltlich gefestigt Gesprächsbereitschaft mit der ÖVP.

Seit dem sind einige Tage ins Land gegangen und es wurde um Inhalte, Standpunkte und Ministerien verhandelt, vermutlich in einer Härte, die schon aus der Mode gekommen ist im politischen Alltag der Altparteien. Ein Konsens bestand bei dem Thema der Verhinderung eines EU-Defizitverfahrens, weil man mit inzwischen 25 Milliarden Staatsschulden die 3% Latte der Neuverschuldung gerissen hatte und so 6,3 Milliarden Euro aufgebracht werden müssen um Sanktionen seitens der EU zu entgehen. Und, Oh Wunder, nach drei Tagen hatten FPÖ und ÖVP auch einen gemeinsamen Plan entwickelt, mit dem man sich der Presse präsentierte, die schon sowas wie Fortschritte zu erkennen glaubte, eine Reporterin des ORF, die von der Pressekonferenz zugeschaltet war, wollte sogar in dem Zulächeln zwischen Kickl und Stocker einen neckischen Flirt entdeckt haben und während bei uns in Deutschland immer noch „kalte Schulter“ angesagt ist, scheint man im Alpenländle schon gewillt zu sein mit der FPÖ ins Bett zu steigen, aber noch war es nur ein Hauch von Geschlossenheit, der jederzeit als eisiger Windzug zur Tür hinaus sein konnte. Denn es gibt noch so viele andere Probleme, bei der der Gipfelsturm deutlich schwieriger ausfallen könnte.

Zwei Jahre Rezession durch die gescheiterte Wirtschaftspolitik und die steigenden Energiekosten während der Vorgängerregierung, schlagen nicht zuletzt mit 0,5 Millionen Arbeitslosen zu Buche, hinzu kommen eine Inflationsrate von 3,3% und natürlich auch das ungelöste Problem im Umgang mit der Migration. Zusammenfassend kann man sagen, die Ähnlichkeiten zu den Problemen in Deutschland sind frappierend, nur mit dem Unterschied, dass uns die Österreicher eine gute Nasenlänge voraus sind in Bezug auf die Brandmauer. Während wir hier zulande noch von einem geschlossenen „Antifaschistischen Schutzwall“ reden können, haben die Wähler in Österreich mit fast 30% für die als Solche etikettierten „Rechtsextremen“ nun definitiv eine Bresche geschlagen und es könnte Wien das ereilen, was ihm zur Zeit der Türken erspart geblieben ist. Und der Vergleich hinkt keineswegs, denn auch damals stand fest, wenn Wien fällt, dann fällt das ganze christliche Europa, so zumindest die damalige Endzeitprophezeiung des Vatikans, als Hüter des einzig wahren Glaubens und heute unserer selbsternannten „Qualitätsmedien“ und der einzig als demokratisch geltenden Politiker, die sich hinter ihnen verschanzen, auch das kennen wir hier in Deutschland nur all zu gut.

Vor allem, weil auch in Österreich dem ÖRR nichts Gutes bevor zu stehen scheint, sollte die FPÖ, wie hier die AfD, in Regierungsverantwortung kommen, womit wir bei dem Posten Ministeriengeschacher wären, der ganz aktuell wieder alles ins Wanken gebracht hat und es so doch nur bei einem „One-Night-Stand“ der „Frischverliebeten“ bleiben könnte, denn die Frage wer oben liegen darf sorgt für viel Streit hinter den Kulissen. Nicht nur die ÖVP ist geradezu entsetzt von dem Gedanken der FPÖ das Innenministerium zu überlassen, was aber DAS Ministerium ist, wenn es um innere Sicherheit und Migration geht und damit kernprogrammatisches Hoheitsgebiet von Kickl und Gefolge darstellt und somit mit einem Rückzug oder Kompromiss seitens der FPÖ nicht zu rechnen ist. Dass die FPÖ damit auch Einsicht und Weisungsbefugnis im Bereich der Geheimdienste hätte, schmeckt den etablierten Parteien so ganz und gar nicht, vor allem vor dem Hintergrund, was da noch aus den USA an Unsitten zu uns nach Europa rüber schwappen könnte, denn Kickl hat schon verdeutlicht, dass man da ganz auf der Linie von Donald Trump sei. Doch als sei das nicht Hammer genug, besteht man bei der FPÖ auch auf das Finanzministerium, was bei den verfilzten etablierten politischen Parteistrukturen schon zu Angstrissen in den Fassaden der Parteizentralen führt, allein nur bei dem Gedanken daran.

Hier sehe ich bei der AfD noch eine gewisse Lendenlahmheit, obschon sie doch sehen müsste, dass es auch in Deutschland ein Korruptionsproblem gibt, hier scheint sich die AfD doch eher am allgemeinen Weglächeln beteiligen zu wollen, die sich daraus ergebende Frage nach dem warum überlasse ich Ihnen, werte Leser, denn es ist so subtil, wie eine Kakerlake die über einen weißen Teppich kriecht, Alice ist Goldman-Sachs-Bankerin, das darf man nie vergessen.

Am vergangenen Wochenende hätte man seitens der FPÖ gerne weiter gerungen, um einen gemeinsamen Entwurf einer Regierungskoalition für Österreich zu formulieren aber die Damen und Herren der ÖVP scheinen das Medaillen umhängen bei der Ski-Alpin- WM für staatstragender zu halten, als beim Scheitern der Koalitionsgespräche eine Neuwahl zu riskieren, die dann, laut aller Statistikinstitute, einen Erdrutschsieg der FPÖ zufolge hätte, die derzeit in den Umfragen bei 35% liegt. Es ist erstaunlich, wenn man sieht, dass die ach so demokratischen Parteien, die ja immer so tun, als sei der verzweifelte Kampf gegen den Faschismus so dramatisch wie Russisch Roulette, dann aber, wenn es wirklich mal darauf ankommt einen weiteren „Rechtsrutsch“ aufzuhalten, laden sie sich noch fünf Kugeln in die Trommel und schießen sie sich ganz freiwillig ins Knie.

Denn im ehemaligen Kaiserreich ist man schon über den Punkt weit hinaus, sich in eine Brandmauer einzumauern und auf den Sommer zu warten, da die Wähler mit ihrem Votum 2024 der FPÖ einen Rammbock zur Verfügung gestellt haben, der stündlich wächst und ein erneuter Rammstoß in Form von Neuwahlen, könnte Kickl endgültig in die Lage versetzen, die Verhandlungsbedingungen zu bestimmen. Derzeit ist man noch zu Zugeständnissen bereit, die noch sehr großzügig sind. Das Wirtschafts-, Landwirtschafts-, Verteidigungs-, Umwelt-, Familien-, Verkehrs- und Infrastukturministerium hat man der ÖVP zu Füssen gelegt, sogar die EU-Agenden hat Kickl noch oben drauf gelegt, doch es gibt immer noch missgünstige Blicke von der anderen Seite des Verhandlungstischs und es liegt der Verdacht im Raum, dass es dabei noch nicht mal um inhaltlichen Enthusiasmus geht, sondern einige Hintern einfach den warmgesessenen Sessel nicht hergeben wollen.

Die „Faschismusallergie“ der „Altparteien“ gleicht sich auch bei den üblichen Themen der FPÖ, sowie unserer AfD, wenn es um Waffenlieferungen an die Ukraine und das Verhältnis zu Russland geht. Die Inakzeptanz von Gasimporten aus Putins Reich der Finsternis, ist ebenso länderübergreifend wie in allem, was ich schon erwähnt habe, dass man sich nur manchmal fragt, wer diesmal wen „Heim ins Reich“ holt, oh sorry, ich meine natürlich in das Reich der „glückseligen liberalen Demokraten“, in dem allerdings irgendwann, irgendwie und irgendwo der Grundgedanke der Demokratie, also des Volkswillens als Wegweiser der Politik zu begreifen, abhanden gekommen scheint. Hätten wir noch eine funktionierende 4. Macht, dann könnte man diesen Knoten aus gordischen Knoten, den unsere „Qualitätsmedien“ und Politiker aus ihrer „Antifaschismushysterie“ geknüpft haben, mal entwirren und dann inhaltlich sinnvolle und thematisch notwendige Diskurse führen, denn so wie es sich jetzt anschickt, ist ein Politikwechsel, den ja alle angeblich wollen, so wahrscheinlich, wie das Aufhalten der Erderwärmung durch weltweites Öffnen aller Kühlschranktüren.

Fakt ist allerdings, und das gilt in Österreich genau so wie in Deutschland, das Lösungsangebot der etablierten, ach so demokratischen, wacker antifaschistischen, rumgendernden Altparteien ist entweder ein finanzielles Luftschloss oder eben nicht Wille der Mehrheit der Bevölkerung. Die perfide Rolle der „Qualitätsmedien“ dabei, ist inzwischen mehr als Propaganda, es grenzt schon an Indoktrination, wenn man bedenkt, was wir in beiden Ländern, Osterreich und Deutschland, an realen drängenden Problemen haben, indes erschöpft man die Menschen mit antifaschistischem Schattenboxen.

Wir hatten mal kurz nach dem 2. Weltkrieg unzählige echte, „Originalnazis“ in allen Parlamenten und Behörden sitzen, die alle den feuchten Traum vom 1000 jährigen Reich noch nicht vergessen hatten und das hat unsere Demokratie ausgehalten und vor dem Hintergrund, dass die heutigen „Rechtsradikalen“ in der FPÖ und AfD im direktem Vergleich nun wirklich „handzahm“ sind sollten wir uns endlich mal locker machen und die Randgruppe der wirklich unappetitlichen „Sprücheklopper“ passen auch bequem an einen Stammtisch, das kann, nein dass muss eine Demokratie aushalten, weil das immer so sein wird und immer so war. Dieser überdimensionale aufgeblasene Elefant, der da im Raum steht ist so prall, dass er jeden Diskurs inzwischen an die Wand drückt, von der Einschränkung der Bewegungsfreiheit will ich gar nicht erst reden. Es wird allerhöchste Eisenbahn, dass wir da mal gehörig Luft raus lassen und erkennen, dass Demokratie auch Toleranz bedeutet, Toleranz für Andersdenkende, Rosa Luxemburg, schon vergessen?

Wird Österreich voran gehen und einen Versuch wagen oder wird die Frage einer Koalition mit der FPÖ, die zunehmend stärkste Kraft ist, weiter verschoben bis nach unserer Bundestagswahl in Deutschland? Denn eines steht außer Frage, sollte Österreich die Nase vorn behalten, dann wird das Einfluss haben auf unsere Wahl hier und darüber hinaus. Im Grunde sind sich doch alle einig, dass ein Stillstand in der Politik das mit Abstand Schlimmste ist, was uns passieren kann. Und es wäre ein Befreiungsschlag, wenn wir dieses leidige Thema „Brandmauer“ mal at acta legen würden und konkrete Probleme angepackt und diskutiert würden.

Stand am Ende des Montags, 10. Februar 2025, laut „tagesschau“ um 21:45 Uhr:

„Es hakt beim Versuch der Regierungsbildung in Österreich. Zwischen der in Teilen rechtsextremen FPÖ und der konservativen ÖVP gibt es weiterhin zahlreiche Streitpunkte. Ob Durchbruch oder Abbruch könnte sich am Dienstag entscheiden.    (…)   "Es geht neben der Ressortverteilung auch um sehr grundsätzliche Inhalte", hatte Stocker vor dem Treffen gesagt. Nach dem rund 90-minütigen Austausch hätten beide Seiten eine Fortsetzung der Gespräche auf Spitzenebene für Dienstag verabredet, hieß es laut der Nachrichtenagentur dpa danach aus Parteikreisen.“

Hört sich in meinen Ohren nicht gut an, aber es ist ja schon mal schön zu sehen, dass die „tagesschau“ zur Kenntnis genommen hat, dass die FPÖ nur in Teilen rechtsextrem ist.
Inhaltlich neues darüber hinaus, sieht eher mau aus, aber immerhin: 90 Minuten Austausch!

Junge, Junge, die machen echt keine halben Sachen …

Wenn es nicht alles so bitter wäre … ?!

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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: Flagmania / shutterstock


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