Ein Millionen-Coup
“Die Lyrische Beobachtungsstelle” von Paul Clemente.
Ginge es in der Kulturgeschichte gerecht zu, dann würde der Italiener Maurizio Cattelan zum Top-Künstler des 21. Jahrhunderts ernannt. Nicht Damien Hirst mit seinen halbierten Kühen, nicht Tracey Emin mit der Namensliste ihrer Lover. Das sind Provokatiönchen von gestern. Nichts im Vergleich zu Cattelan.
Sie kennen den nicht? Kein Problem, das holen wir nach. Im Zeitraffer.
Starten wir mit seinem prominentesten Coup. Tatort war die Art Basel im Jahre 2019. Dort befestigte er eine Banane mit Gaffer-Tape an der Ausstellungswand. Fertig. Nichts weiter. Titel: „Comedian“. Natürlich fand er einen Käufer. Wer lässt sich so was auch entgehen? Allerdings war die Höhe des Kaufpreises enttäuschend: Erbärmliche 120.000 Dollar. Hatte man doch auf 1 bis 2 Millionen spekuliert.
Es kam noch besser. Das Meisterwerk war bereits verscherbelt, da riss ein Performance-Künstler die Banane von der Wand, schälte und verspeiste sie. Der teuerste Snack aller Zeiten! Eigentlich egal, hatte der Käufer doch eingeräumt, er habe nicht das Objekt, sondern die „Idee“ gekauft. Außerdem hatte Cattelan selbst den Austausch der Banane im 3-Tages-Takt empfohlen. Dennoch flog der Maestro eigens zum Tatort, um den Schaden zu beheben.
Die Story ging viral. Bald gab es Poster und T-Shirt-Aufdrucke der Cattelan-Banane. Als Hollywoodstar Brooke Shields von der Untat des Performers hörte, klebte sie sich eine Banane auf die Stirn, schoss ein Selfie und postete es auf Instagram. Sofort luden findige Geschäftsleuten das Foto runter und verkauften es als Kunstdruck. Kurzum, das Meisterwerk wurde zum Selbstläufer. Das steigerte seinen Wert. Fünf Jahre später ließ der stolze Besitzer die Banane mit Gaffer-Tape versteigern. Erlös: 6,4 Millionen Dollar. Was für eine Wertsteigerung.
Warum diesen Irrsinn aufwärmen? Nun, letzte Woche wurde ein weiteres Cattelan-Werk versteigert. Womöglich gar die Krönung seines Schaffens: Eine funktionsfähige Tiefspültoilette. Aber aus echtem Gold! Ihr Titel: „America“. Der amerikanische Traum – vom eigenen Goldklo. Verkauft für 12 Millionen Dollar und ein paar Zerquetschte. Glücklicher Käufer war eine „bekannte amerikanische Marke“. Das Wochenmagazin „Spiegel“ staunte, dass die goldene Toilette teurer sei als ein Van Gogh. Das mag stimmen, aber die Materialkosten waren diesmal wirklich hoch. Im Gegensatz zu „Comedian“, das mit 40 Cent herzustellen war. Trotzdem bezeichnete RTL den Lokus als „Arschteuer“. Traurige Randbemerkung: Cattelan hatte ursprünglich zwei Aborte hergestellt. Einer wurde jedoch 2019 bei einer Ausstellung im britischen Blenheim-Palast gestohlen. Ermittler vermuten, das 18karätige Gold sei eingeschmolzen und verkauft worden. Ja, das Leben kann richtig fies sein…
Allerdings ist der Gold-Lokus keinesfalls das erste Klo der Kunstgeschichte. Bereits 1917 hatte Marcel Duchamp in New York ein Porzellan-Pissoir ausgestellt und signiert. Eine wilde Debatte entbrannte: Was, so die Hauptfrage, ist eigentlich Kunst? Das hat sich kaum geändert: Auch Cattelans Werke sorgen für Kritik und Empörung. Vor allem wegen ihrer Preise. Das Online-Kunstmagazin Finestre sull’arte verteidigte die Riesensummen: Der Kaufpreis sei „ein Spiegelbild des Wertes, den der Markt dem Werk beimisst.“ Aber weshalb schätzt „der Markt“ den goldenen Donnerbalken so hoch ein? Antwort: Kunstwerke sind längst Spekulationsobjekte der Upper Class. Werden als Kapitalanlage erworben. Millionenschwere Spekulanten kaufen Kunst, um beim Wiederverkauf das Vielfache einzufahren. So wie bei der Gaffer-Banane.
All die teuren Schinken von Gerhard Richter oder Georg Baselitz sind das, was Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich als „Siegerkunst“ titulierte. Kunst ist das Statussymbol gesellschaftlicher „Sieger“, sprich: Bonzen und Machthaber. Der größte Witz des Spiels: Es fehlen jegliche Regeln zur Qualitätsprüfung. Ebenso wenig gibt es verbindliche Definitionen des Kunstbegriffs. Die Monetarisierung ist alleiniges Werk akademischer Gurus. Intellektueller Trendsetter mit der nötigen Autorität. Deren Urteil verschafft dem Kunstmarkt eine irrationale Verbindlichkeit. Wer solche „Experten“ als Fürsprecher gewinnt, dessen Marktwert schießt ins Unermessliche. Nicht Arbeitsaufwand oder Materialkosten, sondern das Urteil der Kunstpriester-Kaste bestimmt den Wert.
Wer Künstler-Gespräche auf Vernissagen belauscht, der stellt fest: Da wird kaum über Inhalt gesprochen. Auch nicht über Ausdrucksformen. Schon gar nicht über scharfe Aktmodelle. Stattdessen fallen Fragen wie: Bei welchem Galeristen bist du? Oder: Auf welcher Preisstufe agierst du? Es ist die Konversation von Business-Leuten. Und vor diesem Hintergrund entfaltet das Goldklo seine Bedeutung: Bereits Lenin hatte verkündet, dass im Sozialismus sogar Toiletten aus Gold gefertigt würden. Soll heißen: Künftig leben alle Sowjet-Bürger in solchem Überfluss, da reicht das Gold sogar zur Vergoldung übelriechender Orte.
Freilich führt die Assoziation zwischen Gold und Fäkalien auch in die Untiefen der menschlichen Seele. Das belegen Märchen wie das vom Esel, der goldene Dukaten scheißt. Oder Redewendungen wie: „Aus Scheiße Gold machen“. Laut Psychoanalyse erreichen Kleinkinder im Alter zwischen zwei und drei Jahren die „anale Phase“. Sie bemerken die Fähigkeiten, ihre Ausscheidung durch den Schließmuskel zu steuern: Sie zurückhalten oder rauslassen. Hält das Kind sein Exkremente zurück, geraten die Eltern in Sorge. Lässt es sie raus, sind die Eltern zufrieden. Das Kind folgert: Der willentliche Gebrauch des Schließmuskels verleiht Macht. Das Produkt, die Ausscheidung gilt der Umwelt als wichtig und ist daher wertvoll.
Dieser frühkindliche Reaktion, so die Conclusio, werde später auf Geld und Besitz übertragen. Eigenschaften wie Geiz oder Großzügigkeit sind Prägungen aus der analen Phase. Danach ließe sich allen Personen, die Gelderwerb ins Zentrum ihres Lebens platzieren, eine Fixierung auf die anale Phase unterstellen. Genau darauf verweist auch Cattelans Gold-Klo: War die Gafferband-Banane noch Parodie auf die Autoritätshörigkeit des Kunstmarktes, so ist die Goldtoilette ein freches Psychogramm der Kundschaft.
Natürlich wird durch Cattelans Werk weder Herstellung noch Vertrieb von Siegerkunst gestoppt. Aber was ist der erste Schritt zum Sturz von Götzen? Das keiner sie mehr ernst nimmt. Und dazu tragen die Kunst-Objekte des Italieners kräftig bei.
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Dank an den Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bild: "America" die Toilette, die am 12. November 2025 von Maurizio Cattelan aus 101,2 kg festem 18-Karat-Gold gegossen wurde und am neuen weltweiten Sitz von Sotheby im Marcel Breuer-Gebäude in New York, New York, ausgestellt wurde.
Bildquelle: lev radin / Shutterstock
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