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Das Bellen der Bäume | Von Dirk C. Fleck

Das Bellen der Bäume | Von Dirk C. Fleck

Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.

Es gibt Sätze, die einem das Herz umdrehen. Einen solchen Satz entdeckte ich in einem Statement des weltberühmten britischen Naturforschers und Dokumentarfilmers Sir David Attenborough (99). Es ist eigentlich kein Statement, es ist eine Nachbetrachtung des eigenen Lebens, die an einen tiefen Stoßseufzer erinnert, den er unter dem Titel „Broken Soul“ von sich gab. Darin heißt es:

"Die meiste Zeit meines Lebens habe ich Geschichten über andere erzählt - über Vögel, Wälder, Ozeane und aussterbende Spezies. Und ich frage mich nun, ob wirklich verstanden wurde, welch grausame Wendung meine Geschichten genommen haben. Ich berichtete von Regenwäldern, die nicht mehr existieren. Ich habe Filme über gigantische Gletscher gedreht, auf denen ich einmal stand und die inzwischen verschwunden sind. Ich las Berichte über Arten, die unsere Erde für immer verlassen haben - Wesen, denen ich einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand. Ich war Zeuge der atemberaubendsten Wunder unserer Welt geworden und sah, wie sich ihr Zauber langsam verflüchtigte. Das alles schmerzt mehr, als Worte es auszudrücken vermögen. Manchmal sitze ich einfach nur tief betrübt da. Ich verlange nicht nach Auszeichnungen. Ich erwarte kein Lob und keine Anerkennung für das, was ich getan habe. Aber ist es zu viel verlangt, wenn manchmal, nur manchmal eine Stimme flüstert: „Danke, David.“ Und vielleicht, nur vielleicht würde ich mich dann weniger alleine fühlen, wenn ich um unseren Planeten weine."

Diese Schlussworte, die meinte ich eingangs. Sir David Attenborough hat in den letzten siebzig Jahren mit seiner einzigartigen Stimme und seinem erzählerischen Stil Generationen inspiriert und ein tieferes Bewusstsein für die Schönheit und Verletzlichkeit unseres Planeten geschaffen. Danke, David.

Aber die meisten Menschen verspüren angesichts des Massenmordes an Pflanzen, Tieren und Menschen noch immer kein Gefühl des Verlustes. Das kann nur mit dem Unverständnis gegenüber dem filigranen Netzwerk der Natur zu tun haben.

Wir kennen die Fotos, auf denen Menschen neben einem mächtigen Mammutbaum posieren, den man nur im Verbund umarmen kann. Diese Bäume wurzeln tausend Jahre und länger in der Erde, sie haben Feuersbrünste, Monsterstürme, Dürreperioden und extreme Klimaschwankungen überlebt. Wir glauben, dass ihre Widerstandskraft mit der mächtigen Statur zu tun hat, die metertief im Waldboden verankert ist. Falsch. Gemessen an ihrer Größe von hundert Metern sind Mammutbäume Flachwurzler. In drei Metern Tiefe greifen ihre Wurzeln links und rechts waagerecht aus und verbinden sich mit einem dichten Geflecht, in dem alle Bäume des Waldes ihre „Finger im Spiel“ haben. Sequoias (die biologische Bezeichnung) überleben nicht aus eigener Kraft, ihr Schutz ist die Gemeinschaft, mit der sie verflochten sind. Sie unterstützen sich gegenseitig, stehen zusammen, wenn Stürme toben, teilen Mineralstoffe und Wasser untereinander auf.

Der Wald ist ein intaktes System, in dem das Individuum sich keine Sperenzchen erlauben kann. Die Bäume bellen, wenn die Männer mit der Kettensäge kommen, sie warnen einander. Ich habe sie bellen gehört, damals im Sommer 1990, als die Lumber Companies damit begannen, die letzten Redwood-Bestände an der kalifornischen Küste „abzuernten“, was zum sogenannten Eco-War führte. Amerikas Holzindustrie kam die Auseinandersetzung mit den gewaltbereiten Umweltschützern gerade recht. „Wenn Sie Amerika ruinieren wollen, unterstützen Sie eine Umweltschutzgruppe!“ hieß es in einer von ihr finanzierten landesweiten Anzeigenkampagne. Die Redwoods, so war zu lesen, seien keine „Kathedralen Gottes“, sondern bestes Bauholz, das den amerikanischen Lebensstil erst ermöglichte.

Ich habe die Bäume bellen gehört. Zwar sind diese Laute für unsere Ohren nicht wahrnehmbar, aber unser Herz kann sie übersetzen. Fragen wir Sir David.

Damals schrieb ich meine Eindrücke auf,, die ich unter den zum Tode verurteilten Baumriesen gewonnen hatte. Ich habe sie später in meinem Roman „Das Tahiti-Projekt“ einfließen lassen. Dort heißt es an einer Stelle:

„Seit fünf Minuten hatte sich auf der Forststraße nichts mehr bewegt. Die beiden Helikopter, die flach über den Bäumen ihre Kreise gezogen hatten, stoben mit tief hängender Stirn in östlicher Richtung davon. Für einen kurzen Moment wurde es still, als hätte jemand dem sterbenden Wald das Leichentuch übergeworfen. Doch die Stille währte nicht lange. Aus der Ferne drang das quietschende Geräusch von Panzerketten an meine Ohren, mit denen die gigantischen Rodungsmaschien ausgerüstet waren.“

Ich höre die Bäume noch heute … Die meisten Menschen glauben ja, dass man seinen Weg nur alleine erfolgreich bestreiten kann, dass man sich unabhängig machen muss von gesellschaftlichen Einflüssen. Unser Verhalten ist also das genaue Gegenteil von dem, was die Natur so erfolgreich vorexerziert. Aber ganz in Vergessenheit geraten ist ihr Erfolgsrezept nicht. Es hat sogar einen Namen: UBUNTU.

UBUNTU ist ein Begriff aus den Bantu-Sprachen Südafrikas (Zulu, Xhosa) und hat mehrere Bedeutungen, die aber alle auf einem gemeinsamen Gedanken beruhen: Menschlichkeit und Verbundenheit. Er beschreibt eine Lebensphilosophie, die Gemeinschaft, Mitgefühl, Respekt und gegenseitige Verantwortung betont. Die Kernaussage, das Mantra dieser Philosophie lautet: „ICH BIN, WEIL WIR SIND“. Und weiter: „Wenn ich mich bessere, werden wir alle besser.“ Ist das nicht wunderbar?

Nelson Mandela (1918 - 2013), der wichtigste Wegbereiter des versöhnlichen Übergangs von der Apartheid zu einem demokratischen Staatswesen in Südafrika, verwendete die UBUNTU-Losung „ICH BIN, WEIL WIR SIND“ als Schlüssel, um sowohl die verletzten wie die versteinerten Herzen des Landes miteinander zu verbinden. Er wusste, dass in jedem von uns ein gewaltiges Potential an Liebe und Empathie steckt, ebenso wie die Sehnsucht nach einem friedlichen Miteinander. Warum legen wir dieses Potential nicht frei, warum bekennen wir uns nicht zu unserer wahren Natur? Warum bringen wir uns nicht ein, so wie wir sind. Das würde reichen. Und die Bäume würden aufhören zu bellen.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: dee karen / shutterstock


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