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Chinas Wirtschaft – ungeachtet der Zölle

Chinas Wirtschaft – ungeachtet der Zölle

Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.

Noch kann nicht gesagt werden, ob Trumps Zölle nach den neunzig Tagen weiter ausgesetzt bleiben. Chinas Gegenmaßnahmen dienen nicht nur der Überwindung aktueller Schwierigkeiten. Sie verbessern schon jetzt seine Marktstellung und sind Ausgangspunkt für die Zeiten danach.

Planvoll

Unter dem Eindruck von Corona und der zunehmenden Konfrontation mit dem Westen im Bereich von Wirtschaft und Handel hatte die chinesische Führung bereits 2023 den Ausbau der Logistik als einen strategischen Bereich in den Fünfjahres-Plan für die Zeit bis 2025 aufgenommen. Er enthielt „eine Reihe von Maßnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Logistikdienstleister zu stärken“ (1). Unter anderem ging es um die Senkung der Logistikkosten durch „die Weiterentwicklung der Lagerhaltung im Ausland und die Ermutigung großer Logistikanbieter, ihre globalen Servicenetzwerke zu verbessern“ (2). Die chinesische Führung förderte den Aufbau und Ausbau eigener Lagerhallen in allen Teilen der Welt. Durch sie konnten nicht nur Kosten eingespart, sondern auch die Lieferzeiten zu den Kunden erheblich verkürzt werden.

Im Sommer 2024 lag deren Zahl im Ausland bereits bei über 2.500 mit einer Gesamtfläche von mehr als 30 Millionen Quadratmetern. Davon waren mehr als 1.800 mit einer Gesamtfläche von über 22 Millionen Quadratmetern auf den stark wachsenden grenzüberschreitenden Internethandel ausgerichtet. Diese Zentren stellen Stützpunkte dar für die Durchdringung des Weltmarktes mit chinesischen Waren. Heute im ausufernden Handelskonflikt mit den USA sind sie Knotenpunkte für die Umleitung und Neuausrichtung der Warenströme weg vom US-Markt hin zu den Märkten der sich entwickelnden Staaten im Nahen Osten, Afrika, Südasien und Südamerika.

Auch innerhalb Chinas werden Maßnahmen ergriffen, um sich schnell auf die veränderte Lage einzustellen. Internetplattformen, Einzelhandelsriesen, E-Commerce-Betreiber und Außenhandelsunternehmen arbeiten Hand in Hand daran, diese Herausforderungen zu bewältigen. Waren, die für den Export vorgesehen waren, sollen auf den riesigen Binnenmarkt gelenkt werden, denn er „bietet einen entscheidenden Puffer und starke Unterstützung für Außenhandelsunternehmen.“ (3). So haben inzwischen sechs große Handelsplattformen, darunter Alibaba, JD.com und Meituan, Inlandsverkaufsabteilungen für über 6.000 Außenhandelsunternehmen eingerichtet, damit deren Angebot schnell auf den heimischen Markt gelangen kann. Der Binnenmarkt soll aufnehmen, was nicht in den Export gehen kann.

Darüber hinaus stützen Staat und Zentralbank die Wirtschaft in dieser schwierigen Lage. Beide haben die Verschuldung erhöht, „um den Konsum im Dienstleistungssektor und in der Altenpflege zu unterstützen und die kostengünstige Finanzierung wichtiger konsumbezogener Sektoren zu erhöhen“(4). Dazu wurden im ersten Quartal durch staatliche Körperschaften Anleihen in Höhe von mehr als 6 Billionen Yuan (etwa 750 Mrd Euro) begeben.

Diese Finanzpolitik der Defizitausweitung ist eine tragende Säule zur Stabilisierung der Wirtschaft. Mit ihr werden angeschlagene Sektoren finanziell unterstützt. Dazu gehört auch ein Programm zur Inzahlungnahme von Gebrauchsgütern wie Kühlschränken und ähnlichem. Der Staat bezuschusst die Anschaffung von Neugeräten. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Verbrauchernachfrage nicht nur durch Infrastrukturinvestitionen oder gezielte Kaufförderung angeregt werden soll, sondern vor allem durch die „Subventionierung von Menschen in Not“(5).

Unerreicht

All diese Pläne und Maßnahmen zeigen schon jetzt ihre Wirkung. Während der Handelsriese Walmart unlängst das Weiße Haus davor warnte, „dass die Zölle aus der Trump-Ära schon bald zu leeren Regalen führen könnten, … erweitern viele [chinesische] Außenhandelsunternehmen ihren Kundenstamm stetig in Regionen wie Südamerika und Europa“ (6). Das chinesische Zollamt teilte am vergangenen Freitag mit, dass die Ausfuhr „im April in Dollar gerechnet um 8,1 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat zugelegt“ (7) hat.

Das Wachstum war nicht nur deutlich schneller als allgemein erwartet, die Rückgänge im Handel mit den USA konnten sogar mehr als ausgeglichen werden. Besonders der Export in die Asean-Staaten, also vor Chinas Haustür, wuchs um 20,8 Prozent. Aber auch in die EU (+8,6%) und nach Deutschland (+20%) wurden die Lieferungen gesteigert. Dagegen fielen die Exporte von Deutschland nach China um 13%. Das heißt, dass deutsche Waren in China an Konkurrenzfähigkeit verlieren und chinesische auf den europäischen Märkten zunehmen.

Im Westen wird dieser Vorsprung chinesischer Unternehmen erklärt mit Subventionen vonseiten der chinesischen Regierung. Dabei wird aber geflissentlich darüber hinweg getäuscht, dass auch westliche Unternehmen immer wieder durch ihre Regierungen finanziell unterstützt wurden und weiterhin werden. Über Jahrzehnte subventionierten die EU-Behörden die Entstehung und Lagerung von Butterbergen, Milchseen und Fleisch- und Weinüberschüssen. Auch der Aufbau der europäischen Flugzeugindustrie unter dem Namen Airbus kam durch staatliche Zuwendungen überhaupt erst zustande.

Lange Zeit hatte besonders die FDP den Abbau von Subventionen gefordert, da sie eine Belastung des Staatshaushaltes darstellen. Zum Teil würden damit Wirtschaftszweige am Leben erhalten die nicht mehr wirtschaftlich seien wie der Kohlebergbau durch den sogenannten Kohlepfennig. Im Verlauf der Krise von 2007/2008 hielten Abwrackprämien die europäische Autoindustrie über Wasser. Im Zuge der Klimadiskussion folgten Förderprämien für den Erwerb von Elektrofahrzeugen.

In jüngster Zeit kamen milliardenschwere Förderprogramme in den USA und der EU zum Aufbau moderner Industrien im Bereich der Solarwirtschaft, Batterieproduktion, der Ansiedlung von Chipherstellern und anderen hinzu. Aber trotz der Hunderten von Milliarden konnte der Vorsprung der chinesischen Unternehmen nicht aufgeholt werden. Im Gegenteil wurden gewaltige Summen in den Sand gesetzt für die Ansiedlung von Chip- und Batterieunternehmen, die inzwischen insolvent wurden wie Northvolt oder ihre Pläne zurücknahmen wie Wolfspeed und Intel.

Dies sind nicht die einzigen Beispiele für westliche Subventionen, aber die bekanntesten. Dass aber der chinesische Überschuss trotz der Zölle und anderer Beeinträchtigungen wie der europäischen werteorientierten Grenzabgabe immer noch so hoch ausfällt, zeigt zweierlei: Entweder sind die Subventionen der chinesischen Regierung besser eingesetzt als die der westlichen Staaten oder aber die einfache Wahrheit ist: Chinesische Unternehmen sind einfach produktiver und in ihrer Arbeitsorganisation fortschrittlicher.

Diese unangenehme Erkenntnis will man im Westen nicht wahrhaben, aber die Zahlen sind eindeutig.

Der chinesische Exportzuwachs von 8,1 Prozent in Dollar gerechnet lässt außer Betracht, dass dieser Überschuss in chinesischer Währung mit 9,3% sogar noch viel höher ausfiel. Dies betrifft nur die wertmäßige Steigerung. Berücksichtigt man, dass die Erzeugerpreise in China im Gegensatz zum Westen rückläufig sind, so dürfte das tatsächliche Exportvolumen „um deutlich mehr als 10 Prozent zugelegt haben“ (8).

Wie sonst außer durch ihren Produktivitätsvorsprung sollen chinesische Produkte weltweit eine Spitzenstellung erlangt und dabei sogar noch den westlichen Vorsprung aufgeholt haben können? Alleine auf Fördermaßnahmen der Regierung kann es nicht zurückgeführt werden. Das taten die westlichen auch, und diese können zudem noch an den internationalen Finanzmärkten leichter Kredite aufnehmen und damit private Investoren ins Boot nehmen.

Vorausschauend

Die chinesischen Maßnahmen zur Förderung der Inlandsnachfrage sind eine Ergänzung zu Programmen, die schon vor den Zöllen angestoßen worden waren. Es handelt sich dabei um die Kampagne zur „qualitativ hochwertigen Entwicklung der Produktivkräfte“. Sie zeigen, dass die chinesische Führung vorausschauend handelt. Dass sie nun zusammenfällt mit den Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft gegen die amerikanischen Zölle, ist vom Zeitpunkt her vielleicht Zufall. Doch von der Entwicklung der chinesischen Wirtschaft gegenüber der des Westens ist diese Entwicklung aber eigentlich zwangsläufig. Besonders die Amerikaner wissen sich nicht mehr anders zu helfen, um den Fortschritt der Volksrepublik und das eigene Absinken zu verhindern.

Die Zölle werden nicht ewig auf dieser Höhe bleiben. Das wissen alle. Auch Trump und sein Anhang scheinen das inzwischen zu erkennen. So hatte Finanzminister Scott Bessent vor wenigen Tagen schon davon gesprochen, dass es zu einer Deeskalation kommen werde. Denn es gilt, die Investoren und Unternehmen zu beruhigen. Trump selbst sah sich zwischenzeitlich gezwungen, mit Fake News abzuwiegeln, als er von Gesprächen zwischen amerikanischen und chinesischen Vertretern redete, die zu diesem Zeitpunkt aber noch gar nicht stattfanden.

Anscheinend war er selbst von Chinas Standfestigkeit überrascht, dass er zu solchen Winkelzügen greifen musste. Vermutlich hatte er damit gerechnet, dass die Chinesen rasch einknicken und ähnlich wie in seiner ersten Amtszeit eine schnelle Übereinkunft suchen. Dieser Schuss ist nach hinten losgegangen und nun gilt es zu retten, was noch zu retten ist. Denn die Uhr tickt.

Die Märkte wollen Ruhe haben und die Unternehmen Planungssicherheit. Notenbank und Ratingagenturen brauchen eine verlässliche Politik, auf deren Grundlage sie Entscheidungen treffen und Empfehlungen aussprechen können. Und die amerikanischen Verbraucher, viele davon Trumps Wähler, werden unruhig angesichts der Inflationserwartungen und der sich verschlechternden Aussichten in der Warenversorgung. Denn das meiste kommt mittlerweile aus China.

Die Frage ist also, wie es weiter gehen soll. Auf welchem Niveau sich die Zölle einpendeln, wird Ergebnis von Verhandlungen sein, die nun in der Schweiz geführt werden. Aber wer wird am besten aus diesem Konflikt herauskommen, wer wird am wenigsten politisch Federn lassen müssen? Während Trump und seine Vordenker sehr impulsiv vorgehen, getrieben vom Mythos amerikanischer Überlegenheit und Unbesiegbarkeit, handelt die Kommunistische Partei Chinas umsichtig, betrachtet die Grundlagen, die Interessen und die Kräfte, die die Entwicklungen treiben.

Deshalb war sie anders als zu Trumps erster Amtszeit vorbereitet und hatte sich weitgehend auf mögliche Veränderungen eingestellt. Die Volksrepublik blieb den Amerikanern keine Antwort schuldig und scheint bestens auf deren Handlungen vorbereitet, so irrational und schädlich diese auch immer sein mochten. Damit aber scheinen Trump und viele seiner Anhänger nicht gerechnet zu haben, und nun stehen sie vor dem Schlamassel, das sie selbst angerichtet haben und das für die USA keinen Vorteil zu bringen scheint.

Quellen und Anmerkungen

Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.

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(1) Chinadaily 1.4.2023 Erster Fünfjahresplan zur Modernisierung der Logistik vorgestellt

(2) ebenda

(3) China Global Television Network [CGTN] 5.2.2025 Chinesische Außenhandelsunternehmen reagieren aktiv auf die „Gegenzölle“ der USA

(4) Global Times(GT) 5.4.2025 Chinas Finanzoffensive zur Stützung des Wirtschaftswachstums nimmt Fahrt auf

(5) ebenda

(6) chinadaily 9.5.2025 EconoScope: Chinas Exportbeschränkung für Seltene Erden führt zu negativen Auswirkungen auf die Lieferkette der USA

(7) Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ 10.5.2025: China exportiert 20 Prozent mehr nach Deutschland

(8) ebenda 

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Seecontainerlager mit chinesischer Flagge
Bildquelle: FOTOGRIN / shutterstock 


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