Immer wieder wird der Volksrepublik der Vorwurf gemacht, durch staatliche Subventionen unlauteren Wettbewerb zu fördern und die Konkurrenzfähigkeit westlicher Unternehmen zu untergraben. Dabei hat der politische Westen maßgeblich zu dieser Situation mit beigetragen.
Ein Meinungsbeitrag von Rüdiger Rauls.
Alte Erfolge
Der vergangene Fünfjahresplan für die Jahre 2021 bis 2025 stand in der Volksrepublik unter dem Leitgedanken der Strategie „Made in China 2025“. Die chinesische Wirtschaft sollte zu einer Industriemacht weiterentwickelt werden. Anerkennung beziehungsweise Aufwertung ihrer Produkte auf dem Weltmarkt wurden angestrebt. Der chinesische Ministerpräsident Li Keqiang hatte die Forderung aufgestellt:
"Wir müssen international wettbewerbsfähige Unternehmen schaffen."(1)
"Made in China 2025" definierte Branchen wie Automatisierung- und Umwelttechnik, Automobile, Luftfahrt und Informationstechnologie, in denen die chinesische Wirtschaft kräftig zulegen sollte. Dabei ging es um die Ausweitung der Produktionskapazitäten und eine bessere Stellung chinesischer Produkte nicht nur auf dem Weltmarkt, sondern auch auf dem heimischen: Huawei-Handys statt iPhone, chinesische Elekroautos statt Tesla. Chinesische Waren sollten den westlichen gleichkommen in Ansehen, Qualität und Nachfrage.
Zum Erreichen dieses Ziels gehörte auch die Übernahme hoch entwickelter Unternehmen im Westen. Man wollte deren Technologie erwerben, aber auch deren Markennamen, weil sie international hohes Ansehen genossen. Denn "die Chinesen haben immer das Problem gehabt, dass sie sehr schwache Marken haben, die sie nicht globalisieren können"(2). Nach der Weltwirtschaftskrise von 2007/2008 war China im Westen auf Einkaufstour gegangen.
Statt ihre Rücklagen in US-Anleihen zu investieren, die sich gerade in der Krise als nicht sehr zuverlässig gezeigt hatten, übernahmen Chinesen renommierte Autofirmen wie MG, Volvo, Lotus, Borgward oder sonstige High-Tech-Unternehmen wie den deutschen Roboterhersteller Kuka. Im Jahr 2015 hatte China allein in Deutschland 179 Unternehmen mit fortschrittlicher Technologie gekauft. Es waren sehr häufig staatliche Unternehmen, die als Käufer auftraten.
Als im Jahr 2017 die Unternehmenskäufe in Deutschland mit über 12 Milliarden Euro einen neuen Höchststand erreicht hatten, schränkte die Bundesregierung die Käufe chinesischer Interessenten ein. Meinungsmacher aus Medien, Politik und Wissenschaft hatten Ängste geschürt vor einem Ausverkauf deutscher Technologie, Arbeitsplätze und Sicherheit. Der Wirtschaft selbst waren die chinesischen Investoren willkommen. Insgesamt kann festgestellt werden, dass im Verlauf des 14. Fünfjahresplans ein starker Anstieg der chinesischen Industrieproduktion durch Ausweitung der eigenen Kapazitäten als auch durch Zukäufe im Ausland eingetreten war.
Die Volksrepublik errang in einigen Industriebereichen eine weltweite Spitzenstellung wie in der Schiffsproduktion und Eisenbahntechnik, der Photovoltaik, Elektrofahrzeugen und deren Batterien sowie Computertechnologie und IT-Ausrüstung. Der wirtschaftliche Erfolg lässt sich ablesen an den Staatseinnahmen aus Steuern und Gebühren, die in der Zeit von 2021 bis 2025 etwa 155 Billionen Yuan (21,6 Billionen Dollar) ausmachten. Das sind 80 Prozent der gesamten Staatseinnahmen und das, obwohl es im gleichen Zeitraum Steuersenkungen in Höhe von zehn Billionen Yuan gegeben hatte. (3)
Neue Herausforderungen
Dass die chinesische Wirtschaft so stark gewachsen war, war Ergebnis konkurrenzfähiger Produktionsanlagen. Chinas Exporte wuchsen, weil der Weltmarkt die Produkte aufnahm, und der Weltmarkt wuchs, weil immer mehr chinesische Produkte zu sinkenden Preisen angeboten wurden. Diese Entwicklung war besonders bei der Photovoltaik auch im westlichen Alltag erkennbar.
Chinas steigende Exporte führten schon bald zu Handelsbilanzüberschüssen mit vielen Industrienationen. Im Jahr 2017, dem Beginn der ersten Amtszeit von Donald Trump, betrug das Defizit der USA im Handel mit China 375 Milliarden Dollar. Das wollte er durch Zölle auf chinesische Waren abbauen. Damit sollte die Konkurrenzsituation für US-Unternehmen verbessert werden, um wieder mehr Wirtschaftstätigkeit und Arbeitsplätze in die USA zurückzuholen.
Insgesamt belegte Trump chinesische Waren in Höhe von 360 Milliarden Dollar mit Zöllen bis zu 25 Prozent. Chinas Ausfuhren in die USA sanken um rund 37 Prozent. Diese Zölle wurden auch unter der Regierung von US-Präsident Biden nicht zurück genommen, teilweise sogar noch ausgeweitet. Bald nach Trumps ersten Zollanhebungen hatte auch die Europäische Union die Importe chinesischer Waren durch sogenannte Anti-Dumping-Zölle und ähnliche Maßnahmen eingeschränkt.
All diese Behinderungen durch den politischen Westen blieben natürlich nicht ohne Auswirkungen auf den Absatz chinesischer Unternehmen. Darunter litt die Auslastung ihrer Produktionsanlagen, die ja auf eine höhere Nachfrage des Weltmarktes und damit auch auf einen höheren Export ausgelegt waren. Daran wird deutlich, dass die vom politischen Westen immer wieder beklagten Überkapazitäten nicht Ergebnis übermäßiger staatlicher Förderung durch China sind.
Vielmehr ist staatliches Einschreiten vonseiten westlicher Regierungen, die Einschränkung der Importe durch die USA und die EU dafür verantwortlich. Man kann aber von der chinesischen Regierung nicht erwarten, dass sie die eigenen Unternehmen nicht schützt, wenn sie durch die Maßnahmen anderer Regierungen geschädigt werden. Dennoch ist festzustellen, dass die Führung der Volksrepublik eher zu Verhandlungslösungen neigte als zur Verhängung von Gegenzöllen.
Als 2019 die Corona-Pandemie ausbrach und viele Staaten Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ergriffen, erlitt der Welthandel durch die strengen Produktionseinschränkungen in China erhebliche Einbußen. Den Industriestaaten des Westens wurde plötzlich bewusst, wie stark sie auf Lieferungen aus China angewiesen waren, die sie bisher zunehmend behindert hatten. In der Folge versuchten sie, ihre Lieferketten unter Umgehung der Volksrepublik neu zu organisieren. Teilweise gelang es westlichen Unternehmen, auf Indien und Vietnam auszuweichen.
Neue Verhältnisse
All diese Entwicklungen hatten Einfluss auf die Auslastung der Produktionskapazitäten in China. Dass diese in der Folge das Aufnahmevermögen des Weltmarktes überstiegen, liegt zum einen daran, dass sich dessen Volumen und Struktur durch die protektionistischen Maßnahmen der USA und der EU verändert hatten. Es liegt aber auch daran, dass ja nicht nur China für den Weltmarkt produziert. Auch die westlichen Staaten bauen ihre Kapazitäten aus, um den Chinesen auf dem Weltmarkt Konkurrenz zu machen.
Darüber verlieren die Kritiker Chinas aber kaum ein Wort. Sie scheinen weiterhin verfangen in der Vorstellung, dass alle anderen Nationen sich den westlichen Interessen unterzuordnen haben. In Förderprogramme in den USA unter Biden (Chips-Act, Inflation Reaktion Act) und auch in der EU (Digitales Europa, Invest EU, EFRE), flossen Hunderte Milliarden. Sie führen zu einer zusätzlichen Ausweitung von Produktionskapazitäten mit dem Ziel, die technologische Entwicklung im eigenen Wirtschaftsraum zu fördern und die Vorherrschaft chinesischer Produkte auf dem Weltmarkt einzudämmen.
Darüber hinaus verfügen viele westliche Unternehmen, die bekanntesten darunter Apple und Tesla, selbst über eigene Produktionsstätten in der Volksrepublik und beliefern von dort aus den Weltmarkt. Die Im- und Exporte ausländischer Unternehmen beliefen sich nach den neusten Zolldaten allein in den ersten sieben Monaten dieses Jahres auf 7,46 Billionen Yuan (etwa 1 Billion Dollar), ein Plus von 2,6 Prozent. „Sie machten 29 Prozent des gesamten chinesischen Außenhandels“(4) aus.
Die Einschränkungen des Imports chinesischer Waren in den USA und der EU haben zu einem Absinken der Herstellerpreise in der Volksrepublik und der Verbraucherpreise auf den Weltmärkten geführt. Für die Menschen im Westen war das sehr deutlich an den Preisen für Solaranlagen nachzuverfolgen. So können in den vergangenen zehn Jahren Preisrückgänge von etwa 80 Prozent bei gleichzeitiger Steigerung der Leistungsfähigkeit der Module festgestellt werden. (5).
Diese Entwicklung der Preise nicht nur bei den Solarmodulen machten chinesische Produkte einem breiteren Publikum sowohl in den wohlhabenden, besonders jedoch in den Entwicklungsländern zugänglich. Gleichzeitig führten sie aber auch zu einer erhöhten Konkurrenz unter den Herstellern und zu sinkenden Gewinnen. So meldete die Frankfurter Allgemeine Zeitung Anfang dieses Jahres über die chinesische Wirtschaftsentwicklung:
„Im vergangenen Jahr[2024] legte der Verbraucherpreisindex nur um 0,2 Prozent zu [, und] die Erzeugerpreise sind seit zweieinhalb Jahren negativ“ (6).
Neue Politik
Diese Zahlen sind natürlich auch der chinesischen Führung bekannt. Sie weiß um den Verfall der Preise und vor allem um den Verfall der Ertragskraft, wenn auch die Umsätze und Exporte der chinesischen Wirtschaft immer noch weiter wachsen. Besonders der Export in die Länder des sogenannten Globalen Südens steigt aufgrund der sinkenden Preise, auch in die Asean-Region und vor allem in die Staaten entlang der Seidenstraße (7).
Trotzdem lässt sich die Führung nicht über die Gefahren täuschen, die von einer wachsenden Preiskonkurrenz unter den chinesischen Unternehmen selbst ausgeht. Nicht nur die Wirtschaft, auch die Banken, die diese Konkurrenz finanzieren, könnten durch etwaige Firmenzusammenbrüche in Schwierigkeiten geraten. So „sanken die Gewinne mittlerer und großer Industrieunternehmen im Mai im Jahresvergleich um 9,1 Prozent“ (8), weshalb die chinesische Führung vor Billigexporten zu Preisen unter den Herstellungskosten und vor „unfairen Wettbewerb“ warnt.
Noch appelliert man nur an die Unternehmen, „Marktdisziplin“ einzuhalten, und fordert Unternehmen und Verbände zur Entwicklung eines eigenen Verhaltenskodex auf. Gleichzeitig aber weist das Ministerium für Industrie und Informationstechnologie (MIIT) auch darauf hin, „dass es der Kapazitätssteuerung in Sektoren wie Fahrzeugen mit alternativen Antrieben und Photovoltaik Priorität einräumen wird“. (9) Man will unkontrollierten und ruinösen Wettbewerb verhindern. Die Führung warnt ausdrücklich vor der Einschränkung von Sicherheit und Qualität der Produkte zugunsten der Konkurrenzfähigkeit. Man wird Maßnahmen ergreifen, wenn die Wirtschaft selbst nicht in der Lage ist, das Problem zufriedenstellend zu lösen.
Um die Ertragslage der Unternehmen kurzfristig zu verbessern, hat die Regierung kurzfristig den privaten Konsum angeregt, der trotz hoher Sparguthaben der Chinesen immer noch weit unter dem der OECD-Staaten liegt. Sie fördert mit Zuschüssen den Kauf neuer Haushaltsgeräte gegen Entsorgung älterer. Langfristig aber soll die Massenproduktion unter sinkenden Erlösen ersetzt werden durch eine Produktion mit höherer Wertschöpfung. Unter dem Begriff „qualitativ hochwertige Entwicklung“ werden Investitionen in die Hightech-Fertigung und strategisch wichtige Wachstumsbranchen bevorzugt unterstützt. Ziel ist die „Verwirklichung der sozialistischen Modernisierung“ (10).
Quellen und Anmerkungen
(1) Deutsche Wirtschaftsnachrichten vom 12.6.2016 "Target" Deutschland
(2) ebenda
(5) Quelle: https://echtsolar.de/preisentwicklung-solarmodule/#tve-jump-195b069c8ac
(6) FAZ vom 18.1.2025: Wachstum wie gewünscht
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Rüdiger Rauls ist Reprofotograf und Buchautor. Er betreibt den Blog Politische Analyse.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Produktionsband mit Kartons "Made in China"
Bildquelle: Maxx-Studio / shutterstock
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