Zehn sehr poröse Säulen
Eine Rezension von Eugen Zentner.
Es ist ein vielversprechender Titel, den US-Philosophie-Professor Jason Stanley gewählt hat, einer, der Neugier weckt, vor allem in der heutigen Zeit gesellschaftspolitischer Unruhen. Die Verhältnisse seit der Corona-Krise deuten tatsächlich darauf hin, dass der faschistische Geist mittlerweile auch in liberalen Demokratien sein Unwesen treibt. Im englischen Original erschien das Buch jedoch schon 2018, also lange vor der Maßnahmenpolitik. Dass der durchaus zeitkritische und unangepasste Westend-Verlag das schmale Werk nun in deutscher Sprache veröffentlicht hat, lässt zunächst vermuten, es enthalte Aussagen, die überzeitlich sind und auch auf die heutige Situation zutreffen. Diese Hoffnung löst sich jedoch schon nach wenigen Seiten in Luft auf.
Wieder einmal wird faschistische Politik nur im rechten Ideologiespektrum verortet. Wenn es sie gibt, kann sie nur nationalistisch sein, so der Tenor. Dass faschistische Politik auch andere Ausprägungen haben kann – beispielsweise eine linke, grüne oder woke –, wird allenfalls hauchdünn gestreift, und wenn, dann im Hinblick auf den Kommunismus des 20. Jahrhunderts. Dass die gegenwärtige Politik beispielsweise der US-Demokraten oder der Ampel-Koalition ähnliche Elemente aufweist, wird unterschlagen – sogar im aktualisierten Vorwort. Der heutigen Politik seit der Corona-Krise kann man nun unterschiedliche Namen geben, welche, darüber lässt sich streiten – aber faschistisch ist sie, zumindest wenn man Stanleys Definition folgt:
„Das bezeichnendste Symptom faschistischer Politik ist die Spaltung. Sie zielt darauf ab, die Bevölkerung in ein ‚Wir‘ und ein ‚Sie‘ zu trennen.“
Gilt das nicht für die heutige Politik? Wurde während der Corona-Krise die Gesellschaft nicht in „Corona-Leugner“ und „solidarischen Bürgern“ geteilt, in „Gefährder“ und „Vernünftige“? Werden im Zuge des Ukraine-Kriegs und zunehmender Waffenlieferungen an Kiew nicht alle als „Lumpenpazifisten“ und „Putinversteher“ diffamiert, die sich für eine diplomatische Lösung einsetzen? Insofern ist Stanleys Aussage zutreffend, und in seinem Buch finden sich weitere, die zu allgemeinen Grundsätzen taugen – solange sie abstrakt bleiben. Ein weiterer korrekter Satz ist dieser:
„Faschistische Politik verleugnet die dunklen Momente in der Vergangenheit einer Nation.“
Leugnet nicht auch die gegenwärtige Bundesregierung die dunklen Momente der Corona-Zeit, die Grundrechtseinschränkungen etwa, die Ausgrenzung Ungeimpfter, den Maskenzwang? Wird nicht auf Biegen und Brechen die Aufarbeitung vermieden, ja boykottiert? Selbst nach der Veröffentlichung der gänzlich entschwärzten RKI-Protokolle, aus denen hervorgeht, dass die oberste Gesundheitsbehörde ihre Unabhängigkeit von der Politik eingeschränkt sah.
Manche von Stanleys Thesen klingen plausibel, bekommen jedoch Risse, wenn der Autor sie auf konkrete Phänomene bezieht. Spricht er etwa von Spaltung, dann klingt das eindimensional. Faschistische Politik appelliere immer an „ethnische oder religiöse Differenzen“. Wenn Stanley faschistische Politik plastisch machen und sie durchbuchstabieren will, dann verwendet er stets nur den damaligen US-Präsidenten Donald Trump, den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán oder Parteien wie die deutsche AfD, die französische Rassemblement National und die polnische PiS als Folie. Je länger der Philosophie-Professor seine Gedanken ausbreitet, desto deutlicher wird es, dass er sich im Fahrwasser der Woke-Ideologie bewegt. Seine Thesen verwandeln sich schlagartig in Phrasen aus den Lautsprechern der Mainstreampresse, in herrschende Narrative heutiger Meinungswächter.
Stanleys Gedankenkonstrukt über die Funktionsweise faschistischer Politik basiert auf „zehn Säulen“. Sie tragen Namen wie „Propaganda“, „Hierarchie“, „Sexuelle Ängste“ oder „Die Opferrolle“. Hier und da finden sich durchaus überzeugende Aussagen, auch wenn sie stark verkürzt und aus der Perspektive der Woke-Ideologie dargelegt sind. Allerdings trifft man gelegentlich auf Thesen, die geradezu absurd anmuten, am deutlichsten im Abschnitt zum „Anti-Intellektualismus“.
„Faschistische Politik“, heißt es dort, „zielt darauf ab, die Glaubwürdigkeit von Institutionen wie Medien und Hochschulen, in denen unabhängige, abweichende Stimmen zu hören sind, so lange zu untergraben, bis man sie durch Institutionen ersetzen kann, die diese Stimmen verschweigen lassen.“
Stanley hat hier wieder einmal Trump im Blick, der schon in seiner Präsidentschaftszeit den Leitmedien tendenziöse Berichterstattung vorwarf. Dass diese Kritik berechtigt war, hat sich in der Corona-Zeit bestätigt. Die Leitmedien verdrehten die Fakten und tun es immer noch. Anders als der Philosophieprofessor behauptet, sind „unabhängige, abweichende Stimmen“ dort nicht zu hören. Diese werden in Schmähartikeln verächtlich gemacht und aus dem Diskurs verdrängt. Wolfgang Wodarg, Stefan Homburg, Michael Ballweg – die Liste der Betroffenen ist lang. In den letzten Jahren hat sich deutlich gezeigt: Wer den Regierungskurs nicht mitträgt, den herrschenden Narrativen widerspricht oder gegen Prinzipien der Woke-Ideologie verstößt, bekommt das Etikett „Sie“, so wie es Stanley in seinen Ausführungen zur faschistischen Methode der Spaltung beschreibt.
Ebenso wenig kann den Forschungseinrichtungen Glaubwürdigkeit attestiert werden. Es sei nur auf das Buch „Schildkröten bis ganz nach unten“ verwiesen, in dem die Autoren detailreich nachweisen, wie Wissenschaftler Studien zu Impfstoffen bewusst manipulieren, um die Hersteller nicht in Misskredit zu bringen. Nicht selten stehen sie auf der Gehaltsliste der Pharmaindustrie oder sind von deren Forschungsgeldern abhängig. Der Philosophieprofessor Stanley scheint diese Mechanismen nicht zu kennen: „Die faschistische Politik würdigt Universitäten im öffentlichen Diskurs herab; sie diskreditiert Akademiker als legitime Vermittler von Wissen“, schreibt er und wirkt dabei ein wenig naiv. Für ihn ist es „Anti-Intellektualismus“, wenn man den Leitmedien und Universitäten nicht vertraut. Doch das Vertrauen haben beide Institutionen in den letzten Jahren gänzlich verspielt. Dieser Meinung ist nicht nur Trump, sondern auch ein nicht geringer Teil der Bevölkerung, sowohl diesseits als auch jenseits des Atlantiks.
Nach solchen haarsträubenden Aussagen stellt sich die Frage, warum der Westend-Verlag «Wie Faschismus funktioniert» überhaupt übersetzt und auf den deutschen Markt gebracht hat, ein Buch, in dem – man kann es kaum glauben – Hillary Clinton als integre Vorbilddemokratin gepriesen und George Soros als „Philanthrop“ bezeichnet wird. Die Reproduktion solcher Phrasen sorgt genauso für Unverständnis wie die Wahl Rahel Jaeggis für das Vorwort. Die deutsche Philosophieprofessorin gibt sich darin ebenfalls als Verfechterin der Woke-Ideologie zu erkennen und wärmt sämtliche Mainstreamnarrative auf, einschließlich der Lüge rund um das Potsdamer Treffen. Dass dort das Wort „Deportation“ nie gefallen war, musste Correctiv, der Verbreiter dieses Märchens, mittlerweile vor Gericht einräumen. Bis zu den beiden Professoren aus der Mainstreamblase dürfte das nicht durchgedrungen sein. So viel zum Anti-Intellektualismus.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: No-Mad / shutterstock
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