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Buchrezension: „Hegemonie oder Untergang“ | Von Eugen Zentner

Buchrezension: „Hegemonie oder Untergang“ | Von Eugen Zentner

Von den Unterdrückungspraktiken des Westens 

Eine Rezension von Eugen Zentner zum neuen Buch von Rainer Mausfeld. 

Der Kognitionsforscher Rainer Mausfeld ist einer der wenigen Intellektuellen in Deutschland, die echte Machtkritik betreiben. In seinen Schriften beschreibt er unter anderem, wie die herrschenden Eliten demokratische Strukturen schrittweise unterhöhlen und dabei zunehmend auf Soft-Power-Methoden setzen, um auf der Oberfläche die Illusion aufrechtzuerhalten, dass das Volk der Souverän ist. 

In „Warum schweigen die Lämmer?“ legte er bereits das ganze Instrumentarium offen, mit dem die Mächtigen ihre Interessen subtil durchsetzen, ohne dass sich Widerstand regt. In „Angst und Macht“ konzentrierte sich Mausfeld dann auf die Angsterzeugung als eine der wesentlichen Herrschaftstechniken, während er in dem zuletzt erschienen Großwerk „Hybris und Nemesis“ wieder zu seinen Kernthesen zurückkehrte, den Akzent jedoch auf den drohenden Bumerangeffekt setzte: Die Gewalt der Mächtigen richtet sich zunehmend gegen sie selbst. 

Mausfelds neues Buch „Hegemonie oder Untergang“ setzt an diesem Punkt an, operiert aber nicht mehr auf der Achse „Eliten versus Bürger“, sondern auf dem Feld der Geopolitik. Als Unterdrücker treten hier die Staaten des sogenannten Westens auf, die seit Jahrhunderten die gleichen Methoden anwenden, um über andere Länder zu herrschen. Doch auch das kann nicht gut ausgehen, wie der Untertitel in Frageform insinuiert: „Die letzte Krise des Westens?“ 

Obwohl Soft-Power-Techniken in diesem Werk ebenfalls zur Sprache kommen, beschäftigt sich Mausfeld mehr mit den brachialen Praktiken. Es ist viel von „militärischer und ökonomischer Gewalt“ die Rede, von Kriegen und Konflikten. Der Westen, so lässt sich die Hauptaussage zusammenfassen, sichert mit derlei Methoden seine Hegemoniestellung ab. Seine privilegierte Lebensform beruht auf der Ausbeutung schwächerer Länder. Um dies zu belegen, zieht Mausfeld zahlreiche Studien heran, zitiert Werke namhafter Intellektueller oder unternimmt geschichtliche Exkurse. Zwischendurch illustrieren mehr oder weniger bekannte Bilder in Schwarzweiß, was der Autor in Worte kleidet. 

Doch der Inhalt deckt sich größtenteils mit dem seiner vorherigen Bücher, sodass neue Aussagen rar gesät sind. Der Text mäandert ziellos hin und her, ohne einer bestimmten Struktur zu folgen. Sprunghaft hangelt sich Mausfeld durch das bekannte Begriffsdickicht aus Kapitalismus, Neoliberalismus, Wahloligarchie und Empörungsmanagement. Alles Themenfelder, zu denen er schon mehrfach etwas gesagt hat, die er aber dennoch ein weiteres Mal aufwärmt. Gleiches gilt für den Abgesang der Aufklärung. In „Hegemonie oder Untergang“ beschreibt er die Gegenwart sogar als eine Zeit der „radikalen Gegenaufklärung“. Indizien dafür sieht er in dem Gaza-Krieg: „Kein Ereignis in der westlichen Welt führt dies schonungsloser vor Augen als Israels Völkermord an den Palästinensern.“

Mausfeld geht mit Israel hart ins Gericht, kritisiert vor allem die Strategie des Aushungerns und bettet sie in den Kontext der westlichen Unterdrückungspraxis ein – ebenso wie ein Instrumentarium, das seit geraumer Zeit regelmäßig die Schlagzeilen bestimmt: „Zu den Methoden brutalster Gewaltausübung gegen die Zivilbevölkerung gehört auch die Erzeugung von humanitären Katastrophen durch Sanktionen.“ Als Beispiel dienen die USA. Heute werde ein Drittel aller Nationen mit irgendeiner Form von US-Sanktionen belegt, so Mausfeld: „Mehr als 60 Prozent aller armen Länder unterliegen irgendeiner Art von US-Sanktionen.“

Dass diese Unterdrückungstechnik Russland in die Knie gezwungen hätte, kann der Autor jedoch nicht behaupten – tut er auch nicht. Stattdessen weist er auf die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs hin und wirft dem Westen vor, Moskaus Angriff provoziert zu haben. Auch diese Erkenntnis ist nicht neu, was die beinahe täglich erscheinenden Beiträge alternativer Medien belegen, in denen diese Zusammenhänge immer und immer wieder erläutert werden.

Neu in Mausfelds Begriffsgebrauch ist hingegen das Bild des „ideologischen Gebäudes“.

Dabei handle es sich um ein Gebilde „aus Scheinwelten und aus Aspekten einer Phantomwelt, in dem nicht nur die Wahrnehmung der Realität trügerisch“, sondern zugleich der gesamte Fühl- und Denkraum einschließlich des inneren Bildes von sich selbst verzerrt sei. In diesem „ideologischen Gebäude“ befindet sich auch die Zivilbevölkerung: Um deren Zustimmung für seine Gewalt zu gewinnen, schreibt Mausfeld, habe der Westen ökonomische Gewalt nahezu unsichtbar gemacht und die Methoden einer moralistischen Verbrämung seiner organisierten rohen Gewalt stetig weiter verfeinert. 

Doch die geopolitischen Bedingungen haben sich geändert. Zahlreiche Staaten, vor allem die südlichen, arbeiten gemeinsam an einer multipolaren Weltordnung. An dieser Entwicklung hat der Westen hart zu knabbern, diagnostiziert Mausfeld. Indizien dafür sieht er in dem dauerhaften Krisenzustand. Dieser sei der Ausdruck dafür, „dass die vom Westen geschaffenen ideologischen Scheinwelten mit den auf eine Multipolarität gerichteten geopolitischen Realitäten nicht mehr in Einklang zu bringen sind. Also zeigt der Hegemon sein autoritäres Gesicht, schlägt wild um sich, sticht zu wie eine aggressive Biene im Herbst. Mausfeld bemüht in diesem Zusammenhang mehrmals den Ausdruck „Endspielmodus“, in dem der Westen auch Krieg gegen den Iran führe. Im Wesentlichen ziele dieser darauf ab, „den wachenden geopolitischen Einfluss der in BRICS lose zusammengeschlossenen Staaten einzudämmen und die Entstehung einer multipolaren Weltordnung zu blockieren.“ 

Leider bleiben viele Ausführungen auf dieser allgemeinen Ebene, ohne dass Mausfeld gerade bei den Unterdrückungstechniken in die Tiefe geht. Dabei sind sie es, die interessieren, über die große Teile der Bevölkerung zu wenig wissen und die daher in ihrer Funktionsweise erläutert werden müssten. Wie sehen sie aus? Welche Wirkung zeitigen sie? Was macht sie so tückisch? Wie kann man sie erkennen, wie entkräften? Wer das weiß, wird sich eher gegen die Mächtigen auflehnen, wie Mausfeld es auch in diesem Buch fordert. In „Warum schweigen die Lämmer?“ begründete er den Verzicht auf eine ausgiebigere Auseinandersetzung mit jenen Fragen noch damit, dass sie „in recht technische Bereiche der Psychologie“ führen würde. Das wäre eine Herausforderung, der sich der Autor in einer Monographie stellen könnte. Eine Vertiefung in diese „technischen Bereiche“ hätte sicherlich größeren Mehrwert als die Wiederholung markanter Kernthesen.

Bis ein solches Buch aber erscheint, beschreibt Mausfeld zunächst, worum es in der gegenwärtigen Krise des Westens geht. Dieser stehe vor der Wahl zwischen zwei Bewältigungsmöglichkeiten: entweder das jahrhundertealte ideologische Gewölbe zur Rechtfertigung seines globalen Hegemonieanspruchs aufbrechen und sich in eine multipolare Weltordnung eingliedern. Oder aber auf seiner hegemonialen parasitären Lebensform durch massive Vergrößerung beharren. „Aus der Innenperspektive des ideologischen Gewölbes“, so die Schlussfolgerung, „gibt es diese Wahl jedoch nicht“. Der Westen „hat sich zur Verteidigung seiner Hegemonieansprüche und zum Erhalt seiner parasitären Lebensform für eine Steigerung seiner Gewalt entschieden“.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bild: Kleiner Globus mit Handgranate daneben
Bildquelle: Teacher Photo / shutterstock


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