Eine Rezension von Eugen Zentner.
Die Weltgemeinschaft befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Sichtbar wird das nicht nur in neuen geopolitischen Blockbildungen im Zuge des Ukraine-Kriegs, sondern auch auf dem Feld der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Die westlichen Industriestaaten verlieren dabei immer mehr an Bedeutung. Auch wenn die hiesigen Leitmedien dies konsequent zu verheimlichen versuchen, außerhalb Europas entstehen gigantische Infrastrukturprojekte, insbesondere unter Einbeziehung zahlreicher Länder des Globalen Südens.
Nicht wenige Sprechen vom Beginn einer multipolaren Welt, auch der Journalist Stephan Ossenkopp, der in seinem Blog kontinuierlich über die aktuellen Entwicklungen berichtet. 62 Beiträge aus dem Jahr 2024 hat er in seinem kürzlich erschienen Buch gebündelt. In der titelgebenden multipolaren Welt, schreibt Ossenkopp,
„geht es nicht darum, eine neue Form der Dominanz zu schaffen, sondern darum, dass alle souveränen Nationen gleichberechtigt miteinander Handel treiben können und jeder seinen eigenen Vorteil daraus zieht.“
In seinen Beiträgen beleuchtet er diese aus verschiedenen Perspektiven. Er stellt Entwicklungsprojekte vor, fasst die jüngsten Ereignisse zusammen, berichtet von Gipfel-Treffen, übersetzt Ausschnitte aus Interviews und Reden namhafter Politiker und zitiert aus Studien und Papieren unterschiedlicher Forschungsteams.
Im Zentrum der multipolaren Welt steht die Staaten-Vereinigung BRICS. Das Akronym steht für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Sie alle haben seit Jahren genug von einem Wirtschaftssystem, in dem die westlichen Länder und insbesondere die USA Dominanz ausüben. Sie haben genug von Ausbeutung, Willkür und unfairen Handelsbedingungen. Sie wollen mitbestimmen und mitgestalten. Deshalb bauen sie neue Strukturen auf und finden international zunehmend Zuspruch. Immer mehr Länder schließen sich an.
Die Kooperationsbereitschaft trägt Früchte, Ossenkopps Buch liefert dafür den Beweis. Man erfährt unter anderem, inwieweit Weichen für ein alternatives Finanzsystem gestellt und der Welthandel entdollarisiert wird oder welche Vorteile die neue Seidenstraße mit sich bringt. Ganz nebenbei liefert er Informationen über wirtschaftliche Entwicklungen in Ländern, die hierzulande allenfalls als Urlaubsziele bekannt sind, Länder wie Thailand. Dieses sei jedoch auch ein bedeutender Produzent von elektronischen Bauteilen für Unternehmen wie LG, Samsung und Sony, so der Autor. Davon dürften künftig eher die Länder des Globalen Südens profitieren:
„Wie das Auswärtige Amt in Bangkok mitteilte, wolle man die wirtschaftlichen Beziehungen zu allen BRICS-Mitgliedstaaten stärken, vor allem in den Bereichen Handel, Investitionen, Finanzen, Ernährungssicherheit und Energieversorgung."
Vor diesem Hintergrund erweist sich Europa als der große Verlierer – das wiederholt Ossenkopp immer und immer wieder. Im Handel mit dem Globalen Süden verschieben sich die Beziehungen. Das kommt vor allem Russland und China zugute. Beide Länder betrachtet der Autor als Säulen der multipolaren Welt. Der Handel zwischen den beiden Ländern habe in den letzten Jahren stark zugenommen, schreibt er. Die Volksrepublik liefere seinem Partner Technologien und Maschinen, während sie im Gegenzug wichtiges Know-how erhält, unter anderem darüber, wie sich westliche Sanktionen abwehren lassen. In einem Beitrag geht der Autor explizit darauf ein, indem er chinesische Politiker zitiert, die davon sprechen, dass ihr Land mit Russlands Hilfe in die Lage versetzt worden sei, zukünftigen Finanz- und Wirtschaftssanktionen des Westens selbstbewusster und widerstandsfähiger zu begegnen.
Gleichzeitig wird darauf eingegangen, wie westliche Medien oder Politiker Kampagnen gegen neue BRICS-Mitglieder ausweiten oder versuchen, Russlands Partner zu spalten. Ossenkopp demonstriert es beispielsweise anhand eines Offenen Briefs Andrij Melnyks an Brasiliens Präsident Lula da Silva. Der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland ist mittlerweile diplomatischer Vertreter in Brasilien, macht aber immer noch eher mit markigen Worten auf sich aufmerksam als mit verbindlichen Gesten. Ossenkopp entlarvt solche Propagandabemühungen und arbeitet heraus, dass sie im Globalen Süden ins Leere laufen. Die alte Ordnung unter der Führung der USA löst sich auf und bietet neue Chancen für alle, die sich auf dem Weltmarkt ernsthaft um Gleichberechtigung bemühen.
Das Potential ist gewaltig, wie der Autor hervorhebt und dabei stets Deutschland in die Pflicht nimmt. In mehreren Beiträgen wird an die Bundesrepublik appelliert, den Trend zu erkennen, anstatt „im Anachronismus-Syndrom zu verharren“. Deutschland sollte sich nicht der Aufrechterhaltung einer überholten, auf willkürlichen Regeln basierenden Ordnung verschreiben und die damit verbundene Gewalt, Konflikte, Kriege und Vertreibungen dulden oder gar fördern, schreibt er:
„Der Druck auf Deutschland, im Interesse des Globalen Südens zu handeln, wird von Tag zu Tag größer, ob Berlin das zur Kenntnis nimmt oder nicht.“
Nach Ansicht Ossenkopps braucht auch Deutschland eine positive und produktive Partnerschaft mit den Schwellen- und Entwicklungsländern des Globalen Südens: „Gemeinsame Projekte, Handelsbeziehungen, kultureller Austausch und die Einbettung in eine gleichberechtigte und gerechte multipolare Ordnung sollten das erklärte Ziel aller in der heutigen Zeit sein“, lautet sein Plädoyer. Aus den Ausführungen wird ersichtlich, dass Ossenkopp sich in diesem Bereich so gut auskennt wie nur wenige Journalisten. Davon zeugen Exkurse in Themenfelder, die als sehr spezifisch gelten und über die hierzulande kaum berichtet wird. Insofern erweitert das Buch in vielerlei Hinsicht den Horizont, insbesondere weil es einen Blick auf Afrika, Asien und Südamerika wirft.
Damit schließt Ossenkopp eine gewaltige Lücke, die hiesige Journalisten hinterlassen haben. Ihre Berichterstattung bleibt immer noch innerhalb der westlichen unipolaren Welt. Außerhalb ihrer Grenzen herrscht aber viel Bewegung, so viel, dass EU-Bürger sich in ein paar Jahren vermutlich die Augen reiben müssen. Gerade die jüngere Generation ist gut beraten, Ossenkopps Buch zu studieren, um nicht die gleichen Fehler zu machen wie die frühere und gegenwärtige Politikerriege. Ansonsten wachen sie in einer multipolaren Welt auf, deren Vorteile sie nicht nutzen können.
Hier geht es zum Buch: https://buchshop.bod.de/die-multipolare-welt-stephan-ossenkopp-9783769357141
Hier geht es zum Blog von Stephan Ossenkopp: https://ossenkopp.substack.com/
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bild: Skyline von Bangkok
Bildquelle: Anuchit kamsongmueang / shutterstock
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