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Buchrezension: "Kunst und Kultur gegen den Strom"

Buchrezension: "Kunst und Kultur gegen den Strom"

Aus dem großen Rampenlicht verdrängt und trotzdem da

Eine Rezension von Tilo Gräser.

Eine, wenn auch unvollständige, Bestandsaufnahme der „Kunst und Kultur gegen den Strom“ – nicht mehr und nicht weniger bietet das gleichnamige Buch von Eugen Zentner. Im Fokus stehen dabei Künstlerinnen und Künstler verschiedener Genres, die sich spätestens mit der Corona-Krise vom Mainstream verabschiedeten oder verabschieden mussten. Sie gerieten ins Visier jener, die das praktizieren, was „Cancel Culture“ genannt wird und nichts mit Kultur zu tun hat, sondern deren Zerstörung betreibt.

Zentner stellt in seinem Buch eine ganze Reihe der Künstler vor, die sich nicht einschüchtern ließen und sich alternative Möglichkeiten suchten, um aufzutreten, ihre Werke zu zeigen und auch sich einzumischen in den Gang der Dinge. In deren Folge wurden sie an den Rand gedrängt, weil sie Fragen stellten, Kritik übten und nicht einverstanden waren, mit dem, was politisch und damit auch kulturell vorgegeben wurde. Anders als viele andere Musiker, Kabarettisten, bildende Künstler oder Literaten ließen sie sich nicht einspannen von jenen, die die Gesellschaft im angeblichen Kampf gegen ein Virus in Geiselhaft nahmen.

Die Liste derjenigen prominenten und etablierten Künstler aus verschiedenen Bereichen, vor allem aus der Popkultur, die sich von der Corona-Politik vereinnahmen ließen, ist lang. Die Zahl derjenigen, wie die Künstler, die Zentner in seinem Buch vorstellt, die nicht mitgemacht haben, ist leider überschaubar. Sie haben sich zum Teil gewehrt und versucht, mit ihren Mitteln aufzuklären über das, was passiert.

Der Autor hat mit ihnen gesprochen und gibt wieder, was sie bewegte, wie sie neue Wege fanden, aufzutreten und weiter ihre Kunst zu machen, aber auch, was sie an Ausgrenzung und Zwang erlebten. Darunter sind bekannte Kabarettisten wie Uwe Steimle und Lisa Fitz, aber auch bis dahin Unbekanntere aus dem Metier wie Ludger K., Uli Masuth oder Franz Esser. Die haben im alternativen Bereich ein neues Publikum und auch neue Formen und Veranstaltungsorte gefunden.

Das Spektrum der Beispiele reicht vom Kabarett über Musik, bildende Kunst bis zur Literatur. Die Liste der Künstler, die unangepasst, mutig und zugleich verbindend waren und sind, ist nicht so lang wie die jener, die mitgemacht haben. Zu ihnen gehören die genannten Kabarettisten, Musiker wie Tino Eisbrenner, Yann Song King, El Alemán, Alien‘s Best Friend oder Jens Fischer Rodrian, Fotografen wie Marc Bernot oder Hannes Henkelmann, das Künstlerkollektiv von der „Internationalen Agentur für Freiheit“ (IAFF), Karikaturisten wie Bernd Hochmiller oder Bernd Zeller, Lyriker wie Christoph Köhler oder Nina Proll, und viele weitere, die hier nicht alle genannt werden können.

Wie auch das Buch selbst keinen vollständigen Überblick über die widerständigen Künstler in der Bundesrepublik und dem deutschsprachigen Raum gibt und geben kann. Da fehlen eine ganze Reihe, wie der Chansonnier Boris Steinberg aus Berlin, der mit seinen „ChanGsonGs ohne G´s“ Formen und auch Orte fand, weiter zu singen, aufzutreten und seine Meinung über den grassierenden Irrsinn kundzutun. Steinberg erlebte, was Zentner ebenfalls beschreibt: Viele Veranstalter engagierten jene Künstler und Musiker nicht mehr, die sich kritisch zu den Corona-Maßnahmen äußerten.

„Nicht zufällig zielt die Cancel Culture darauf ab, unliebsame Künstler aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen“, so der Autor. Das geschah unter anderem, in dem Veranstalter die Auftritte und geplanten Abende absagten. Sie buchten die Künstler nicht mehr und beugten sich Hetzkampagnen über die Online-Plattformen. Wer nicht dem Mainstream folgte, bekam keine Veranstaltungs- und Auftrittstermine mehr, was für viele existenzielle Sorgen und Probleme brachte. Es ist die Rede von einer ganzen Reihe an Selbstmorden unter Künstlern in der Folge.

Zentner geht in seinem Buch auch darauf ein und zeigt, wie Künstler ebenso wie das kritische und widerständige Publikum sich neue Orte und Auftrittsmöglichkeiten schufen. Sie warteten nicht darauf, bis der etablierte Kulturbetrieb 2022 wieder die Bühnen und Ausstellungshallen öffnete. „Die Einschränkungen endeten weitgehend, aber das Leben wurde nicht unbedingt leichter, zumindest nicht für zeitkritische und unangepasste Künstler“, erinnert der Autor.

Es wurde für viele von ihnen nicht leichter, da dem Virus der politisch und medial befeuerte Hass gegen Russland und alles Russische folgte. Wer sich nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 für Frieden und Verständigung mit Russland aussprach und einsetzte, wurde als „Russland-Versteher“ oder „Lumpenpazifist“ diffamiert – und erneut ausgegrenzt. Es traf oft jene, die zuvor schon als „Corona-Leugner“ oder „Querdenker“ ins Abseits gestellt wurden.

In dem Buch werden zahlreiche alternative Konzertreihen, Festivals und Friedensfeste vorgestellt, ebenso wie Wettbewerbe und alternative Preisverleihungen sowie neue Initiativen und Veranstalter. Darunter sind die Solidaritätskonzerte für Julian Assange in der Berliner Musikbrauerei, „DAS FESTIVAL“ in Weimar oder die Friedensfeste im Berliner Mauerpark. Leider sind bis auf das Weimarer Festival kaum ähnliche Veranstaltungen außerhalb der Hauptstadt aufgeführt, was sich sicher in einer neuen Auflage nachholen lässt.

Zentner erwähnt bei den alternativen Wettbewerben unter anderem den „Red Carpet Award“ für unabhängige Künstler in verschiedenen Bereichen sowie den „NuoVision Songcontest“. Auch hier fehlen weitere Beispiele aus dem Land, die es sicher gibt. Auch bei den alternativen Initiativen und Veranstaltern wäre noch neben den vorgestellten „Kunst ist Leben“ und „Krasser Guru“ viel zu ergänzen. Denn es gibt noch viel mehr Beispiele dafür, dass die alternative Kulturszene „einen stattlichen Umfang“ erreicht hat, wie der Autor feststellt. Er verweist darauf, dass er auch aus Platzgründen nur eine Auswahl treffen konnte.

Aber er dankt auch jenen, die sich nach anfänglichem Engagement wieder zurückzogen, auch ermüdet vom Widerstand gegen einen schier allmächtigen Kulturapparat und durch eine gegenüber „Abweichlern“ feindliche Atmosphäre in der Gesellschaft. Ebenso erwähnt Zentner jene, die ungenannt an vielen Orten ähnliches leisten wie die angeführten Künstlerinnen und Künstler, Initiativen und Veranstalter.

Die „blinden Flecken“ seien „zugleich ein Hoffnungsschimmer“, die Mut machen und die Zuversicht nähren, „dass in ein paar Jahren ein dickeres Buch zu diesem Thema geschrieben werden muss“, so Zentner in seinem Fazit im Buch. Er warnt darin davor, dass Kunst „öde und langweilig“ wird, wenn sie das Feld der „Cancel Culture“ überlässt, und dass sie in dem Fall ihre gesellschaftliche Funktion als Korrektiv verliert und zum Propagandainstrument verkommt. Die nonkonformistische Kunst und die alternative Kulturszene brauche deshalb Unterstützung, mahnt er.

Mit seinem Buch richtet er den Schweinwerfer auf jene, die aus dem großen Rampenlicht gedrängt wurden und werden. Er macht auf die aufmerksam, die dort vielleicht nie waren, aber mit ihrer Kunst auch dort hingehören. Wenn er zu Beginn feststellt, dass die Kunst- und Kulturbranche die Aufgabe habe, in Krisenzeiten auf Missstände hinzuweisen, „den Finger in die Wunde zu legen“, aufzubegehren und anzuklagen sowie Lösungen und Utopien zu entwerfen, dann erwartet er etwas zu viel von Kunst und Kultur. Diese sind immer eng verbunden mit der Gesellschaft und deren Zustand und sind so auch deren Spiegel.

Der palästinensisch-US-amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said machte vor 30 Jahren in seinem Buch „Kultur und Imperialismus“ auf etwas Grundlegendes in dem Zusammenhang aufmerksam: „Ich bin überzeugt, dass die Kultur sehr effektiv daran arbeitet, tatsächliche Verbindungen unsichtbar, wenn nicht ‚unmöglich‘ zu machen, die zwischen der Welt der Ideen und der Wissenschaft auf der einen Seite und der Welt roher Politik, unternehmerischer und staatlicher Macht und militärischer Stärke auf der anderen Seite existieren.“ Das ist unbedingt zu beachten bei der Frage, wie Kunst und Kultur Teil des Widerstandes sein können, eine Frage, mit der sich Said ebenfalls beschäftigte. So wie Widerspruch und Widerstand nur ein Teil der Gesellschaft und ihrer Prozesse sind, sind sie es auch nur im Beriech von Kunst und Kultur.

Das alles schmälert nicht den Wert des empfehlenswerten Buches von Zentner, ebenfalls Literaturwissenschaftler. Es ist beim kleinen Massel Verlag in dessen Reihe „The Great WeSet“ erschienen, nach „Alternativen in Medien und Recht“ (Walter van Rossum) und „Wirtschaft und Finanzen neu gedacht“ (Ulrich Gausmann). Die Reihe ist der Gegenöffentlichkeit gewidmet, die in Folge der Corona-Krise, aber auch schon vorher, entstand und die angesichts der grundlegenden Krisen weiter notwendig ist.

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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.

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Bildquelle: GAS-photo / shutterstock


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