Warum Europa in einen Krieg schlittert, den es nicht gewinnen kann
Ein Meinungsbeitrag von Günther Burbach.
Es sind nicht mehr nur Warnungen. Es sind Realitäten. Frankreichs und Großbritanniens Militärchefs reisen in die Ukraine, um eine direkte europäische Präsenz vorzubereiten. "Nur Berater" heißt es, wie in Afghanistan, wie im Irak, wie immer, wenn die Angst vor der Wahrheit größer ist als der Mut zur Ehrlichkeit. Doch die Konsequenz ist klar: Europa bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit auf einen Krieg zu, der jenseits der Ukraine geführt werden könnte, nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen den Rest der Vernunft.
Der Krieg in der Ukraine ist zur Chiffre geworden. Nicht mehr für territoriale Souveränität, sondern für verletztes Prestige, übersteigerte Moralrhetorik und das letzte Aufbäumen einer europäischen Führungsschicht, die jeden diplomatischen Kompass verloren hat. Was als Verteidigung begann, ist zur Offensivideologie mutiert. Und während sich die Toten täglich mehren, schrauben sich die politischen Führer immer weiter in eine Eskalation hinein, für die sie keine Exit-Strategie haben.
Was wäre, wenn tatsächlich britische oder französische Soldaten in der Ukraine ums Leben kämen? Ein Angriff auf einen NATO-Staat? Ein Bündnisfall? Ein Dritter Weltkrieg? Die Antwort liegt nicht mehr im Konjunktiv. Sie liegt in der kalten Realität einer Strategie, die gar keine mehr ist. Europa hat sich moralisch in eine Ecke manövriert, aus der es nicht mehr herauskommt, ohne den Vorwurf des Verrats an der Ukraine. Also macht man weiter. Auch ohne Ziel.
Russlands Position ist deutlich: Friedensverhandlungen ja, aber zu Bedingungen, die im Westen kategorisch abgelehnt werden. Die Anerkennung der Krim, die Neutralität der Ukraine, der Verzicht auf NATO-Beitritt. Vorschläge wie eine temporäre UN-Administration in Kiew werden belächelt oder ignoriert. Dabei wäre gerade jetzt ein Moment der Pragmatik gefragt. Doch Europa verhandelt nicht mehr. Es belehrt, es sanktioniert, es liefert Waffen.
Und Amerika? Amerika spielt sein eigenes Spiel. Unter Trump geht es nicht um Ukraine, nicht um Russland, nicht um Menschenrechte. Es geht um China. Um das nächste große Spielbrett. Und dafür braucht es, vielleicht – einen halbwegs befriedeten Osten. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht ist es Amerika schlicht egal, was aus Europa wird. Die geopolitische Linie ist klar: Europa ist nicht das Ziel. Es ist ein Werkzeug. Und Werkzeuge sind ersetzbar.
Die Medien? Sie tun, was sie seit Jahren tun. Sie warnen vor der Gefahr aus Moskau, sie basteln Bedrohungsszenarien, sie geben der Politik das moralische Rüstzeug, weiterzumachen. Dass Russland ökonomisch geschwächt, militärisch gebunden und geopolitisch isoliert ist, spielt keine Rolle mehr. Dass ein Angriff auf Europa strategisch völlig sinnlos wäre, wird nicht einmal mehr diskutiert. Es geht nicht um Analyse. Es geht um Haltung.
Inmitten all dessen wirkt die politische Führung Europas zunehmend kopflos. Unter dem Druck der Öffentlichkeit, getrieben von Umfragewerten, sozialen Medien und innerparteilichen Machtkämpfen, agieren viele Entscheidungsträger wie Getriebene. Jeder Kompromiss gilt als Schwäche, jedes Zögern als Verrat. In dieser Atmosphäre haben Diplomatie und Nachdenklichkeit keinen Platz mehr. Was zählt, ist Entschlossenheit, auch wenn sie in die Sackgasse führt.
Dabei gibt es sie noch, die warnenden Stimmen: aus Italien, aus Griechenland, selbst aus Teilen der deutschen Bevölkerung. Doch sie werden übertönt von einem Chor der Härte, der nicht mehr unterscheiden will zwischen Verteidigung und Angriff, zwischen Besonnenheit und Feigheit. Die Logik ist binär geworden: Wer nicht für Waffen ist, ist gegen die Ukraine. Wer verhandeln will, betreibt Appeasement. Wer hinterfragt, wird diffamiert.
Der Philosoph Richard David Precht bringt es auf den Punkt:
„Wir führen einen Stellvertreterkrieg und tun so, als wären wir moralisch überhöht. Dabei fehlt uns der Mut, über Alternativen zum Krieg nachzudenken.“
Diese Worte beschreiben präzise das Klima in Europa: Wer nicht mitmarschiert, wird ausgegrenzt. Precht ist damit einer der wenigen, die öffentlich aussprechen, was viele denken, aber nicht mehr zu sagen wagen.
Was wir erleben, ist das perfekte Rezept für eine Katastrophe: ein ideologisch aufgeladener Konflikt, eine politische Elite ohne diplomatische Fantasie, eine öffentliche Meinung, die auf Krieg vorbereitet wird, und ein globales Machtvakuum, in dem Rationalität längst zur Schwäche erklärt wurde. Die europäische Politik gleicht zunehmend einer Herde kopfloser Hühner, die blindlings auf eine Autobahn rennen, in der irrigen Annahme, dass man sie für mutig hält.
Wenn es jetzt nicht gelingt, diesen Kurs zu verlassen, wird Europa zum Schlachtfeld. Nicht, weil Russland es angreift. Sondern weil niemand den Mut hat, zurückzutreten. Und weil niemand mehr sagt, was gesagt werden muss:
Frieden ist keine Kapitulation. Frieden ist das Einzige, was uns vor dem Abgrund bewahren kann. Alles andere führt unausweichlich in eine Eskalation, deren Ende niemand mehr kontrollieren wird.
Quellen und Anmerkungen:
(1) Reuters: Putins Vorschlag für temporäre UN-Verwaltung in der Ukraine (2025)
(2) ZDF: Russische Bedingungen für Friedensverhandlungen (2025)
(3) The Guardian: Trumps Strategie gegen China – Ukraine nur Mittel zum Zweck (2025)
(4) Watson: Entsendung europäischer Militärchefs nach Kiew (2025)
(5) APNews: EU-"Porcupine-Strategie" zur Aufrüstung der Ukraine (2025)
(6) Zeit Online: Widerstand gegen russische Forderungen in EU-Führung (2025)
(7) Interview mit Richard David Precht, Podcast "Lanz & Precht", 2023
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung dieses Beitrags.
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Bildquelle: Jakob Vingborg / shutterstock
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