Ein Meinungsbeitrag von Dirk C. Fleck.
Ich hatte einen Traum. Es war ein gespenstischer Traum. Ich selbst spielte in ihm keine Rolle. Ich nicht und andere Menschen auch nicht. Er war komplett menschenfrei, was merkwürdig ist, wenn man bedenkt, dass einem für gewöhnlich Legionen von Menschen in unseren Träumen begegnen.
Man findet sich beispielsweise in einer Stadt wieder, an Kreuzungen, in Fußgängerzonen, in Restaurants. Die Menschen haben klar erkennbare Gesichter, wie im richtigen Leben. Sie benehmen sich wie im richtigen Leben, jeder auf seine Art. WO KOMMEN SIE HER?! Wir sind diesen Wesen nie zuvor begegnet. Oder doch? Nein, sind wir nicht. Nicht in diesem Leben. Also: wo kommen sie her, die Traumfiguren in ihren Autos, im Kaufhaus, am Würstchenstand, die Paare und Passanten, die Gehetzten und Lachenden, die Bettler und die feinen Leute mit den Sektgläsern in der Hand, die einem sogar manchmal zuprosten? Keine Ahnung, aber jedes ihrer Gesichter ist bis ins Detail ausgeprägt. Die Traumwelt präsentiert sich so vielschichtig und real, wie wir es auch im Wachzustand erleben.
Aber die Frage bleibt: Wo kommen all die Menschen her, die als Statisten durch unsere Träume geistern? Handelt es sich um Wesen, die vor uns hier zu Gast waren und nun anstehen, um wiedergeboren zu werden, damit sie ihre Lektion zu Ende lernen? Eine Lektion, die unterbrochen wurde durch Kriege und Krankheiten, durch Mord und Selbstmord oder weil einfach nur die Herzen im Überlebenskampf stumpf und empathielos geworden waren. Herzen, die den eigentlichen Sinn des Lebens nicht mehr begreifen und greifen konnten. Und dieser Sinn, daran glaube ich, besteht darin, das eigene Ego zu zertrümmern und zu verstehen, was Liebe ist. LIEBE – der Feinstoff, der die Welt im Innersten zusammen hält. Nur wer das verstanden hat, wird davon befreit, sich erneut in diesen gigantischen Wartesaal zu begeben, aus dem sich meine Traumfiguren rekrutieren. Das wäre eine Erklärung. Muss aber nicht so sein.
Um auf den eingangs erwähnten Traum zurück zu kommen, in dem Menschen nicht vorkommen: Könnte es sich bei ihm um einen prophetischen Fingerzeig handeln, um eine Darreichung aus der Zukunft? Einer Zukunft, in der die Erde von einer kurzfristigen Krankheit genesen ist, die sie fast das Leben gekostet hätte? In der sie wieder frei durchatmet, nachdem der Mensch von der Evolution in die Tonne getreten wurde, um das kleine, aber kostbare Gaia-Experiment auf diesem Miniplaneten nicht zu gefährden?
Als rund um den Globus die Atompilze zu sprießen begannen, als die künstliche Intelligenz aus dem Ruder lief und der Tiefseebergbau die Unterwasserwelt als letzte Bastion des irdischen Paradieses vollständig zu vernichten drohte, ist dem Allmächtigen wohl die Hutschnur gerissen. Die kleine Korrektur muss ihm das Herz gebrochen haben, denn der HERR ist Romantiker, keine Frage. Schließlich stattete er das menschliche Herz mit einer süßen Sehnsucht aus, die wir in Schriften, Bildern und Skulpturen, im Tanz, ja selbst in den besten Zeugnissen der Architektur seit Jahrhunderten zum Ausdruck brachten. Es war die immerwährende Sehnsucht nach Frieden und Harmonie, nach Einklang - nach dem einen Klang. Warum dann alle Kunst, alle Literatur, alle Musik, alle Malerei, alle positiv geladenen Fantasien, mit denen der Mensch dieser Sehnsucht unsterblichen Ausdruck verlieh, letztlich unter einem Berg von Scheiße begraben wurden, wie Michael C. Ruppert sagt, war nicht vorgesehen. Es war ein Kunstfehler. Wie soll man es sonst deuten?
Ist der Umstand, dass ich einen Traum träumen durfte, in dem Menschen nicht mehr vorkommen, nun der Tatsache geschuldet, das wir aufgrund unseres unerträglichen Zerstörungswerks an der Erde einfach nur von diesem Planeten verbannt wurden? Könnte aber auch sein, dass wir nicht mehr gebraucht wurden, weil wir die uns aufgetragene Aufgabe pflichtbewusst erfüllt hatten. Diese Aufgabe hieß dann wohl: Haut das filigrane Netzwerk auf dem blauen Planeten in tausend Stücke, damit ich mir neue Bahnen suchen kann, denn ich, die Evolution, spiele und experimentiere gern. Man weiß es nicht. Wie auch immer. Es ist müßig, darüber zu spekulieren.
Dass immer mehr Menschen mulmig zumute wird, wenn sie daran denken, was der flächendeckende Verlust an Empathie in Verbindung mit dem nicht zu bremsenden Treiben unserer Polit-, Wissenschafts- und Wirtschaftsgangster noch alles anzurichten vermag, zeigt sich in den Tränen jener, die noch die oben erwähnte Sehnsucht im Herzen tragen. Wie die in Berlin lebende südafrikanische Sängerin Alice Phoebe Lou (30), deren Song SHE ich gerade auf YouTube entdeckte:
she cut a hole in the fence and she ran she left her troublesome prison behind she didn't wanna fuel the fire she didn't wanna lose her desire she looked out to the horizon she didn't have much left to see greed had taken the trees away greed had taken the bees away she don't know where she's gonna go now she looked up to where there should have been stars she said I wanna go to mars and this, this planet ain't ours
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Dirk C. Fleck ist ein deutscher Journalist und Buchautor. Er wurde zweimal mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Sein Roman “Go! Die Ökodiktatur” ist eine beklemmend dystoptische Zukunftsvision.
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Wir danken dem Autor für das Recht zur Veröffentlichung des Beitrags.
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Bildquelle: Ton poosakul / Shutterstock.com
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